Der Shukow/Wassilewski-Plan vom Mai 1941

Aus meiner Sicht nimmt Hoffmann eine sehr einseitige Analyse der RKKA vor. Fakten, die in seine Argumentation passen werden, werden hervorgehoben.

Einzelne Darstellungen sind verzerrt, wie die Darstellung der offensiven Doktrin der RKKA, dieals Angriffsabsicht umgedeutet wird. Wesentlich bessere und differenziertere Darstellungen finden sich bei Erickson (The Soviet High Command), der sich auf das sehr ausführliche Buch von Garthoff (Die Sowetarmee) bezieht.

Ansonsten berücksichtigt Hoffmann (auch in späteren Areite zu dem Thema) fast pauschal die komplette Diskussion aus dem angloamerikanischen Bereich nicht. Wie beispielsweise die Arbeiten von Glantz (Stumbling Colossus) oder von Ziemke (The Red Army 1918-1941), wenngleich letzteres nach "Stalins Vernichtungskrieg 1941-1945) publiziert wurde.

Zur Rede vom 05.Mai ein nochmaliger Verweis auf Besymenski (Stalin und Hitler, S. 373). Es wird der Text kritisch dargestellt und kommentiert. Aus meiner Sicht die bisher beste und umfangreichste Darstellung.

Ansonsten halte ich die Interpretation von Hoffmann von Volkogonow in Bezug auf die Rede für selektiv und irreführend. Da die Ausführungen von Volkogonov zu Stalin schwerlich als Beleg für eine genuine Angriffsabsicht auf das 3. Reich gedeutet werden können, da Volkogonow eine derartige Haltung von Stalin für unwahrscheinlich hält.

Was natürlich richtig ist, und das ist das zentrale Mißverständnis mit dem gerne "gespielt" wird, das die historisch-materialistische Geschichtsanalyse, und in diesem Kontext bewegte sich die Analyse der außenpolitische Analyse Stalins und der kompletten Riege der Kreml-Führer, zunächst den Krieg der kapitalistischen Staaten antizipierte und dann natürlich auch den Krieg der rivalisierenden politischen Ideologien, Faschismus vs Marxismus.

Eine Auseinandersetzung, die bereits Trotzki Anfang der zwanziger Jahre prognostiziert hat. Und Stalin ging bereits 1931 im Rahmen einer Rede davon aus, dass der SU ca. 10 Jahre Zeit verbleiben würden, bis es zu einem europäischen Krieg kommt.

In diesem Sinne rüstete Stalin die SU seit den zwanziger Jahre in Richtung eines Krieges im Rahmen der Fünfjahrespläne und einer sehr starken Konzetration auf die Tiefenrüstung. Allerdings eher aus der Perspektive eines Staates, der zu dem Zeitpunkt weitgehend international isoliert und stark interessiert war an "kollektiver Sicherheit".

In den späten dreißiger Jahren (39) verfolgte er dabei durchaus revisionistische und in diesem Sinn auch eindeutig aggressive Zielsetzungen, wie im Fall der baltischen Staaten, im Fall von Finnland und auch in Bezug auf Polen (Curzon-Linie).

Ansonsten: Über die Ausführungen von Hoffman kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein. Richtig ist, er ist kein Neo-Nazi. Seine Sichtweise ist eher die eines klassischen Anti-Stalinisten. Das belegen zumindest auch teilweise seine professionellen Kontakten zu beispielsweise Nekritch. Einem der wichtgsten und kompetentesten Kritiker Stalins in der Chrutschow-Ära und ebenfalls mit Grigorenkow bekannt, soweit ich gelesen habe.
 
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In den späten dreißiger Jahren (39) verfolgte er dabei durchaus revisionistische und in diesem Sinn auch eindeutig aggressive Zielsetzungen, wie im Fall der baltischen Staaten, im Fall von Finnland und auch in Bezug auf Polen (Curzon-Linie).

Guter Hinweis. Die alte Einkreisungs- und Invasionsphobie - in deren Kontext mit sich verschärfender "Sicherheitslage" der SU seit Nov40/Jan41 auch die Mai-Rede Stalins zu sehen ist - reicht ja 20 Jahre zurück.

