Die von Dir aufgelisteten Zitate zeigen, dass die These vom "Kult der Offensive" von Leuten belegt wird, deren Urteile sich auf begrenztes Wissen über Militär stützen. Strategie wird fröhlich mit Taktik oder Operation vermischt, die Definitionen von Defensive und Offensive sind nicht wirklich bekannt etc.. Und wenn was nicht passt, behilft man sich mit Kunstbegriffen wie „defensiv-offensiv“ kommt.
Über Militär muss man ja auch nicht weiter nachdenken. Der "Kult der Offensive" erklärt ja dessen ganze Irrationalität. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum seit Clausewitz keine zusammenhängende politisch Theorie des Krieges mehr vorgelegt worden ist. Jedenfalls müssen wir uns bis heute auf seine Definitionen stützen.
Mit Deinen anderen Beiträgen befasse ich mich die Tage näher. Im Moment fehlt die Zeit.
Jedenfalls danke für Deine ausführlichen Antworten.
MfG
Über Militär muss man ja auch nicht weiter nachdenken. Der "Kult der Offensive" erklärt ja dessen ganze Irrationalität. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum seit Clausewitz keine zusammenhängende politisch Theorie des Krieges mehr vorgelegt worden ist. Jedenfalls müssen wir uns bis heute auf seine Definitionen stützen.
Da hat Herr Groß offenbar den Clausewitz nicht verstanden. Welche defensive Operationsführung soll dem denn "vorgeschwebt" haben? Clausewitz gibt an keiner Stelle Empfehlungen ab. Er beschreibt nur vier Grundformen der Defensive und stellt klar, dass sie alle eines gemeinsam haben müssen: „Ein schneller, kräftiger Übergang zum Angriff - das blitzende Vergeltungsschwert - ist der glänzendste Punkt der Verteidigung; wer ihn sich nicht gleich hinzudenkt, oder vielmehr, wer ihn nicht gleich in den Begriff der Verteidigung aufnimmt, dem wird nimmermehr die Überlegenheit der Verteidigung einleuchten.“ (Buch 6, 5. Kapitel)Spätestens nach 1891 lehnte die Mehrzahl der deutschen Militärtheoretiker "die defensiv ausgerichtete Operationsführung, ... wie sie Clausewitz und auch noch in Teilen Moltke d. Ä. [zwischen 1880 und 1891] vorgeschwebt hatte", ab,
Von der Goltz ist der Mann, der 1905 als möglicher Generalstabschef in Frage kam. Er hatte zuvor mit einer Reihe von Momoranden für den Bau von Festungen entlang der Grenzen sowie für Vorbereitungen auf einen Defensivkrieg plädiert. Das von Dir angeführte Zitat liest sich zudem gleich ganz anders, wenn man es vervollständigt. Herr von der Goltz hat gesagt: „Wer nur auf Abwehr sinnt, kann lediglich die eigene Niederlage verhindern. Krieg führen heißt angreifen.“ Liest sich ähnlich wie das, was ich oben von Clausewitz zitiert habe, stimmt´s?Beispiele:
"Krieg führen heißt angreifen" (von Goltz)
Ich vermute, es ist Friedrich von Bernhardi gemeint. Seine Arbeiten kenne ich nur oberflächlich aus sekundären Quellen. Ich weiß lediglich, dass er sich angesichts der sich ändernden Bedingungen der Kriegführung für die Ausarbeitung neuer taktischer und strategischer Konzepte einsetzte. In dem zitierten Absatz schreibt er über „operative Offensiven“. Die können auch aus der Defensive heraus erfolgen und einer defensiven Strategie angehören. Der Satz fügt sich gut ein in das Folgende:"In der operativen Offensive leigt die Entscheidung des nächsten europäischen Krieges" (von Bernhardi)
(Gerhard Groß, Mythos und Wirklichkeit, Geschichte des operativen Denkens im deutschen Heer ..., 2012)
Beachte: Hier ist von HeeresTAKTIK und von TAKTISCHEM Angriff die Rede. Siehe wiederum Clausewitz oben (ich setze jetzt voraus, dass der Unterschied zwischen Taktik und Strategie bekannt ist). Zudem steht das alles in Zusammenhang mit Überlegungen, wie man eine bewegliche Gefechtsführung hinbekommt. Es geht also um den Versuch, von den seit Napoleon üblich gewordenen Frontalgefechten wegzukommen. Auf offenem Feld spielten die sich nämlich laut Clausewitz in der Weise ab, dass die Parteien sich „aneinander abnutzten“ und Sieger und Verlierer hinterher praktisch gleich hohe Verluste hatten. Ging es um ein Gefecht gegen einen eingegrabenen Gegner sorgten die neuen Waffen für ein Blutbad. Darauf weist schon Dein Zitat hin:Beispiele lassen sich satt in den operativen Studien, Mob.- und Aufmarschplänen sowie Kriegsspielen und Studien der Schulen finden, ich erspare das mal hier mit Verweis auf Groß.
"So prägte der Wille zur Offensive und zur beweglichen Gefechtsführung entscheidend die Entwicklung der Heerestaktik. Der taktische Angriff erhielt als Voraussetzung für eine offensive Operationsführung geradezu zwangweise eine alles überragende Bedeutung.
