Der Kult der Offensive

Da kann ich Dir jetzt nicht folgen. Ich habe nie von einem Präventivkrieg gesprochen. Es war ganz klar ein Angriffskrieg. Ich bin bloß der Meinung, dass die Politiker ihn ausgelöst haben. Wo siehst Du denn Anzeichen dafür, dass das Militär den Krieg vom Zaun gebrochen hat?

Ist ein Präventivkrieg kein Angriffskrieg? ... Ist ein Verteidigungskrieg ein Angriffskrieg? Ist ein Offensiver Verteidigungskrieg eine präventive militärische Maßnahme? ... :grübel:
 
...

Als der Erste Weltkrieg begann, war die Defensive strukturell so übermächtig geworden, dass Offensive fast gar nicht mehr denkbar war! Das haben alle Militärs auch ganz genau gewusst! ....

MfG

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Wenn dem so war, was ja möglich ist, warum handelten sie dann konträr zu der von Dir unterstellten Einsicht?
Oder war das nicht so?

Oder war es vielmehr so, dass z.B. auf Seiten des DR 1914 der Offensivgedanke so fest verankert war, dass man eben nur eine Planung hatte, nämlich den schnellen Offensivkrieg gegen Frankreich um sich nach dessen Erfolg gegen Russland zu wenden?
Noch verhängnisvoller war die Tatsache, daß der Generalstab nur einen Kriegsplan vorbereitet hatte, und es deshalb keine Alternativmöglichkeiten gab. Der Krieg mußte entsprechend einem vorher festgelegten militärischen Plan durchgeführt werden, ob dieser Plan nun zur tatsächlichen Lage passte oder nicht.
Jehuda L. Wallach: Das Dogma der Vernichtungsschlacht - Seite 292
(Hervorhebung durch den zitierten Autor)
 
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Wenn dem so war, was ja möglich ist, warum handelten sie dann konträr zu der von Dir unterstellten Einsicht?
Oder war das nicht so?

Oder war es vielmehr so, dass z.B. auf Seiten des DR 1914 der Offensivgedanke so fest verankert war, dass man eben nur eine Planung hatte, nämlich den schnellen Offensivkrieg gegen Frankreich um sich nach dessen Erfolg gegen Russland zu wenden?

Jehuda L. Wallach: Das Dogma der Vernichtungsschlacht - Seite 292
(Hervorhebung durch den zitierten Autor)

Die Antwort auf Deine Frage liegt darin, dass das Thema zwei Dimensionen hat:

1. Irgendwann wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, den Krieg führen zu wollen.

2. Im Prinzip unabhänigig von dieser Grundsatzentscheidung waren dann Entscheidungen über die Art und Weise der Kriegführung zu treffen. Ich schreibe "im Prinzip", weil aufgrund der Gegebenheiten die Entscheidungsfreiheit sehr begrenzt war.

In der Diskussion (nicht nur hier) werden diese beiden Punkte immer vermischt. Deshalb ist es auch so verhängnisvoll, dass es weitgehend unhinterfragt als Tatsache anerkannt wird, dass die Militärs den Krieg begonnen hätten. So bleibt nämlich eine entscheidende Frage völlig unbeantwortet: WARUM brach dieser Krieg eigentlich aus? Was waren eigentlich die Gründe? Reine Blutgier des Militärs?

Um aber Deine Frage zu beantworten: Meiner Auslegung nach haben deutsche Politiker es für geboten gehalten, diesen Krieg zu führen, weil sie Deutschland zunehmend "eingekreist" sahen. Als dieser Beschluss gefallen war, konnte das Militär den Auftrag nur offensiv umsetzen, weil die Russen zwar mobilmachten, aber nicht angriffen - und weil Frankreich zwar alarmiert war, aber sich ebenfalls noch zurückhielt. Zudem, weil man hoffte, Frankreich "überraschen" zu können.

Als dann geschossen wurde, blieb dem Militär nichts anderes übrig, als mit dem Übergewicht der Defensive irgendwie klarzukommen. Es wurden ja auch alle möglichen Versuche unternommen. Wettlauf zum Meer, Sturmläufe unter Hurrah-Geschrei, stundenlanges Trommelfeuer, Vormärsche hinter Feuerwalzen der Artillerie, Giftgas... Am Schluss probierten die Deutschen sogar Elemente des Bewegungskriegs aus, indem sie bei einem beginnenden Sturmangriff der Franzosen einfach ihre Gräben räumten und zurückgingen. Die Franzosen saßen dann ein paar Stunden siegestrunken in den eroberten Gräben, stellten dann fest, dass sie dort in einer ungünstigen Position waren - und gingen in ihre Ausgangsstellungen zurück, worauf die Deutschen in ihre Gräben zurückkehrten. Hat bloß alles nichts genutzt.

Nach der Grundsatzentscheidung, Krieg zu führen, war es keine Option mehr, abzuwarten. Im Westen musste angegriffen werden, denn das war ja der Zweck des Krieges. Trotzdem liegt Wallach falsch, wenn er sagt, dass es nur einen Plan gegeben hätte. Für die Kriegführung an der Ostfront waren Planungen zu einer hinhaltenden Kampfführung aufgestellt worden, die sogar ein Zurückweichen bis hinter die Weichsel in Kauf genommen hätte. Es ist also falsch, dass die deutsche Generalität nur die Offensive "denken konnte". Deutschland hatte sich durch die Kriegserklärung bloß in eine Lage gebracht, in der an der Westfront nur eine Offensive in Frage kam.

Herfried Münkler schreibt in seinem Buch "Der große Krieg", dass die Meinungen zur Frage, ob Krieg nötig sei, in Deutschland durchaus schwankend gewesen seien. Generalstabschef Moltke habe den Kaiser und den Reichkanzler immer wieder darauf hingewiesen, dass man den Krieg bald führen müsse - wenn man ihn denn überhaupt führen wolle. Leider kenne ich das Buch bisher nur aus Rezensionen. Ist bestellt.

