Der Shukow/Wassilewski-Plan vom Mai 1941

Glatz widerspricht dieser Vermutung und führt an, dass erst die Abnutzung der „frischen Kräfte“ der Roten Armee vor Moskau den deutschen Einheiten die Möglichkeit eröffnete, auf Moskau Ende 41 noch vorzustoßen.
Ob die Südfront bzw. die Südwestfront vor diesem Hintergrund, vor dem Eindrehen der Panzergruppe 2, noch zu einer Gefährdung von HG Mitte fähig war,ist sicherlich auch eine spannende Frage.

Um den Gedanken aufzugreifen:

Die Kesselschlacht von Kiew (auf Hitlers Eingriff zurückzuführen) erfuhr 1941 eine beachtliche propagandistische Aufpeitschung und ist als "Schlagwort" - jedenfalls bis DRZW 4 Mitte der 80er - weit mehr präsent als die die Doppelschlacht von Wjasma und Brjansk vom Oktober 1941. Letztere war Beginn und unmittelbare Voraussetzung für den Vormarsch auf Moskau. Nur am Rande ist interessant, dass der "TAIFUN" schließlich nicht den direkten Stoß auf Moskau wählte, sondern ebenfalls als weiträumige Umfassung angesetzt war.

Aber diese "Gewichtung" muss nicht weiter verfolgt werden. Entscheidend ist tatsächlich, welches operative Gewicht die Südwest- und Brjansker Front im August 1941 tatsächlich entfaltet hat. Dafür ist deren Zustand entscheidend. Zieht man als erstes die Wehrmachts-Siegesfanfaren heran, scheinen beide Kesselschlachten gleichgewichtig: es werden um die 600-700.000 Gefangene gemeldet, dazu jeweils fast 1000 zerstörte Panzer.


Ansatz: die Panzerzahlen (als Maßstab für die Gewichtung der sowjetischen "Fronten" im September 1941). Danach sind Zweifel an den Wehrmachtsberichten angebracht. @thanepower hat bereits die Zahlen von Mitte Juli dargestellt, die erhebliche Verluste der Panzertruppen gegenüber der Heeresgruppe Süd widerspiegeln (Basis Glantz, Stumbling Colossus). Gleiches ergeben die Zahlen vom 2.7.1941 (Stärkemeldungen der sowjetischen Mechanisierten Korps von Süd- und Südwestfront: nur noch zwischen 10-40% der Ausgangsstärke vom 22.6.1941). Diese Überlegung wird durch die Aufstellung der materiellen Verluste bei Krivosheev gestützt:
Kiev Defensive Operation (7.7. - 26.9.1941): 411 Panzer.

Die Zahl weicht erheblich von den deutschen Meldungen ab, die vermutlich die Brjansker Front mit einbeziehen. Das erklärt die Differenz aber nur zum Teil. Die entscheidende Relativierung erfährt die Angabe aber durch die folgende Verlustmeldung:
Moscow Defensive Operation (30.9.-5.12.1941): 2.785 Panzer.

Zum Vergleich
Baltische Verteidigungskämpfe 1941: 3.561 Panzer
Weißrußland 1941: 4.799 Panzer
Westukraine 1941: 4.381 Panzer
Leningrad 7-9/1941: 1.492 Panzer

Die Schlußfolgerung: bei den Kräftegruppen nördlich Kiew, Brückenkopf Kiew, Dnjepr-Linie handelte es sich überwiegend um Infanterieeinheiten ohne große Beweglichkeit. Die motorisierten und die Panzerverbände waren in diesen Bereichen durch die Grenzschlachten in der Westukraine sowie nach der Kesselschlacht Uman weitgehend ausgebrannt. Operative Bewegungen in die Tiefe (damit auch in den Rücken der Heeresgruppe Mitte) waren diesen Verbänden nicht mehr möglich. Zudem bestand eine frontale Fesselung durch die deutsche Heeresgruppe Süd.
(Zahlen nach Krivosheev: Soviet Casulaties and Combat Losses in the 20th Century)

These: Die Kiewer Kesselschlacht richtete sich gegen eine weitgehend immobile Truppe, allerdings noch stark an Geschützausstattung. Die rüstungswirtschaftlichen Ziele waren entscheidend; andere Argumente wurden zur Durchsetzung bei der Generalität vorgeschoben, u.a. die angekündigte Kräfteverlagerung zur Heeresgruppe Mitte.

Dazu ergänzend: die Anweisungen an die HG Süd von Anfang September 1941 führten zu den früheren Argumenten für die Richtung Kiew nun Folgendes auf: die Abgabe von Panzer- und motorisierten Verbänden an die HG Mitte zum Angriff auf Moskau. Frühere Anweisungen berücksichtigten nur die starke Kräftegruppe am Dnjepr (Kiew etc.), sowie die rüstungswirtschaftlichen Erwägungen: Stoß in das Donezk-Gebiet, Charkow, sowie Abschneiden der sowjetischen Ölzufuhr (!)
Klapdor: Der Ostfeldzug 1941 - eine vorprogrammierte Niederlage? Die Panzergruppe 1 zwischen Bug und Don, ab S. 358.
 
Als Nachtrag, aufgrund einer Diskussion per PN, hier der Hitler-Befehl vom 21.8.1941 im Wortlaut (dem ein Memorandum des OKH vorausging):

"Der Vorschlag des Heeres für die Fortführung der Operationen im Osten vom 18. August 1941 [Anm: das Tauziehen dauerte tatsächlich rd. 4 Wochen in diesem Streit] stimmt mit meinen Absichten nicht überein. Ich befehle folgendes:

1. Das wichtigste, noch vor Einbruch des Winters zu erreichende Ziel ist nicht die Einnahme von Moskau, sondern die Wegnahme der Krim, des Industrie- und Kohlebgebiets am Donez und die Abschnürung der russischen Ölzufuhr aus dem Kaukasus [meint also: Wolga-Stalingrad-Astrachan!], im Norden die Abschnürung Leningrads [Anm: deshalb gleichzeitig Wegnahme von Teilen der PzGr.3 von HG Mitte und Verlegung zur HG Nord] und die Vereinigung mit den Finnen.
...
3. Von der Heeresgruppe Mitte sind hierzu ohne Rücksicht auf spätere Operationen soviel Kräfte anzusetzen, dass das Ziel, Vernichtung der 5. russischen Armee [Anm: stellvertretend genannt für die Südwestfront um Kiew], erreicht wird und die Heeresgruppe dabei in der Lage bleibt, feindliche Angriffe gegen die Mitte ihrer Front in kräftesparenden Stellungen [Anm: dieses bedeutete die Räumung des Jelnja-Bogens] abzuwehren."

