Es ist sicher auch teilweise das Vermächtnis, das sich u. a. durch die Eroberungskriege seit Ludwig XIV., FdG und Napoleon mit dem "Kult der Offensive" verbindet. Dieses kann man hervorragend bei Jomini (The Art of War) erkennen.
Weitere Aspekte sind, wie J. Snyder (Civil-Military Relations and the Cult of the Offensive 1914 and 1984, in: Brown et al (Eds.). Offensive, Defensive, and War 2004, S. 119 ff, argumentiert, der hohe Grad an Intransparenz zwischen der Politik und dem Militär.
Diesen Aspekt kann man als relevant ansehen für das DR, wie am Schlieffen-Moltke-Plan ausführlich gezeigt.
Dieses gilt auch für die Kommunikation in Russland. Auch in diesem Fall konnte nicht entsprechend den politischen Vorstellungen von Sazonow eine glaubwürdige Teil-Mobilmachung ausschließlich gegen Ö-U durchgeführt werden (vgl. J. Kusber: Die russischen Streitkräfte und der deutsche Aufmarsch beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Ehlert, Epkenhans und Groß: Der Schlieffenplan. 2006, S. 257ff)
Ähnliches gilt für die Planungen der Ö-U-Armee, wie Kronenbitter (Die militärische Planung der kuk Armee und der Schlieffenplan, in: Ehlert, Epkenhans und Groß: Der Schlieffenplan. 2006, S. 205ff), die weder dem Generalstab des DR vorlagen und auch von KW II nicht gekannt wurden.
Und auch dieser letzte Punkt ist ein gravierendes Problem, wie am Vorschlag von KW II gezeigt werden kann, der "Halt in Belgrad".
Auf diesen Punkt weist Otte hin (July Crisis. 2014), der dem Vorschlag von KW II das Potential zuspricht, eine der besten Chancen gewesen zu sein, den Krieg noch zu vereiteln. Der Vorschlag von KW II war nicht kompatibel mit der Aufmarschplanung der Ö-U gegen die Serben!
Die Planungen von Conrad sahen eine komplett andere Operationsplanung vor. Der "Halt in Belgrad" hätte eine "Nord-Süd"-Bewegung bzw. Aufmarschplanung erfordert, um realisierbar zu sein. Von Conrad war jedoch eine "seitliche" Bewegung nach Serbien hinein geplant, um die serbische Armee von ihren Rückzugsmögöllichkeiten abzuschneiden.
Auch in diesem Fall konnte, wie in den beiden ersten Fällen, die konkrete militärische Planung nicht den situativ eigentlich angemessenen Vorgaben der Politik folgen.
Ein weiterer hilfreicher Punkt, den Otte anspricht ist, dass die Verhaltensmuster zwischen Großmächten und kleinen Mächten um 1914 einem Veränderungsprozess unterworfen waren und die "gemeinsamen Spielregeln" der Großmächte nicht mehr klar definiert waren.
So weist er vermutlich zu Recht darauf hin, dass das "provokative" Verhalten (aus der Sicht der Logik des Status quos der Großmächte!) von Serbien gegenüber Ö-U, durch einen Talleyrand oder Metternich nicht akzeptiert worden wäre. Es wäre eine Verletzung der Spielregeln gewesen, die Politiker des "alten Europas" insgesamt nicht akzeptiert hätten.
In 1914 waren diese Spielregeln aus vielen Gründen, auch weil Ö-U sich bereits auf dem Status einer großen Regionalmacht bewegte, verändert und konnten nicht mehr als "Regulativ" für die Staaten dienen.
Auf die allgemeine, teils sozialdarwinistische, Stimmung, wie bei Tuchmann (Der stolze Turm) als Hintergrund für den Fatalismus (wie beispielsweise die Stimmung in Bezug auf Bethmann von Riezler in seinen Tagebüchern beschrieben wird) wude schon hingewiesen.
Es kommen zwei weitere Aspekt hinzu. Zum einen ist es die Frage der "Selbstattribuierung" des - vermeintlichen -National-Charakters, der für die Denkweise der Armee wichtig war. Für die Franzosen war es der "Elan", für die Deuschen der "Angriffsgeist" etc.. Und natürlich passend auch die Vorstellung, dass der zukünftige Gegener als feige, dumm und inkompetent hingestellt wird. Wie beispielsweise das britische Expeditions-Korps lediglich "verhaftet" wird, um deutlich zu machen, dass man eigentlich gegen diese Armee nicht kämpfen müste.
Zum anderen ist es noch die weitere sozialpsychologische Erklärung durch die ausgeprägte "Kultur des Maskulinen" vor 1914, teils passend zum "Nationalcharakter", der "aggressive" Denkmuster in den imperialistischen Großmächten begpnstigte.
Insgesamt sind es viele Aspekte, die erklären können, warum militärische Automatismen, teils gegen die Intention der Politiker, gegriffen haben und das Armageddon heraufbeschwörten. Vor dem die Militärs, wie beispielsweise Moltke regelrecht "Angst" hatte.
Und in diesem Bereich findet der gravierendste Widerspruch statt. Das individuelle Gewissen, das tendenzielle "Nein" sagt, steht hinter dem zurück, was als Ergebnis einer ernsthaften Analyse als zwangläufiger Imperativ durch Schlieffen, Moltke und dem Generalstab als "einzige Lösung" angenommen wurde. Die schnelle und konsequente Niederwerfung des Gegners in Schlachten ala "Leuthen". Und das war der "Kult der Offensive". Auch als - objektiv irrationale - mentale Haltung, die in der damaligen Zeit aber als durchaus "realistisch" angesehen wurde.
OT: Und wer schon mal in einem Unternehmen gearbeitet hat oder noch arbeitet, das eine technologisch anspruchsvolle Innovationsstrategie als "Mission" definiert hat, der versteht vielleicht, wie stark der "Korps-Geist" als kollektiver Prozess eine "Gleichschaltung" in den Sichtweisen der Mitarbeiter erzeugt. Diesem Prozess unterlagen auch die Generalstäbe in der damaligen Zeit.