Der Kult der Offensive

Um nochmal auf das eigentliche Thema zurückzukommen:
Schlieffen bestritt auch die von Clausewitz erkannten Vorteile, die darin liegen, daß man Kräfte gewinnt, wenn man sich in das Innere des eigenen Landes zurückzieht.
...
Seine Geringschätzung der Verteidigung führte während seiner Amtszeit zu einer völligen Vernachlässigung jeder Defensivausbildung der deutschen Armee, eine Tatsache, die für die Zukunft schwerwiegende Folgen haben sollte.
Wallach - Seite 121-122.

Es scheint doch schon so zu sein, wie Thane, quellengestützt ausführt:
Es ist ein "offensiv" gewendeter Clausewitz, der rezipiert wird, auch um ihn als Protagonist für den "Kult der Offensive" im strategischen Sinne, bezogen auf die Denkschriften bzw. Memoranden und den damit zusammenhängenden Aufmarschplänen und "Eisenbahnplänen, und im operativen Sinne für die "Vernichtungsschlacht" im taktischen Sinne weiterhin zu erhalten.

P.S.:
Ich hätte ja nicht erwartet, dass eine der TE vorausgesetzte Offensivhaltung der künftigen Kriegsparteien am Vorabend der Katastrophe bestritten werden würde,
sondern vermutet, dass die Frage nach dem Ursprung dieser Haltung der Kern der Betrachtung sein müsste.
 
Um nochmal auf das eigentliche Thema zurückzukommen:
Schlieffen bestritt auch die von Clausewitz erkannten Vorteile, die darin liegen, daß man Kräfte gewinnt, wenn man sich in das Innere des eigenen Landes zurückzieht.
...
Seine Geringschätzung der Verteidigung führte während seiner Amtszeit zu einer völligen Vernachlässigung jeder Defensivausbildung der deutschen Armee, eine Tatsache, die für die Zukunft schwerwiegende Folgen haben sollte.
Wallach - Seite 121-122.
Interessant. Äußert sich Wallach dazu, wie sich die schwerwiegenden Folgen der vernachlässigten Defensiv-Ausbildung gezeigt haben?

Bei oberflächlicher Betrachtung lässt die Defensivleistung der deutschen Truppen im Stellungskrieg eigentlich keine eklatanten Defizite erkennen.

P.S.:
Ich hätte ja nicht erwartet, dass eine der TE vorausgesetzte Offensivhaltung der künftigen Kriegsparteien am Vorabend der Katastrophe bestritten werden würde,
sondern vermutet, dass die Frage nach dem Ursprung dieser Haltung der Kern der Betrachtung sein müsste.
Du schreibst "am Vorabend". Ich jedenfalls habe nicht bestritten, dass zumindest die deutsche Seite offensiv in den Krieg gegangen ist. Ich bestreite lediglich, dass ein "Kult der Offensive" auslösend für den Krieg oder prägend für den Kriegsverlauf war. Wenn jemand darlegt, wo sich der "Kult der Offensive" bei der Entstehung oder im Verlauf des Kriegs gezeigt haben soll, bin ich gern bereit, über den Ursprung der Haltung mit zu diskutieren.

MfG
 
Wenn jemand darlegt, wo sich der "Kult der Offensive" bei der Entstehung oder im Verlauf des Kriegs gezeigt haben soll, bin ich gern bereit, über den Ursprung der Haltung mit zu diskutieren.

Es tut mir leid, aber das ist leicht "merkwürdig". Es gibt eine umfangreiche Literatur, die die Entwicklung des militärischen Denkens von Moltke d.Ä., über Waldersee, Schlieffen zu Moltke d.J. darstellt.

Es wäre an Dir @Maelonn, die bisherigen Diskussionslinien in der Militärhistorie aufzuzeigen, der Du pauschale Inkompetenz vorhälst !!!!,und dann eine Kritik zu entwickeln. Aber Du kennst leider die zentralen Historiker, wie beispielsweise Wallach ja noch nicht einmal. Auf welchem schmalen Fundament gründet sich da Deine Kritik?

Also noch einmal. Das Ergebnis dieser Entwicklung, die Anlage des Aufmarsches in 1914 im Rahmen des Moltke-Schlieffen-Plans wird als Konstrukt im Begriff "Kult der Offensive" zusammen gefasst.

Diese ist durch folgende Momente gekennzeichnet:
1. Es gab nur einen Plan, auch für die Eisenbahnmobilmachung (und das ist der härteste Indikator für die Vielfalt bzw. die Alternativen der Planung)

2. Sie war offensiv, im Osten war die "defensiv-offensiv" (vgl. zur Begriffsbildung den Klassiker, neben Clausewitz, Jomini: The Art of War, 1862, S.67)

3. Sie war "intollerant" gegenüber Friktionen (vgl. dazu Clausewitz), da sie die Fiktion eines "minutiösen" Krieges projizierte. Und verletzte damit einen zentralen Grundsatz von Clausewitz in Bezug auf die Verläßlichkeit bzw. Gültigkeit - Persisten - von Planungen nach dem ersten Schuss. Die laut Clausewitz nicht zu erwarten ist. Und dann ja auch in das "Logistik-Desaster" an der Marne einmündet, wie im Forum ausführlich diskutiert (vgl. Van Creveld: Supplying War, 1977 oder auch Herwig: THe Marne, 1914)

In diesem Kontext gab es die Diskussion, angeregt durch A.J.P. Taylor, "War by timetable" und auch bei Stevenson, "War by Timetable? The Railway Race before 1914. die die Beschleunigung des Aufmarsches diskutieren.

In diesem Sinne wäre die beste Kriegsverhütung für 1914 die "Entschleunigung" gewesen, die die engen Zeitpläne obstruiert hätte. Wie beispielsweise die Sitation in 1913, bei der sich die russische und die österreichische Armee mobiliisert gegenüber standen, demobilisierten und die Krise war vorbei (vgl. Fay: The Origins of the World ar, Bd. 1, S. 447 ff)

4. Die unmittelbare Kriegsplanung durch den Generalstab, obwohl von den Politikern (Bülow und Bethmann Hollweg) gekannt, war ein "Generalstabs-Geheimnis", das in seinen präzisen Voraussetzungen (Zeitplanung für Liege / Lüttich) weder von Falkenhayn, Tirpitz oder von KW II gekannt wurde!!

OT: Aufgrund diser Geheimniskrämerei wurde vom "Militärkabinett beispielsweise Waldersee, der die Planungen um Lüttich genau kannte und für den Westen vorgesehen war, in den Osten geschickt!!

Deswegen auch die psychische Krise von Moltke aufgrund der Verschiebungen und dem Anhalten der 16. Division als Angriffsspitze auf Lüttich, kurz vor der Grenze!!!

Resümee: Dieser veränderte Planungsprozess zu Moltke d.Ä. in seiner Veränderung (vgl. auch den Hinweis auf Schmidt Richberg in Deutsche Militärgeschichte) wird als "Kult der Offensive" bezeichnet. Man kann es nicht auf den Aspekt reduzieren, ob offensiv oder defensiv vorgegangen wurde. Das hat nur unter anderem etwas mit dem Konstrukt "Kult der Offensive" zu tun, andere Aspekte, wie kurz skizziert, sind deutlich wichtiger.
 
Ich bestreite lediglich, dass ein "Kult der Offensive" auslösend für den Krieg oder prägend für den Kriegsverlauf war. Wenn jemand darlegt, wo sich der "Kult der Offensive" bei der Entstehung oder im Verlauf des Kriegs gezeigt haben soll, bin ich gern bereit, über den Ursprung der Haltung mit zu diskutieren.

@Maelonn, wie passt der Schlieffenplan incl. der zeitliche Ablæufe, wie passt die Besetzung Belgiens mit Inkaufnahme des Kriegseintritts Englands incl. Blockade in deine Theorie?
Irgendwie blendest du hier die ersten Wochen des Krieges aus...

Wann ist man denn defensiv geworden? Nach Scheitern der Offensive.

Gruss, muheijo
 
Ist ein Präventivkrieg kein Angriffskrieg? ... Ist ein Verteidigungskrieg ein Angriffskrieg? Ist ein Offensiver Verteidigungskrieg eine präventive militärische Maßnahme? ... :grübel:

Wie kann man die Problematik eines Präventivkrieges mit der offensiven Kriegsführung jener Jahre Vergleichen oder besser gesagt, der offensive Krieg konnte nur als Präventive Maßnahme Erfolg tragen. Schon kurz nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71, im Jahre 1878 wurden immer wieder die Gedanken laut, einen Krieg offensive als präventive Maßnahme zu führen. Die Problematik ging allerdings nicht nur durch die Köpfe des deutschen Heeres, so gab es auch solche Gedanken z.B. auf der britischen Seite, als es mit Russland Konfliktpunkte gab und sogar eine Flotte zur offensive Maßnahme im Jahr 1884 od. 85 ausgerüstet wurde.

Jeder der Kriegsparteien im Jahr 1914, hatte über lange Zeit aus dem Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, innenpolitische wie auch militärisch, offensive Maßnahmen im Machterhalt seines nationalen Vorteils erarbeitet. Keine Nation im Europäischen Konzert nach 1814 bzw. nach 1848 würde sich durch eine defensive Haltung, sei es militärisch wie auch politisch, von einem vermeintlichen Gegner in der nationalen Haltung bis hin zum aggressiven Nationalismus der Gesellschaft mit allen Konsequenzen in seiner Handlungsfähigkeit einschränken lassen!

Defensive bedeutete, gegenüber eines Gegners nicht mehr Handlungsfähig zu sein und genau das passte nicht in den immer stärker aufkochenden Nationalismus.
Keine Nation mit allen Verantwortlichen, vom Parlament bis zum Militär und somit auch über die Bevölkerung, wollte sich hinter der Defensive, Schwäche attestieren lassen.

Eine militärische Auseinandersetzung war doch nur eine Frage der Zeit. Der Anlass war zufällig, der Weg in einen Krieg, war Offensiv.
 
Zuletzt bearbeitet:
Keine Nation im Europäischen Konzert nach 1814 bzw. nach 1848 würde sich durch eine defensive Haltung, sei es militärisch wie auch politisch, von einem vermeintlichen Gegner in der nationalen Haltung bis hin zum aggressiven Nationalismus der Gesellschaft mit allen Konsequenzen in seiner Handlungsfähigkeit einschränken lassen!

Vielen Dank! Das ist genau der aktuelle Erkenntnisstand zur Erklärung der zentralen Ursache bzw. für die Motive für das Handeln der Akteure. Im Prinzip haben sie alle "defensiv" agiert und alle wollten ihren Status quo verteidigen.

