Der Shukow/Wassilewski-Plan vom Mai 1941

Passend zum Thema gerade erschienen:

Bogdan Musial - Wikipedia

Was wohl die Diskussionen wieder anheizen wird.
Ob das bei dem Preis für fast 600 Seiten aber mehr ist als eine Zusammenfassung mit Interpretation? Ich werde mal berichten.


Das könnte interessant sein.
Der hat doch dem Hannes Heer seine Wehrmachtsausstellung ziemlich zerpflückt.

Bin ich echt gespannt.
 
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Übrigens:
die "Planspiele" der Sowjets sollte man nüchtern im Kontext zu den "deutschen Gebieten", die 1939/40 aus dem Zusatzprotokoll des Nichtangriffspaktes heraus beider Staaten besetzt wurden, betrachten. Die Sowjets hatten ihre Sowjetunion 1939 ebenso nach Westen ausgedehnt.
Ob eine Besetzung "ursprünglicher" deutscher Gebiete in solchen militärischen Manöver-Planspielen vorkam, lass ich den Experten nachzuforschen.
Noch schmerzhaft nüchterner sollte betrachtet werden, dass keineswegs die sowjetische Armee 1941 die erste Armee auf der Welt war, die Manöver-Planspiele mit echten Grenzen und Territorien durchführte.
 
@Hurvinek: ...dass keineswegs die sowjetische Armee 1941 die erste Armee auf der Welt war, die Manöver-Planspiele mit echten Grenzen und Territorien durchführte.

Nö, das haben die Sumerer schon. Aber die Rote Armee 1939/40 auch nicht zu knapp, frage mal einen Polen oder Finnen.
 
Noch schmerzhaft nüchterner sollte betrachtet werden, dass keineswegs die sowjetische Armee 1941 die erste Armee auf der Welt war, die Manöver-Planspiele mit echten Grenzen und Territorien durchführte.

Die 2 Planspiele zur Jahreswende 1940/41 gingen beide nur von einem deutschen Angriff aus und simulierten seinen vermutlichen Ablauf (bis in die Ukraine, Weißrußland und das Baltikum hinein). Der Shukow-Wassilewski-Plan und sein Vorgänger vom April 1941 werten das mE aus und folgen dem Ergebnis der Planspiele, indem sie einen Präventivschlag in den Aufmarsch vorsehen.
 
Übrigens:
die "Planspiele" der Sowjets sollte man nüchtern im Kontext zu den "deutschen Gebieten", die 1939/40 aus dem Zusatzprotokoll des Nichtangriffspaktes heraus beider Staaten besetzt wurden, betrachten. Die Sowjets hatten ihre Sowjetunion 1939 ebenso nach Westen ausgedehnt.
Ob eine Besetzung "ursprünglicher" deutscher Gebiete in solchen militärischen Manöver-Planspielen vorkam, lass ich den Experten nachzuforschen.
Noch schmerzhaft nüchterner sollte betrachtet werden, dass keineswegs die sowjetische Armee 1941 die erste Armee auf der Welt war, die Manöver-Planspiele mit echten Grenzen und Territorien durchführte.

Nö, das haben die Sumerer schon. Aber die Rote Armee 1939/40 auch nicht zu knapp, frage mal einen Polen oder Finnen.

Warum sollte ich die fragen, wenn ich das bereits im Posting angedeutet habe? (fett)
 
Eigentlich nicht.

Nach der Vorgeschichte des Shukow-Planes taugt er mE nur als Indiz für eine "Präventivkriegsabsicht" der sowjetischen Militärführung bei einem unmittelbar bevorstehenden deutschen Angriff.

Somit ist die Betrachtungsweise genau umgedreht.

Richtig ist, dass der Shukow-Wassilewski-Plan dazu mißbraucht wird, einen (selbständigen, vom deutschen Aufmarsch unabhängigen) Angriffsplan der sowjetischen Seite zu belegen. Das gibt er aber vom Inhalt und von der Entstehungsgeschichte nicht her, weil Kerngedanke der Vorstoß in den fast abgeschlossenen deutschen Aufmarsch (wozu sollte der wohl dienen???) und dem unmittelbar bevorstehenden deutschen Angriff ist.

Der Shukow-Wassilewski-Plan ist kein Angriffsplan für den Fall, dass sich die Wehrmacht mit der Masse in Mitteleuropa fern der Ostgrenze befindet und somit nicht zwischen den beiden "Balkonen" geschlagen werden kann. Das geht klar aus dem Text hervor.