Damit war der Streit erledigt.


auch bei KTB-OKW zum August 1941, abgedruckt mW in Anlage.


EDIT: per PN:
"Weisung Nr: 34 vom 12.08.41
"..Erst nach völligem Beseitigen dieser Flankenbedrohungen und nach Auffrischung der Panzergruppen wird die Vorraussetzung geschaffen sein, in breiter Front und unter staffelung in beiden Flanken den Angriff gegen die starken feindlichen Kräfte, die zum Schutze Moskaus versammelt sind, fortzuführen.... Vor Beginn dieses Angriffs in Richtung Moskau müssen die Operationen gegen Leningrad abgeschlossen sein und die von der Luftflotte 2 zur Luftflotte 1 abgegebenen Fliegereinheiten wieder zur Verfügung der Luftflotte 2 stehen"

Diese Weisung wurde mit dem oben angesprochenen Memorandum des OKH vom 18.8.1941 "beantwortet". Darauf erging der oben wiedergegebene Befehl.
 
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starke erschöpfung der panzerkräfte

Die Dimensionen der Abnutzung von technischem Gerät ist sicherlich im Vorfeld von Barbarossa unterschätzt worden. Polen und der Westfeldzug hatten bereits gezeigt, wie hoch der Wartungs- und der Instandsetzungsbedarf von mechanisierten Streitkräften ist.

Deswegen auch noch mal hier, beogen auf den Ansatz auf Moskau 41 die Zahlen für die verfügbaren Panzer der Wehrmacht.

41 Verluste Ist
Juni 118 3530
July 732 2889
Aug 638 2262
Sept 257 2044
Oct 337 2030
Nov 382 2177

Wenn man bedenkt, dass als Ergebnis des Vergleichs von Verlust- bzw. Ausfallstatistiken das Verhältnis von 1 zu 7 von deutschen zu russichen Panzer angegeben wird, dann wird auch ersichtlich in welch dramatischen Dimensionen nicht nur die Wehrmacht geschwächt war am Ende von 41, sondern auch in welch kritischen Zusatnd die Rote Armee sich befand.

Das deutliche Absenken des Panzerbestands zeigt aber auch, dass der Blitzkrieg auch immer ein Mangel an Ersatzteilen darstellte.

Für die Statistik sah es sichrlich imposante aus, neue Panzerdivisionen auszurüsten, anstatt die Ersatzteile den aktiven Divisionen zur Verfügung zu stellen.

Obwohl Transportkapazität extrem begrenzt war, hat es wohl teilweise dazu geführt, dass Panzer in die Heimatwerke zurückgeführt wurden, waeil die Ausrüstung der eigentlich sehr professionellen Instandsetzungseinheiten der Wehrmacht, keine Ersatzteile besassen.

Es war ein "Vabanque-Spiel" von Anfang an.
 
rationalität oder verzweiflung

Der Plan sah vor, aus den für einen Präventivschlag günstigen Balkonen von Bialystock und Lemberg mit motorisierten Kräften vorzustoßen. Dafür wurden hier Truppen versammelt und die logistischen Vorbereitungen getroffen. Objektiv hätte der Zustand der motorisierten Kräfte der Roten Armee zu diesem Zeitpunkt maximal Operationen von 200-300 km Tiefe zugelassen, was sich allerdings kaum in der Papierlage von damals widerspiegelte, sondern sich vielmehr an den späteren realen Abläufen ersehen ließ. Die damit verbundene Grundstrategie berücksichtigte (insofern konsequent) die sowjetische Anschauung von der sog. „tiefen Operation“ mit beweglichen Kräften. Die Situation hatte sich dabei für die sowjetische Seite militärisch zugespitzt, so dass Stalin eine Teilmobilisierung (ca. 1 Mio. Mann) und den Aufmarsch der Zweiten Strategischen Staffel im Hinterland genehmigte. In der Phase entstand die Shukow-Wassilewski-Planung vor dem 15.5.1941, die dem realisierten Aufmarsch der Roten Armee am 22.6.1941 weitgehend entsprach. Deswegen kann offen bleiben, ob Stalin den Plan tatsächlich abgezeichnet hat.

Kern und Schwäche des Shukow-(Timoschenko-)Planes war die Prämisse aus den negativen Erfahrungen der Kriegsspiele zuvor, nämlich einem unmittelbar bevorstehenden deutschen Angriff nur präventiv begegnen zu können. Das hätte aber die rechtzeitige politische Freigabe des Angriffs unmittelbar vor dem deutschen Angriff erfordert. Zugleich birgt es das Risiko, dass genau diese Entscheidung nicht rechtzeitig erfolgt. In diesem Fall kehrt sich die Absicht des Planes in einen strategischen Fehler und in der Wirkung in sein Gegenteil um: die exponierten Kräfte der Roten Armee geraten selber in die Gefahr, bei einem deutschen Angriff abgeschnitten zu werden. Dieses erfolgte dann auch so in der Realität im Juni 1941.


Die SU war frühzeitig informiert worden über den deutschen Angriff. Die Planungen der militärischen Spitze müssen und sollten vor dem Hintergrund der Kenntis des Angriffs bewertet werden.

Kenntnisstand
- Messerschmidt in Pietrow –Ennker (Hrsg): Die militärischen Vorbereitungen der SU erfolgten in Kenntnis des beabsichtigen Termins des Angriffs auf die SU durch das DR. Wenngleich sich eine starke Ambivalenz in der Bewertung der Glaubwürdigkeit der Informationen, insbeosnere durch Stalin darstellen läßt.

- Hillgruber (2. Weltkrieg): Der Flug von Hess nach England hat bei Stalin die vorhandene Angst verstärkt, dass es zu einem separaten Frieden zwischen England und dem DR kommen könnte und die SU international isoliert und der Gefahr eines Mehrfrontenkriegs aussetzt.