Der Unterschied bestand in der Wahrnehmung unterschiedlicher Zeitfenster. Und für das DR und Ö-U war 1914 einfach das günstigere "Zeitfenster" für einen Präventivkrieg, da man pessimistisch glaubte, mittelfristig den Rüstungswettlauf gegen die Entente-Mächte, vor allem gegen Russland, zu verlieren.

Und daraus entstand der offensive Drang, die Probleme zunächst als lokalisierten Konflikt auf dem Balkan zu lösen und dann, vor allem durch Moltke und durch KW II, in einem einseitigen Krieg (Einfronten-Krieg) gegen Russland. Der aber aufgrund der direkten und impliziten Bündniszusagen oder -verpflichtungen so nicht zu haben war.

Ob diese subjektive Sicht in Berlin oder Wien gerechtfertigt war kann bezweifelt werden, wenn man beispielsweise den optmistischen Aussagen eines Stinnes folgen möchte in Bezug auf die wirtschaftliche Hegemonie des DR in Europa.
 
Zuletzt bearbeitet:
Unterm Strich, @Maelonn, nachdem ich einzelne Kapitel von Münkler gelesen habe, verstehe ich, warum Du keine präzisen Seitenzahlen zur Unterstützung Deiner Thesen durch Darstellungen bei Münkler benannt hast. Deine Behauptungen finden sich so im Münkler definitiv nicht wieder und schon gar nicht Deine sehr weitreichende und unwissenschaftlich aufbereitete Kritik an der allgemeinen Historiographie, der Militär-Historiographie oder der IR-Theorie, die sich mit dem WK I beschäftigt hat.
Nachdem ich Gelegenheit hatte, die ersten paar Dutzend Seiten des Buchs zu lesen, kann ich nicht umhin, diese Passage nochmals zu zitieren, denn sie zeigt deutlich, dass Du das Buch entweder nicht gelesen oder nicht mal ansatzweise verstanden hast. Diesmal auch mit den angemahnten Seitenzahlen.


Münkler bezeichnet es schon in seiner Einleitung als „erstaunlich“, dass seit mehr als 50 Jahren (seit Kielmannsegg) in Deutschland keine Gesamtdarstellung des Ersten Weltkriegs entstanden ist, die für politiktheoretische Analysen erforderlich gewesen wäre (S.12). Er verweist darauf, dass nur noch Arbeiten vorgelegt wurden, die sich mit Einzelaspekten beschäftigten. Zudem habe die historische und politiktheoretische Auseinandersetzung mit dem Krieg das eigentliche Kriegsgeschehen entweder völlig ausgespart oder es ausschließlich unter dem Aspekt des „Leidens“ (Auswirkungen auf die Soldaten; Opfer-Täter-Schema; S. 13) betrachtet.


In der Folge schildert er den Stand der Forschung, stellt unterschiedliche Positionen einander gegenüber und weist immer wieder auf Mängel hin – etwa in dem Sinne, dass dieser oder jener Autor nicht zwischen „Plänen“ und „Szenarien“ unterscheide (Fußnote 64). An keiner Stelle rechtfertigen seine Ausführungen, dass er sich auf die Ausführungen der Fachhistoriker verlassen oder seine Darstellung gar darauf aufbauen würde.


In den Mittelpunkt zumindest der ersten Kapitel stellt er stattdessen die Frage nach den Kriegsursachen (S. 25 ff), die Deiner Auslegung nach gar nicht mehr gestellt werden muss, weil die Fachhistoriker sie längst beantwortet haben – und zwar in dem Sinne, dass ein deutscher Militarismus, der durch pathologisch anmutende Angriffswut geprägt war, den Krieg verursacht habe.


Münkler kommt zu einem ganz anderen Schluss: nämlich dass Militarismus keine Rolle spielte (S. 54ff), sondern die Ursachen in einem gestörten Machtgleichgewicht zwischen den Großmächten zu suchen ist.


Übrigens: Zum Schlieffenplan sagt er, dass die deutsche Kriegsplanung zwar politisch verhängnisvoll, aber unter militärstrategischen Aspekten „stimmig“ war (S. 72). Und er bescheinigt dem deutschen Aufmarsch eine „wohl einmalige Präzision“ (S. 17) und sagt, dass dies zu „den Glanzstücken der Militärgeschichte“ gehöre (S. 82).

Die komplizierte Situation der Politik vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung militärischer Imperative - in diesem Sinne dem engen Zeitplan des Moltke-Schlieffen - Plans - ab dem 25. Juli ergibt sich beispielsweise aufgrund folgender Darstellung von Münkler: " Einen letzten verzeifelten Versuch, das in den späten Julitagen selbstläufig gewordene Geschehen [durch die Zwänge der militärischen Planungen des DR] aufzuhalten und es wieder unter politische Kontrolle zu bekommen, unternahm Bethmann Hollweg in der Nacht zum 31. Juli:" und forderte die österreichische Regierung auf, den Dialog mit der russischen Regierung nicht zu verweigern.
Stehen die Worte in den eckigen Klammern in seinem Text oder ist das Deiner Interpretation? Der Kaiser hatte die Blankovollmacht bereits am 6. Juli ausgefertigt. Ob damit schon offensive Absichten bekundet wurden, ist umstritten. Jedenfalls kam Deutschland schon nach dieser Erklärung nicht mehr aus der Sache heraus und nicht erst aufgrund irgendwelcher militärischer Imperative, die sich Ende Juli ergaben.

Damit soll dieser Punkt der Diskussion für mich sein Bewenden haben.

MfG
 
Aber Du kennst leider die zentralen Historiker, wie beispielsweise Wallach ja noch nicht einmal.
Erstens kannst Du Dir darüber kein Urteil erlauben. Zweitens sind Deine Kategorisierungen, welches die zentralen Historiker sind, nicht allgemeinverbindlich. Drittens darf man auch die Werke vermeintlich oder tatsächlich zentraler Historiker kritisch hinterfragen.

Ein Beispiel tauchte in der Debatte auf: Wallachs hier zitierte Aussage, dass deutsches Militär mit schwerwiegenden Folgen die Defensivausbildung vernachlässigt habe. Hierzu habe ich nachgefragt, ob Wallach dafür Belege nennt. Jemand, der so belesen ist wie Du und der Wallach für so grundlegend hält, sollte keine Mühe haben, diese Frage zu beantworten – und vielleicht sogar zu erklären, warum andere Autoren wie Fergusen den deutschen Truppen taktische Überlegenheit im vorwiegend defensiven Stellungskrieg bescheinigen.

Schließlich solltest Du überlegen, ob es sinnvoll ist, eine sachliche Diskussion nur führen zu wollen, wenn alle Diskussionsteilnehmer Deiner Auffassung nach sämtliche 900 oder 9000 Bücher zum Thema hinreichend kennen.

Womit ich für mich auch diesen Teil der Debatte abhake.

MfG
 
@Maelonn, wie passt der Schlieffenplan incl. der zeitliche Ablæufe, wie passt die Besetzung Belgiens mit Inkaufnahme des Kriegseintritts Englands incl. Blockade in deine Theorie?
Irgendwie blendest du hier die ersten Wochen des Krieges aus...

Wann ist man denn defensiv geworden? Nach Scheitern der Offensive.

Gruss, muheijo
Ich habe nie bestritten, dass Deutschland den Krieg offensiv begonnen hat. Ich habe ihn sogar als Angriffskrieg bezeichnet, der nach völkerrechtlicher Definition von Präventivkriegen unterschieden werden muss (auch wenn die Definition erst nach dem Krieg im Völkerrecht verankert wurde).

Ich wende mich lediglich gegen drei Thesen, die auch in der hier laufenden Diskussion vertreten wurden:

  1. Ein so genannter „Kult der Offensive“ war (mit-)ursächlich für den Krieg. Der Schlieffenplan (Moltke-Plan) ist Ausdruck dieses „Kults“
  2. Die Militärs haben die Offensive gegenüber der Defensive für überlegen gehalten.
  3. Das Militär hatte nur dieses eine Konzept; einen „Plan B“ gab es nicht.
Einer der Urheber dieser Thesen ist Jehuda Wallach, der hier schon mehrfach zitiert und genannt wurde. Die drei Thesen sind meiner Ansicht nach falsch und tragen zudem dazu bei, eine analytisch-empirische Betrachtung der Ereignisse des Kriegs zu verhindern.

Der Begriff vom „Kult der Offensive“ unterstellt, dass die Militärs jener Zeit die Offensive grundsätzlich vorgezogen, die Defensive gar verachtet hätten. Noch extremer: dass sie die Defensive gar nicht mehr in Erwägung gezogen hätten. Zudem besagt der Begriff, dass es für diese Haltung irrationale und quasi-religiöse Gründe gegeben habe. Das Wort „Kult“ entstammt religiösem Vokabular. Wallach verstärkte diese Auslegung dadurch, dass er in Zusammenhang mit Schlieffen von einem „Cannae-Wahn“ sprach. Schließlich wird durch das Konstrukt vom Kult der Offensive die Kriegsschuld unzulässig dem Militär zugeschoben.

Es gibt für diese Auslegung aber keine historischen Grundlage. Der Schlieffenplan wurde für eine ganz spezielle Situation entworfen: für den Fall nämlich, dass Deutschland einen Zwei-Fronten-Krieg gegen Frankreich und Russland führen muss. Er war somit keine „Blaupause“ für jeden denkbaren Krieg, in den Deutschland verwickelt werden könnte. Er legte Deutschland folglich auch nicht grundsätzlich auf offensive Kriegführung fest.

Der „Plan“ wurde zudem zu einem Zeitpunkt ausgearbeitet, als ein Zwei-Fronten-Krieg noch gar keine realistische Bedrohung war (ob die Bedrohung 1914 realistisch war, sei dahingestellt; ich glaube es eher nicht). Es war mehr ein Szenario als ein Plan. Der Schlieffenplan war auch nicht das einzige Konzept, das für einen solchen Fall ausgearbeitet wurde. Colmar von der Golz, zeitweise ein Kandidat für den Posten des Generalstabschefs, favorisierte für einen Zwei-Fronten-Krieg explizit defensive Konzepte mit Festungsbau etc. Es gab also sehr wohl alternative Überlegungen.

Zu der These, dass die Offensive für überlegen gehalten worden sei, habe ich schon einiges geschrieben. Darauf gehe ich jetzt nichts weiter ein.