Dafür spricht auch, dass die Sowjetunion eigentlich keinen Grund für einen deutschen Angriff gab und ihre Verpflichtungen peinlich genau einhielt. Noch in den Morgenstunden des 22. Juni 1941 überquerten Waggons mit Getreide und Rohstoffen die Grenze, und wenn man sich Berichte von deutschen Zeitzeugen ansieht, wurden die Rotarmisten vielerorts wirklich völlig überrascht und in Pyjamas gefangengenommen oder kilometerweit von Stukas zusammengebombt.
 
Hallo alle!

Einige Deutsche Offiziere lebte in Vorstellung, dass Rusland komplett modernisierte Rote Armee schon im Jahre 1942. Es ist paradox, dass am 22.Juni 1942 hat Hitler das Krieg auf zwei Fronten begonnen, aber selbst lebte in Erinerungen an Weltkrieg und vor diesem Krieg warnte.

Alles gute Ladislav
 
Kurze Anmerkung als Nachtrag:

Das Buch von Musial (s.o.) bringt nichts zum Shukow-Plan, bzw. wird ihm keine besondere Bedeutung beigemessen. Musial geht nur kurz darauf ein, da er im Ergebnis eine mittelfristige Aggression Stalins als wahrscheinlicher ansieht.
 
säuberung sind ein wichtiger aspekt für die niederlage

Das halte ich für eine Legende der Nachkriegszeit. Die Katastrophe 1941 hatte nullkommanichts mit den Säuberungen zu tun. Allerdings wurden die anfänglichen Niederlagen in den sowjetischen Geschichtswerken der Nachkriegszeit auch damit (fälschlicherweise) erklärt.

Massenweise wurden Offiziere der "Zehntausend" begnadigt, weil in Häftlingslagern und somit 1941 noch "verfügbar". Das Finnland-Desaster der Roten Armee hatte andere Gründe, bis hin zur Unterschätzung des finnischen Widerstandes, die kann man gesondert diskutieren.

doch sie ist sehr wichtig für das verständnis der niederlage der roten armee 1941. die säuberung hat dabei zwei dimensionen für die kampfkraft der roten armee 1941, allerdings mit abnehmender bedeutung in den folgenden kriegsjahren.

a. das system des terrors:
und seine auswirkungen auf die physische und psychische verfassung der soldaten. das system des terrors bewirkte, dass sich die kommandeure selten ohne eigeninitiative zu beginn von barbarossa verhielten. aufgrund des fehlens oder aufgrund der zerstörung der kommunikationsmittel bewirkte es eine "paralisierung" von einheiten und verhinderte koordinierte aktionen.

davon betroffen sind auch die unmitelbare kampfkraft der einzelnen soldaten bzw. der einheiten. also das, was eher die militärsoziologen untersuchen wenn sie die "kameradschaft" oder das "brotherhood" von einheiten ansprechen. also das vertrauen in den anderen soldaten, das füreinander einstehen und für den anderen kämpfen wollen (unabhängig davon dass es auch in der anfangszeit zu "heroischen" widerstandsaktionen (zitadelle von brest etc.) kam). aber insgesamt war es eine atmosphäre des misstrauen (merridale: iwans krieg)

b) die quantitativen auswirkungen:
des terrors auf die zusammensetzung der offizierskader. Folgt man Bonwetsch (Die repression des Militärs und die Einsatzfähigkeit der Roten Armee ... in: "zwei wege nach moskau, S. 404ff) dann waren von der repression ca. 80.000 militärs von 37 bis 41 betroffen.

eine endgültige liquidierung erfolgte wohl deutlich häufiger im bereich der höheren ränge, sodass die "enthauptungstheorie" sich quantitativ durchaus darstellen läßt.

die auswirkungen für die rote armee waren vermutlich verheerend.

1. kontinuität der strategischen theoriebildung: durch die säuberung wurden wichtige vertreten der unterschiedlichen theorieschulen (tuchatschweski vs. swetschin) liquidiert, sodass sich die strategische diskussion in der su seit dem spanischen bürgerkrieg nicht entwickelt hat mit der folge, dass 1941 die operativen kriegsführungskonzepte nicht mehr dem modernen "blitzkireg" angemessen waren.

2. es kam zu einer gravierenden unterbesetzung der kommandeursstellen, sowohl in quantitativer und qualitativer hinsicht (vgl Kirsin: die sowjetischen Streitkräfte am Vorabend des großen.... auch in zwei wege..., S. 389). diesen aspekt beleuchtet d. glantz in seinen bücher stumbling colossus und colossus reborn ebenfalls ausführlich). sehr deutlich kann man die verheerenden auswirkungen auch in der länge der führung von verbänden am vorabend von barbarossa sehen. nicht wenige kommmandeute waren erst seit März 1941 zu den einheiten versetzt worden, mit denen sie in den kreig ziehen sollten.