- Hill (The Great Patriotic War of the Soviet Union, 1941-45, 2009, S. 28) in Anlehnung an Gorodetsky: 1. Die SU hat sich im Jahr 1941 auf den Krieg mit dem DR vorbereitet. 2. mit der Rede von Stalin (05.0541) wird eine ideologische Zäsur angenommen, die auf einen verstärkten Konfrontationskurs gegenüber dem DR hindeutet 3. In der direkten Folge dieser ideologischen Neuausrichtung durch Stalin gab Überlegungen (Planung vom 15.5.41 Shukov/Wassiliewski-Plan) für einen Präventivkrieg in den Aufmarsch der Wehrmacht. 3. ab

- Bonwetsch in Pietrow –Ennker (Hrsg): Er referiert die Ergebnisse der bisherigen „Präventivkriegsthese“ und hält am ehesten die Interpreation der russischen Historiker für akzeptabel. Er kommt zu folgendem Ergebnis 1. Es bleibt nach wie vor unklar, was Stalin wirklich beabsichtigte 2. Sollten die Planung für einen Präventivkrieg im Jahr 1941 überhaupt einen substantiellen Kern beinhalten, dann wäre der 10.Juli der plausibelsten Zeitpunkt gewesen. 2. Das Zögern von Stalin wird vermutlich durch seinen Wunsch bestimmt, den Konflikt unter optimaleren Voraussetzungen im Jahr 1942 zu zu planen und eventuell durchzuführen.

Was spricht für die Plausibiltät einer ernsthaften Planung eines Präventivkrieges im Jahr 1941:
- nachrichtendienstliche Erkenntnis: Der Zeitpunkt 10. Juli ist plausibel vor dem Hintergrund der russischen Mobilisierungsplanung MP41. Nicht plausibel ist er vor dem Hintergrund der nachrichtendienstlichen Erkenntnis, die allesamt auf einen Zeitpunkt des Angriffs durch die Wehrmacht im Juni hingedeutet haben. (vgl. Bezymenskij in Überschär/ Bezymenskij: Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941, S. 199ff). Es erscheint unverständlich, dass die Planungen für einen „Präventivkrieges“ auf einen Termin gelegt wurden, der nach dem zu erwarteten Angriff durch die Wehrmacht liegt.

- innenpolitische Gründe: Es gab keine innenpolitische Notwendigkeit im Jahr 1941, einen Präventivkrieg zu initieren.

- außenpolitische Gründe: Russland war relativ isoliert durch die Annäherung an das DR, wenngleich die GB und USA versuchten , die Beziehungen zu verbessern. Für Stalin deutete sich durch den Flug von Hess nach Englang die akute Gefahr einer Verständigung zwischen GB und DR an. Mit verheerenden Konsequenzen für die internationale Isolation der SU. Vor diesem völlig undurchsichtigen inernationalen Kontext wäre es für Stalin sehr gefährlich gewesen, einen Präventivkrieg gegen das DR zu initieren.

- militärische Gründe: Vor dem Hintergund der militärischen „Kriegsspiele“ schienen die offensiveren Varianten gegen das DR die erfolgversprechenden Varianten zu sein. Vor diesem Hintergrund sprach die militärische Logik durchaus für einen präventiven Angriff in den fast abgeschlossenen Aufmarsch der Wehrmacht.

Im Gegensatz dazu standen die Einschätzungen der Leistungsfähigkeit der Roten Armee durch Stalin und durch führende Generäle. Man war sich der Schwäche der Armee durchaus bewusst, wenngleich die Dimensionen des Versagens, wie es deutlich wurde nach dem deutschen Angriff, durch die Führung vermutlich dramtisch unterschätzt wurden.

Für mich persönlich deuten die Fakten auf mehrere Aspekte hin:

  • Eine unsinnige Überbetonung des „Angriffs“ im Rahmen der „Tiefenoperationen“ wie sie in der russischen Militärstrategie ihren Niederschlag findet und wie sie in der Persönlichkeit des „Feldherren“ „Stalin“ ad Personam ihren Ausdruck findet.
  • Eine völlige Unterschätzung der Möglichkeit, den Angriff der Wehrmacht durch eine defensiv angelegte „Ermattungs-Strategie“ kontern zu können. Eine Option, deren Nichtberücksichtigung rückwirkend auch von Shukow als Fehler eingestuft wurde.
  • So hat der russische Generalstab eine „Für-alle-Fälle“-(Mannstein) Dislozierung gewählt, die strategiekonform war, aber die Geschwindigkeit eines „Blitzkrieges“ noch nicht vollständig erfasst hatte.

So bleibt unter dem Strich ein Plan für einen „Präventivkrieg“, von dem man weiterhin nicht genau sagen kann, ob er über das Planungsstadion hinausgelangt ist. Und, aber das bewegt sich völlig im Bereich der Spekulation, welche möglicherweise verheerenden Auswirkungen der Präventivkrieg der SU gegen die Wehrmacht für die Rote Armee gehabt hätte. Dass die Rote Armee im Jahr 1941 zu keinen koordinierten Aktionen fähig war, belegen genügend erfolglose Gegenangriffe auf die Wehrmacht im Rahmen der „Grenzschlachten“ und größeren Schlachten bis „Moskau 41/42“.
 
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- Bonwetsch in Pietrow –Ennker (Hrsg): Er referiert die Ergebnisse der bisherigen „Präventivkriegsthese“ und hält am ehesten die Interpreation der russischen Historiker für akzeptabel. Er kommt zu folgendem Ergebnis 1. Es bleibt nach wie vor unklar, was Stalin wirklich beabsichtigte

Für Bonwetschs Ergebnis über Stalin muss man kein Prophet oder Wissenschaftler sein. Stalin wechselte seine Meinung zu allen Lebensbereichen mehrmals am Tag.
 
Die Planungen vom 15.05.41 stehen in enger Verbindung mit der These, dass sie der Ausdruck des Willens von Stalin waren, das DR anzugreifen. Eine Reihe von Autoren haben mehr oder minder gute Argumente vorgebracht, die diese These unterstützen sollen.