Zur These, dass es keinen „Plan B“ gegeben habe: Auch dafür gibt es keine Grundlage. Tatsächlich ist der Angriff nach dem vorher festgelegten Schlieffenplan (von Moltke modifiziert) begonnen worden. Der Plan scheiterte aber schon nach wenigen Tagen – und sofort schalteten die deutschen Truppen um auf ein neues Konzept: Festsetzen in gesicherten Verteidigungsstellungen, an denen sich der Gegner aufreiben sollte. In dieser Art der Kriegführung waren die deutschen Truppen zudem recht erfolgreich, wirken also keinesweg unvorbereitet oder überrascht.

Auch im Ostfeldzug setzten die Deutschen auf eine defensive Kampfführung. Dass jetzt mit dem Begriff einer „defensiv-offensiven“ Strategie umdeuten zu wollen, halte ich für nicht hilfreich, da es die Definitionen völlig verwässert. An allen Fronten wechselten sich taktisch defensive und offensive Aktionen laufend ab. Die strategischen Planungen für den Krieg gegen Russland sahen aber eine insgesamt hinhaltende Kriegführung vor, die selbst den Verlust deutscher Gebiete bis zur Weichsel hingenommen hätte. Gegenoffensiven ändern daran nichts, auch die spätere Verlagerung des Schwerpunkts auf offensive Aktionen nicht.

Wallachs Vorwurf, es habe keinen Plan B gegeben, stützt sich insbesondere darauf, dass keine Überlegungen angestellt worden seien, den Krieg im Westen hinhaltend-defensiv zu führen und stattdessen im Osten anzugreifen. Es darf aber bezweifelt werden, ob das Militär solche Pläne nicht durchgespielt und lediglich als zu riskant verworfen hat. Rückblickend betrachtet hat Wallach ja sogar Recht und ein Angriff im Osten wäre „sinnvoller“ gewesen. Nur: Als 1914 der Krieg begann, konnte noch niemand wissen, dass Russland 1917 unter einer Revolution zusammenbrechen würde.

1914 sah die Lage so aus, dass Deutschland allein der Tiefe des Raums wegen wenig Hoffnung hegen konnte, die russischen Streitkräfte entscheidend zu schlagen. Siehe Napoleon. Gleichzeitig hätte man das Risiko eingehen müssen, dass die französische Armee zum Angriff antreten und schnell bis in die relativ nahe der Grenze gelegenen deutschen Industriezentren vorstoßen könnte. Dann wäre der Krieg vorbei gewesen.

Außerdem: Wenn das Deutsche Reich einen massiven Angriff gegen Russland vorgetragen hätte, wäre der Vorwurf des „Kults der Offensive“ genauso berechtigt gewesen. Diesen Vorwurf kann man gegen jedes Militär erheben, das angreift.

Der Krieg ist nicht deshalb offensiv begonnen worden, weil die Militärs einem halb-religiösen Angriffswahn zum Opfer gefallen waren und an Defensive gar nicht mehr denken konnten. Der Krieg ist so geführt worden, weil die politisch Verantwortlichen im Deutschen Reich unter einer Umzingelungs-Paranoia litten, weil sie einen Krieg als einzigen Ausweg sahen und weil sie politische Lösungen gar nicht mehr denken konnten.

Mit der Grundsatzentscheidung für den Krieg war dann auch die Grundsatzentscheidung für einen massiven Angriff gefallen, denn die Verantwortlichen glaubten, den Krieg nur gewinnen zu können, wenn sie ihn möglichst schnell benden könnten. Wenn es überhaupt gelingen sollte, musste es schnell gehen.

Stichwort „Belgien“: Das ist Spezialfall. Militärisch war es die "richtige" Entscheidung, weil nur Schnelligkeit Siegchancen bot. Politisch gesehen war es der Super-GAU, weil es England zum Kriegseintritt bewegen musste. Die Entscheidung haben aber nicht die Militärs getroffen. Das war die Politik, die den Kriegseintritt Englands in Kauf genommen hat – in der Hoffnung, den Krieg schnell beenden zu können.

Die Politik alles auf eine Karte gesetzt. Und verloren.

MfG
 
1. Auch im Deutschen Reich gab es keine "verbindlichen Grundlagen", die einen offensiven Krieg gefordert hätten.
2. Irgendwer hat entschieden, dass das Militär alle defensiven Planspiele in die Tonne treten und sofort die offensiven auspacken sollte. Das ist der ganze "Kult der Offensive".
3. Die Tatsache, dass wir im Zusammenhang mit dem WKI nur über Schlieffen-Plan und offensive Gedankenspiele reden, bedeutet nicht, dass es nur offensive Gedankenspiele gab. Die Militärs hatten mit Sicherheit auch strategische Konzepte ausgearbeitet, wie sie sich gegen einen Angriff Frankreichs hätten verteidigen können.
4. Wo aber sind die Indizien dafür, dass es einen "Plan B" für eine Verteidigung gegen einen französischen Angriff nicht gab?
5. Trotzdem liegt Wallach falsch, wenn er sagt, dass es nur einen Plan gegeben hätte.

Das sind viele Behauptungen, die nach wie vor durch keine entsprechenden Belege gestützt worden sind. Deswegen der Versuch einer Antwort, anhand des aktuellen Forschungsstands. Keiner der oben genannten Behauptungen hält dabei einer Nachprüfung durch aktuelle Darstellungen zu den Ursprüngen des WW1 stand!

Und vor allem war es nicht "irgendwer", sondern es lediglich eine Handvoll Männer, allen voran Moltke, der diese Planungen formuliert hat! Und die dann auch über den Krieg entschieden haben.

Erst im Juni 1909 wurde durch die deutsche Presse der Begriff der „Einkreisung“ überhaupt explizit eingeführt. [3, S. 80]. Diese Sicht wurde verstärkt durch die Zuspitzung im Rahmen der Marokko-Krise von 1911.

Vor dem Hintergrund einer Zuspitzung der europäischen Konflikte, verbunden mit der zunehmenden Vermutung, dass es zu einem „großen Krieg“ kommen würde [4, S. 203] und in Interaktion mit einer immer nationalistischer polemisierenden Öffentlichkeit, formulierte Moltke am 1.12.1911 sein Memorandum „Die Militärpolitische Lage Deutschlands“ . [8, S. 57]. Diese Planung spiegelte die insgesamt veränderte Wahrnehmung der Situation in Europa wider. [2, S. 170]

Das Memorandum verfolgte im wesentlichen zwei Zielsetzungen. Es sollte einerseits das deutlich erhöhte Budget für die Heeresausrüstung begründen (für 1912 geplant), andererseits war es die zentrale und verbindliche militärische Positionsbestimmung durch den Generalstab für den Oberkommandierenden, KW II und den Kanzler. Und durch die Gewichtung der Bedrohungspotentiale aus Westen und Osten bildete es eine grundsätzliche Orientierung für die militärische Aufmarschplanung. Im Rahmen dieses Memorandums machte Moltke zudem deutlich, wie eng die Situation im Westen und im Osten zusammenhängen. Und obwohl die Kräfteverhältnisse in den letzten Jahren sich zum Nachteil vom DR und von Ö-U verändert haben, wäre die Entscheidung im Westen zu suchen [4, S. 203] Und diese Sichtweise wurde nicht „verhandelt“ und die Detailplanungen des Aufmarsches so geheim gehalten, dass weder KW II, noch Falkehayn, noch der Kanzler sie präzise kannten [1, S. 57].

Diese Sicht von Moltke und dem Generalstab hinsichtlich der Bedrohung wurde von Bethmann geteilt [4, S. 203] und im November 1911 erklärte er vor dem Reichstag: „ Deutschland kann nur eine Politik der Stärke verfolgen im Rahmen seiner Weltpolitik wenn sie ihr militärische Macht auf dem Kontinent erhält. “ [3, S. 82] Im Dezember 1912 erklärte Moltke dem Reichkanzler vertiefend, wie die Aufmarschplanung des Generalstabs aussah, indem zunächst die Offensive gegen Frankreich geplant war und die Defensive gegen Russland. Durch die zeitliche Abfolge in „zwei Kriege“ wollte Moltke das Problem des Zweifrontenkriegs gegen eine numerische Übermacht auflösen [1, S. 58]

Folgt man Mombauer dann basiert der Moltke-Schlieffenplan von 1914 auf der strategischen Einschätzung der Lage in Europa durch Moltke`s Memorandum vom 2.12. 1911 [1, S. 57].

Zudem war der ursprüngliche Plan von 1905 von Schlieffen die Blaupause für alle folgenden Planungen von Moltke, da Schlieffen und Moltke im Prinzip die gleichen strategischen Ansichten vertaten und auch die gleichen Gefahren sahen [1, S. 53]. Ausführlich dazu die Darstellung bei Mombauer zu Moltke [5].

Exkurs: Dabei ist es völlig egal, ob man diese Einstellung von Schlieffen oder von Moltke als „Dogma der Vernichtungsschlacht“ (Wallach), als „Kult der Offensive“ (van Evera & J.Snyder) oder als „Glamour oft he Offensive“ (M. Mac Millan:The War that ended peace, S. 350). Es bezeichnet nach wie vor einen Sachverhalt, den bereits Militärschriftsteller vor dem WW1 so gekennzeichnet haben, als übertriebenen Offensivkult und die Idee des kurzen Krieges (H. Nickerson: The Armed Horde. 1940, S. 202 zitiert in Wallach: Vernichtungsschlacht, S. 95). Nebenbei ist das die einzige Stelle im Buch von Wallach, wo der Begriff des Offensivkults erwähnt wird.

Dass und wie die strategischen Überlegungen in die konkrete Aufmarschplanung übernommen wurde, kann man an den veränderten Aufmarschanweisungen von 1893/94 bis 1914/15 nachvollziehen, die komplett dokumentiert bei Ehlert u.a. dokumentiert sind [6, S. 341-484].

Bis April 1913 war eine alternative Aufmarschplanung „Ost“ vorhanden als zweite Planungsgrundlage. Sie wurde zu diesem Zeitpunkt verworfen, aus einer Reihe von Gründen (Festungsbau, Tiefe des Operationsraums, Länge der Kampagne etc.) [1, S. 63]

Und im verbindlichen Mobilmachungskalender 1913-14 & 1914-15, der für den Aufmarsch im Juli 1914 genutzt wurde, gab es eine einzige Planung für die Mobilisierung der Reserveeinheiten und für die Eisenbahntransporte in die Konzentrationsgebiete.

In diesem Sinne gab es, und das ist explizit festzuhalten, keinen „Plan B“ für einen wie auch immer gearteten anderen Aufmarsch im Juli 1914.