MfG
 
Als der Erste Weltkrieg begann, war die Defensive strukturell so übermächtig geworden, dass Offensive fast gar nicht mehr denkbar war! Das haben alle Militärs auch ganz genau gewusst!
dennoch gab es in der Zeit vom Festungssterben (Brisanzgranatenkrise um 1885) bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs etliche hohe Militärs, welche den Bau von Defensivstellungen (Großfestungen, Festungsketten etc.) ablehnten. Sicherheitshalber sei dazu gesagt, dass es in diesem Zeitraum noch keine Maginotlinien etc gab, auch keine Konzeptionen für tiefgestaffelte befestige Zonen (dafür war die Mobilität noch nicht ausgereift).
Interessanterweise gab es in diesem Zeitraum kontroverse Diskussionen um den Nutzen von befestigten Plätzen, und da war 1904 die belagerte Baustelle Port Artur für alle von großem Interesse.
Zumindest mir scheint aus der Geschichte des Festungsbaus dieser Zeit nicht ganz nachvollziehbar, dass allgemein die Defensive als Konzept vorherrschend gewesen sei.
 
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Als der Erste Weltkrieg begann, war die Defensive strukturell so übermächtig geworden, dass Offensive fast gar nicht mehr denkbar war! Das haben alle Militärs auch ganz genau gewusst! ....
MfG

Diese warnenden Stimmen [ bezogen auch auf Moltke d. Ä] fanden kein Gehör. ....
Stattdessen waren die Militärs der Ansicht, dass Organisation und Strategie derart fortgeschritten seien, dass ein Krieg durch rasche von riesigen Armeen sowie einige erfolgreich absolvierte Schlachten werden könne. Dementsprechend orientierten sich sämtliche Generalstäbe an einer reinen Offensivstrategie. Diese wurde vor allem in Frankreich, stärker noch als in Deutschland oder Russland, nunmehr zur verbindlichen Militärdoktrin
Hirschfeld/Krumreich: Deutschland im ersten Weltkrieg - Seite31
(Einfügung und Hervorhebung durch mich)

Barbara Tuchman: August 1914 - Seite 41:
Die neue Felddienstordnung, die im Oktober 1913 von der Regierung als Grundlage für die Ausbildung und Führung der französichen Armee verfügt wurde, begann mit einem Trompetenstoß: "Die französische Armee kehrt zu ihren Traditionen zurück und kennt hinfort kein Gesetz als das der Offensive."

Das ist als Ergänzung zu Van Evera gedacht, dessen fundierte Ausführungen im Zusammenhang des Themas gewiss lesenswert sind.

Verzeih, dass auf Deinem Zitat gewissermaßen herumreite.
Dieses jedoch stellt eine exemplarische Gegenposition dar und ich kann ehrlich gesagt 'nur' die Grundlage einer eigenen rückprojezierten Logik erkennen,
jedoch keinen Bezug auf einen historischen Forschungsstand.

Nachdem ich selbst kein Historiker bin, und schon gleich nicht einer der Spezialisten dieser Zunft zum speziellen Thema,
versuche ich mich dem besonderen Rätsel dadurch anzunähern,
dass ich verschiedene Quellen hierzu lese,
und auch versuche deren Glaubwürdigkeit zu beurteilen.

Den Ansatz jedoch, aus der eigenen Nachdenklichkeit heraus, die Sachlage verstehen zu wollen, sollte man relativieren oder gar verwerfen.
 
dennoch gab es in der Zeit vom Festungssterben (Brisanzgranatenkrise um 1885) bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs etliche hohe Militärs, welche den Bau von Defensivstellungen (Großfestungen, Festungsketten etc.) ablehnten. Sicherheitshalber sei dazu gesagt, dass es in diesem Zeitraum noch keine Maginotlinien etc gab, auch keine Konzeptionen für tiefgestaffelte befestige Zonen (dafür war die Mobilität noch nicht ausgereift).
Interessanterweise gab es in diesem Zeitraum kontroverse Diskussionen um den Nutzen von befestigten Plätzen, und da war 1904 die belagerte Baustelle Port Artur für alle von großem Interesse.
Zumindest mir scheint aus der Geschichte des Festungsbaus dieser Zeit nicht ganz nachvollziehbar, dass allgemein die Defensive als Konzept vorherrschend gewesen sei.
Es überrascht mich, dass gerade die These vom Übergewicht der Verteidigung so angezweifelt wird. Wenn ich mich nicht täusche, hat schon Sun Tzu das behauptet. Dass die Defensive die "stärkere Form der Kriegführung" sei, hat Clausewitz als militärischen Grundsatz herausgearbeitet. Belege dafür finden sich in allen Kriegen. Dass sich das mit der Entwicklung moderner Waffen verschärfte, ist auch an Beispielen nachweisbar. Liest man bei Wiki unter dem Stichwort Stellungskrieg, findet man zum Beispiel den Hinweis auf den amerikanischen Bürgerkrieg und auf die Schlacht von Gettysburg, die beweisen habe, dass Angriffe auf feste Verteidigungslinien fast aussichtlos geworden seien. Münkler konstatiert für den WKI, dass "...die Anlage von Schützengräben das Übergewicht der Verteidigung massiv verstärkt hatte und Angriffe auf befestigte feindliche Stellungen nur zu enormen Verlusten, aber kaum zu Geländegewinnen und erst recht nicht zum Durchbruch führten." Auch in moderner Zeit war das nicht grundsätzlich anders. Im kalten Krieg galt es als "allgemein bekannt", dass Angreifer im Verhältnis 3:1 überlegen sein müssten, um Siegchancen zu haben.

Was die Festungen betrifft: Das von Dir angesprochene Festungssterben hing mit der Waffenentwicklung zusammen. Die bestehenden Festungen waren den neuen Geschützen nicht mehr gewachsen. Zudem sind - wie weiter oben schon geschrieben - Festungen für defensive Kriegführung auch nicht zwingend erforderlich. Festungen haben nur Sinn an ganz bestimmten Plätzen. Und sie haben den Nachteil, dass sie nicht beweglich sind. Eine Festung, die der Feind umgehen kann, ist sinnlose Kraftverschwendung. Eine beweglich Armee dagegen kann an fast jedem beliebigen Platz eine Verteidigungslinie aufbauen.

MfG
 
Es überrascht mich, dass gerade die These vom Übergewicht der Verteidigung so angezweifelt wird. Wenn ich mich nicht täusche, hat schon Sun Tzu das behauptet. ..
MfG

Hättest Du im Hinblick auf den betrachteten kurzen Zeitraum geschrieben "Es überrascht mich, dass gerade die These vom Übergewicht der Verteidigung so angezweifelt wurde" ...dann würde ich Deine Überraschung teilen.

Nur zog man halt in einer Zeit großer technischer und gesellschaftlicher Umbrüche ganz allgemein einen gegenteiligen Schluss im Sinne der militärischen Strategie, der sich leider als fatal falsch erwies.
Und hier findet sich ja das Eingangsthema.