Für mich persönlich bleiben immer wieder die gleichen offenen Fragen, wenn man die Plausibilität der Argumente geprüft hat.

1. Warum hat Stalin, und in der Folge seine wichtigsten Generäle (Schukov in seinen "Erinnerungen" und auch in den Interviews nach dem 2WW und auch nach dem Ableben von Stalin, als "Stalin-Bashing" durch Marschälle in Mode kam), darauf beharrt, dass es sich 1941 um einen Verteidigungskrieg handelt. Völkerrechtlich und moralisch wäre es - auch nachträglich nach 1945, nicht schwierig gewesen, einen Präventivkrieg der Roten Armee in die Aufstellung der Wehrmacht zu rechtfertigen. Die Welt hätte genickt und den Präventivkrieg, angesichts der Planungen für Barbarrossa für akzeptabel gehalten.

2. Insbesonder von Gorkov (z.B. in Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?) wird mit Vehemenz darauf hin gewisen, dass es bis zum heutigen Tage nicht gelungen ist, neben den Planungen vom 15.05.41, weitere Dokumente zu finden, die den Weg von der strategischen Planung in die Umsetzung dokumentieren. Und Armen bewegen sich nicht von selber und auch nicht ohne die notwendige logistische und operative Koordination. Weder logistische Anweisungen noch operative Planung für die Zusammenarbeit zwischen der Roten Armee und der Roten Luftwaffe sind verfügbar, um den Angriff zu belegen.

Wenn also der 11.07.41 als der wahrscheinlich Zeitpunkt für den Angriff der Roten Armee gilt, dann hätten die Planungen für den Angriff um den 22.06.41 bereits angelaufen sein müssen. Waren sie aber nicht und das kann man wohl definitiv aufgrund nicht vorhandener Dokumente darstellen.

Diese Aspekte führen aus meiner Sicht immer wieder dazu, den Schukov/Wassilewski/Timoshenkow-Plan als eine "generalstabsmäßge Planung" zu klassifizieren, die in der Tradtion der Kriegspiele seit Ende 1940 unterschiedliche Optionen durchspielt.

Eine Planung, die für Stalin keine umsetzbare Option darstellte, da die enormen Risiken eines Krieges für das Jahr 1941 für Stalin zu schwer zu kalkulieren waren.
 
Warum hat Stalin, und in der Folge seine wichtigsten Generäle (Schukov in seinen "Erinnerungen" und auch in den Interviews nach dem 2WW und auch nach dem Ableben von Stalin, als "Stalin-Bashing" durch Marschälle in Mode kam), darauf beharrt, dass es sich 1941 um einen Verteidigungskrieg handelt.
Auch nach Stalin war die offizielle Staatsideologie im Ostblock: Die Sowjetunion ist der Hort des Friedens.
Ungeachtet der Praxis (Ungarn 1956, CSSR 1968, Afghanistan 1979). Deshalb gab es keinen Grund, die Opferrolle von 1941 zu revidieren, zumal man so die peinlichen militärischen Pleiten in den ersten Kriegsmonaten erklären konnte.Es kostete schon genug Verrenkungen, den Einmarsch nach Polen 1939 in den Geschichtswerken zu begründen, Finnland "vergaß" man dabei lieber gleich ganz.
Die Sowjetunion hatte Jahrzehnte Zeit ihre Archive zu bereinigen und wird es getan haben. Womöglich wird die ganze Wahrheit nie ans Licht kommen.
 
Nein sorry, das ist mir etwas zu sehr über den "ideologischen Leisten" geschlagen und hat etwas zuviel mit Verschwörungstheorie zu tun.

Es ist ein sehr beliebtes "Spielchen", ein Argument anzuführen - z.B. Polen oder Finnland - und es via Plausibiltät auf andere Bereiche - Präventivkriegstheorie - auszudehnen, für die man sonst keine Evidenz erzielen kann.

Obwohl das Argument, die hätten ihre Archive gesäubert, bisher so noch nicht in der Diskussion ist, aber wer weiss, vielleicht greift es ja mal jemand auf.

Auf diesem Niveau kann man nahezu alles behaupten, da im Zweifel, die Dokumente ja bewußt vernichtet worden sind. Diese Argumentation hört sich ja auch interessanter an, wie einfach zu sagen, es wurden bisher, trotz intensiver Suche, keine gefunden.

Und noch mal inhaltlich: Es wäre retrospektiv problemlos möglich gewesen, nachdem der Umfang von Barbarrossa dokumentiert wurde, in der UdSSR zu einer potentiellen Planung auch offiziell zu stehen, dass man einen Präventivkrieg auf die erkannten deutschen Formationen geplant und vielleicht auch vorbereitet hat.

Ein Eingeständnis, dass es diese Plnungen gegeben hat, hätte die Erklärung der Dislozierung in den Frontbögen noch erleichert und gleichfalls die Geschwindigkeit des Zusammenbruchs. Das Argument ist also nicht plausibel.
 
@thanepower, das war nicht ideologisch gemeint.
Aber: Das Fehlen eines Beweises für eine Sache ist kein Beweis für das Fehlen einer
Sache!
Ich persönlich habe jedenfalls so meine Zweifel, ob Stalin wirklich so ahnungslos und überrascht war, von eigenen Ambitionen mal ganz abgesehen. Was sollten sonst diese Truppenmassen im damaligen Grenzvorsprung bei Bialostok? Bei Defensivabsichten stellt man die doch nicht "ins Schaufenster", sondern nutzt die Tiefe des Raumes...
 
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Was sollten sonst diese Truppenmassen im damaligen Grenzvorsprung bei Bialostok? Bei Defensivabsichten stellt man die doch nicht "ins Schaufenster", sondern nutzt die Tiefe des Raumes...


Hallo bb,

dazu eine Ergänzung bzw. einige Überlegungen:

- die Bialystock- und Lemberg-Blöcke entsprechen iW dem Shukow-Plan.

- dieser Plan kann defensiv verstanden werden, wenn man den Präventivschlag in den feststehend erkannten Angriff akzeptiert. Das Problem ist eben in der Literatur, dass hier unbewiesen darüber hinaus interpretiert wird.