Der 8. Armee wurde im Osten lediglich die pauschale Aufgabe des Schutzes von Ost-Preußen gestellt, ergänzt durch die Anforderungen, die Offensive von Ö-U gegen die russischen Streitkräfte eventuell zu unterstützen [1, S. 63].

Das diese Sicht auf die Grundidee des Schlieffen-Plans und der damit zusammenhängenden Haltung der offensiven Kriegsführung im Rahmen des „Kults der Offensive“ auch Gegner hatte, wird an der Position von Falkenhayn mehr als deutlich (vgl. ausführlich die grundlegende Arbeit von Afflerbach zu Falkenhayn). Im Herbst 1914 kommentierte Falkenhayn im Zuge seines Wechsels auf den Posten des Generalstabs-Chefs, „Schlieffens Plan ist am Ende und somit auch Moltkes Weisheiten“ [7, S. 115]

Der „Kult der Offensive“ und damit die zentrale Prämisse von Schlieffen und Moltke, zwei kurze, zeitlich verschobene Kriege zu führen, war an der dramatischen Zunahme der Feuerkraft an der Marne gescheitert. Und an seinem Gigantomanismus, da die Logistik den kühnen Plänen der Strategen nicht mehr folgen konnte

In diesem Sinne ist der Begriff des „Kults“ gerechtfertigt, da er von einer unrealistischen, geradezu mysthischen Glorifizierung der Offensive ausging. Und subjektive Faktoren, wie beispielsweise die „Moral“ im Rahmen des Angriffs für einen wichtigeren Erfolgsfaktor wie die Feuerkraft der Verteidiger hielt [9]. Und dieses hat dann eine "europäische" Dimension, die in Paris, London und St. Peterburg geteilt wurde.

[1] A.Mombauer: German War Plans. In: R. Hamilton & H. Herwig: War Planning 1914. 2010, S. 48 ff
[2] D. Herrmann: The Arming of Europe and the Making of the First World War, 1996
[3] H. Herwig: Imperial Germany, in: E. May: Knowing Ones`s Enemies. 1984
[4] D. Stevenson: Armaments and the Coming of War. 1996
[5] A. Mombauer: Helmuth Moltke and the Origins of the First World War. 2001
[6] H. Ehlert, M. Epkenhans, G.Gross (Hrsg.): Der Schlieffenplan. 2006
[7] H. Herwig: Command Decision Making. Imperial Germany, 1871-1914, in: T. Imlay & M. Toft: The Fog of Peace and War Planning, 2006, S. 100 ff
[8] A. Mombauer: The origins of the First World War, 2013
[9] M. Howard: Men against Fire: Expectations of War in 1914. In: S. Miller, S. Lynn-Jones & S. van Evera: Military Strategy and the Origins of the First World War. 1991, S. 3-19
 
Zuletzt bearbeitet:
Vorab folgendes, sozusagen "Butter bei die Fische":
In der Folge schildert er den Stand der Forschung, stellt unterschiedliche Positionen einander gegenüber und weist immer wieder auf Mängel hin – etwa in dem Sinne, dass dieser oder jener Autor nicht zwischen „Plänen“ und „Szenarien“ unterscheide (Fußnote 64). An keiner Stelle rechtfertigen seine Ausführungen, dass er sich auf die Ausführungen der Fachhistoriker verlassen oder seine Darstellung gar darauf aufbauen würde.

Welchen Eindruck hast Du von den Schilderungen? Sind sie zutreffend, und wenn ja, worauf wäre solch ein Urteil gestützt?

Spannend ist doch hier, den Autor Münkler bezüglich seines Hinweises auf Gesamtwerk an den Taten zu messen. Dafür würde ich erwarten, dass er in den zentralen Aspekten zum Kriegsausbruch zutreffend den Forschungsstand im Sinne eines "Gesamtwerkes" wiedergibt. Tut er das aber?

Beispiel 1: britisch-russische Marinegespräche 1912/14
http://www.geschichtsforum.de/f58/d...kommen-1912-14-a-32681/index7.html#post710117
Ein gravierender Schnitzer von Münkler, den er vielleicht mal in einer Folgeauflage korrigieren müsste. Dieses Ereignis steht bezüglich seiner Einordnung in und des Einflusses auf die Risikopolitik Bethmanns an zentraler Stelle der Diskussion.

Beispiel 2: siehe oben "Dieser oder jener" bei @Maelonn / zum Disput: Moltke/Schlieffenplan und Julikrise - Es sind tatsächlich genau zwei bei Münkler, die so "gescholten" werden: Hoffmann (Sprung ins Dunkle) und Jansen (Der Weg in den Weltkrieg). Beide haben den Forschungsstand zur Frage des Einwirkens der obersten Militärkreise in der Julikrise überhaupt nicht zum Gegenstand.
Die rügende Einlassung Münklers zu den mangelnden Unterscheidungen zwischen Plänen und Szenarien geht damit am Kern somit doppelt vorbei: 1. inhaltlich siehe oben und auch 2., weil diese beiden Autoren sozusagen das ungeeignete Objekt darstellen und die Forschung in diesem Punkt nicht spiegeln. Möglicherweise - so interpretiere ich das - spielt Münkler hier auf die Schlieffen-Kontroverse an, die von Zuber losgetreten worden ist, und die hier im Forum schon breit diskutiert worden ist. Wie dem auch sei, wenn er das durcheinander gebracht haben sollte: das ändert nichts daran, dass Münkler hier inhaltlich Unsinn verzapft. Hätte er es aufgreifen wollen, wäre dies hier bibliographisch die unterste Anspruchsgrenze:
http://www.geschichtsforum.de/f62/schlieffen-plan-und-marneschlacht-40244/index5.html#post610919

Vielleicht finden wir nun auch andere Beispiele, bei denen Münkler durchaus richtig liegt. Eigene Forschungsbeiträge hat er jedenfalls nicht abgeliefert, und wenn er Dispute in der Forschung auf Basis verwendeter Literatur referiert, sollte man den Anspruch stellen dürfen, dass er das inhaltlich richtig und im Wesentlichen vollständig wiedergibt. Das ist bei den Fällen, die ich gesehen habe, nicht gegeben.

Bei beiden Beispielen hat sich Münkler jedenfalls mit den oben erwähnten "Fachhistorikern" überhaupt nicht auseinander gesetzt.

Hast Du denn ein Beispiel, wo das in gelungener Weise der Fall sein soll? Das würde ich mir gerne einmal anschauen.

Darlegung zu den vor Tagen offen gebliebenen Punkten folgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Dank der von mir unterstellten Unzulänglichkeit der historischen und politischen Wissenschaften ist es zur "herrschenden Meinung" geworden, dass der Erste Weltkrieg ausgebrochen ... ist, weil "das Militär" Amok gelaufen ist...

2. Es war die Politik, die Amok gelaufen ist...

[Anmerkung: und weiter zur Erläuterung:]
Zu 1: Das deutsche Militär hatte nur innerhalb Deutschlands eine festgelegte Rolle mit festgelegten Befugnissen. Völkerrechtlich war es nicht befugt, im Namen Deutschlands zu sprechen. Zum Beispiel hatte es nicht das Recht, Kriegserklärungen auszusprechen. Dem Angriff gegen Frankreich ist aber eine Kriegserklärung vorausgegangen, die völkerrechtlich akzeptiert wurde. Also muss diese Kriegserklärung von der Politik ausgesprochen worden sein. Präziser: Vom Kaiser.

Sollte sich Deine Frage auf meine Behauptung bezogen haben, dass die Wissenschaft hinsichtlich der Beurteilung von Kriegshandlungen in der jüngeren Vergangenheit Defizite aufwies, gib mir bitte einen Hinweis. Dann antworte ich darauf gesondert.

Zu 2: Ergibt sich eigentlich aus 1. Trotzdem chronologisch:
- Am 6. Juli 1914 hat der Kaiser (nicht das Militär) die "Blankovollmacht" ausgefertigt.
- Am 28. Juli erfolgte die Kriegserklärung Österreichs an Serbien (ausgefertigt durch Politiker, nicht durch Soldaten; diesen Hinweis spare ich mir im Folgenden).
-Am 1. August erfolgte die Kriegserklärung Deutschlands an Russland.
- 3. August Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich.

Danach diverse Gegenkriegserklärungen. Alles "politische" Entscheidungen. Und erst am 26. August, also mehr als drei Wochen später, hat der erste Soldat eine Waffe gehoben und abgefeuert.

Mal abgesehen davon, dass nicht erst am 26. August geschossen wurde (was für den "Beitrag des Militärs" zum Kriegsausbruch bis 1.8.1914 auch völlig irrelevant ist):

Aus 1. wird deutlich, dass hier ein grundsätzliches Missverständnis über die Literatur-Diskussion zu der Rolle des Militärs herrscht. Es geht nicht darum, ob das Militär die Kriegsentscheidung unterschrieben hat, sondern in welchem Ausmaß sie die politische Hand bei der Entscheidung geführt hat:

Der Problemkreis "Cult of Offensive" stellt nämlich nach dem Forschungsstand darauf ab, dass in der letzten Phase der Julikrise politische Deeskalationen und ein "vermiedener Krieg" (Dülffer) durch die Logik der Aufmarsch- und Operationspläne der Militärs ganz erheblich erschwert bis unmöglich gemacht worden sind. Politische Lösungen sind in diesem Kontext durch die zeitliche Brisanz der Aufmarschpläne (diese wiederum Resultanten der Operationsplanungen) beschnitten oder abgeschnitten worden.

Es geht hier nicht darum,

- welche sonstigen Befugnisse das deutsche Militär hatte (ist zwar für den Militarismus im Kaiserreich ganz interessant, aber höchstens Hintergrundrauschen für die Julikrise)
- ob das Militär "völkerrechtlich" den Krieg erklärt oder das durch die Politik erfolgt, oder ob Kriegserklärungen "völkerrechtlich akzeptiert" worden sind oder vom Kaiser oder sonstwem unterzeichnet wurden (eine Fragestellung, die völlig neben der Sache liegt).

Mit Kompetenzen oder Völkerrecht (-lichen Verantwortlichkeiten) hat das Ganze nichts zu tun, sondern mit ausgeübtem Druck militärischer Führungsspitzen auf die Politik, dass die Zeit für Aufmarschpläne abläuft.