Da sich diese Wahrnehmung als irreführend herausstellte, ist es naheliegend danach zu fragen, warum diese entscheidenden Einfluss gewann.

P.S. es ist auch nicht ausreichend sich auf einen Autor zu beziehen, den man nicht gelesen hat. :pfeif:
 
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Es überrascht mich, dass gerade die These vom Übergewicht der Verteidigung so angezweifelt wird.
wären alle zu jeder Zeit von der Unüberwindlichkeit geschickter Defensivstrategie überzeugt gewesen, hätte es keinen einzigen Krieg gegeben... stattdessen hätte jeder hinter seiner ausgeklügelten Defensivlinie friedfertig ausgeharrt :)
 
Dass die Defensive die "stärkere Form der Kriegführung" sei, hat Clausewitz als militärischen Grundsatz herausgearbeitet.

Und dieser Gedankengang impliziert, oder besser er unterstellt, dass Clausewitz in seiner "reinen" Form in Preußen - und in Frankreich - in den Generalstäben rezipiert worden ist.

Dieses ist nicht der Fall!!!! Wie Heuser dastellt (beispielsweise S. 90 ff).

Reading Clausewitz - Beatrice Heuser - Google Books

Es ist ein "offensiv" gewendeter Clausewitz, der rezipiert wird, auch um ihn als Protagonist für den "Kult der Offensive" im strategischen Sinne, bezogen auf die Denkschriften bzw. Memoranden und den damit zusammenhängenden Aufmarschplänen und "Eisenbahnplänen, und im operativen Sinne für die "Vernichtungsschlacht" im taktischen Sinne weiterhin zu erhalten.

Und dazu ist es interessant, die "Kriegsspiele" von Schlieffen anzusehen, die in der Anlage fast immer eine Variation des "Leuthen"- bzw. "Cannae"- Themas waren.

Aber es ist beispielsweise ein Bernhardi, der die Clausewitzsche Vermutung der Überlegenheit der Defensive als die stärkere Form der Kriegsführung als "Fehler" ablehnt.

Nur in dieser reformulierten Form hat Clausewitz eine Chance gehabt, als Theoretiker weiterhin vom preußischen Generalstab akzeptiert zu werden, so das Resümee von Heuser.

Ähnliches gilt für die Rezeption von Clausewitz in Frankreich.
 
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Diese warnenden Stimmen [ bezogen auch auf Moltke d. Ä] fanden kein Gehör. ....
Stattdessen waren die Militärs der Ansicht, dass Organisation und Strategie derart fortgeschritten seien, dass ein Krieg durch rasche von riesigen Armeen sowie einige erfolgreich absolvierte Schlachten werden könne. Dementsprechend orientierten sich sämtliche Generalstäbe an einer reinen Offensivstrategie. Diese wurde vor allem in Frankreich, stärker noch als in Deutschland oder Russland, nunmehr zur verbindlichen Militärdoktrin
Hirschfeld/Krumreich: Deutschland im ersten Weltkrieg - Seite31
(Einfügung und Hervorhebung durch mich)
Wie erklärt es sich dann angesichts dieser Zeilen, dass deutsche Truppen im Osten den Krieg eher defensiv geführt haben und dass französische Truppen im Westen keine großangelegten strategischen Offensiven versucht sondern im eigenen Land verteidigt haben? Mir scheint, die von Dir zitierte Aussage steht im Widerspruch zu den historischen Fakten.

So "verbindlich" scheint die Doktrin also nicht gewesen zu sein. Ähnlich wie seinerzeit die Nato-Doktrin der massiven Vergeltung. Nach der ist auch nie verfahren worden.

Verzeih, dass auf Deinem Zitat gewissermaßen herumreite.
Dieses jedoch stellt eine exemplarische Gegenposition dar und ich kann ehrlich gesagt 'nur' die Grundlage einer eigenen rückprojezierten Logik erkennen,
jedoch keinen Bezug auf einen historischen Forschungsstand.
Was ich über den historischen Forschungsstand denke, hatte ich ja deutlich geäußert.

... dass ich verschiedene Quellen hierzu lese,
und auch versuche deren Glaubwürdigkeit zu beurteilen.
Das mache ich genauso. Und mir erscheint es nunmal nicht glaubwürdig, wenn ein "Gesetz" postuliert wird, an das sich in der Realität jenes Krieges offenbar niemand gehalten hat.

Hättest Du im Hinblick auf den betrachteten kurzen Zeitraum geschrieben "Es überrascht mich, dass gerade die These vom Übergewicht der Verteidigung so angezweifelt wurde" ...dann würde ich Deine Überraschung teilen.
Meine Überraschung bezog sich auf die Diskussion hier im Forum. Da wird die These nach wie vor angezweifelt, obwohl ich sie nun mit Hinweisen auf Informationen über mehrere Kriege sowie auf Analysen von kundigen Menschen belegt habe.

P.S. es ist auch nicht ausreichend sich auf einen Autor zu beziehen, den man nicht gelesen hat. :pfeif:
Immerhin habe ich ihn gut genug gelesen, um ihn zitieren zu können. Außerdem sprach ich von einem bestimmten Buch von ihm, das ich bislang nicht lesen konnte. Er hat noch andere geschrieben. Und ich bezog mich nicht nur auf ihn. :winke:

wären alle zu jeder Zeit von der Unüberwindlichkeit geschickter Defensivstrategie überzeugt gewesen, hätte es keinen einzigen Krieg gegeben... stattdessen hätte jeder hinter seiner ausgeklügelten Defensivlinie friedfertig ausgeharrt :)
Eben. Das war das "Dilemma". Würden in einem Krieg beide Seiten nur auf die jeweils andere warten, gäbe es gar keinen Krieg. Deshalb musste irgendwann jemand in den sauren Apfel beißen und in die Offensive gehen.

Und dieser Gedankengang impliziert, oder besser er unterstellt, dass Clausewitz in seiner "reinen" Form in Preußen - und in Frankreich - in den Generalstäben rezipiert worden ist.

Dieses ist nicht der Fall!!!!
Vollkommen richtig. Das war aber auch nicht erforderlich. Clausewitz hat seine Aussagen über die Stärke der Defensive nicht als "Handlungsanleitung" formuliert. Er hat dies als Ergebnis einer empirisch-analytischen Betrachtung von Kriegshandlungen formuliert. Das Wissen über diese Kriegshandlungen war auch den Militärs zugänglich, die vor dem WKI die Verantwortung trugen. Die hatten zudem noch mitbekommen, wie sich im amerikanischen Bürgerkrieg und im russisch-japanischen Krieg Gefechte um Schützengräben zu entwickeln pflegten.