- die Überlegungen offensiv/defensiv für den Fall einer bereits bestehenden Frontlinie würde ich als nicht übertragbar für den Zeitraum vor dem Kriegsausbruch ansehen. Schaut man sich die MechKorps als Kern an, waren diese durchaus zwischen 50 und 300 km hinter der Grenze plaziert. Das erwies sich angesichts der deutschen Operationen als zu gering.

- was ist eigentlich die militärische Alternative zur Shukow-Planung? - Rückzug hinter Düna-Dnjepr bereits in der Aufstellung Mai 1941? Wenn das für Stalin unvorstellbar war (und nach den Planspielen 1940/41 an sich auch nicht nahegelegt wurde), was dann?

- es gibt weitere Kriterien, die eine anlaßlose sowjetische Offensive ("Angriffskrieg") eher unwahrscheinlich werden läßt: die technische Ausrüstung und das technische Personal betr. MechKorps war aus Gründen der kurzfristigen Aufstellung überwiegend nicht oder nur vernachlässigbar vorhanden, was sich auch in der Realität bei erzwungenen Bewegungen sofort verheerend auswirkte.


Ich halte den Shukow-Plan eher für einen Verzweifelungsansatz, sofern er die deutschen Möglichkeiten - die ja in Frankreich etc. umfassend beobachtet und ausgewertet wurden, inkl. Umstrukturierungen in der RA -halbwegs realistisch eingeschätzt hat.
 
@Silesia: Ich halte den Shukow-Plan eher für einen Verzweifelungsansatz, sofern er die deutschen Möglichkeiten - die ja in Frankreich etc. umfassend beobachtet und ausgewertet wurden, inkl. Umstrukturierungen in der RA -halbwegs realistisch eingeschätzt hat.
Ich stimme dir da zu. Spätestens nach dem Finnlandkrieg muss Stalin einfach begriffen haben, dass er nur "kleinere Brötchen" backen kann. Oder war er wirklich "besoffen", mit Blick auf die UdSSR in der Weltkarte???
 
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stalin linie

was ist eigentlich die militärische Alternative zur Shukow-Planung? - Rückzug hinter Düna-Dnjepr bereits in der Aufstellung Mai 1941? Wenn das für Stalin unvorstellbar war (und nach den Planspielen 1940/41 an sich auch nicht nahegelegt wurde), was dann?

Es hätten sich sicherlich alternative Lösungen angeboten, allerdings hätte dann die operative Doktrin der Roten Armee auch eine andere sein müssen. Sie hätte die strategische Ermattung als gleichwertig zur Vernichtungsstrategie akzeptieren müssen. Insofern ist es nicht nur eine Frage der Dislozierung, sondern auch eine der Kampfweise.

1. Von der Aufstellung her wäre es sicherlich sinnvoll, eine Reihe von MC grenznah einzusetzen, die im Rahmen eines Verzögerungsgefechts die Geschwindigkeit der Panzerspitzen reduziert hätte. Diese hätten mit T34 % KW-Serie ausgestattet sein sollen, inklusiver einer Soll-Ausrüstung an Kraftfahrzeugen.

2. Hinter diesem "Schleier" wäre eine Linie Riga, Daugapils, Minsk, Tarnopol, Odessa denkbar gewesen mit starker Ausnutzung der Flüsse als Panzerhindernisse. Sofern die RC dort sinnvoll in den Bereitstellungräumen rechtzeitg disloziert worden wären, hatten sich starke Defensivpositiionen ergeben.

3. Hinter diese wäre eine zweite Position denkbar gewesen, in Anlehnung an die Stalin-Linie"( Pskov, Vitebsk, Mogilev, Gomel, Kiew, Uman). Auch diese Linie nutzt die geografischen Gegebenheiten optimal aus. Und auch in diesem Fall hätte sich eine starke Defensivposition ergeben.

Die mobile Rückzugbewegung hätte die Möglichkeit eröffnet, die Substanz der Roten Armee zu erhalten und nicht in den Kessel niederzugehen. Und sie hätte ermöglicht, dass es eine wesentlich effizientere Lernkurve bei den Kommandeuren und bei den Mannschaften gegeben hätte. Ein wichtiger Aspekt für das Verständnis des Wandels der Roten Armee zu einer leistungsfähigen Armee hin.

Diese Varianten habe ich x-Mal im Rahmen eines Programms (DOS - Programm, aber gut) "War in Russia" von SSI durchgespielt und bin eigentlich immer zum gleichen Ergebnis (obigen) gekommen.

Diese oben dargestellte Dislozierung reduziert die Verluste der Roten Armee sehr deutlich.

Zudem wäre es sinnvoll gewesen, die Flugzeuge der Roten Armee entpsreched der verfügbarkeit von Feldflugplätzen nach Westen zu verlegen und nicht auf den wenigen bereits fertig gestellten zu konzentrieren. Das hätte die drückende Luftüberlegenheit in der Anfangsphase reduzieren können und hätte das Flugpersonal der Roten Armee ebenfalls geschont.

Soviel zum Aspekt, was wäre wenn.
 
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ja und nein

1. Aber: Das Fehlen eines Beweises für eine Sache ist kein Beweis für das Fehlen einer Sache!

2. Ich persönlich habe jedenfalls so meine Zweifel, ob Stalin wirklich so ahnungslos und überrascht war,

3. von eigenen Ambitionen mal ganz abgesehen. Was sollten sonst diese Truppenmassen im damaligen Grenzvorsprung bei Bialostok? Bei Defensivabsichten stellt man die doch nicht "ins Schaufenster", sondern nutzt die Tiefe des Raumes...

zu 1. Naja, sehe ich anders. Solange eine Vermutung nicht durch Dokumente belegt werden kann, solange handelt es sich für mich (und ich denke für die Mehrzahl der Wissenschaftler) um eine Hypothese und es bedarf einer zusätzlichen Verifizierung. Anders werden wir wohl keine Trennung in die erkenntnistheoretisch relevante Frage, wann etwas "wahr" ist und wann es "nicht wahr" ist bringen.