Ein Beispiel für diese einschneidende, zeitkritisch wirkende und eskalierende Wirkung ist die negative Antwort von Moltke auf den Kaiser, eine politische Option an der Westgrenze (Verzicht auf den dort vorgesehenen Aufmarsch) zu erwägen, indem der aufmarsch auf die Ostgrenze umgesteuert wird, mit der bloßen Chance auf eine Begrenzung oder Beherrschung des Konflikts. Glasklar legte das Militär hier der politischen Führung eine Alles-oder-nichts-Entscheidung auf den Tisch, mit dem Ergebnis, dass es beim Westaufmarsch mit sofortiger westoffensive geblieben ist.

Warum konnte keine Alternative vorgelegt werden, wieso entstand dieser eskalierende Druck? Die Frage läßt sich beantworten, indem man die historische Entwicklung bis zum Verzicht auf den Großen Ostaufmarsch skizziert (was nebenbei auch den hier diskutierten Offensivcharakter skizziert):

Spätestens nach 1891 lehnte die Mehrzahl der deutschen Militärtheoretiker "die defensiv ausgerichtete Operationsführung, ... wie sie Clausewitz und auch noch in Teilen Moltke d. Ä. [zwischen 1880 und 1891] vorgeschwebt hatte", ab, "da wegen der deutschen Mittellage nur die Offensive zum Sieg führen könne", Beispiele:
"Krieg führen heißt angreifen" (von Goltz)
"In der operativen Offensive leigt die Entscheidung des nächsten europäischen Krieges" (von Bernhardi)
(Gerhard Groß, Mythos und Wirklichkeit, Geschichte des operativen Denkens im deutschen Heer ..., 2012)
Beispiele lassen sich satt in den operativen Studien, Mob.- und Aufmarschplänen sowie Kriegsspielen und Studien der Schulen finden, ich erspare das mal hier mit Verweis auf Groß.

"So prägte der Wille zur Offensive und zur beweglichen Gefechtsführung entscheidend die Entwicklung der Heerestaktik. Der taktische Angriff erhielt als Voraussetzung für eine offensive Operationsführung geradezu zwangweise eine alles überragende Bedeutung. Dabei vergaßen die Protagonisten der angriffsweisen Kriegsführung nicht die Tatsache, dass durch die gesteigerte Waffenwirkung die Defensive gestärkt worden war. ... sollte durch die operative Wirkung des Angriffs [bewegliche Kriegführung] überwunden werden."
Groß, S. 68. So hatte der russ.-jap. Krieg den Wert von Initiative und Willenskraft als zentrale taktisch-operative Faktoren, somit den Wert der angestrebten Beweglichkeit, bestätigt - Perzeption: "Die Kriegserfahrungen zeigen deutlich (sic!) die operative und taktische Überlegenheit der Offensive über die Verteidigung" (Balck).

Konsequenz: das Dogma vom Vorteil der Initiative, das Gesetz des Handelns, die "überraschende Schwerpunktbildung", die vom Angreifer "gewählte Hauptangriffsrichtung", die vom Angreifer bestimmte "Gefechtsentfernung" wurden vollständig verinnerlicht. Ergo: "Überhaupt geht die deutsche Operationsführung von einer rücksichtslosen Offensive verbunden mit einem Schlag auf Schlag ausgeführten Entscheidungskampf aus" (Goltz). Die Numerik wurde infolgedessen marginalisiert, die "Heeresqualität" war für diese Sieg-Faktoren entscheidend. "Umgehung und Flankierung" dominierten, "auf die geschickte Anwendung kommt es an" (Falkenhausen).

Hierfür kann man bei Bedarf Hunderte Nachweise beibringen.

Dieser Stand, lege artis, wurde nun mit der Durchsetzung der Auffassung Schlieffens kombiniert, "mechanische Kriegsführung" zu betreiben. Im Klartext: die Aufmarsch- und Operationsplanung, die Geschwindigkeit ihrer Durchführung wird entscheidend für den Schlachtenverlauf. Eine eventuelle "zeitliche Krisis" entscheidet nun über den Erfolg dieser Operationsführung, die es folglich zu vermeiden galt. Der Schlüssel: die in die Perfektion getriebene Mob.- und Aufmarschplanung, die "freie Gestaltung der Operationsführung" zwingend zu vermeiden hatte, weil diese nur den Erfolg gefährdet.

Das ist der Weg in das alles dominierende "operative System" und das "Siegesrezept". Operation war für Schlieffen die koordinerte, "zielgerichtete Bewegung größerer Heeresteile in einem bestimmten Raum". Im Schlieffenplan 1905 war das der Westen.

1891 löste sich Schlieffen vom Vorgänger Moltke für den Fall des Zweifrontenkrieges. Strategische Grundannahme: Deutschland kann den langen Abnutzungskrieg nicht gewinnen (Blockade sowie innepolitische potenzielle Revolutionierung, siehe Groß, S. 73).

Fortsetzung folgt.
 
Welchen Eindruck hast Du von den Schilderungen? Sind sie zutreffend, und wenn ja, worauf wäre solch ein Urteil gestützt?
Ich will mir da noch kein Urteil erlauben. Es ist immerhin ein 900-Seiten-Wälzer und ich bin gerade mal bei 150 angekommen. Bislang kann ich nur sagen, dass ich seine Argumentation in sich schlüssig finde und dass er -unabhängig von seiner eigenen Position - die unterschiedlichen Wertungen und Schlüsse anderer Autoren differenziert darstellt. Der Forschungsstand ist da ja in vielen Punkten alles andere als einheitlich. Alles unter dem Vorbehalt, dass ich noch einige hundert Seiten vor mir habe.

Spannend ist doch hier, den Autor Münkler bezüglich seines Hinweises auf Gesamtwerk an den Taten zu messen. Dafür würde ich erwarten, dass er in den zentralen Aspekten zum Kriegsausbruch zutreffend den Forschungsstand im Sinne eines "Gesamtwerkes" wiedergibt. Tut er das aber?
Auch das unter dem Vorbehalt, dass ich noch was zu lesen habe: Immer wieder stellt er in Frage, ob die von Dir angesprochenen zentralen Aspekte wirklich zentraler Bedeutung sind. Da kann man sich dann seinem Urteil anschließen oder auch nicht.

Beispiel:
Beispiel 1: britisch-russische Marinegespräche 1912/14
http://www.geschichtsforum.de/f58/d...kommen-1912-14-a-32681/index7.html#post710117
Ein gravierender Schnitzer von Münkler, den er vielleicht mal in einer Folgeauflage korrigieren müsste.
Er nennt die Gespräche, verweist auf die "herrschende Meinung" über ihre Bedeutung - und vertritt selbst die Auffassung, dass diese Marinegespräche allein kein Grund für Spannungen zwischen D. und GB. gewesen wären. Dass ihre Bedeutung in der Retrospektive hochstilisiert worden sei... Wie gesagt: Mag man glauben oder nicht.

Beispiel 2: siehe oben "Dieser oder jener" bei @Maelonn / zum Disput: Moltke/Schlieffenplan und Julikrise - Es sind tatsächlich genau zwei bei Münkler, die so "gescholten" werden: Hoffmann (Sprung ins Dunkle) und Jansen (Der Weg in den Weltkrieg). Beide haben den Forschungsstand zur Frage des Einwirkens der obersten Militärkreise in der Julikrise überhaupt nicht zum Gegenstand.
Die rügende Einlassung Münklers zu den mangelnden Unterscheidungen zwischen Plänen und Szenarien geht damit am Kern somit doppelt vorbei...
Das solltest Du nicht Münkler anlasten. Ich habe es bei diesem einen Beispiel belassen, um nicht wieder einen ellenlangen Post zu schreiben. Speziell dieses Beispiel habe ich ausgewählt, weil in unserer Diskussion immer wieder die Auffassung vertreten wurde, der Schlieffenplan habe Deutschland praktisch auf einen "präventiv" zu führenden Zwei-Fronten-Krieg (alternativ: Angriffskrieg) festgelegt. Münkler "rügt" die beiden Autoren auch durchaus in genau diesem Zusammenhang. In dem Abschnitt geht es um die Frage, warum im deutschen Militär ausgerechnet in einer Zeit, als sich die Beziehungen zu den anderen Großmächten eher entspannten (z.B. Kolonialpolitik) im deutschen Generalstab plötzlich lauter über Präventivkriege geredet wurde. Hier wirft Münkler die Frage auf, ob dort "Pläne" diskutiert wurden oder ob die Militärs der Politik lediglich "Szenarien" vorstellten, mit dem Hinweis, dass - WENN man denn einen Präventivkrieg führen WOLLE - dies nur noch bis 1916/17 möglich wäre.

Eigene Forschungsbeiträge hat er jedenfalls nicht abgeliefert...
Wiederum: Ich will noch nicht beurteilen, ob und was man ihm als "eigenen Forschungsbeitrag" zurechnen kann. Ich hatte eigentlich gar nicht die Absicht, hier eine Diskussion über Münkler anzustiften. Auf ihn bin ich in anderem Zusammenhang aufmerksam geworden: die Diskussion über "neue Kriege", Zusammenhang mit Keegan/van Creveld etc, und seine in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik, dass Kriegsgeschichte zu einem "Orchideenfach" geworden ist (meine Worte, nicht seine).

Vielleicht sollten wir Münkler hier rauslassen oder an anderer Stelle diskutieren. Angesichts des bevorstehnden Jahrestages wird es in nächster Zeit sicher noch andere Veröffentlichungen zum WKI geben, die diskussionswürdig sind.

MfG
 
Daraus resultierte, dass Schlieffen "das Streben nach schneller Kriegsentscheidung in das Zentrum seines operativen Denkens rückte. Schlieffen wollte nicht wie seine Vorgänger [die defensive Operationsführung lange Jahre erwogen] den Zweifrontenkrieg defensiv lösen, sondern offensiv durchschneiden". (so Groß zusammenfassend zur Schlieffendiskussion, S. 74), im Sinne einer "einseitigen Fixierung auf eine offensive Operationsführung", eine "selbstbestimmte Aktion, besser als die passive, abwartende und erduldende Defensive".

Schlußbesprechung Schlieffens zur "Generalstabsreise Ost" 1901, das operative und strategische Credo Schlieffens:

"[Ausführungen zur Mittellage, dann:] ...Deutschland muß daher bestebt sein, zuerst den einen niederzuwerfen, während der andere nur beschäftigt wird; dann aber, wenn der eine Gegner besiegt ist, ... Der erste Schlag muß mit voller Kraft geführt werden, und es muß eine wirkliche entscheidungsschlacht stattfinden". (Schlieffen, Generalstabsreisen).