Welcher Krieg ist denn nach der Niederlage Napoleons ausgetragen worden, in dem sich die Offensive als besonders wirkungsvoll oder gar als überlegen erwiesen hätte? Allenfalls 70/71. Sonst sprach alles gegen Offensive. Es ging aber einfach nicht ohne. Wie @Thane ganz richtig festgestellt hat.

Um weiterhin den Krieg "denken" zu können, mussten die Militärs also weiterhin die Offensive "denken" - im Sinne von "für möglich halten" oder auch "möglich machen". So fasse ich das auf, was Historiker heute als "Kult der Offensive" bezeichnen. In der Form, wie der Begriff verwendet wird, unterstellt er allerdings, dass die Soldaten damals völlig verblödet und verblendet waren und die Realtiäten z.B. des russisch-japanischen Krieges nicht gesehen haben. Das wäre unsinnig. Schließlich haben sie z.B. bei Verdun bewiesen, dass sie vortrefflich Gräben ausheben und mit MGs sichern konnten. Sie wussten also sehr gut, wozu Gräben gut sind und was man mit MGs anstellen kann.

MfG
 
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Welcher Krieg ist denn nach der Niederlage Napoleons ausgetragen worden, in dem sich die Offensive als besonders wirkungsvoll oder gar als überlegen erwiesen hätte? Allenfalls 70/71. Sonst sprach alles gegen Offensive. Es ging aber einfach nicht ohne. Wie @Thane ganz richtig festgestellt hat.
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Mehrere. Der amerikanische Bürgerkrieg blieb z.B. Unentschieden, bis der Norden mit der taktiererei aufhörte und brutal seine Offensiven durchzog. Die Italienischen Kriege, der Deutsch-Dänische, die Balkankriege, sogar der Burenkrieg, wurden von der offensiveren Seite gewonnen.

Dass die gesteigerte Feuerkraft die Verteidigung bevorzugen würde und Angriffe enorm kostspielig würden, haben schon viele frühzeitig postuliert, einige wurden schon erwähnt.

Ich müsste mal nachlesen, ich denke es war in der "Kriegsgeschichte" von B. Montgomery, in der ein Abriss aufgeführt ist über die Militärtheorien im 19. Jahrhundert und dem dort stattfindenden hin und her, zwischen Deffensive und Offensive, den Befürwortern der Feuerkraft und denen des Bajonetts, des vorsichtigen Manövrierens und denen des rücksichtslosen Angriffs. Das Ganze sowohl auf taktischer wie auf operativer ebene.

Es wird anhand der Beispiele hauptsächlich von Frankreich und Österreich dargestellt, die ersteren traditionell für eine sehr aggressive Vorgehensweise mit der Blankwaffe, die Zweiten mit einer vorliebe für das Schützengefecht mit einer hohen Schiessausbildung des einzelnen Soldaten.

Die Österreicher wurden, trotz ihrer hohen Feuerkraft und ihrer nachweislich guten Schiesskünste in Italien von den Franzosen in klassischen Infanterieangriffen mehrfach geworfen und steckten eine Niederlage nach der anderen ein. Darauf hin haben sie die französische Vorgehensweise übernommen, gerade als es dann gegen die Preussen ging, bei denen es wohl besser gewesen wären wenn sie die große Reichweite ihrer gezogenen Vorderlader genutzt hätten und auf Abstand geblieben wären.

Die Franzosen haben aus den Ereignissen im Preussisch-Österreichischen Krieg die Konsequenzen gezogen und ihrerseits diesmal auf eine vorsichtigere Vorgehensweise und auf die Bevorzugung des Schützengefechtes gesetzt (im Vertrauen auf die größere Reichweite des Chassepots), sind dabei jedoch trotzdem besiegt worden, was wieder die Befürworter der Offensive in ihrem Glauben bestätigte.

Dass die Offensive durch die gesteigerte Feuerkraft und die sonstigen technischen Mittel "unmöglich" wurde, halte ich jedoch für übertrieben. Wie es weiter oben schon jemand geschrieben hat, ist es auch eine Funktion des Raumes und der vorhandenen Kräfte. Ausserdem musste ja erst gelernt werden, mit den neuen technischen Mitteln umzugehen. Die "Italienischen" Festungen in der frühen Neuzeit schienen seinerzeit auch uneinnehmbarzu sein. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit bis man die Taktiken und Techniken entwickelte, solche Bauwerke zu knacken.
 
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Wieso breitete sich der Gedanke im Vorfeld des Weltkriegs bei allen Protagonisten auf der grausigen Bühne aus, der Schlüssel zum militärischen Erfolg sei in der Offensive zu sehen?

Naja ich versuch mal mit einfachen Worten: "... da stehen eine Handvoll Jungs sich mehr oder weniger grimmig gegenüber. Alle haben sich nicht nur das Turnierdress übergeworfen, sondern auch "aufgerüstet" vom Helm bis zum Schienbeinschoner.

Alle warten auf den Spielanpfiff, doch der kommt ohne Absprache, wer wann wie spielt und wer beginnen darf, ohne Anstoß so zu sagen.

Somit stehen die Jungs da und der Ball fängt an zu Rollen und jeder will den Ball zuerst treten, denn wer die Offensive Übernimmt, ist am Ball!

Im seltensten Fall, wird die defensive Erfolgreich sein und spätestens, wenn die Jungs den Angriff abgewehrt haben, bleibt auch hier nur um siegreich zu sein, eine schneller Konterangriff ...

P.s.: Ich glaube silesia hat das mit der Offensive auch versucht über das Schachpiel zu erklären.
 
Mehrere. Der amerikanische Bürgerkrieg blieb z.B. Unentschieden, bis der Norden mit der taktiererei aufhörte und brutal seine Offensiven durchzog. Die Italienischen Kriege, der Deutsch-Dänische, die Balkankriege, sogar der Burenkrieg, wurden von der offensiveren Seite gewonnen.
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Dass die Offensive durch die gesteigerte Feuerkraft und die sonstigen technischen Mittel "unmöglich" wurde, halte ich jedoch für übertrieben.
Ich beginne zu verstehen, wo der Grund für unsere unterschiedlichen Meinungen liegt: Du schilderst hier Kriege, in denen die offensiven Parteien letztlich gewonnen haben. Alle diese Kriege sind aber kein Beleg dafür, dass die Offensive der Defensive überlegen sei. In allen diesen Kriegen waren die angreifenden Kräfte nämlich an Zahl und/oder an Feuerkraft weit überlegen.