Bei den neueren Publikationen sollte man auch auf Oleg Wischlow hinweisen: Zu den militärischen Absichten und Plänen der UdSSR im Sommer 1941, in: Barbara Qunikert (Hrsg.): "Wir sind die Herren dieses Landes" - Ursachen, Verlauf und Folgen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Wischlow stellt die Ansätze von Hoffmann etc. geordnet zusammen:
- offensiver Charakter der sowjetischen Militärdoktrin (dazu siehe oben thanepowers Anmerkungen)
- Rede vom 5. Mai 1941
- Shukov-Plan von Mitte Mai 1941
- die ab 13.5.1941 beginnende westwärtige Verlegung der 2. strategischen Staffel

Bzgl. der Rede vom 5.5.1941 hat Besymenskij umfangreiche Untersuchungen vorgenommen und Propagandamaterial von Akten getrennt ("Die Rede Stalins am 5. Mai 1941- Dokumentiert und Interpretiert", in: Osteuropa-Zeitschrift 1992, S. 242-264). Das der Hintergrund eine Bedrohungsanalyse darstellte, wird schon mit dem Bezug auf die Niederlage Frankreichs und Analyse der operativen Erfolge der Wehrmacht deutlich. Zum Kontext immer noch aktiell: Gorodetzky, Die große Täuschung, während Musial (siehe oben im Thema) eher auf die Beweisführung langfristiger Pläne Stalins abzustellen versucht.

Hoffmanns "Spätwerk", wohl kurz vor seiner Pensionierung im MGFA und nach dem massiven, auch jurisitschen Streit mit Deist um den 4. Band der Reihe DRZW entstanden, würde ich nicht als akzeptable historische Arbeit kennzeichnen.

Vgl. auch den Beitrag von Wegner in: Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert (Hrsg. Elvert/Krauß), "Präventivkrieg 1941 - zur Kontroverse um ein militärhistorisches Scheinproblem"

Als höchst zweifelhafte Ehre kann noch kritische Äußerungen zu Hoffmann ergänzen, wonach der "den russischen Revisionisten [in Rußland] zum Durchbruch verholfen habe"; das Phönomen ist allerdings auch in Deutschland zu beobachten, da sich diese Literatur exzessiv untereinander zitiert (Slutsch, VfZ 2004, S. 597 ff. zur gefälschten Stalin-Rede vom 19.8.1939, die auch Hoffmann munter zitiert, siehe dort S. 25: Stalin legte die "Lunte an das Pulverfaß Europa", obwohl die Forschung seit 1958 die Existenz in Zweifel zog!)
 
Als Ergänzung zur Einordnung der Rede. Diese Rede hat einen sehr hohen Stellenwert für die interne Kommunikation und den "vorauseilenden Gehorsam" im Kreml gehabt.

Sie grenzt die Periode des politischen Appeasement, das noch in der Tass-Meldung kurze Zeit vorher noch deutlich zum Ausdruck kam, ab und formuliert eine neue Ausrichtung der Beurteilung des 3. Reichs.

In diesem Sinne war es ein wohldurchdachter Meilenstein, der eine neue Ausrichtung der Außenpolitik der SU signalisiert hat. Und keineswegs eine unbedachte Äußerung, die Stalin im leicht oder schwerer betrunkenen Zustand getätigt hat, wie Hoffmann suggeriert (Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, S. 39).

War es vorher nicht möglich die Bedrohungssituation der SU durch den Aufmarsch der WM im Kreml angemessen neutral zu bewerten (vgl die hervorragende Arbeit von Murphy: What Stalin knew,2005), so änderte sich das Verhalten nach der Rede Stalins.

Die militärische Verwaltung ging auch in ihrer internen Propaganda auf einen deutlich stärkeren Konfliktkurs zum 3. Reich als Reaktion auf dieses neue Signal.

Parallel, und ohne diese Rede von Stalin kaum denkbar, griff Schukow diese Initialzündung auf und formulierte seine Überlegungen zu einem Präventivangriff der RKKA in den Aufmarsch der WM vom 15.05.41. Holte sich, soweit die mir bekannte Lage der Dokumente und laut Aussage von Schukow, dann jedoch von Stalin eine deutliche Abfuhr bei der Genehmigung.

Zum problematischen Realitätsgehalt dieser Überlegungen und zum Timing von Schukow wurden in diesem Thread bereits ausreichend Stellung genommen.