Die Aufmarschplanung, die Operationsstudien und die dazu korrespondierend durchgeführten Kriegsspiele 1905/13 "West" belegen diese Offensivausrichtung für "den ersten großen Schlag" hinreichend. Zur Durchführung des Zweifrontenkrieges musste einer der beiden Gegner vernichtend und vor allem sehr schnell geschlagen werden. "Dieses konnte nur offensiv erfolgen, und setzte neben einer offensiven Operationsführung eine offensive taktische Ausbildung der Truppe voraus, die in den deutschen Streitkräften gewährleistet war." (Groß, Dogma der Beweglichkeit, S. 143-166).

Warum nun der Westen? -> aufgrund der schnelleren französischen Mobilmachung und der laut Schlieffen mangenlnden Tiefe des französischen Verteidigungsraumes. "Die Operation stand von Anfang an unter gnadenlosem Zeitdruck". (Groß, S. 75). Ziel war Vernichtung(sschlacht), im Sinne der Ausschaltung des gegnerischen Heeres als Kriegsmittel. "Motiv" der Operation war Leuthen, nicht Cannae, wobei Schlieffen wie Moltke im Zuge der zeitlichen Reichweite der Operationsplanung diese Entscheidungslage als "beiläufig" eintreffend sahen. Die Marne 1914 war insoweit sogar die "erwünschte" Entscheidungslage, als sich die frz. Gegenoffensive vage abzeichnete. Das wird durch entsprechende Äußerungen aus dem Generalstab belegt.

Schlieffen übernahm von Waldersee Konzepte der offensiv geführten Defensive (kein Widerspruch: Planungsgrundlage war der Gegenstoß in eine unterstellte französische Offensive hinein). 1894 kulminierten die Probleme in der Jahresplanung: man befürchtete französische Durchbrüche auf langer Front, bezweifelte die Wirksamkeit einer längeren Defensive (sic!). Sollten die Franzosen wider Erwarten nicht angreifen, sollte bereits eine deutsche Offensive durch den frz. Festungsgürtel erfolgen. Da bis 1897 dieses inzwischen als unmöglich angenommen wurde, kam die nördliche Umgehung von Verdun ins Spiel. Diese Offensive dürfte die "Verletzung der belgischen und luxemburgischen Neutralität nicht scheuen."

Von zeitkritischen Planungen bis hierhin keine Spur. Der Kult der Offensive, ausgehend von den Aufmarschplanungen, begrenzte noch nicht das Zeitfenster politischer Entscheidungen in Krisenfällen. Obwohl auch der "Große Ostaufmarsch" weiter geübt wurde, verfestigte sich 1897/1904 die große Umfassungsidee. Der Aufmarsch "West" hatte dennoch Doppelfunktioin: "Gegenangriff, falls der Feind, sobald er seinen Aufmarsch vollendet hat, vorgeht, und Offensive, falls er hinter den Befestigungen stehen bleibt." (Schlieffen, nach Groß, S. 87).

Damit kam das fundamentale Problem auf den Punkt: Was war zu tun, wenn er stehen bleibt und auf Zeit spielt, und Russland seinen aufmarsch abschließt? Schlieffens Antwort 1905, in dieser langjährigen Entwicklung der Planungen war die sofortige Offensive mit Abschluss des deutschen Aufmarsches. Auslöser war 1902 die Vermutung, die frz. Seite würde den deutschen Aufmarsch und den (älteren) Umfassungsplan kennen, und hätten Vorbereitungen getroffen. Der Plan von 1905 verdoppelte die Umfassung, und setzte die Gesamtoperation nun zeitkritisch an. Die französische Offensive, mit der bis 1904 stets "gerechnet" worden ist, wurde nun aufgrund des russ.-jap. Krieges nicht mehr angenommen (Greiner, BArch RH 61/398, Folie 95). Unterstellt wurde französische Defensive.
1892: Verlagerung Schwerpunkt von Ost nach West
1894: Aufgabe der defensiven Grundhaltung
1897ff: Umfassung nördlich Verdun
1899-1904: sukzessive immer weiter ausholende Umfassung des Festungsgürtels
1905/06: "Schlieffenplan" als Denkschrift für den "optimalen Einfrontenkrieg" (Groß), zwecks Erhöhung der Truppenstärke
1907ff.: völlige Umfassung des Festungsgürtels auch im Zweifrontenkrieg mit einem schnellen "Superleuthen" im Westen, danach Vernichtung des russischen Heeres.

Die Logik der beweglichen Umfassung in der Offensive folgte damit zweierlei: a) der wahrgenommenen Verstärkung der Defensive, und b) der Forderung nach schneller Vernichtungsschlacht. Beide Gedanken sind damit keinesfalls ein Widerspruch, sondern b) ist in der Umfassung die Lösung von a). Die Operationsidee wurde damit zeitkritisch zugespitzt, in der politischen Krise musste jetzt in Tagen oder Stunden der Aufmarschplanung gerechnet werden, wenn die Reaktion auf einen europäischen Krieg in Form der deutschen Operationsidee (Bewegung, Umfassung, Schwerpunkt, Zeitpunkt) überhaupt Erfolgschancen besitzen sollte. Der Erfolg wurde zeitkritisch, weil er zum logistischen Problem mutierte. Und auch dies war nicht paradox: die gestiegene Waffenwirkung wurde problemlos in eine gestiegene "Offensivkraft" einkalkuliert (logisch stringent, da man der Ansicht war, den Schwerpunkt und damit auch die Feuerkonzentration durch die Umfassung selber bestimmen zu können) ! Der Rest der Umfassung, der Durchbruch kleinerer feindlicher Schwerpunkte auf taktischer Ebene, wurde zur reinen Willensfrage:

"[Zum offensiven Flankenangriff] gehört ein selbstbewusster Führer, ein eiserner Charakter, ein hartnäckiger Wille zum Sieg und eine Truppe, die sich über das Entweder-Oder klar ist." (Schlieffen, Briefe, S. 10).

Dieses "Entweder-Oder" aus den operativen und taktischen Kriegsspielen wurde durch die zeitkritische Operationsplanung und logistische Aufmarschplanung zunehmend auf die strategische und die politische Ebene übertragen. Damit steht auch nicht im Gegensatz, dass zB Schliefen selbst 1905 im "Kriegsspiel" (unterhalb der Denkschriften, Aufmarschplanungen und Generalstabsreisen) die strategische Defensive an beiden Fronten zugleich (Ost und West!) plante und in bestimmten Kriegssituationen nicht ausschloss. Vielmehr kommt es allein auf die real existierende, militärisch verbindliche Aufmarschplanung 1914 an, die aufgrund der strategischen Kräfteverteilung und in dieser militärischen Logik mit Schwerpunkt West die schnelle Offensiventscheidung West zwingend erforderte. Das wiederum ist die "Moltkeplanung", die abseits von flexiblen Kriegsspielen allein der operativen und strategischen Doktrin Schlieffens folgte:

1. Verzicht auf eine defensive und reagierende, hin zu einer offensiven und initiativen Kriegführung
2. Unter Nutzung der inneren Linie Auflösung des Zweifrontenkrieges in zwei Einfrontenkriege, die nacheinander gefochten werden sollten
3. Schwerpunktbildung mit Offensive West, Verzögerung Ost
4. Schnelle Vernichtungsschlachten mit Umfassung aus weiträumiger Bewegung heraus
5. Nach dem Vernichtungssieg West Transport nach Osten, um den zwischenzeitlich verzögernden Gegner zu schlagen.

Die Doktrin fusste auf der zeitkritischen, schnellstmöglichen Offensive aus dem Aufmarsch heraus, unter höchstem Risiko, mit Schlachtentscheidung ohne längeren Abnutzungskrieg in der Defensive. Diese Vorgabe wurde der Politik mindestens seit 1912 für die Bestimmung der Reaktion im Krisenfall mitgeteilt. Der zeitkritische Faktor, im Kontext des Kults der Offensive, führte dazu, dass eine ausländische Mobilmachung 1914 auch nicht nur einige Tage zur Deeskalation mehr abgewartet werden konnte. Das Zeitfenster wurde in dieser Eskalationsstufe aufgrund der Aufmarschplanung und Operationsplanung zugeschlagen. Die früheren Defensivplanungen, die man mit "Zweitschlagkapazitäten" übersetzen könnte, und bei denen es auf einige Tage oder eine Woche nicht angekommen wäre, führten im Juli 1914 nicht mehr die Regie.

Hier kommt ein weiterer Faktor der Moltkeplanung ins Spiel, der ergänzend betrachtet werden muss: die Überzeugung, dass ein strategisches Zeitfenster für einen solchen erfolgreichen Offensivkrieg wegen der Rüstung der anderen Nationen nur noch mittelfristig, bis 1916/17 bestehen würde. Diese Problematik ist aber von dem "Autopiloten" der Aufmarsch-/Operationsplanung 1914 noch zu unterscheiden - er kommt ergänzend ins Spiel.

Zum Einwirken dieser Militärplanung auf den Entscheidungsablauf der letzten Julidekade 1914 ist bereits ausreichend ausgeführt worden.*


Zur gerafften Lektüre (nein, sicher nicht Münkler, :D sondern):
Annika Mombauer: Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War, 2005
Isabel V. Hull: Absolute Destruction: Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, 2006.
Ehlert/Epkenhans/Gross: Der Schlieffen-Plan - Analyse und Dokumente, 2006
Terence Zuber: The Real German War Plan, 1904-14, 2011
Holger H. Herwig: The Marne, 1914: The Opening of World War I and the Battle That Changed the World, 2011
Gerhard P. Groß: Mythos und Wirklichkeit. Die Geschichte des operativen Denkens im deutschen Heer von Moltke d. Ä. bis Heusinger, 2012


*Zu 3. - 8. antworte ich noch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vorbereitend:

Clark, Schlafwandler, resümierend:
„Aber das heißt keineswegs, dass wir die Argumente für einen Präventivschlag als völlig unbedeutend für die Aktionen der deutschen oder anderen Entscheidungsträger verwerfen dürfen. Im Gegenteil, die Präventivkriegslogik übte heimlich einen wichtigen Druck auf die Denkweise der Hauptakteure in der Krise vom Sommer 1914 aus.“

Ich halte das für reichlich diffus, aber gut, mit dem "wichtigen Druck" lässt er insoweit den Leser allein.