3. ausbildung auf den unterschiedlichen ebenen: stalin !!! ging im mai 1941 in seiner "berühmenten" rede vor den absolventen auf den zustand der ausbild ein und erklärte ihn für rückständig. auch an diesem punkt kann man die auswirkungen der säuberungen deutlich nachvollziehen. als folge und konsequnz man kann sicherlich mit einer gewissen wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die beherrschung des gerates durch den "durchschnittlichen" rotgardisten eher unterdurchschnittlich war. gerade im bereich des neuen materials, das bei den fronteinheiten einlief, kw- und t34-panzer waren gravierende ausbildungsmängel vorhanden. ähnliches gilt für die neuen flugzeugmuster.

interessant ist dennoch die subjektive einschätzung aus dem kreml, dass die säuberung die kampfkraft der roten armee gestärkt haben soll, wie montefiori und holl (stalin: am hof des roten zaren) berichten. dabei bezieht sich das argument nicht auf die stärkung der militärischen kampfkraft, sondern auf die politische loyalität. diese wurde in großen teilen der armee als offenischtlich nicht ausreichend angesehen.

dieser faktor alleine als erklärung ist sicherlich nicht ausreichend, aber er ist ein wesentlicher faktor, der die verheerende niederlage der roten armee zu beginn von barbarossa erklärt.

im umgekehrten fall ist die frage zu stellen, was eigentlich die hohe kampfkraft der wehrmacht ausgemacht hat. und da sind sicherlich an erster stelle die überragende qualität des offizierschors zu nennen, das liddel hard als das gelungenste produkt militärischer ausbildung bezeichnet hat. eine deutsche armee, mit der qulität des russischen offizierschors ausgestattet, hätte nicht diese militärische effizienz zeigen können, die sie lange zeit ausgezeichnet hat und die die militärischen erfolge erst ermöglichte.
 
spiegelverkehrte Fronten

Kern und Schwäche des Shukow-(Timoschenko-)Planes war die Prämisse aus den negativen Erfahrungen der Kriegsspiele zuvor, nämlich einem unmittelbar bevorstehenden deutschen Angriff nur präventiv begegnen zu können. Das hätte aber die rechtzeitige politische Freigabe des Angriffs unmittelbar vor dem deutschen Angriff erfordert. Zugleich birgt es das Risiko, dass genau diese Entscheidung nicht rechtzeitig erfolgt. In diesem Fall kehrt sich die Absicht des Planes in einen strategischen Fehler und in der Wirkung in sein Gegenteil um: die exponierten Kräfte der Roten Armee geraten selber in die Gefahr, bei einem deutschen Angriff abgeschnitten zu werden. Dieses erfolgte dann auch so in der Realität im Juni 1941.

Es gab ja einen spiegelverkehrten Konflikt zwischen Stalin und seinen Generälen und der Diskussion zwischen Hitler und OKW vs OKH.

Die ursprüngliche Planung aus dem Jahr 1940 (aus dem Kopf jetzt geschrieben, sorry keine präzisen Angaben, folgt aber der Darstellung und Argumentation von D. Glantz: Stumbling Colossus) sah ja eine Dislozierung der Roten Armee mit nördlichem Schwerpunkt Richtung auf der Achse Richtung Minsk vor. Stalin, wohl auch unterstützt durch Schukow, betonte dagegen die Bedeutung der Ukraine und der Donezk-Region.

Mit der Konsequenz, dass es zu einer starken Betonung der Streitkräfte im Kiewer-Militärbezirk in der Aufmarschplanung für 1941 kam. Mit dieser Dislozierung und angesicht der gravierenden infrastrukturellen Probleme (Straßennetzt und Schienennetz) war im Mai 1941 die Anzahl der Optionen des russischen Generalstabs relativ begrenzt, um den erkannten Aufmarsch der Wehrmacht nördlich der Pripet-Sümpfe effektiv begegnen zu können.

Eine umfangreiche Neuausrichtung der 1. Staffel war vermutlich nicht mehr zu leisten. Durch die Landgewinne aufgrund der Aufteilung von Polen fehlte nahezu jegliche militärisch relevante Infrastruktur in den neu gewonnenen Bezirken.

Vor diesem HIntergrund gabe es, entsprechend der vorherrschenden russischen Militärstrategie, 2 Optionen diesem Aufmarsch begegnen zu können.