Anmerkung: Ich hatte noch eine Reihe von "Nachbesserungen" vorgenommen. Das erklärt den Unterschied zwischen meinem Text und dem Zitieren durch Silesia.
 
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War es vorher nicht möglich die Bedrohungssituation der SU durch den Aufmarsch der WM im Kreml angemessen neutral zu bewerten (vgl die hervorragende Arbeit von Murphy: What Stalin knew,2005), so änderte sich das Verhalten nach der Rede Stalins. ...

Parallel, und ohne diese Rede von Stalin kaum denkbar, griff Schukow diese Initialzündung auf und formulierte seine Überlegungen zu einem Präventivangriff der RKKA in den Aufmarsch der WM vom 15.05.41.

Zum Realitätsgehalt dieser Überlegungen und zum Timing von Schukow wurden in diesem Thread bereits ausreichend Stellung genommen.

Das Buch von Murphy (auch zur Würdigung der Auslassungen Hoffmanns) ist sehr zu empfehlen!

Ob Shukov wirklich die Rede als Initialzündung brauchte? Er baute schließlich auch - in einer gewissen Kontinuität - auf den vorherigen Planungen auf, schließlich auch auf den Ergebnissen der "Kriegsspiele" zu Jahreswende 1940/41.
Aber ein anderer Aspekt wäre interessant: inwiefern stimmen eigentlich seine "Präventivideen" - Schlag in den Aufmarsch des Gegners, Umfassung, Flankierung - in natürlich anderem Maßstab mit seiner bisherigen Führungsweise überein - zB auch hinsichtlich seiner zeitlichen Vorstellungen vom Aufmarsch der Truppen und Zuspitzung einer Krise bis zur Konfrontation?
Battles of Khalkhin Gol - Wikipedia, the free encyclopedia
[P.S. Der Artikel erwähnt auch "Unterwasserbrücken" als Überraschungsmoment, eine gewisse Ähnlichkeit mit Vorgängen 1943/44]
 
Handwerklich brauchte er sie nicht, da die Planungen ja keine wirklichen Neuerungen gegenüber der bisherigen Planung vorsahen (MP41).

Eher in dem Sinne, dass es durch Stalin ein Denk- bzw. Handlungsverbot gab, und ein angepaßter Generalstabsoffizier wie Schukow sicherlich an diesem Punkt taktiert hat. Ohne diese Rede Stalins hätte er sich vermutlich nicht ermuntert gefühlt, eine derartige Planung zu formulieren und Stalin zur Diskussion vorzulegen.

Der andere Punkt ist sehr interessant. Die Beurteilung der RKKA durch ausländische Militärs stellte stark auf das Debakel in Finnland als finalen Beweis ihrer Unfähigkeit Krieg zu führen ab.

Nicht wahrgenommen wurde demgegenüber in der Tat die erfolgreichen Aktionen am Lake Khasan (31. Juli 38 - 13. August 38) und am Khalkhin-Gol (20. - 31. August 39).

Und in der Tat wird die Führung der Aktion durch Schukow von Erickson als "It had been a brillant but costly operation" (Erickson: The Soviet High Command, S. 536). Dieses Urteil resultiert im wesentlich aus seiner Einschätzung, dass Schukow die Überlegungen der sehr innovativen, jedoch mit einem ideologischen Bann blegten, PU-36 in der praktischen Truppenführung erfolgreich umgesetzt hat.

In diesem Sinne hat Schukow bewiesen, dass im Gegensatz zu den Erfahrungen in Spanien, eine erfolgreiche Kriegsführung im großen Maßstab auf einem kombinierten Einsatz von Panzern, Artillerie und Luftwaffe im Rahmen von konzentrierten Angriffen auf die gegnerischen Flanken beruhte.

In diesem Sinne wurde hier vermutlich im Denken von Schukow der Nukleus gelegt für sein späteres operatives Denken.

Weiter weist Schukow, post WW2, darauf hin, dass die tatsächlichen Operationen der WM streckenweise identisch war zu seinen Oprationen der "Blauen Seite" im Rahmen der "Kriegsspiele" aus dem Frühjahr 41. Insofern befand sich Schukow in seinem operativen Denken Mitte 41 durchaus auf der Höhe der Zeit (im Gegensatz zum sonstigen problematischen Zustand der RKKA)

Relevant ist ebenfalls, dass trotz der erfolgreichen Anwendung der Üerlegungen der PU 36 mit ihrer Betonung des Kämpfens in großen gemischten Verbänden, inkl. Panzer- bzw. Mech-Korps, in der zeitlichen Folge die mechanisierten Großverbände der RKKA aufgelöst wurden und auf Brigadeebene reorganisiert wurden.