Während er die Zuber-Kontroverse nicht korrekt und unvollständig rezipiert:

„Eine aktuelle Studie hat sogar die These aufgestellt, dass die berühmte Denkschrift von 1905, in der der Generalstabschef Alfred von Schlieffen eine massive Offensive im Westen skizzierte, kein »Kriegsplan« an sich gewesen sei, sondern ein Gesuch um höhere staatliche Mittel – unter anderem sah Schlieffens Plan den Einsatz von 81 Divisionen vor, mehr als die deutsche Armee selbst im mobilisierten Zustand damals hatte.“ (Clark, Schlafwandler)

Der Hintergrund der Finanzierung ist uralt, die Mehr-Divisionen sind nicht der Kern, es geht in der Denkschrift 1905 um einen Einfrontenkrieg, die Herausarbeitung des operativ-strategischen Kerns fehlt, die Bedeutung der Planentwicklung wird überhaupt nicht angesprochen, etc.

Herwigs Gegenposition zu Clark, ebenfalls resümierend:

Yet, Germany went to war in August 1914. Why? And how? This ‘leap into the dark,’ as Chancellor von Bethmann Hollweg called it, was anything but a carefully orchestrated ‘bid for world power’ (Fritz Fischer), and more the result of a combination of fear and anxiety for the future on the part of a small coterie of senior officials who made the decision for war. For years, they had seen Bismarck’s Pax Germanica dissolve before their very eyes. Ever shriller nationalist appeals on the part of pressure groups had filled in the gap created by Wilhelm II’s inability to rule. Foreign and military security policies had disintegrated, being replaced by individual service operations plans. The near total lack of civilian control had by default given greater weight to military considerations. The accompanying doctrines concerning a ‘short war’ and a ‘cult of the offensive’ had filled that void. Technical determinism had paralyzed what sober strategic planning still existed. It is little wonder that Count Leopold Berchtold, the Austro-Hungarian foreign minister, at the height of the July Crisis had cried out in despair: ‘Who rules in Berlin? Moltke or Bethmann?’

Perhaps most tragically, General von Moltke decided to jettison the ‘inter-war’ peace that had existed since 1871 out of despair about the present, fear about an uncertain future, and belief in the ‘topos of inevitable war.’ While he feared what he called a ‘horrible war,’ one that could set European civilization back for decades, the chief of the General Staff never- theless had pressed for war. A short, cleansing thunderstorm might lead not only to German territorial aggrandizement but perhaps even to national rejuvenation. As he put it to the German foreign secretary, Gottlieb von Jagow, in the spring of 1914, ‘there was no alternative but to fight a preventive [sic] war so as to beat the enemy while we could still emerge fairly well from the struggle.’

Thus, while apprehensive about the course and nature of the coming war, Moltke nevertheless pushed to start it at what he considered to be the most propitious moment. In 1914 a classic General Staff tour de force, one beset from the start with countless ‘ifs’ and based on enemy mistakes, tore apart the ‘fog of peace.’
The political scientist Ned Lebow has suggested that the July Crisis of 1914 was a classic case of the causal relationship between cognitive impairment, miscalculation, and war. In a well-researched chapter using the July Crisis as a case study, Lebow suggests that the ‘cognitive distortions’ of German political leaders, briefly discussed above, were the root cause of the great folly of war in 1914. They led, first and foremost, to the adoption of an unrealistic strategy (the so-called ‘calculated risk’) based on erroneous assumptions of how the other great powers would react to the Austro-Hungarian attempt to subjugate Serbia. As the crisis unfolded, these same ‘cognitive distortions’ prevented kaiser and chancellor, foreign secretary and chief of the General Staff, from realizing the grave extent of their miscalculations. And when all their rosy illusions were shattered at the end of July, the ‘men of 1914’ at Berlin suffered a ‘dramatic loss of self-confidence,’ which resulted in erratic and irresponsible behavior, and finally in war. If there is a lesson to be learned, surely it is that the outcome of such brinkmanship crises is the ability of governments to learn from the results of past behaviors and to modify subsequent behavior and policies. Crisis strategies, once discovered to be erroneous, demand constant and immediate reassessment. Severe time constraints leave no other choice. To maximize the probability of success, policy modifications must consist of a rapid and ongoing learning process. That, unfortunately, was not the case with Germany in July 1914."
Herwig, in: The Fog of Peace and War Planning.

Dieses weit ausholende Statement verortet auch die Bedeutung des Cult of Offensive. Es geht nicht um die Frage, wer den Krieg in Person ausgelöst hat, oder Kompetenzen dafür, und auch nicht um den Nachweis, dass Militärs den Präventivkrieg durchgesetzt hätten, oder warum sie das in 40 Jahren zuvor nicht geschafft haben, und wie untere Zirkel darüber dachte . Es geht vielmehr um eine Kumulation von Planungen, Fehlkalkulationen, Fehlverhalten, Fehlinformationen, Hysterie, Unsicherheit, etc., welche die Entscheidung im inneren Zirkel zum Aufmarsch in dem Zusammenwirken wesentlich beeinflusst hat. Es geht um das "wie" des Kriegsausbruchs, zu dem das Militär seine (Offensiv-)Dogmen beisteuerte und den Ablauf im Kontext der dargestellten "Schwächen" beeinflusste.
 
3. Das Militär hatte von dem Augenblick an auch gar nicht mehr die Freiheit, zu sagen "Lassen wir es lieber..."
4. Dass damals nur die Offensive "gedacht" worden sein soll, schließt man heute nur daraus, dass Deutschland angegriffen hat.

[und oben in einem weiteren Post ergänzend:]

Zu 3: Ich hätte gedacht, dass das sich von selbst erklärt. Wer Soldat wurde, trug "des Kaisers Rock" und hat des Kaisers Befehle ausgeführt. Wenn der Kaiser einen Krieg befahl, dann stand es den Soldaten nicht frei, einfach mal zu sagen "Nö, hab gerade keinen Bock...". Diese Aussage ist so trivial, dass die Beweispflicht eher bei den Leuten liegt, die glauben, dass das Militär das Recht oder die Macht gehabt hätte, dem Kaiser zu befehlen.

Zu 4: Ich stelle fest, dass es in der modernen Geschichtswissenschaft herrschende Meinung ist, dass der WKI eine Folge des deutschen Militarismus ist und dass der Kriegsausbruch mit einem angeblichen "Kult der Offensive" erklärt wird. Demnach sollen Militärs (und nicht nur deutsche sondern ALLE!) geglaubt haben, dass allein die Offensive militärischen Erfolg möglich gemacht habe. So jedenfalls steht es im ersten Beitrag dieser Diskussion. Hier zur Erinnerung:

Das ist ein weiteres Missverständnis, als es wie oben gezeigt nicht um Befehlsausführung oder Kriegsauslösungskompetenz geht, und der "Cult of Offensive" auch nicht als alleiniger Aspekt des "Wie" in den Krieg gesehen wird.

Es geht vielmehr um die Einflussnahme auf die politische Entscheidung, wobei hier Mombauer (Moltke) die Details der Einwirkung der Militärs in der Julikrise aufgerissen hat.

Dieser Aspekt bedeutet auch nicht, dass der Offensivkult ursächlich für die "short-war-illusion" gewesen sein. Vielmehr äßt sich hier mit der Förster-These aufreissen, dass den Militärs vielmehr die Wahrscheinlichkeit eines längeren, gigantischen Voilkskrieges klar war, und geradezu fatalistisch mit der Westoffensive ein Ausweg gesucht wurde, dessen hohe Risiken durchaus klar waren.

Dazu verweist Clark auf den Forschungsbeitrag von Herwig im JoMH, in dem Herwig den Stand sehr gut zusammenfasst:

"The German deeision to go to war in 1914 must, on the basis of the "Förster thesis," be seen against the light of the military's commitment to a forty-day "first strike" against France—with the concomitant conviction that the war would be a prolonged, bloody, exhausting, and possibly unwinnable undertaking. The chief of the General Staff, at least, harbored no doubts about the coming war. On 28 July 1914 Moltke, about to orchestrate the "great symphony" of the Schlieffen plan (General Wilhelm Gröner), penned a secret "Evaluation of the Political Situation" that the next day he presented to Chancellor Theobald von Bethmann Hollweg. Therein, Moltke spoke of the coming war as a "world war"—well before Europe had taken the fateful decision for this eventuality. He foresaw "Europe's civilized nations" about to embark on a "mutual tearing to pieces" (zerfleischen) of one another. He argued that an undefined fate was about to lay its hands on Europe, by way of a war "that will destroy civilization in almost all of Europe for decades to come." Still, the nephew of the victor of 1866 and 1871 saw no alternative but to launch the Schlieffen plan to provide Germany's diplomats and politicians with a strategic advantage at the start of what he believed would be a long, hard war. For, on 29 July Moltke boldly instructed Kaiser Wilhelm II that Germany would "never hit it again so well as we do now with France's and Russia's expansion of their armies incomplete."

In the end, Chancellor von Bethmann Hollweg came 'round to Moltke's fatalism. Any "action" against Serbia, the chancellor confided to Kurt Riezler, his political councilor, "can lead to a world war." And like Moltke, Bethmann Hollweg regarded "a war, regardless of how it ended," as anything but a forty-day march to Paris. In Riezlcr's words, the chancellor equated armed conflict on the European continent with "the overthrow of everything that exists."

Germany and the "Short-War" Illusion: Toward a New Interpretation?'
Holger H. Herwig, JoMH 2002, S. 681-694.

In diesem speziellen Licht sind "Illusion" und "Cult" zu verstehen, und der irrationale Ausweg.

Ergänzend siehe Terence M. Holmes, JoMH 2003, S. 13-16 in Replik und Ergänzung zu Herwig: "One Throw of the Gambler's Dice": A Comment on Holger Herwig's View of the Schlieffen Plan:

"This comment challenges the view that the Schlieffen plan was flawed by its subjection to an unrealistic timetable. Schlieffen's great memorandum of 1905 does not in fact stipulate any deadline for completing the projected war against France. The six-week limit invoked by Herwig and others relates to plans that were made for the conduct of a two-front war. It has been falsely superimposed on the Schlieffen plan, which was actually devised for the event of a one-front war. The Schlieffen plan has come to be seen as a reckless gamble largely on the basis of this inveterate misunderstanding as to its proper context."

Es geht hier nicht darum, ob dem Kaiser irgendwas befohlen wurde, und auch die "herrschende Meinung" zu cult of offensive, short-war-illusion und Präventivkrieg sehe ich auf Basis der Literatur anders.
 
Irgendwie ist der Fokus hier jetzt auf die Frage Präventivschlag bzw. schnellstmögliche Einsatzbereitschaft durch Mobilisierung oder nicht gekommen, war das die Intention des Eingangsbeitrags?