1. Präventivkrieg: Diese Variante wird im Schukov-Plan beschrieben und hat aus der Sicht der Roten Armee den Vorteil, das sie ihre schwerpunkmäßige Dislozierung im südlichen Bereich als Stärke offensiv ausspielen kann. Am Rande ist es interesan, dass die Rote Armee, im Gegensatz zur Wehrmacht, keine parallele, rivalisierende Planung für Operationen kannte. Vorteil oder Nachteil ?

2. als Defensiv-Offensiv-Variante: In dieser Variante, die dann mit dem Angriff durch die Wehrmacht eigentlich hätte greifen sollen, wäre den Streitkräften der Zentralfront zunächst die Aufgabe zugekommen, hinhaltend zu verteidigen, während die Rote Armee aus dem Kiewer-Bezirk heraus die Offensive in die Flanke der Wehrmacht antritt. Soweit die Theorie.

Beide Varianten basierten im Jahr 1941 sicherlich auf Wunschdenekn In keiner Hinsicht war die Rote Armee in der Lage einen Krieg zu führen (vgl Literatur von Silesias). Diese Einschätzung wurde ja auch im Kreml geteilt. Stalin wies immer wiedre darauf hin, das "Zeit" für die "Rote Armee" ein wichtiges Gut war und dass die Monate Bis August/ September 1941 (Schlammperiode, General Winter etc.) die kritischten waren. Für 1942 erwartete man eine "bedingte Kriegsbereitschaft" für die Rote Armee (Zulauf neuen Materials, Ausbau der Infrastruktur, Reorganisation etc.)

Für mich persönlich stellt sich die Frage, ob dieser Aufmarschplan ein ernstgemeinter Akt eines Verzweifelten gewesen ist, der die Katastrophe kommen sah und die wenigen Trümpfe ausspielen wollte, die er hat, oder ob er diesen Plan Stalin vorgeschlagen hat - er wußte das Stalin ihn ablehen würde - um sich abzusichern und zu immunisieren, er (Schukov) hätte nichts unternommen, die aufziehende Katastrophe zu vermeiden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die ursprüngliche Planung aus dem Jahr 1940 (aus dem Kopf jetzt geschrieben, sorry keine präzisen Angaben, folgt aber der Darstellung und Argumentation von D. Glantz: Stumbling Colossus) sah ja eine Dislozierung der Roten Armee mit nördlichem Schwerpunkt Richtung auf der Achse Richtung Minsk vor. Stalin, wohl auch unterstützt durch Schukow, betonte dagegen die Bedeutung der Ukraine und der Donezk-Region.
Mit der Konsequenz, dass es zu einer starken Betonung der Streitkräfte im Kiewer-Militärbezirk in der Aufmarschplanung für 1941 kam. Mit dieser Dislozierung und angesicht der gravierenden infrastrukturellen Probleme (Straßennetzt und Schienennetz) war im Mai 1941 die Anzahl der Optionen des russischen Generalstabs relativ begrenzt, um den erkannten Aufmarsch der Wehrmacht nördlich der Pripet-Sümpfe effektiv begegnen zu können.

Darin liegt ein interessanter Aspekt.

Den Südschwerpunkt hatte es vor Shukow gegeben - und danach! Wie Du richtig schreibst, hat Stalin auf diese Kräfteverteilung stets Einfluß genommen. Wenn ich das richtig weiß, ist zB bei Gorodetzky zu lesen, dass Stalin stets den Hauptschlag in Richtung Ukraine vermutete (bzw. Hitler unterstellte), wozu es ja nun vor dem Krieg zahlreiche politische Hinweise gab. Stalin prognostizierte damit den wirtschaftsbezogenen Krieg, den Hitler tatsächlich verfolgte.

Am 22.6.1941 standen sich in der Nord-Süd-Achse somit sehr unterschiedliche Kräftezentren gegenüberüber: deutscherseits nördlich der Pripjets mit HG Mitte und Nord gegen etwa gleichstarke Kräfte der Roten Armee (die schnell überwiegend vernichtet wurden - "Westfront"), russischerseits die "Süd"- und vor allem die "Südwestfront" südlich der Pripjets. An den Panzerverteilungen und Mechanisierten Korps ist das ebenfalls deutlich ablesbar (siehe Glantz, The Initial Period of the War und andere).

Die Folgen waren weitreichend: die HG Süd - zurückhängend und gegen die russische Kräftekonzentration kämpfend, die sie zunächst auch nicht (vor August) in Kesselschlachten verwickeln konnte - wurde nun zeitweise zum Sorgenkind des deutschen Generalstabs. Dieses führte dann zu dem Entschluß der Kesselschlacht von Kiew, von Hitler gegen das OKH durchgesetzt. Damit gewann mitten im Feldzug das "wirtschaftliche Argument" bei Hitler die Oberhand, obwohl es aus der Planung zunächst ausgegrenzt worden war. Der eigentliche Zeitgewinn 1941 für die rote Armee wurde somit - zu einem hohen Preis der Vernichtung - von der südlichen Kräftegruppe der Roten Armee errungen. Das waren wichtige 6 Wochen.