Die Expertise Schukows und Schaposchnikow stand gegen das Wort des "führenden Tankexperten" Pavlow, der sich bei Stalin und Woroschilow mit seiner Reorganisation in Richtung Panzerbrigaden und des Panzers als Unterstützungswaffe der Infantrie durchsetzte.
 
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In diesem Sinne hat Schukow bewiesen, dass im Gegensatz zu den Erfahrungen in Spanien, eine erfolgreiche Kriegsführung im großen Maßstab auf einem kombinierten Einsatz von Panzern, Artillerie und Luftwaffe im Rahmen von konzentrierten Angriffen auf die gegnerischen Flanken beruhte.

Wobei er von Fehlschlägen wie Charkow 1942 nicht verschont blieb. Ein anderer Aspekt von Spanien: die Forcierung in der Entwicklung der Panzerwaffe, die dort zT kläglich gegen die Panzerabwehr versagte.

Die "gemischten" großen Verbände in Form der Panzerarmeen tauchten als Abhilfe 1942 ebenfalls auf, zT zunächst als strategische Reserven zum Schutz von Moskau. Erst die erneute Reorganisation brachte 1943 neben den selbst. operierenden Panzer- und Mechkorps auch iW "reine" Panzerarmeen.

Pavlov überlebte den Kriegsbeginn nicht sehr lange. Er wurde hingerichtet.
 
An einem Punkt ist dieses Thema immernoch ein "Riddle without a Rhyme", oder der Versuch einer großen Vertuschung auf die Spur zu kommen.

1. Wir wissen, Stalin hat mehr als genug Informationen über den Aufmarsch der Wehrmacht gehabt. (Murphy: What Stalin knew)

2. Folgt man Besymenski (Stalin und Hitler) dann fürchtete sich Stalin (laut Schukow) vor dem Konflikt mit Hitler und hat ihn (laut Schukow) für unwahrscheinlich gehalten, da er einen Zweifrontenkrieg bedeutet hätte und Stalin dieses aus der Sicht von Hitler (in Bezug auf Bismarksche Diplomatie-Postulate) für unwahrscheinlich hielt.

Soweit die Ausgangsbasis für das Rätsel:
3. Nach dem Tod von Stalin rechnete Chruschtschow (...erinnert sich) in seiner "Geheimrede mit dem Stalinismus ab. Im Prinzip eine Art von Perestroika. In diese Periode fällt die offizielle Abrechnung von Nekrich (June 22.1941, in: Petrov: June 22, 1941) aus der Sicht der Historiker mit der Rolle Stalins vor dem Angriff auf die UdSSR.

Stalin, und damit implizit auch seine Generäle - vor allem auch Schukow - standen massiv am Pranger und wurden der Untätigkeit beschuldet.

Die Antwort der Generalität auf diese Vorwürfe war, dass sie die komplette Schuld an den Entscheidungen im Vorfeld des 22. Juni 1941 auf Stalin abgeschoben haben (komisch kommt einem irgendwie bekannt vor.)

4. Diese Strategie ist angesichts der damals stattgefundenen Perestroika und der Beförderung von Schukow in das Amt des Verteidigungsministers duchaus bemerkenswert. Aus derSituation der Generäle wäre es ideal gewesen, um sich gegen Stalin abzugrenzen und sich selber zu entlasten, dass sie ihre eigenen "aggressiven" Planungen in den Vordergrund gerückt hätten.

Die Planungen und auch die fertigen Befehle für die Aufmarschanweisungen für einen Präventivkrieg gegen die aufmarschierende Wehrmacht beispielsweise. Diesen Plan hatte Schukow auch formuliert, aber erst am 15. Mai 1941 als Reaktion auf die Rede von Stalin vom 05. Mai 1941. Und die Behandlung in der Stavka ist zumindest sehr zweifelhaft.