Denn Stacheldraht und Maschinengewehre waren in den ersten Wochen im Westen auch noch nicht so wichtig wie später. Von der taktischen Seite her hätte der Schlieffenplan also gelingen können. Die Probleme zeigten sich im Rahmen der Logistik, der nicht wie erhofft übernommenen belgischen Infrastruktur und Abstimmungsschwierigkeiten innerhalb der Stäbe, d.h. auf strategischer Seite.
 
Irgendwie ist der Fokus hier jetzt auf die Frage Präventivschlag bzw. schnellstmögliche Einsatzbereitschaft durch Mobilisierung oder nicht gekommen, war das die Intention des Eingangsbeitrags?

Und die Ausgangsfrage war:

Wieso breitete sich der Gedanke im Vorfeld des Weltkriegs bei allen Protagonisten auf der grausigen Bühne aus, der Schlüssel zum militärischen Erfolg sei in der Offensive zu sehen?

Genau diese Ideengeschichte, die mit dem "Kult der Offensive" beschrieben werden kann (und man kann auch jeden anderen Begriff dafür wählen!), und seine operative Umsetzung, inlusive der militärischen Imperative für den Juli 1914, wurde ausführlich dargestellt.

Somit sollte diese Entwicklung der unterschieldichen Phasen des militärischen Planung ausführlich beschrieben sein.

Der "Kult der Offensive" wurde an der Marne im August / September 1914 "beerdigt", basierend auf dem Schlieffenplan beendet. Um dann in anderer Form durch Ludendorff und später durch Guderian etc. revitalisiert zu werden.

Von der taktischen Seite her hätte der Schlieffenplan also gelingen können.

Ob diese Planungen realistisch oder nicht waren, ist letztlich eine Frage des Standpunkts und ein Groener hat als Unterstützer des Schlieffenplans eine andere Sicht wie die Kritiker der Planungen.

In diesem Sinne wird es ein ewiges Rätsel bleiben, ob der Schlieffen-Plan hätte erfolgreich sein können.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein Beispiel tauchte in der Debatte auf: Wallachs hier zitierte Aussage, dass deutsches Militär mit schwerwiegenden Folgen die Defensivausbildung vernachlässigt habe. Hierzu habe ich nachgefragt, ob Wallach dafür Belege nennt. Jemand, der so belesen ist wie Du und der Wallach für so grundlegend hält, sollte keine Mühe haben, diese Frage zu beantworten – und vielleicht sogar zu erklären, warum andere Autoren wie Fergusen den deutschen Truppen taktische Überlegenheit im vorwiegend defensiven Stellungskrieg bescheinigen.

Nach meiner Vermutung wird man sich diese taktische Ueberlegenheit im Verlaufe des Krieges angeeignet haben.
Zu Kriegsbeginn ist man noch frøhlich ohne Stahlhelm ausmarschiert, fuer mich ein starkes Indiz, dass an Stellungskrieg nicht gedacht worden ist.
BTW, seit wann gehørt der Klappspaten eigentlich zur Grundausruestung des gemeinen Soldaten?

Im weiteren sollte man pruefen, inwieweit Offiziere und Unteroffiziere ausgebildet waren, inwieweit so etwas geuebt wurde:
Man braucht Kundschaft im Stellungsbau, gute und zahlenmæssig starke Pionierabteilungen, Geræte und Material. Auch ein Improvisieren "vor Ort" sollte geuebt sein.

Gab es das alles? Inwieweit sind da unterschiede zu anderen Armeen auszumachen?

Gruss, muheijo
 
Aus 1. wird deutlich, dass hier ein grundsätzliches Missverständnis über die Literatur-Diskussion zu der Rolle des Militärs herrscht. Es geht nicht darum, ob das Militär die Kriegsentscheidung unterschrieben hat, sondern in welchem Ausmaß sie die politische Hand bei der Entscheidung geführt hat.

Der Problemkreis "Cult of Offensive" stellt nämlich nach dem Forschungsstand darauf ab, dass in der letzten Phase der Julikrise politische Deeskalationen und ein "vermiedener Krieg" (Dülffer) durch die Logik der Aufmarsch- und Operationspläne der Militärs ganz erheblich erschwert bis unmöglich gemacht worden sind. Politische Lösungen sind in diesem Kontext durch die zeitliche Brisanz der Aufmarschpläne (diese wiederum Resultanten der Operationsplanungen) beschnitten oder abgeschnitten worden.
Das Problem liegt keineswegs darin, dass ich intellektuell nicht in der Lage wäre, das „gedankliche Konstrukt“ zu verstehen oder Euren Ausführungen zu folgen. Unsere Meinungsverschiedenheit ist grundlegenderer Art. Ich bezweifele den Wert diese Konstrukts und kritisiere, dass es verwendet wird, ohne dass sich noch jemand die Frage stellt, wozu es überhaupt dienen soll. Was soll es eigentlich erklären?

Das Denkmodell vom „Kult der Offensive“ ist ethisch-politisch überlagert und steht deshalb einer unvoreingenommenen Betrachtung der Verhältnisse im Wege. Es erklärt militärisches und bis zu einem gewissen Grad sogar politisches Handeln mit einer irrationalen, ja fast wahnhaften Geisteshaltungen im Militär. Damit entzieht es diesen Bereich der rationalen Betrachtung. Warum sollte man denn noch nach rationalen Gründen für militärisches Handeln suchen, wenn man es doch schon längst für irrational erklärt hat? (Darauf gehe ich in meinem nächsten Beitrag nochmal ein)
Konsequent weitergedacht, führt das Denkmodell zu dem Schluss, dass Militär durch seine bloße Existenz Kriege verursacht und dass der Erste Weltkrieg deshalb ein schicksalhaftes Ereignis war, das unvermeidlich eintreten musste. Irgendwann hätten die vom Offensiv-Kult besessenen Militärs es schon geschafft, ihren Krieg vom Zaun zu brechen.

An den Kult der Offensive zu glauben, führt mindestens zu Simplifizierungen, mit großer Wahrscheinlichkeit auch zu Fehlurteilen. Schau Dir nur den Verlauf dieser Diskussion an. Schon der Eingangsbeitrag begnügt sich mit gerechter (und moralisch sicher auch gerechtfertigter) Empörung. Und noch in Beitrag 70 wird formuliert: „In diesem Sinne ist der Begriff des „Kults“ gerechtfertigt, da er von einer unrealistischen, geradezu mysthischen Glorifizierung der Offensive ausging“. Daran ändert sich auch nichts, wenn man das Denkmodell in der von Dir vorgeschlagenen abgeschwächten Form betrachtet, dass das Militär zwar nicht entschieden, aber der Politik „die Hand geführt“ habe.

Betrachten wir den deutschen Truppenaufmarsch gemäß Schlieffenplan. Ist es wirklich plausibel, dass die Kriegsvorbereitungen oder der Aufmarsch eine solche Eigendynamik entwickelt und solche Sachzwänge geschaffen haben, dass die Politik das nicht mehr hätte stoppen oder auch nur diplomatische Lösungen suchen können? @Thanepower hat doch weiter oben ein Gegenbeispiel erwähnt. Das standen sich österreichische und russische Truppen bereits gegenüber und wurden dann doch wieder demobilisiert. Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass er wieder die Handlungsebenen vermischt hat. Die Demobilisierung erfolgte selbstverständlich nicht durch das Militär.

Mein Fazit: Der bloße Aufmarsch gemäß Schlieffenplan stellte für die Politik keinen „Sachzwang“ dar. Er hätte jederzeit abgebrochen werden können. Ob die POLITISCHE Lage zu dem Zeitpunkt noch ein Umschwenken zugelassen hätte, ist eine ganz andere Frage. Jedenfalls war militärisch betrachtet erst in dem Moment, als belgisches Territorium betreten wurde, der „point of no return“ erreicht. Das ist jetzt aber kein Spezifikum des Schlieffenplans. Das ist in jedem Krieg so. Irgendwann ist auf dem Weg vom Zustand des Friedens zum Zustand des Krieges ein Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt. Wenn das Denkmodell vom „Kult der Offensive“ nicht mehr sagen will als dass bei Konflikten irgendwann ein Zeitpunkt erreicht ist, ab dem das Militär schießt, dann ist es eher eine banale Phrase als ein Denkmodell.

Auch die barsche Antwort von Bethmann Hollweg an den Kaiser ist kein Indiz dafür, dass die Politiker die Kriegsmaschinerie nicht mehr anhalten konnten. Dem Kaiser ging es nämlich überhaupt nicht um eine "Begrenzung" oder "Beherrschung" des Konflikts. Er wollte lediglich den Kriegsplan ändern. Dafür war es dann aber in der Tat zu spät. Wenn man den Krieg führen wollte, dann musste man ihn nach dem Plan führen, der bereits in der Ausführung begriffen war.

Dass der Aufmarsch gemäß Schlieffenplan diplomatische Lösungen behindert haben soll, ist aber noch aus einem anderen Grund wenig plausibel: Der Aufmarsch dauerte nur ein paar Tage. Warum sollte man ausgerechnet in diesem kurzen Zeitraum Lösungen finden, die in den Wochen davor nicht gefunden wurden – obwohl da noch keine „militärischen Imperative“ bestanden? Immerhin hatte die Krise schon am 28. Juni mit den Schüssen in Sarajewo begonnen.

Der Krieg ist nicht deshalb zum Weltkrieg geworden, weil die deutsche Politik von der militärischen Eigendynamik mitgerissen wurde. Es ist so gekommen, weil die deutsche Politik die verhängnisvolle Entscheidung getroffen hat, einen Regionalkonflikt auf dem Balkan mit der Idee eines „Präventivkriegs“ gegen Frankreich und Russland zu verknüpfen. Daran war zweifellos auch das Militär beteiligt. So war das damals halt. Krieg galt als normales Mittel der Politik und die Großmächte haben es als ihr natürliches Recht angesehen, jederzeit Krieg zu führen, wenn es ihnen geboten schien. Davon hing geradezu ihr Großmachtstatus ab. Entsprechend waren hohe Militärs in politische Entscheidungen eingebunden. In Deutschland waren Kaiser, Kanzler und Generalstabschef die entscheidenden Leute. Man kann jetzt darüber streiten, ob Kaiser und Kanzler zu schwach waren, um den Generalstabschef im Zaum halten zu können. Das wäre aber ein politisches Problem, das weder mit Offensive noch mit Kult irgendetwas zu tun hat.

Zu den Zitaten, die Du im Folgenden auflistest, gleich mehr…

MfG
 
Zurück
Oben