Einen Verzweifelungsplan würde ich Shukow nicht zuschreiben: ich gehe davon aus, dass er von den Erfolgsaussichten überzeugt war, wenn er einige Tage vor dem deutschen Angriff in den deutschen Aufmarsch hinein hätte angreifen können. Ob das den Realitäten entsprach, ist eine andere Frage.

Es gäbe noch eine Variante 3 der Strategie der Roten Armee: Schwache Vorwärtsverteidigung, Hauptkräfte von Beginn an hinter der Düna-Dnjepr-Linie, um dort erst die entscheidenden Kämpfe gegen die Wehrmacht anzunehmen und die katasptrohalen Verluste (auch an Panzern im Bewegungskrieg) der ersten Wochen zu vermeiden. Die Variante war natürlich politisch undenkbar.
 
silesia schrieb:
Dieses führte dann zu dem Entschluß der Kesselschlacht von Kiew, von Hitler gegen das OKH durchgesetzt. Damit gewann mitten im Feldzug das "wirtschaftliche Argument" bei Hitler die Oberhand, obwohl es aus der Planung zunächst ausgegrenzt worden war

Das Einschwenken der 4 Panzergruppe (bin mir aus dem Kopf leider nicht sicher) von Minsk kommend in Richtung Kiev würd eich nicht als Paradigmenwechsel sehen in der Schwerpunktverlagerung. Für mein Verständnis war es eine rein militärische Überlegung, den "Sack" hinter Kiew dicht zu machen und in diesem gigantischen Kessel, wichtige Teile der Mech-Chors, die sich noch westlich von Kiew befanden einzuschließen.

Darin kommt eher die ursprüngliche Idee zum Ausddruck, das Gros der Roten Armee im Jahr 1941 vernichten zu wollen.

Nach Anschluss dieser Operation wurden diese Panzerkräfte ja auch wieder nach Norden "gedreht", um Moskau anzugreifen.

Aber es ist sicherlich richtig, dass durch diese Verzögerung, die Mobilisierung der 2. Staffel und ihre Zusammenziehung um Moskau erleichtert wurde.

Andererseits ist aber auch zu sagen, dass aus militärischer Sicht das Eindrehen auf Kiew durchaus plausibel war. Möglicherweise war zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich, man befand sich ja ohnehin hinter dem "Fahrplan", dass der Feldzug mit hohter Wahrscheinlichkeit in einen zweites Kriegsjahr gehen würde.

Unter dieser Perspektive und gerade weil man im folgenden Jahr den Schwerpunkt im Süden wählte, war es notwenig diese wichtigen Teile der Roten Armee zu vernichten. Im vollen Bewußtsein, wichtige Zeit verloren zu haben.

silesia schrieb:
Einen Verzweifelungsplan würde ich Shukow nicht zuschreiben: ich gehe davon aus, dass er von den Erfolgsaussichten überzeugt war, wenn er einige Tage vor dem deutschen Angriff in den deutschen Aufmarsch hinein hätte angreifen können. Ob das den Realitäten entsprach, ist eine andere Frage.
Viellicht war es die beste Variante, aus einem umfangreichen Satz ausgesprochen schlechter Alternativen. Ob ihm das im Jahr 1941 klar war, läßt sich schwer rekonstruieren, aber zumindest retrospektiv hat er die Dislozierung im Juni 41 ja auch verhältnismäßig stark kritisiert in seiner Autobiographie (und hat ja auch gleich dazu gesagt dass Stalin die Verantwortung dafür trägt, zumindest nachdem Stalin tot war)

silesia schrieb:
Es gäbe noch eine Variante 3 der Strategie der Roten Armee: Schwache Vorwärtsverteidigung, Hauptkräfte von Beginn an hinter der Düna-Dnjepr-Linie, um dort erst die entscheidenden Kämpfe gegen die Wehrmacht anzunehmen und die katasptrohalen Verluste (auch an Panzern im Bewegungskrieg) der ersten Wochen zu vermeiden. Die Variante war natürlich politisch undenkbar.
Ja sehe ich auch so. Es wird wohl Stalin das Zitat zugeschrieben:"Durch Verteidigung gewinnt man keine Kriege", und dieses Zitat ist wohl auch der Schlüssel für das Verständnis, warum sich Tchatschweski mit seiner offensiven Konzeption im Rahmen von Panzerarmeen gegenüber von Swetschin durchgesetzt hat, der sich ja, in Anlehnung an Clausewitz, an der strategischen Ermattung orientiert hat.