Genau das habe ich weiter oben geschrieben und staunende Zweifel geerntet: Mit dem Bewegungskrieg wollte man das Problem der übermächtigen Verteidigung lösen.Dabei vergaßen die Protagonisten der angriffsweisen Kriegsführung nicht die Tatsache, dass durch die gesteigerte Waffenwirkung die Defensive gestärkt worden war. ... sollte durch die operative Wirkung des Angriffs [bewegliche Kriegführung] überwunden werden."
Groß, S. 68.
Und wieder: Hier ist von der OPERATIVEN und TAKTISCHEN Offensive die Rede. Es wird festgestellt, dass BEWEGLICHKEIT das Mittel ist, um eine starke eingegrabene Verteidigung auszuhebeln. Der japanisch-russische Krieg hat in dieser Hinsicht Vergleichsmöglichkeiten geschaffen, weil auch in diesem Konflikt „normale“ Gefechte (also: Stellungskrieg) ausgetragen worden sind und die Aussichtslosigkeit direkter Sturmangriffe gezeigt hatten.So hatte der russ.-jap. Krieg den Wert von Initiative und Willenskraft als zentrale taktisch-operative Faktoren, somit den Wert der angestrebten Beweglichkeit, bestätigt - Perzeption: "Die Kriegserfahrungen zeigen deutlich (sic!) die operative und taktische Überlegenheit der Offensive über die Verteidigung" (Balck).
Das hat aber nichts mit Defensive und Offensive zu tun. Beispiel: die Kriegführung an der Ostfront im WKI. Es wird niemand bestreiten wollen, dass dort ein defensiver Krieg geführt wurde. Trotzdem führten die deutschen Truppen die Gefechte vorwiegend offensiv. Angriffe und Rückzüge folgten in schnellem Wechsel, weil die deutschen Truppen zu schwach waren, um sich einer Entscheidungsschlacht zu stellen. Das einzige, was ihnen nicht passieren durfte, war stehenzubleiben und vom Feind gestellt zu werden. Das hätte den russischen Truppen nämlich die Gelegenheit verschafft, sich zu sammeln und ihre zahlenmäßige Überlegenheit auszuspielen. Folglich hatte Moltke für diesen explizit defensiven Feldzug das Motto verkündet: „Wenn die Russen kommen, nur keine Defensive, sondern Offensive, Offensive, Offensive.“ (laut Uhle-Wettler, Höhe- und Wendepunkte)Konsequenz: das Dogma vom Vorteil der Initiative, das Gesetz des Handelns, die "überraschende Schwerpunktbildung", die vom Angreifer "gewählte Hauptangriffsrichtung", die vom Angreifer bestimmte "Gefechtsentfernung" wurden vollständig verinnerlicht.
Na, dass Numerik marginalisiert wurde, halte ich für etwas überinterpretiert. Die Numerik war schon allein für die Frage entscheidend, ob man einen Entscheidungskampf riskieren wollte oder nicht. Wollte man, blieb zur Offensive keine Wahl. Wie anders sollte man denn an den schwächeren Gegner herankommen? Der greift üblicherweise nicht von sich aus an. So muss man auch von der Goltz hier verstehen. Er redet von Entscheidungskampf. Zur Erinnerung: Er war der Befürworter von Festungsbau etc. Heeresqualität war in der Tat entscheidend. Die gerade beschriebene Gefechtsführung an der Ostfront erforderte hervorragend ausgebildete Truppen von hoher Moral und Nervenstärke. Dass die Defensive irgendwann ihren „negativen Zweck“ (Pläne des Gegners zu vereiteln) ablegen und in die Offensive übergehen muss (positiver Zweck: eigene Pläne verwirklichen), hat schon Clausewitz in aller Ausführlichkeit geschildert. Seine Formel: "Wir haben gesagt, das Abwarten und das Handeln, welches letztere immer ein Zurückgeben des Stoßes, also eine Reaktion ist, sind beides ganz wesentliche Teile der Verteidigung, ohne das erstere wäre sie keine Verteidigung, ohne das letztere kein Krieg."Ergo: "Überhaupt geht die deutsche Operationsführung von einer rücksichtslosen Offensive verbunden mit einem Schlag auf Schlag ausgeführten Entscheidungskampf aus" (Goltz). Die Numerik wurde infolgedessen marginalisiert, die "Heeresqualität" war für diese Sieg-Faktoren entscheidend. "Umgehung und Flankierung" dominierten, "auf die geschickte Anwendung kommt es an" (Falkenhausen).
Abgesehen davon, dass ich "lege artis" zweifelhaft finde: Da lag der Schwachpunkt bei der Planung Schlieffens. Sein Feldzugsplan vertrug keine Friktionen. Aber das ist ein anderes Thema. Ich will hier nicht über die Frage diskutieren, wie man den Plan hätte ändern müssen, damit er funktioniert hätte.Dieser Stand, lege artis, wurde nun mit der Durchsetzung der Auffassung Schlieffens kombiniert, "mechanische Kriegsführung" zu betreiben. Im Klartext: die Aufmarsch- und Operationsplanung, die Geschwindigkeit ihrer Durchführung wird entscheidend für den Schlachtenverlauf.
Mit Deinen anderen Beiträgen befasse ich mich die Tage näher. Im Moment fehlt die Zeit.
Jedenfalls danke für Deine ausführlichen Antworten.
MfG