zu 2. Er war absolut nicht ahnungslos gewesen. habe ich nie behauptet! Er hatte hervorragende Informationen über den zeitpunkt und die Zusammensetzung durch Spionage im Reich, durch die Engländer via Enigma, durch R.Sorge und durch Schulenburg, um nur die zu nennen, die mir spontan einfallen. Er wollte diesen Quellen offenishcltich nicht glauben, da diese Quellen seiner eigenen strategischen Sichtweise (geprägt durch Bismarck), keinen zwei-Frontenkrieg zu beginnen, entgegenliefen. Er hat Hitler ein wesentlich defensiveres Machtkalkül vermutlich unterstellt.

zu 3. Silesia hat teilweise schon darauf geantwortet. Insbesondere in Richtung Kiew war eine sehr tiefe Staffelung der Roten Armee vorhanden. Aber und das ist erneut wichtig zu wiederholen, in allen !!!!!! Planungen, Anweisungen etc des Generalstabs der Roten Armee zur Dislozierung im Westen wird immer nur von einer kurzen und sehr entschiedenen Verteidigungsphase ausgegangen, um dann in den Angriff über zu gehen.

Auf die zentrale Bedeutung der "Tiefenoperation" ist auch schon häufig genug hingewiesen. Deswegen war die Dislozierung eine Aufstellung für "alle Fälle" und konnte aus dem operativen Verständnis der Roten Armee sowohl für defensive Aktionen (die natürlich offensiv geführt werden ca. 200 bis 300 km nach Westen) wie für präventive Angriffsoperationen genutzt werden.

Die deutliche Unterscheidung zwischen "offensiver" und "defensiver" Kriegsführung ist eine operative Sichtweise, die einfach nicht auf das Denken des Generalstabs der Roten Armee im Jahr 1941 angewendet werden kann. Es war eine Art von "Vorwärtsverteidigung".
 
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Es hätten sich sicherlich alternative Lösungen angeboten, allerdings hätte dann die operative Doktrin der Roten Armee auch eine andere sein müssen. Sie hätte die strategische Ermattung als gleichwertig zur Vernichtungsstrategie akzeptieren müssen. Insofern ist es nicht nur eine Frage der Dislozierung, sondern auch eine der Kampfweise.

Wenn man die Frage mal an die Suworows dieser Welt richtet, Lösungen außerhalb der vorgegebenen Doktrin irreal sind:

Was anders als einen Präventivschlag sollte Shukow eigentlich planen, abgesehen davon, dass seine "tiefen Operationen" eine technisch limitierte Reichweite von ca 300km bis zum Zusammenbruch der Logistik der Mechanisierten Korps gehabt hätten.

Die Panzerwaffe der Roten Armee vom 22.6.1941 überlebte auch nicht den Rückzug. Das am 31.12.1941 vorhandene Material bestand aus der Produktion 1941 und den rückwärtigen Panzerschulen. In den Grenzschlachten im Baltikum, Weißrußland und der Westukraine würde ich die Kampfverluste auf ca. die Hälfte schätzen, der Rest ist liegengeblieben. Ähnliche Verlustrelationen erfuhr übrigens die Wehrmacht nach dem Juli 1943.
 
im Rahmen der Doktrin

Was anders als einen Präventivschlag sollte Shukow eigentlich planen, abgesehen davon, dass seine "tiefen Operationen" eine technisch limitierte Reichweite von ca 300km bis zum Zusammenbruch der Logistik der Mechanisierten Korps gehabt hätten.

Ja, sehe ich auch so. Die Planungen des Generalstabs der Roten Armee halte ich persönlich im politischen Sinne für "defensiv". Die Zielsetzung war nicht, einen generellen Angriff auf Deutschland zu führen, im günstigsten Fall war ein Vorschieben der Landesgrenze weiter nach Westen geplant, aber das ist Spekulation.

Im militärischen Sinne war es eine eindeutige "offensive" Ausrichtung, die auf die vollständige "Vernichtung" der Wehrmacht im Aufstellungsbereich in Ost-Polen abzielte.

Ich würde sogar so weit gehen, dass auch bei einem Angriff der Wehrmacht auf die SU und einer -angenommenen - erfolgreichen Abwehr nahe der Grenze, die Rote Armee ebenfalls den Vormarsch nach Polen versucht hätte, um die Wehrmacht zu vernichten. Insofern wäre im Falle des "Verteidigungs-Krieges" dieser auch mit einer Tiefenoperation abgeschlossen worden wäre.
 
Ja, sehe ich auch so. Die Planungen des Generalstabs der Roten Armee halte ich persönlich im politischen Sinne für "defensiv". Die Zielsetzung war nicht, einen generellen Angriff auf Deutschland zu führen, im günstigsten Fall war ein Vorschieben der Landesgrenze weiter nach Westen geplant, aber das ist Spekulation.
Im militärischen Sinne war es eine eindeutige "offensive" Ausrichtung, die auf die vollständige "Vernichtung" der Wehrmacht im Aufstellungsbereich in Ost-Polen abzielte.
Gibt es bislang überhaupt eine militärhistorische Analyse der Shukov-Planung? Mir sind nur die Ausdeutungen von Autoren bekannt, die dort nicht einsortiert werden können.

Ein Militär, der sich direkt geäußert hat - natürlich in Unkenntnis der Details des Shukov-Plans - war Manstein in seinen Memoiren.

So aus der Hand: "eine Aufstellung für alle Fälle". Das umschließt den Fall des ganz kurzfristigen Präventivschlages in den erkannten Aufmarsch hinein.
 
allgemeine Einschätzung

Ähnlich wie Manstein hatte sich auch Halder (Besprechung beim OKH 04.06.41) geäußert: "Kann präventiven oder defensiven Charakter haben. Defensive Absichten sind anzunehmen."

Habe mir noch mal über das Buch "Deep Battle" von Simkin & Erickson die operative Planung der Tiefenoperation der Roten Armee angesehen. Und bereits in den "Field Service Regulations" von 1936, die noch 1941 in Kraft waren, wird die extrem offensive Ausrichtung aller Handlungen der Roten Armee auch über dieses zentrale Dokument deutlich.

Auf der Grundlage dieser verbindlichen Grundlagen war es fast zwingend notwenig, frühzeitig die Chance zum Angriff wahrzunehmen. Auch bei der Darstellung der Defensive wird sehr schnell auf den Gegenangriff eingegangen.