Wäre die Diskussion in Russland nicht durch die Säuberungen und durch ideologische Vorbehalte behindert worden und wären diese beiden operativen Konzete als gleichberechtigte Optionen in die Planungen des Generalstabs aufgenommen worden, es hätte weniger "Kesselschlachten" im Jahr 1941 gegeben mit allen Konsequenzen für die Rote Armee.
 
Zum Thema Schwerpunkt:

Der militärische Erfolg sollte ja gemäß dem OKH, hier Halder, mit dem Stoß gegen Moskau erreicht werdenund eben nicht auf den Flügeln. Für Halder standen eben ganz die militärischen Aspekte im Vordergrund. Das bedeutete eine Schwerpunktbildung, ganz im Sinne von Clausewitz, in der Mitte und dort mit überlegenen Kräften, insbesondere seien hier die Panzer erwähnt, aber eben nicht der Großangriff auf der kompletten Länge der Front. Halder meinte, das Moskau eben ein wichtiges Industrie- und Rüstungszentrum und der Sitz der sowjetischen Regierung sei. Deshalb würde Stalin den größten Teil seiner Truppen zur Verteidigung von Moskau einsetzten.

Anders eben Hitler: Er formulierte am 18.12.1940, das die Masse des sowjetischen Heeres möglichst weit im Westen geschlagen werden müsse, um den Rückzug in die Weite des Raumes zu verhindern. Deshalb sollte eben ein rasches Vorstoßen auf der ganzen Linie erfolgen. Für den nördlichen Flügel wurde das der baltischen Länder und dann vor allem Leningrad und auch Kronstadt als Ziele genannt und zu diesem Zwecke müssen dann eben aus der Mitte eine nicht ganz unbedeutende Menge bewegliche Einheiten Richtung Norden eindrehen. Ähnliches war dann für den anderen, den südlichen Flügel, vorgesehen. Es wurde aus rüstungswirtschaftlichen Interessen die schnelle Inbesitznahme des Donez-Beckens angestrebt. Noch am 21.August 1941 belehrte Hitler Halder und Brauchitsch darüber, das die Krim und das Donez-Becken das Ziel sei und nicht Moskau, wozu dann auch Kräfte der Heeresgruppe Mitte benötigt würden. Hitler verwässerte ganz klar mit seinen Anordnungen das Schwerpunktprinzip der Pläne und Vorstellungen des Generalstabschefs.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Einschwenken der 4 Panzergruppe (bin mir aus dem Kopf leider nicht sicher) von Minsk kommend in Richtung Kiev würd eich nicht als Paradigmenwechsel sehen in der Schwerpunktverlagerung. Für mein Verständnis war es eine rein militärische Überlegung, den "Sack" hinter Kiew dicht zu machen und in diesem gigantischen Kessel, wichtige Teile der Mech-Chors, die sich noch westlich von Kiew befanden einzuschließen.
Darin kommt eher die ursprüngliche Idee zum Ausddruck, das Gros der Roten Armee im Jahr 1941 vernichten zu wollen.
Nach Anschluss dieser Operation wurden diese Panzerkräfte ja auch wieder nach Norden "gedreht", um Moskau anzugreifen.

Dazu einen Hinweis:

Das Einschwenken ab Ende August 1941 hast du richtig in Erinnerung (Panzergruppe 2 - Guderian - und 2. Armee).

Der Kiewer Kessel enthielt keine bemerkenswerten Bestandteile der Mech.-Korps mehr, weil diese vorwärts Kiew in den Abnutzungsschlachten bereits weitgehend aufgerieben waren. Was in den Listen dort noch als gepanzerte Verbände geführt wurde, waren nur geringfügige Reste. Die 5-6 Armeen im Kiewer Kessel waren zu weiträumigen Operationen mE nicht mehr fähig.


Um den Zeitverlust zu würdigen, sollte man die Bedeutung der folgenden Kesselschlachten vor Moskau Anfang Oktober 1941 bedenken (Wjasma-Brjansk), die aus Frontverläufen gestartet wurden, die mehr oder weniger seit August 1941 bestanden. Diese 2 Monate sind der Südeindrehung "hinter den Pripjets" geschuldet.

Ein weiterer Frontalangriff (Kiew und Dnjepr-Linie) und die bereits eingeleitete Südumfassung aus den Dnjepr-Brückenköpfen (Panzergruppe 1) hatte die sowjetische Südfront mE weitgehend gebunden.
 