Wenn Clausewitz schreibt, dass die Defensive der "stärkere" Teil der Kriegführung sei, dann meint er Vorteile, die sich aus der Natur der Sache ergeben (die also struktureller Natur sind): Der Verteidiger kann sich den Ort aussuchen, an dem er sich aufstellt. Er kann diesen Ort nach seinen Wünschen herrichten (seine eigene Stellung befestigen, den Anmarschweg des Gegners mit Hindernissen bepflanzen). Der Verteidiger kann Vorräte anlegen, ist seinen eigenen Nachschubquellen näher als der Angreifer, kennt sich besser aus, kann vorab Rückzugswege ausarbeiten und sichern, etc etc.

Diesen strukturellen Vorteil der Verteidigung gab es zu allen Zeiten. Er hat aber zu keiner Zeit dazu geführt, dass Angriff (und damit letztlich Krieg insgesamt) unmöglich geworden wäre. Das von Clausewitz formulierte Gesetz besagt lediglich, dass der Angreifer gesteigerte Anstrengungen unternehmen muss, um den Vorteil der Verteidigung auszugleichen. Dazu gibt es verschiedene Mittel. Die vordergründigsten: zahlenmäßige Überlegenheit, Überlegenheit an Waffen, Überlegenheit an schweren Waffen.

Daneben gab es aber auch immer wieder das Phänomen, dass Angreifer ganz neue Konzepte der Kriegführung angewandt haben, die dazu führten, dass die Offensive der Defensive eben doch überlegen war. Das aber nur ZEITWEILIG! Nur so lange, bis die Verteidiger sich auf die neue Situation eingestellt hatten. Und das ging immer sehr flott!

Eine Reihe von Beispielen:

- In der Antike bestanden Kriege anfangs aus der Summe der Zweikämpfe, die auf einem Schlachtfeld ausgetragen wurden. Bis Leute wie die Makedonen auf die Idee kamen, Kämpfer in einem geschlossenen Truppenkörper zusammenzufassen und damit all die Einzelkämpfer auf der Gegenseite niederzuwalzen. Das hatten die Gegner schnell gelernt. Innerhalb der "neuen Ordnung", die der Krieg darauf annahm, galt wieder uneingeschränkt das Gesetz, dass die Verteidigung gegenüber dem Angriff strukturelle Vorteile hat. Die "neue Ordnung" wurde in der Folgezeit nur noch "verfeinert", aber erstmal nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt.

- Geschlossene Verbände von Soldaten blieben "state of the art" - bis irgendjemand darauf kam, nicht mehr in Großverbänden anzugreifen, sondern in einzelnen Haufen, die aufgelöst und über eine riesige Fläche verteilt operierten (beginnende Völkerwanderungszeit). Rom kassierte einige empfindliche Niederlagen, strukturierte schnell seine Truppen um - und konnte sich der Angreifer wieder lange Zeit erwehren. Innerhalb der neuen Ordnung, die der Krieg... etc (die "Zwischenstufen" lasse ich aus; soll ja keine Doktorarbeit werden).

- Die neuen Konzepte blieben lange Zeit "state of the art". Bis jemand auf die Idee kam, massiv schwere Reiterei einzusetzen und die verteidigenden Fußtruppen niederzutrampeln. Die Unterlegenen passten sich schnell an und übernahmen die neue Taktik.

- Berittene Kämpfer (Ritter) waren jahrhunderte lang "state of the art" und wurden gehegt und gepflegt. Bis jemand Feuerwaffen erfand. Ruckzuck verschwanden die schweren Panzer von den Schlachtfeldern und Schützenlinien wurden zu DEM Mittel der Kriegführung schlechthin.

- In einer ebensolchen Umbruchzeit lebte Clausewitz und analysierte den Krieg. Er hat beschrieben, wie die revolutionären Volksheere die Kabinetts-Armeen weggefegt haben. Fortan waren Massenheere "state of the art". Und wieder galt uneingeschränkt das Gesetz, dass die Verteidigung überlegen ist. Diesmal aber in verstärkter Form, weil die Kämpfer einander nicht mehr Auge in Auge abschlachten mussten, sondern sich gegenseitig auf immer größere Entfernungen und mit immer wirkungsvolleren Waffen über den Haufen schießen konnten. Das nahm noch schärfere Formen an, als Hinterlader, Repetierer und schließlich sogar Maschinengewehre erfunden wurden. Da stellte sich nicht mehr EIN verteidigender Soldat aus einer guten Stellung heraus EINEM angreifenden Soldaten in ungünstiger Stellung. Er war plötzlich in der Lage, mit seinem MG ein ganzes Bataillon niederzuknallen (etwas übertrieben). Das strukturelle Übergewicht der Verteidigung hatte so dramatische Formen angenommen, weil die Angreifer nicht so viele MGs mitschleppen konnten wie die Verteidiger in ihren gesichterten Stellungen aufzustellen in der Lage waren.

Das war die Ausgangslage, als der Erste Weltkrieg begann. Und in der Situation haben die Militärs den "Fehler" gemacht, diesen Krieg mit den Mitteln führen zu wollen, die sich aus der bis dahin akzeptierten "inneren Ordnung" dieser Art der Kriegführung ergaben. Sie haben nicht nach "neuen Methoden" gesucht, die Überlegenheit der Verteidigung auszugleichen. Sie haben lediglich versucht, die bestehenden Mittel zu modifizieren. Wenn ein "normaler" Angriff nicht reicht, muss man halt "energischer" angreifen. Wenn auch das nicht reicht, greift man "mit aller Gewalt" an... blabla. Daher kommt die unsinnige Idee von einem "Kult der Offensive". Ungeachtet der Tatsache, dass es in der Realtität nie auch nur den Versuch einer "unbedingten Offensive" gegeben hat. Mit dem Erstarren des deutschen Vormarsches zum Stellungskrieg an der Westfront waren plötzlich beide Seiten voll in der defensiven Kriegführung - die es den "Analysen" der Historiker zufolge gar nicht hätte geben dürfen, weil Angriff ja die "verbindlichen Doktrin" war und die Deutschen neben der Offensive gar keinen "Plan B" hatten.

Erst nach der blutigen Niederlage - geradezu als Folge der blutigen Niederlage - kam jemand auf den Gedanken, dass man einen Krieg nie wieder so führen darf und dass man ihn vor allem auch gar nicht so führen muss. So wurde die Idee vom "Blitzkrieg" geboren.