Und es wird auch immer die Vernichtung der gegnerischen Streitkräfte als finales Ziel thematisiert.

Es ist sicherlich schwer, die Angriffsfähigkeit der Roten Armee zum Zeitpunkt Mitte 1941 korrekt einzuschätzen.

Drei Punkt, neben den anderen häufig genannten Problemen, betreffen die Logistik.

1. Anzahl und Ausbaustufe der Feldflughäfen: In einer Analyse (glaube war in einem Beitrag "2 Wege nach Moskau") wurden die enormen baulichen Defizite bei den Feldflughäfen dargestellt. Ein Aspekt, der gerne übersehen wird, aber für die effektive Unterstützung eines Angriffs im Rahmen der Präventivkriegsplanungen von Shukow von zentraler bedeutung gewesen wäre. Das Defizit wurde auf ca. 300 Feldflughäfen geschätzt.

2. Leistungsfähigkeit der Eisenbahnendpunkte: Die Endpunkte der Eisenbahnen in den neuen westlichen Gebieten der SU hatten eine deutlich geringere Transportkapazit (waren glaube ich bei ca. 25 % der Kapazität der entsprechenden Eisenbahnendpunkte, die HG Nord und Mitte zur Verfügung standen). Ein Aspekt, der bei der Größe der Anzahl von Panzern im Rahmen und der sich daraus ergebenden hohen logistischen Anforderungen, ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt wird.

3. Ausstattung mit Tankwagen: Es war eine relativ hohe Fehlausstattung Mitte 41 bei Tankwagen zur Versorgung der mechanisierten Verbände vorhanden. Vor diesem Hintergrund hätte man die Frage stellen können: Wie weit hätte die Rote Armee nach Westen vordringen können?" und die Anwort hätte gelautet: "Bis der Tank leer gewesen wäre und die zusätzlichen Außenkanister auch". Dass dieser Aspekt mehr ist als Spekulation zeigt auch, dass ein Großteil der Panzer der Roten Armee zu Beginn von Barbarrossa im Rahmen der Grenzschlachten ja nicht durch direkte Feindeinwirkung verloren gegangen sind, sondern durch mechanische Defekte etc. bzw. keine ausreichende Versorgung mit Betriebsstoffen.

Es wäre sicherlich interessant, eine "Machbarkeits-Studie" der Shukov-Planungen zu erstellen, welche Anforderungen eigentlich hätten erfüllt sein müssen, um die Pläne in die Realität umzusetzen. Aber bisher habe ich eine derartige Studie nicht gesehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ähnlich wie Manstein hatte sich auch Halder (Besprechung beim OKH 04.06.41) geäußert: "Kann präventiven oder defensiven Charakter haben. Defensive Absichten sind anzunehmen."
Danke für den Hinweis auf Halder. Mir war da diesbezüglich etwas in Erinnerung, aber ich konnte das nicht nachschlagen.


Auf der Grundlage dieser verbindlichen Grundlagen war es fast zwingend notwenig, frühzeitig die Chance zum Angriff wahrzunehmen. Auch bei der Darstellung der Defensive wird sehr schnell auf den Gegenangriff eingegangen.
Shukow plante also in diesem Sinne auch ganz "konservativ", es gibt keinen Bruch in der operativen Auffassung zu den Vorjahren. Dazu kommt, dass die andere Variante (abwarten und abwehren) in einem der beiden Kriegsspiele Anfang Januar 1941 erwogen worden ist und fast zu einem Desaster geführt hatte - optimistisch fing man hier allerdings den deutschen Angriff auch in der Tiefe ab, weiter westlich als später in der Realität.

Es ist sicherlich schwer, die Angriffsfähigkeit der Roten Armee zum Zeitpunkt Mitte 1941 korrekt einzuschätzen.
Drei Punkt, neben den anderen häufig genannten Problemen, betreffen die Logistik.
Den drei Punkten würde ich zwei nach Glantz hinzufügen, ebenfalls logistisch gedacht:
- der Zustand des älteren Panzermaterials, das in direkter Folge der eingeleiteten Umstellung auf die KW- und T-34-Typen einer gewissen Verwahrlosung in der Ersatzteillage und Reparatur preisgegeben wurde
- dem Fehlen der Instandsetzungseinrichtungen in der Masse der Mechanisierten Korps, also fehlende technische Ausstattung und fehlendes Personal.


zur Machbarkeit eine skizzenhafte Überlegung:
In der Realität Juni/Juli 1941 trafen Angriffe der Mechanisierten Korps auf deutsche Infanteriedivisionen (zB Raum Grodno, aber auch in der Westukraine). Die Angriffe führten teilweise zu einem Fiasko, sofern das alte Panzermaterial eingesetzt wurde, reichten die Panzerabwehrleistungen von IDs aus. Das sind natürlich nur punktuelle, taktische Einzelfälle, die im Ablauf auch durch die Operationen (Umfassungen, etc.) geprägt sind.
 
operative Doktrin und Umrüstung

Ein weiterer Aspekt, der bei der Betrachtung der Angriffsfähigkeit der Roten Armee – nachfolgend nur RA - übersehen wird, ist die Frage ihrer totalen, mehrfachen Reorganisation und der damit verbundenen Veränderung der operativen Doktrinen!

Wenn man das operative Verständnis der RA und die daraus abgeleiteten Organisationsstrukturen seit den 30er Jahre bis zum Jahr 1942 betrachtet, dann ist das einzig konstante die permanente Veränderung.

Die einzelnen Phasen können grob folgendermaßen abgegrenzt werden.