Es bestand ja schon, nach dem Durchbruch bei Zitomir-Berdicev, im Juli die Gelegenheit Kiew zu nehmen. Das Thema der Pripjetsümpfe wäre damit mehr oder weniger erledigt gewesen. Aber Hitler, entgegen den Vorstellungen von Rundstedt und Sodenstern, sprach sich gegen den Ansatz gegen Kiew und Belaja Cerkov aus. Gut, es ist natürlich die Frage, ob tatsächlich ausreichend Truppenverbände zur Verfügung standen und wie die Lage hinsichtliche Wetter und Wege sich gestalten würde, aber hätte man das Risiko vorallem unter dem großen Ziel, die Sowjetunion in der Feldzugsaison 41noch zu besiegen, dann nicht eingehen müssen?


Und als man dann später endlich auf Moskau vorstoßen "durfte", waren nicht einmal die grundlegenden Voraussetzungen dafür erfüllt. Die Versorgungslage der Truppe kann nicht unbedingt als optimal bezeichnet werden und sie besserte sich auch nicht. Ganz im Gegenteil.

Die Heeresgruppe Mitte konnte nur noch mit 73 abgekämpften Divisionen antreten und mit dem personellen Ersaz stand es nicht eben zum Besten. Seit Beginn der militärischen Operationen gegen die Sowjetunion hat die Heeresgruppe Mitte personelle Verluste von über 300.000 Mann erlitten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Inzwischen haben wir uns etwas vom Thema entfernt, aber die Frage "zuerst Moskau oder Kiew" - entschieden am 21.8.1941 durch schriftliche Anweisung Hitlers an das OKH - ist interessant.


Per PN wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Südgruppierung zwischen Kiew und Dnjepropetrowsk im August/September 1941 eine Bedrohung für die Heeresgruppe Mitte darstellen konnte (wenn man gewissermaßen den Vorstoß auf Moskau mit den Kesselschlachten von Wjasma/Brjansk 6 Wochen "vorziehen" würde).

Die Frage: ist das der Fall?
Dazu wäre der Zustand der Brjansker Front, der Südwestfront und der Südfront ende August 1941 abzuschätzen. Ich suche dazu mal einige Daten heraus.
 
Rote Armee war fast schon geschlagen

Bei Guderian (Erinnerungen, S. 173) findet sich ein Hinweis auf die Notwendigkeit der Bereinigung der „tiefen, rechten Flanke“ bei Kritschew.

Diese taktische Massnahme wurde dann durch den Befehl von Hitler vom 21.08.41 in die strategische Tiefe, östlich von Kiew Richtung Donezk-Becken und Rostow mit weiterer Perspektive Richtung Kaukass modifiziert (ursprünglicher OKW-Ansatz).

Zur Verfügung hatte die Panzergruppe 2 für diesen Stoss nach Süden ca. 1000 einsatzfähige Panzer.

Die militärische Zielsetzung zielte darauf ab, den sehr starken südlichen Frontabschnitt der Roten Armee bzw. die noch vorhandenen Fragmente der Roten Armee endgültig zu zerstören.

Bereits im Vorfeld waren die 18., die 12 und die 6 Armee in einem großen Kessel zwischen Winniza und Gaisin (nördlich von Odessa) am Bug eingeschlossen und zerstört worden.

Am Vorabend für den gigantischen Kessel von Kiev war die Kampffähigkeit der schlagkräftigsten Einheiten, der Mech-Korps bereits dramatisch gesunken und sie standen als kampfkräftige Einheiten für operative Aufgaben nicht mehr zur Verfügung (vgl, Table 8.6)
moz-screenshot.jpg