Interessant an diesem Vorgang ist, dass Schukow während seiner Zeit als Verteidigungsminister nicht am eigenen Mythos gefeilt hat (obwohl ihm ein napoleonische Naturell nachgesagt wurde) und die ausführlichen - hypothetischen? - Pläne für den Präventivkrieg vorgelegt hat.

5. Diese Frage ist deswegen so relevant, weil von revisionistischer Seite (z.B. Meltjuchow) die Aufmarschplanung MP41 als verdeckte Aufmarschplanung für einen Präventivangriff auf die Wehrmacht gedeutet wird und in dem Plan von Schukow lediglich eine Konkretisierung der letztendlichen Dislozierung der Streitkräfte der RKKA sehen.

Und genau dieses hat Schukow, und auch kein einziger anderer General respektive Politiker aus der damaligen Generation, jemals auch nur ansatzweise bestätigt.

6. Bleibt also die Frage, wieso wurde Stalin für ein Versagen kritisiert, dass aus revisionistischer Sicht gar nicht perfekter hätte ausgeführt werden können. Und wieso hat dieses Schukow zur eigenen Verteidigung nicht angeführt?

Abschließend ist festzuhalten, dass es bis zum heutigen Tag kein Dokument gibt, dass der Darstellung von Schukow (wie Besymenski ihn zitiert) widerspricht.
 
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Ein neues Buch zu den Grenzschlachten 1941. Habe es noch nicht gelesen und bin derzeit eher skeptisch, ob es wirklich lohnenswert ist. Hat jemand bessere Informationen?

Die Grenzschlacht: Die Operationsführung der Roten Armee Juni 1941 - Thomas Kühn, Ralf Hoffmann - Google Books

Die Rezension setzt etwas andere Akzente wie beispielsweise bei amazon.
Hardthoehenkurier 04/2012

Auf den ersten, sehr oberflächlichen Blick scheint die These der Autoren darauf hinauszulaufen, dass die Dislozierung der RKKA für die Defensive ungeeignet war (impliziter Bezug auf A. Svechin).

Gut, das wissen wir, sie war einfach militärisch "schwachsinnig", aber der Schwachsinn hatte durch die damals geltende militärische Doktrin auch ein System.

Und Militärs handeln auf der Basis von Doktrinen. Insofern konnten, m.E., die verantwortlichen Militärs im Generalstab in 1940 nahezu keine andere strategisch defensive und operative angriffsorientierte Dislozierung der RKKA wählen. Wobei in der Darstellung der Dislozierung auch gerne übersehen wird, dass eine nicht unerheblich Tiefe in der Gliederung der RKKA dennoch vorhanden war.

Der Schwerpunkt im Süden, statt im Norden, wie von Stalin durchgesetzt, folgte militär-ökonomischen Überlegungen und war, gemessen an der Dikussion in Berlin auch gar nicht so unbegründet. Und ist ein spezieller Aspekt der Dislozierung in 1941.
 
Ein neues Buch zu den Grenzschlachten 1941. Habe es noch nicht gelesen und bin derzeit eher skeptisch, ob es wirklich lohnenswert ist. Hat jemand bessere Informationen?

Ich habe es inzwischen durchgesehen.
Gesamteindruck: enttäuschend.

Positiv kann man hervorheben, dass einige, auch neue sowjetische Quellen ausgewertet worden sind. Nach dem Eindruck bezieht sich das aber überwiegend auf publizierte Literatur, nicht auf ergänzende Primärquellen.

Das Buch ist überfrachtet, weil die "Grenzschlachten" inhaltlich bis Moskau ausgedehnt werden. Zu zahlreichen lange geklärten Fragen, wie etwa die Verschiebung der "Fernost"-Divisionen 1941, wird ausgeführt.

Negativ ist die Literaturauswertung in zweierlei Hinsicht:

- zum einen wird Literatur verwandt, die in einem Werk mit militärhistorischem Anspruch nichts zu suchen hat, so Suworow oder Schulze-Rhonhof.

- zum anderen fehlt umfangreiche Basisliteratur zm Thema, wie zB der Symposiumband "Initial Period of the War" von Glantz, oder auch die Smolensk-Reihe etc. Diese Liste ließe sich insbes. bzgl. der angelsächsischen Literatur sehr beachtlich verlängern, das erspare ich mir hier.