Dieser "neue Krieg" wurde auch nicht durch technischen Fortschritt ermöglicht. Noch als der Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion begann, war die Masse der Truppen nicht motorisiert und stützte sich in hohem Maße auf Pferde als Transportmittel. "Blitzkrieg" war in erster Linie die Abkehr vom Paradigma, dass man immer und unbedingt eine "Entscheidungsschlacht" annehmen muss, wenn der Gegner eine anbietet.

Übrigens stehen wir aktuell vor einem ähnlichen Umbruch (oder sind schon mittendrin). Nach wie vor gilt "Blitzkrieg" (heute bekannt unter Bezeichnungen wie "air-land-battle" oder "verbundene Waffen") als "state of the art". Der Krieg wandelt aber zunehmend sein Gesicht. Wird immer lauter unter dem Oberbegriff "Neue Kriege" diskutiert.

MfG
 
Es haben ja auch im Weltkrieg die Offensiven 1918 und die Erfolge der Stoßtruppen- und Hutiertaktiken bewiesen, dass Durchbrüche und mobile Kriegsführung möglich waren. Es war ein langer von Versuch und Irrtum gekennzeichneter Prozess, bis sich in den Generalstäben Erkenntnisse und Gegegebenheiten des Grabenkrieges bemerkbar machten. Bis 1917 hingen die meisten Generale der Taktik Artillerie erobert, Infanterie besetzt an, und Debakel wie der 1. Juli 1916 an der Somme wurden darauf zurückgeführt, dass eben die Artillerie zu schwach war. Der Tanküberfall vom 20. November bei Cambrai durchbrach die Siegfriedstellung an einem ihrer stärksten Punkte, die Briten machten aber die erfahrung, dass Tanks durch Infanterie unterstützt werden mussten, als die Tanks der Artillerie und Infanterie "davonliefen" zeigte sich ihre Verwundbarkeit, und die deutschen konnten in einem Gegenangriff fast das gesamte Terrain zurückerobern.

1916-17 gelang es den Deutschen, artilleristische und materielle Überlegenheit auszugleichen, indem die Verteidigung in die Tiefe gestaffelt wurde. Das Gefühl der unterlegenheit an Material und die hohen eigenen Verluste wirkten sich aber demoralisierend aus. Der Angreifer bestimmt auch im Grabenkampf das Gesetz des Handelns, entscheidet, ob man schlafen oder Vorräte empfangen oder im Trichtergelände oder im Unterstand Artilleriefeuer und Gas über sich ergehen lassen oder von Schlachtfliegern belästigt wird. Seit Ende 1916 bauten die Deutschen gar keine bombensicheren Unterstände mehr und sprengten Gräben, die zu tief waren, was anfangs von vielen Soldaten als grausam enmpfunden wurde.
 
Was ich über den historischen Forschungsstand denke, hatte ich ja deutlich geäußert.

Es darf ja auch jeder äußern, was er möchte. Und jeder darf sich auch ein Urteil zu dem bilden, was Du behauptest. Vor allem vor dem Hintergrund Deiner kompletten Abstinenz zur bereits vorhandenen historischen Diskussion über das Thema und in weitgehender Unkenntnis der politologischen Diskussion über das Thema.

Du vermeidest es tunlichst, an irgendeinem Punkt konkret zu werden und den Bezug zur akademischen Diskussion her zustellen. Must Du ja aber auch nicht, weil die ohnehin - angeblich - falsch ist. Damit hast Du Dich hervorragend immunisiert und kannst somit, glaubst Du, frei von irgendwelchen Fakten und Bezügen zur entsprechenden Literatur, Deine eigene subjektive Sicht auf die Geschichte darbieten.

Man darf sie auch hinterfragen und - wie Münkler - zu der Einschätzung kommen, dass hier Blinde über Farben reden.

Allerdings und sieht man sich die Ausführungen von Münkler in der "Große Krieg" an, dann bieten seine Darstellungen sicherlich keine systematische Unterstützung, die Deine provozierenden, unbelegten Aussagen systematisch unterstützen würden. Das ist auch nicht verwunderlich, da Münkler sich ohnehin nur auf die Vorarbeiten der entsprechnenden Fachhistoriker verlassen kann und er basiert seine Ausführungen auch darauf!

Die Ausführungen von Münkler sind absolut konventionell und geben den Stand wieder, der bei anderen Autoren, wie Wallach etc., auch formuliert wird. In diesem Sinne bewegt sich die verwendete Literatur in einem Bereich, der als "Standard" zu definieren ist, wie beispielsweise Wallach, Ritter oder auch Herwig und eine Reihe von weiteren Historikern und Politologen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben.

Bestimmte Dikussionen, wie die um J. Snyder und andere blendet er dabei sogar aus, soweit ich das gesehen habe.

Die Diskussion von Münkler zum Schliefenplan ist dem aktuellen Diskussionsstand aber nicht ganz angemessen, was vielleicht aufgrund der Haarspalterei mancher Argumente auch nicht abträglich sein muss. Der aktuelle Stand der Analyse zum Schlieffenplan wird beispielsweise in diesem Reader (Der Schlieffenplan : Analysen und Dokumente / im Auftr. des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und der Otto-von-Bismarck-Stiftung hrsg. von Hans Ehlert u. a., 2007) dargestellt, auch mit der relativ ausführlichen Diskussion über die Thesen von Zuber. Möglicherweise geht Silesia in seiner Antwort auf das Werk und die Diskussion noch vertiefend ein.

Eine ältere, aber durchaus interessante Darstellung bietet Schmidt-Richberg (Deutsche Militärgeschichte, Bd. 3, S. 78), der die politischen Einflüsse auf die veränderte Planungen von Bismarck zu Bethmann Hollweg beleuchtet und diese militärischen Planungen in den Kontext setzt.

Eine gute und aktuelle Darstellung zur Rolle von Schlieffen im Rahmen des Moltke-Schliefen-Planes, der im August 1914 verwendet wurde, bietet A. Mombauer: German War Plans in: War Planning 1914, 2010, S. 48ff

Ebenso ist die Sicht von Münkler, die er zur Rolle des Militärs und der Poltik im Kapitel "Der vermeintliche Zwang zum Präventivkrieg" nicht konkruent zu der Darstellung dieses Verhältnisses bei Maelonn.