Table 8.6. Combat Strength of Southwestern Front Mechanized Force, 15 July 1941 (relevante MC mit Richtung auf Kiew)
Formation Manpower Tanks Guns Vehicles
9th Mechanized Corps 721 38 0 70
20th Tank Division 5,633 1 8 260
35th Tank Division 961 24 23 116
131st Mech.Corsp 4,283 12 27 349
19th Mech. Corps 315 0 0 40
40th Tank Division 2,040 30 0 99
43d Tank Division 2,625 52 17 342
22d Mech. Corps 1,122 0 1 79
19th Tank Division 3,518 3 23 273
41st Tank Division 4,826 28 32 407
215th Mech. Division 5,118 0 19 208
4th Mech. Corps 1,845 2 12 104
8th Tank Division 1,306 29 11 137
32d Tank Division 736 7 18 32
81st Mech Division 3,287 13 33 344
15th Mechanized Corps unknown unknown unknown unknown
10th Tank Division 342 6 0 30
37th Tank Division 0 0 0 0
212th Mechanized Division 0 0 0 0
16th Mechanized Corps unknown unknown unknown unknown
15th Tank Division 2,066 87 35 162
39th Tank Division unknown unknown unknown unknown
240th Mech. Corps 9,847 13 41 381
24th Mechanized Corps unknown unknown unknown unknown
44th Tank Division (18th Mechanized Corps) 1,797 125 20 139
Source: "Svedeniia shtaba iugo-zapadnogo fronta o boevom i chislennom sostave soedinenii i otdel'nykhchastei fronta po sostoianiiu na 15.7.41 g." [Information from Southwestern Front headquarters about the
combat and numerical strength offront formations and separate units on 15.7.41], SBDVOV 38 (1959),35-36.
Quelle: D.Glatz: Stumbling Colossus, S.232

Der Kessel von Kiew wurde militärisch ein großer Erfolg für die Wehrmacht und die Rote Armee verlor ca. 520.000 Soldaten durch die Einkesselung der 37, 5, 21 und 26 Armee.

Dass sich die Rote Armee nach diesen verheerenden Niederlagen im Süden überhaupt wieder stabilisieren konnte, ist vermutlich nur durch die dramatische Überdehnung der Wehrmacht angesicht der Operationn Richtung Kaukasus noch zu erklären.

In diesem Zusammenhang wird nicht selten die These vertreten, dass durch den Zeitverlust, (die Panzergruppe 2 mußte zusätzlich ca. 2x400 km zurücklegen) der finale Ansatz der Wehrmacht auf Moskau entscheidend verzögert worden ist.

Glatz widerspricht dieser Vermutung und führt an, dass erst die Abnutzung der „frischen Kräfte“ der Roten Armee vor Moskau den deutschen Einheiten die Möglichkeit eröffnete, auf Moskau Ende 41 noch vorzustoßen.

Ob die Südfront bzw. die Südwestfront vor diesem Hintergrund, vor dem Eindrehen der Panzergruppe 2, noch zu einer Gefährdung von HG Mitte fähig war,ist sicherlich auch eine spannende Frage.

Offtopic.: Im Zusammenhang mit diesem Thread wurde Guderian ziert, dass sich Hitler überrascht gezeigt hat, über die Zahl die Guderian in "Achtun Panzer" (~10.000 im Buch berichtet, obwohl Guderian aufgrund sener Quellen eigentlich von ca. 17.000 Einheiten wußte).

Dieses scheint sich auch in den Berichten von Fremde Heere Ost etc. darstellen zu lassen, die (laut Glantz: Stumbling Colossus), die die Anzahl der Panzer noch bis kurz vor Juni 41 unterschätzt haben und auch die Umbildung der Panzerbrigaden in Mech Korps nicht richtig beoachtet haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
d
interessant ist dennoch die subjektive einschätzung aus dem kreml, dass die säuberung die kampfkraft der roten armee gestärkt haben soll, wie montefiori und holl (stalin: am hof des roten zaren) berichten. dabei bezieht sich das argument nicht auf die stärkung der militärischen kampfkraft, sondern auf die politische loyalität. diese wurde in großen teilen der armee als offenischtlich nicht ausreichend angesehen.

dieser faktor alleine als erklärung ist sicherlich nicht ausreichend, aber er ist ein wesentlicher faktor, der die verheerende niederlage der roten armee zu beginn von barbarossa erklärt.

Aus der Sicht Stalins war jedoch politische Loyalität der Kristallisationspunkt-anders ist das nicht nachzuvollziehen.

So wie ich es sehe , gab es ein gewisses Elitedenken der Kommandeure ,
die aus dem Bürgerkrieg in die Rote Armee überdauerten.
Trugen da viele die Nase zu hoch und es gab Konkurrenzsituationen
mit den nachziehenden Kadern von den Akademien ?
Damaliges mobbing durch Denunziationen ?

Stalin förderte in den 30ern die Militarisierung und Technisierung - die Rote Armee kämpfte aus ihrer Sicht erfolgreich in Spanien und verpasste den
Japanern in der Mongolei blutige Nasen.
Es hagelte Orden und Beförderungen ....

Dann kam der Einbruch im Finnischen Winterkrieg - kann es sein , das
Stalin sich jetzt verraten vorkam ? Das er nochmals die Zügel anzog ?
Ich weiss nicht , ab wann die Kommissare Vetorechte zu Kommandeurs-
befehlen erhielten , aber das kann damit zusammenhängen.
 
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