- zu dem Thema hätte außerdem eine breite Quellenauswertung der deutschen Seite gehört, die im Ic-Bereich zB zum Bialystocker Balkon mehr hergibt als die übriggebliebenen sowjetischen Quellen (die zT verloren sind).

Auf der unzureichenden Literaturbasis kann man es sich schenken, in einzelne Thesen der Autoren einzusteigen. Zum Ablauf der Grenzschlacht beschränken sich die Autoren im Übrigen auf ermüdende Divisions-, Korps-, oder Armeedarstellungen, die in anderen Werken detaillierter zu finden sind (wenn man das möchte).

Das Buch ist somit etwas für jemanden, der sich einsteigend mit dem Thema beschäftigen möchte.
 
@Silesia: Vielen herzlichen Dank für die Beurteilung des Buchs.

Schade, eigentlich ein nach wie vor spannendes Thema, aus dem man vermutlich mehr hätte machen können.

Allerdings ist es sicherlich auch schwer, ein kompetentes Buch neben "Initial Period" und in Abgrenzung zu "Barbarossa derailed" zu plazieren.

Vielleicht fehlt noch ein wirkliches Standardwerk auschließlich zur Planung zu "Barbarossa" aus der deutschen Sicht.
 
Der Schwerpunkt im Süden, statt im Norden, wie von Stalin durchgesetzt, folgte militär-ökonomischen Überlegungen und war, gemessen an der Dikussion in Berlin auch gar nicht so unbegründet. Und ist ein spezieller Aspekt der Dislozierung in 1941.

Das ist DER Punkt des Verlaufes der Grenzschlachten, der Stalin wohl eindeutig zuzuschieben ist und der weitreichende Konsequenzen haben sollte.

Die deutsche Seite wählte überraschend (aber wie 1812) den Schwerpunkt nördlich der Pripjets bei HG Mitte und Nord, die sowjetische Seite auf Wunsch Stalins den Bereich südlich der Pripjets.

Im Ergebnis wurde die Westfront im Bialystocker Balkon bis Minsk völlig zertrümmert, indem der zweiarmige deutsche Vorstoss die Masse der sowjetischen Truppen einschloss. Der Vorgang wiederholte sich bei Smolensk. In die Landbrücke zwischen Dnjepr und Düna hatte Stalin die 2. strategische Staffel der Roten Armee hineingeworfen, um den deutschen Vormarsch vor Moskau zu stoppen.

In der Zwischenzeit entwickelte sich die Lage bei der deutschen Heeresgruppe Süd schwierig. Hier gelang keine Umfassung der sowjet. Süd- und Südwestfront, ua. deshalb, weil der "2. Arm" der Umfassung fehlte (mangels gepanzerter Verbände, dieses Problem war schon in den Operationsstudien Barbarossa aufgetaucht).

Stalins Schwerpunktbildung zeigte verspätete Wirkung, als mit Abschluss der Smolensker Schlacht die deutschen gepanzerten Verbände im Schwerpunkt Mitte aufgespalten, und nach Süden (Kiew) und Norden (Witebsk, Leningrad) eingedreht wurden. Trotz der verlorenen Smolensker Schlacht, und des Verlustes der 2. Strategischen Staffel der Roten Armee verging der August und September 1941, bis die Wehrmacht erneut im Mittelabschnitt auf Moskau antrat.

Hillgruber hatte als einer der ersten über dieses Smolensker Phänomen geschrieben. Es hatte seinen Ausgangspunkt in der Stärke der Roten Armee südlich der Pripjets.

Vor dem 22.6.1941 waren die beschriebenen Abschnitte (in Weißrussland, Baltikum und der Westukraine), insbesondere die notwendigen Flussüberquerungen in den Kesselschlachten, aufgrund des langen und extrem harten Winters 1940/41 und des wasserreichen Frühjahrs für motorisierte Truppen nicht in den geforderten kurzen Zeiträumen passierbar.
 
Zuletzt bearbeitet:
[...]

2. Insbesonder von Gorkov (z.B. in Pietrow-Ennker: Präventivkrieg?) wird mit Vehemenz darauf hin gewisen, dass es bis zum heutigen Tage nicht gelungen ist, neben den Planungen vom 15.05.41, weitere Dokumente zu finden, die den Weg von der strategischen Planung in die Umsetzung dokumentieren. Und Armen bewegen sich nicht von selber und auch nicht ohne die notwendige logistische und operative Koordination. Weder logistische Anweisungen noch operative Planung für die Zusammenarbeit zwischen der Roten Armee und der Roten Luftwaffe sind verfügbar, um den Angriff zu belegen.