Die komplizierte Situation der Politik vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung militärischer Imperative - in diesem Sinne dem engen Zeitplan des Moltke-Schlieffen - Plans - ab dem 25. Juli ergibt sich beispielsweise aufgrund folgender Darstellung von Münkler: " Einen letzten verzeifelten Versuch, das in den späten Julitagen selbstläufig gewordene Geschehen [durch die Zwänge der militärischen Planungen des DR] aufzuhalten und es wieder unter politische Kontrolle zu bekommen, unternahm Bethmann Hollweg in der Nacht zum 31. Juli:" und forderte die österreichische Regierung auf, den Dialog mit der russischen Regierung nicht zu verweigern.

Es war ihm klar geworden, dass die Strategie zur Lokalisierung des Konflikts gescheitert war und einen Weltkrieg wollte weder KW II noch Bethmann Hollweg, aber Moltke hat durch sein Telegramm vom 30.07 an Conrad die Zwangsläufigkeit des Krieges, gesendet ohne Wissen von Bethmann Hollweg, entscheidend erhöht. Und zur Frage von Conrad geführt, "Wer regiert eigentlich in Berlin?" (vgl. A. Mombauer: The origins of the first world war. Diplomatic and military documents, 2013, S. 451).

Unterm Strich, @Maelonn, nachdem ich einzelne Kapitel von Münkler gelesen habe, verstehe ich, warum Du keine präzisen Seitenzahlen zur Unterstützung Deiner Thesen durch Darstellungen bei Münkler benannt hast. Deine Behauptungen finden sich so im Münkler definitiv nicht wieder und schon gar nicht Deine sehr weitreichende und unwissenschaftlich aufbereitete Kritik an der allgemeinen Historiographie, der Militär-Historiographie oder der IR-Theorie, die sich mit dem WK I beschäftigt hat.

Ansonsten ist die Darstellung von Münkler durchaus - mit Abstrichen - fundiert und ein gutes populärwissenschaftliches Buch zu dem Thema.
 
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Ups! Das ist jetzt aber eine recht pauschale Kritik. Zudem eine, die recht unzutreffend erscheint, da ich ja wohl nicht vermieden habe, Belege für meine Aussagen zu nennen – auch wenn die vielleicht nicht den Ansprüchen an wissenschaftliche Literaturverzeichnisse genügen mögen.


Ohne das jetzt zu weit ausdehnen zu wollen:


Von der „vorhandenen historischen Diskussion“ erwarte ich, dass ihre Postulate sich an den historischen Fakten abprüfen lassen oder mit ihnen zumindest nicht im Widerspruch stehen. Wenn die historischen Wissenschaften also behaupten, dass


a) ein „Kult der Offensive“ existiert habe, der Offensive zur „verbindlichen Doktrin“ erklärt habe, dann müssen die historischen Wissenschaften (oder deren Befürworter) erläutern, warum der Krieg an der Ostfront (von Deutschland) defensiv geführt wurde und der Krieg an der Westfront nach kürzester Zeit (auf beiden Seiten) in der Defensive erstarrte, ohne dass ansatzweise strategische oder auch nur operative Aktionen stattfanden, die offensiv gedeutet werden können


b) deutsche Militärs nur einen einzigen explizit offensiven Kriegsplan hatten, dann müssen die Wissenschaften (oder deren Befürworter) erklären, warum deutsche Truppen an der Westfront schon nach ein paar Wochen den Krieg in einer Weise geführt haben, die in krassem Widerspruch zu der angeblich alternativlosen („...kein Plan B...“) offensiven „Doktrin“ stand.


An der Stelle reicht es mir jetzt einfach aus, auf die historischen Fakten hinzuweisen und die historischen Wissenschaften (oder deren Befürworter) um Auskunft darüber zu bitten, wie denn die evangeliumsgleiche Theorie mit den historischen Fakten in Einklang zu bringen ist. Ich sehe mich jedenfalls nicht in der Pflicht, den Widerspruch zwischen der Realität und den Postulaten der historischen Wissenschaften (oder ihrer Befürworter) irgendwie auflösen zu müssen oder auch nur darzulegen, dass die Realität eine andere war, obwohl die Wissenschaften doch behaupten, dass es so gar nicht gewesen sein könne.


Die von mir vertretene Kritik an der Tätigkeit der historischen Wissenschaften (hinsichtlich DIESER speziellen Frage!) ist auch nicht allein auf meinem Mist gewachsen. Sie stützt sich schon auch auf Menschen wie Klaus Jürgen Gantzel, der (zugegebenermaßen in anderen Zusammenhängen) die Frage aufgeworfen hat,“...ob und inwieweit die Analyse von Kriegshandeln noch universell-rationalen Kategorien zugänglich ist“ (damit nicht wieder Vorwürfe der Beleglosigkeit kommen: „Der unerhörte Clausewitz“, 2002). In die Reihe gehören auch Menschen wie Kleemeier die 2002 in „Grundfragen einer politischen Theorie des Krieges“ gerügt hat, dass die Befassung der Wissenschaft mit dem Thema Krieg sich in „Gesinnungs-Ethik“ im Weberschen Sinne erschöpft: in reinen Protest- und Abscheubekundungen.


Oder eben Aussagen von Münkler, die der heiligen Wissenschaft vorhalten, das Thema nicht mehr wirklich bearbeiten zu wollen. Z.B. „„Den Krieg wieder denken“ in Blätter für deutsche und internationale Politik (1999) oder in „Krieg und Politik am Beginn des 21. Jahrhunderts“ (2000).


Nebenbei: Dass Münkler sich im „Großen Krieg“ ganz auf die „entsprechenden Fachhistoriker“ stützt, bezweifele ich eher. So widerspricht er zum Beispiel der Darstellung, dass der „deutsche Militarismus“ den Krieg verursacht habe oder dass Militärs den Krieg erklärt hätten oder dass Deutschland die Alleinschuld am Krieg trage. Aber das Buch ist erst heute angekommen. 900 Seiten konnte ich noch nicht lesen.


Nebenbei: Wir sollten die Diskussion nicht in der Weise weiterführen, dass wir uns gegenseitig „weitgehende Unkenntnis“ unterstellen, wenn wir irgendeine Meinung nicht teilen. Sonst macht das hier keinen Sinn.