1. Phase: Entwicklung der RA Armee seit Mitte der zwanziger Jahre unter der anfänglichen Protektion durch Frunze im wesentlichen durch das Wirken von Tukhachevskii in Kooperation mit Triandafillov. Ihre operativen Konzepte waren durch de Abwendung von der „breiten Front“ und die Präferenz des „konzentrierten Angriffs in die Tiefe“ gekennzeichnet. Entsprechend dieser operativen Veränderung entwickelten sie die Organisationsstruktur und die Bewaffnung der RA. Im Prinzip entwickelte er eine sehr moderne Konzeption, die durch das Zusammenwirken von Landstreitkäften – im wesentlichen durch mechanisierte Einheiten – und durch Luftstreitkräfte gekennzeichnet war.
2. Phase: Unter dem Eindruck des spanischen Bürgerkriegs und bereits zu einer Zeit, in der durch die Säuberungen die Protagonisten dieser Konzeption exekutiert waren wurden die Mech-Korps aufgelöst und man kehrte zu einer Infantrie-Unterstützungswaffe zurück. Mit einer starken Betonung der klassischen Elemente des Bürgerkriegs, der Kavallerie und der Artillerie.
3. Phase: Die Auswertung der Blitzkriege der Wehrmacht durch die RA lieferte die Evidenz dass diese Retro-Variante antiquiert war und die Rote Armee wurde Mitte 1940 wieder reorganisiert und es wurde eilig versucht, neue Mech-Korps wieder auszubauen.

Der Angriff 1941 auf die SU erfolgte dementsprechend zu einem Zeitpunkt, zu dem man folgendes festhalten kann:

1. Die Aufbau der neuen Mech-Korps war bei weitem nicht abgeschlossen. Kompliziert wurde er zudem durch den Zulauf neuen Materials –T34 und KW-Serie – in die Panzer-Brigaden
2. Die Kommandeure hatten keine Möglichkeit, das Zusammenwirken der Einheiten zu üben. Noch problematischer stellte sich die Kooperation mit der Luftwaffe dar, ein Aspekt, der im gesamten Jahr 41 sich negativ auf die Leistungsfähigkeit der Roten Armee auswirkte.
3. Das operative Verständnis für die „Tiefenschlacht“ war nicht ausreichend verankert. Auf allen Ebenen vom Korps-Kommandeur, über die unterstellten Offiziere bis zu den einfachen Offizieren. Die Auswirkungen der Säuberung wirkten sich hier zusätzlich gravierend aus.

Die verheerenden Auswirkungen des schnellen Wechsels und der organisatorischen Umgruppierungen kann man am ehesten erkennen, wenn man Tukhachevskii sinngemäß zu Wort kommen läßt. Insgesamt geht es davon aus, das die theoretische Konzeption der Schlacht die zwingende Grundlage ist für alle folgenden Überlegungen. Er geht dabei von einer Inkubationszeit von ca. 5 Jahre aus, bis eine operative Doktrin entwickelt werden kann. Für die Implementierung auf der operativen Ebene veranschlagt er ca. 15 - !!!!!!!!! – Jahre und nimmt weitere ca. 5 Jahre an, bis es auf den unteren Ebenen zu eine ausreichenden Verständnis der operativen Doktrin kommt.

Vor dem Hintergrund dieses Zeitrasters wird verständlich, dass die RA im Jahr 1941 eine sehr blutige und sehr steile Lernkurve durchlief, um durch „learning by doing“ die vorhandenen gravierenden Defizite im gefechtsmässigen Verhalten zu kompensieren.
 
Die einzelnen Phasen können grob folgendermaßen abgegrenzt werden.
1. Phase: Entwicklung der RA Armee seit Mitte der zwanziger Jahre unter der anfänglichen Protektion durch Frunze im wesentlichen durch das Wirken von Tukhachevskii in Kooperation mit Triandafillov. Ihre operativen Konzepte waren durch de Abwendung von der „breiten Front“ und die Präferenz des „konzentrierten Angriffs in die Tiefe“ gekennzeichnet. Entsprechend dieser operativen Veränderung entwickelten sie die Organisationsstruktur und die Bewaffnung der RA. Im Prinzip entwickelte er eine sehr moderne Konzeption, die durch das Zusammenwirken von Landstreitkäften – im wesentlichen durch mechanisierte Einheiten – und durch Luftstreitkräfte gekennzeichnet war.

Eine gute und übersichtliche Darstellung der Phasen.

Dazu eine Ergänzung: man sollte die (Verteidigungs-)Szenarien der Roten Armee einbeziehen, die dem zugrunde lagen. Ebenso spielen die ökonomischen Grundlagen der Sowjetunion eine entscheidende Rolle.

Die Umstellungen werden verständlich, wenn Folgendes berücksichtigt wird: bis Anfang der 30er war Großbritannien (gesteigert ab 1927, mit Einschränkungen Frankreich) potentieller Gegner, flankiert durch Anrainer-Staaten der SU im Westen, zB Polen, Rumänien. Die Ursprünge der militärischen Doktrin sahen gegen diese Gegner hinhaltende Verteidigung vor, wobei der Rückraum und das mobilisierende Hinterland eine wichtige Rolle spielten. Darauf wurde die "Bürgerkriegs-Armee" angepaßt, die Mittel der Rüstung reichten für die begrenzten Möglichkeiten potentieller Gegner aus. Entsprechend eingeschränkt wurde die Bedrohung gesehen, in der Blockade eher eine Frage des Durchhaltens und der Autarkie, in den Landstreitkräften eine Frage des Rückraumes.

Etwa 1930/1931 änderten sich die sowjetischen Szenarien, zum einen durch die verstärkte Beachtung Japans als Bedrohung im Fernen Osten, aber auch durch eine veränderte Einschätzung der Möglichkeiten einer Mechanisierung des Krieges. Mit dieser Mechanisierung wurden die "Tiefen Operationen" überhaupt umsetzbar und aus der "Gegenschlags-Doktrin" herausgehoben, wobei sich erstaunlicherweise die theoretisch berechnete Vormarschgeschwindigkeit pro Tag kaum gegenüber den Auswertungen des Ersten Weltkrieges änderte (aufgrund der gegenläufigen, gesteigerten logistischen Anforderungen wegen der Mechanisierung). Als Engpaß wurden die Aufmarschstrecken der Eisenbahn gesehen, und hier waren in der Sowjetunion hoffnungslose Überlastungen bereits in Friedenszeiten gegeben.

Diese militärischen Überlegungen und ihre Folgewirkungen - notwendige Schwer-Industrialisierung, notwendige industrielle Importe, dazu als Gegenfinanzierung erforderliche (Rohstoff-)Exporte und die Erschwernisse der Weltwirtschaftskrise: "Russen-Dumping" - waren dann Aspekte für den Kollaps der Planwirtschaft 1932/34.
 
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