[...]

Dieser Beitrag ist ja nun schon ein paar Jahre her.
Gibts da was neues?
 
Gibts da was neues?

Mein Kenntnisstand wäre, nein. Alles, was ich bisher zu dem Thema gelesen habe, bestätigt auch diese Version.

Interessant war in einem Buch zur Geschichte der Gulags erst in 1941 NKWD-Einheiten als "Baueinheiten" aus Gefangenen gebildet worden sind, um die verheerende Infrastruktur in den seit 39 neu dazu gekommenen westlichen Gebieten zu etablieren.

Also vor allem der Bau von Kasernen und auch von Flughäfen.

The History Of The Gulag: From Collectivization To The Great Terror - Олег Витальевич Хлевнюк - Google Books

Nach wie vor kann man davon ausgehen, dass Stalin die RKKA frühesten in 1942 als "bedingt" kriegseinsatzbereit" einschätzte. Also nach der massiven Reorganisation der Mech-Korps und der Entwicklung der militärischen Infrastruktur (die deutlich westlich der "Stalin-Linie" neu zu bauen war).
 
Dieser Beitrag ist ja nun schon ein paar Jahre her.
Gibts da was neues?

Glantz, Barbarossa Derailed - Smolensk 1941, beschäftigt sich erneut mit der Aufmarschplanung, und bestätigt die bisherige Auffassung.

Im Sommer 1941 waren für die UdSSR der MP41 und der DP41 maßgeblich, als Aufmarsch- und Kriegspläne.

Shukovs Memo trägt nicht die Signatur Stalins, was abweichend vom Usus entweder Zurückweisung des Plans bedeutet, oder dass Stalin keine Kenntnis hatte.

Unterhalb von DP41 wurde der Shukov-Plan teilweise in dem gültigen DP41 des Kiewer Militärdistrikts bzgl. des Aufmarsches ausgewertet, nicht jedoch in den sonstigen Militärdistrikten. Shukov saß in Kiew, was somit nicht verwundern kann.

Glantz bestätigt erneut, dass der Plan idS strategisch defensiv zu werten ist, weil er einen operativen Präventivschlag in den fast abgeschlossenen deutschen Aufmarsch unmittelbar vor dem deutschen Angriff als "Idee" hatte. Da er bereits über MP41 optimistisch in der Mobilisierung hinausging, und selbst MP41 von April bis Juni 1941 weit hinter dem Zeitplan hing und nicht realisiert werden konnte, ist seine Irrealität wohl klar gewesen.
 
OT-Diskussion über den Zusammenhang von Plievier und Shukov-Planung gelöscht.

Hinweis wird ebenfalls später gelöscht.
 
...
Shukovs Memo trägt nicht die Signatur Stalins, was abweichend vom Usus entweder Zurückweisung des Plans bedeutet, oder dass Stalin keine Kenntnis hatte...

Das wäre ein wichtiger quellenkritischer Ansatz. Ich kenne die Kontrasignatur-Praxis von Stalin nicht, auch nicht, wie seine Büroorganisation im Einzelnen den Eingang eines Dokumentes dokumentierte, inkl. Eingangsvermerke bzw. Eingangsbestätigungen, Dringlichkeitsvorgaben zur Vorlage etc.

Als Befehlshaber eines Militär-Bezirkes war Shukov in einer herausgehobenen Position der Nomenklatura und hatte eine ziemliche Eskalationsmächtigkeit.

M.
 
Das wäre ein wichtiger quellenkritischer Ansatz. Ich kenne die Kontrasignatur-Praxis von Stalin nicht, auch nicht, wie seine Büroorganisation im Einzelnen den Eingang eines Dokumentes dokumentierte, inkl. Eingangsvermerke bzw. Eingangsbestätigungen, Dringlichkeitsvorgaben zur Vorlage etc.

Wichtige Dokumente wurden von Stalin abgezeichnet und wurden damit verbindlich, häufig mit Bemerkungen bzw. Glossen versehen, selbst "Todeslisten" für Säuberungen, oder eben auch MP41 bzw. DP41.

Das fehlt hier.
 
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