[FONT=TimesNewRomanPSMT, serif]MfG[/FONT]
 
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Wenn die historischen Wissenschaften also behaupten, dass


a) ein „Kult der Offensive“ existiert habe, der Offensive zur „verbindlichen Doktrin“ erklärt habe, dann müssen die historischen Wissenschaften (oder deren Befürworter) erläutern, warum der Krieg an der Ostfront (von Deutschland) defensiv geführt wurde
das Vorgehen von von Besseler bei Nowogeorgiewsk würde ich jetzt nicht gerade als defensiv bezeichnen
 
[1] Ups! Das ist jetzt aber eine recht pauschale Kritik. Zudem eine, die recht unzutreffend erscheint, da ich ja wohl nicht vermieden habe, Belege für meine Aussagen zu nennen ....

[2]
...Wenn die historischen Wissenschaften also behaupten, dass


a) ein „Kult der Offensive“ existiert habe, der Offensive zur „verbindlichen Doktrin“ erklärt habe, dann müssen die historischen Wissenschaften (oder deren Befürworter) erläutern, warum der Krieg an der Ostfront (von Deutschland) defensiv geführt wurde und der Krieg an der Westfront nach kürzester Zeit (auf beiden Seiten) in der Defensive erstarrte,....

b) deutsche Militärs nur einen einzigen explizit offensiven Kriegsplan hatten, dann müssen die Wissenschaften (oder deren Befürworter) erklären, warum deutsche Truppen an der Westfront schon nach ein paar Wochen den Krieg in einer Weise geführt haben, die in krassem Widerspruch zu der angeblich alternativlosen („...kein Plan B...“) offensiven „Doktrin“ stand.
...


(Nummerierung durch mich)

zu [1]
die Kritik ist zutreffend und der Versuch Belege zu bringen nicht erkennbar.

[2] müssen sie nicht!
Sie müssen die entsprechenden Planungen der betrachteten Zeit auswerten und auch die überlieferten Einschätzungen der Militärs.

Völlig widersinnig wäre es etwa, aus der Tatsache, dass der Krieg bereits nach kurzer im Stellungskrieg erstarrte, rückschließen zu wollen, es müsse ja vorher schon eine Defensivstrategie gegeben haben.
Ebenso unsinnig ist es, eben das zu fordern,
indem man sagt, wer nicht erklären kann warum eine Abfolge von Ereignissen eintrat, könne sich auch nicht sinnvoll mit einer vorher vorhandenen Geisteshaltung beschäftigen.
Denn eine solche Ansicht fordert ja von jedem sich mit allem nur Erdenklichen
auseinanderzusetzen welches nicht Gegenstand seiner Betrachtung ist.
Dies ist eine destruktive Art der Diskussionsführung.
 
das Vorgehen von von Besseler bei Nowogeorgiewsk würde ich jetzt nicht gerade als defensiv bezeichnen

Ich zitiere aus dem Zitat von @hatl aus Hirschfeld/Krumreich und "fette" die entscheidenden Aussagen:

Diese warnenden Stimmen [ bezogen auch auf Moltke d. Ä] fanden kein Gehör. ....
Stattdessen waren die Militärs der Ansicht, dass Organisation und Strategie derart fortgeschritten seien, dass ein Krieg durch rasche von riesigen Armeen sowie einige erfolgreich absolvierte Schlachten werden könne. Dementsprechend orientierten sich sämtliche Generalstäbe an einer reinen Offensivstrategie. Diese wurde vor allem in Frankreich, stärker noch als in Deutschland oder Russland, nunmehr zur verbindlichen Militärdoktrin
Was Beseler bei Nowo Georgiewsk getan hat geschah in Verfolgung eines Gegners, der sich nach einer Niederlage zurückzog. Das gehört in den Bereich der Taktik und hat nichts mit Strategie zu tun, schon gar nicht mit strategischen Doktrinen. Ein Gegenangriff, der aus erfolgreicher Verteidigung heraus erfolgt, ist immer noch Teil der defensiven Strategie. Er muss - laut Clausewitz - sogar notwendig erfolgen, weil Defensive zweckfrei wäre, wenn sie nicht mit der Absicht verbunden wäre, den "Stoß" des Angreifers "zurückzugeben" und im Erfolgsfall nachzusetzen.

zu [1]
die Kritik ist zutreffend und der Versuch Belege zu bringen nicht erkennbar.
Wenn Du das sagst...

[2] müssen sie nicht!
Sie müssen die entsprechenden Planungen der betrachteten Zeit auswerten und auch die überlieferten Einschätzungen der Militärs.
Welche Bedeutung kann man einer Planung beimessen, wenn gar nicht versucht wird, sie praktisch umzusetzen?

Und welche Aussagekraft hat ein nur "theoretisch" existierender "Kult der Offensive" für die Erklärung eines Krieges, wenn der Krieg ganz anders geführt wurde als ein "Kult der Offensive" es erfordert hätte?

Wissenschaftler, die eine Theorie aufstellen, sind sehr wohl in der Pflicht, zu erklären, warum ihre Theorie der Realität widerspricht.

Völlig widersinnig wäre es etwa, aus der Tatsache, dass der Krieg bereits nach kurzer im Stellungskrieg erstarrte, rückschließen zu wollen, es müsse ja vorher schon eine Defensivstrategie gegeben haben.
Nein. Es ist widersinnig zu behaupten, dass "kein Plan B existierte", wenn in der Realität über fast vier Jahre hinweg anders verfahren wurde als der angeblich einzige "Plan A" es vorgeschrieben hat.

Ebenso unsinnig ist es, eben das zu fordern,
indem man sagt, wer nicht erklären kann warum eine Abfolge von Ereignissen eintrat, könne sich auch nicht sinnvoll mit einer vorher vorhandenen Geisteshaltung beschäftigen.
Das habe ich nicht verstanden.

Denn eine solche Ansicht fordert ja von jedem sich mit allem nur Erdenklichen
auseinanderzusetzen welches nicht Gegenstand seiner Betrachtung ist.
Dies ist eine destruktive Art der Diskussionsführung.
Ich fordere nur, dass die Wissenschaft den Gegenstand ihrer Betrachtung unter Berücksichtigung der historischen Fakten betrachtet. Die Fakten kennen wir ja nun. Also muss die Wissenschaft fähig sein, zu erläutern, warum der Krieg im Wesentlichen defensiv geführt wurde. An allen Fronten. Wie das mit dem Konstrukt vom "Kult der Offensive" funktionieren soll, entzieht sich meinem Verständnis.

Es bleibt dabei: Es bedarf der Erklärung, warum der Krieg im Westen die meiste Zeit ein Verteidigungskrieg in festen Stellungen war und warum im Osten keine strategischen Offensiven vorgetragen wurden.

MfG
 
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