Deutsche Weltmachtpolitik 19. - 20. Jahrhundert

Ich will jetzt nicht bewerten, ob die Annektion nun klug war oder nicht. Frankreich wäre sicher bei einem Sieg gegenüber Preußen auch nicht zimperlich gewesen. Der Schacher mit Gebietsabtretungen war in jener Zeit durchaus nichts Unübliches, auch Frankreich war da beteiligt, und völkerrechtlich war es eher eine Zession und nicht eine Annektion. Aber die Franzosen waren nun einmal maßlos empört über den ihrer Meinung nach Frankfurter Schandfrieden von Mai 1871 und das wirkte bis 1919 in Versailles nach. Was viele Franzosen bei ihrer Ablehnung des Frankfurter Friedens übersahen, war die schlichte Tatsache, dass sie Krieg verloren, den sie erklärt haben, haben und diesen sehr in die Länge gezogen haben und damit auch für eine gewissen Erbitterung auf deutsche Seite gesorgt haben.

Thiers führte beispielsweise dazu aus: „ Eine etwaige Annektion östlicher Provinzen werde einen ewigen Krieg zwischen beiden Nationen heraufbeschwören.“ Nachzulesen in den Tagebuchblättern von Ranke. Oder: “Die Milliarden seien auf ewig verloren, aber die Provinzen zurückgeholt werden würden.“ Nachzulesen bei Antonmattei.

Die Annektion des Elsass und Lotringens war, ich führte es schon aus, eine schwere Belastung für die Zukunft des Deutschen Reiches gewesen. Und sie brachte im europäischen Ausland kein Vertrauen; obwohl, es nichts Ungewöhnliches war. Die Annektion ließ sich militärstrategisch zum Teil auch rechtfertigen. Die weitere Forderung nach Abtretung des Erzgebietes in Lothringen hat die Dinge auch nicht eben einfacher gemacht.

Frankreich hätte sich mit dem deutschen Einheitsstatt schon arrangiert. Und ein milder Frieden, wie man es beispielhaft gegenüber Österreich 1866 vorführte, hätte ganz gewisse nicht ganz Frankreich gegen Deutschland aufgebracht. Ein milder Frieden hätte auch in Europa Vertrauen geweckt. Ein milder Frieden hätte Frankreich die Niederlage besser verdauen lassen und man hätte sich irgendwann die Hand reichen können und zu einer konstruktiven Politik zurückfinden können. Dafür gibt es in der Geschichte nun hinreichend Beispiele, das ein Verlierer von heute schon morgen mit dem Sieger gedeihlich zusammenarbeiten kann.

Nein, ich hänge den Rückversicherungsvertrag nicht zu hoch. Ich habe dazu ja schon so einiges geschrieben. Entscheidend war jedoch, dass die Nichtverlängerung zu einen sehr schlechten Zeitpunkt stattfand. Russland stand auf einmal allein und nach Lage der damaligen außenpolitischen Gesamtsituation lag es für das Zarenreich eben nahe, Anlehnung bei Frankreich zu suchen. Das war folgerichtig und hätte für 5 weitere Jahre, eben durch die Verlängerung des Rückversicherungsvertrages, verhindert werden können.
 
Frankreich hätte sich mit dem deutschen Einheitsstatt schon arrangiert. Und ein milder Frieden, wie man es beispielhaft gegenüber Österreich 1866 vorführte, hätte ganz gewisse nicht ganz Frankreich gegen Deutschland aufgebracht. Ein milder Frieden hätte auch in Europa Vertrauen geweckt.

Inwiefern war denn der Frieden für Österreich milder, als der für Frankreich?
Österreich verlor mit Venezien immerhin eine gut entwickelte, durchaus nicht wertlose Prowinz und militärisch gesehen eine ganz hervorragende Position aus von der man im "Kriegsfall I" sehr gut in die Po-Ebene hineinstoßen konnte, imklusive der Festungen Verona und Legnano, so wie Venedig, als nicht ganz unbedeutendem Adria-Hafen.
Dazu der Verlust jeglichen Einflusses nördlich der Mainlinie und die deutliche Beschneidung des Einflusses südlich davon.
Der Unterschied ist, dass das Gebiet eben an Italien ging.
Nun wird man behaupten können, dass wenn Italien qua der Tatsache, dass es sich um ein italienischsprachiges Territorium handelte, legitime Ansprüche auf das Veneto anmelden konnte, entsprechende Ansprüche eines geeinten deutschen Staates auf wenigstens das Elsass und "Deutschlothringen", demgegenüber sicher nicht schlechter gewesen wären.

Frankreich verlor das Elsass, behielt den größten Teil Lothringens, und büßte die Festungen Straßburg und Metz ein, zusätzlich dazu einen Teil der lothringischen Erzvorkommen.

Ich sehe da nicht unbedingt, wo der Frieden für Österreich da jetzt bedeutend milder war, als der für Frankreich. Die territorialen Gewinne landeten nur bei verschiedenen adressaten.
Letztendlich wurden aber beide Verlierer an ihrem territorialen Besitz gezüchtigt, beide verloren wirtschaftlich durchaus potente Gebiete und jeweils zwei bedeutende Festungen, womit sich die militärischen Möglichkeiten beider drastisch verschlechterten.

Von der perspektive Preußens aus gsehen, war man mit Österreich sicherlich gnädiger, als mit Frankreich. Ob man das in Wien aber auch so empfunden hat (denn immerhin mit den Italienern wurde man im Krieg von 1866/1667 ja fertig, so dass sie Abtretung des Veneto de facto von Preußen, nicht von Italien erzwungen wurde), weiß ich nicht.

Ein milder Frieden hätte Frankreich die Niederlage besser verdauen lassen und man hätte sich irgendwann die Hand reichen können und zu einer konstruktiven Politik zurückfinden können. Dafür gibt es in der Geschichte nun hinreichend Beispiele, das ein Verlierer von heute schon morgen mit dem Sieger gedeihlich zusammenarbeiten kann.

Ich bin eigentlich der Meinung, dass der Frieden, der da 1871 zustande gekommen ist, angesichts der Lage Frankreichs ziemlich milde war, weil er Belfort bei Frankreich beließ und keine weiteren Abtretungen in Richtung auf Verdun anvisierte.
Die damit festgelegte Grenze zog sich mitten durch die Vogesen und beließ Frankreich dabei die Schlüsselpositionen um Sperrfestungen zu errichten/auszubauen, die ein Umgehen der Vogesen in nördlicher oder südlicher Richtung ohne die Schweiz oder Luxemburg und Belgien zu involvieren unmöglich machten.

Man hätte demgegenüber die Sache auch noch etwas in die Länge ziehen und den Grenzverlauf an diesen beiden Positionen zu eigenen Gunsten anders erzwingen können, in dem Fall hätte sich Frankreichs Verteidigungsfähigkeit gegen Deutschland hin ganz gravierend verschlechtert.

Man sollte eigentlich meinen, diese beiden nich unwichtigen Positionen bei Frankreich zu belassen, obwohl dieses faktisch nichts dagegen hätte unternehmen können, hätte man sie ihm abgenommen, hinreichend gewesen wäre, Frankreich zu signalisieren, dass man wünschte, mit ihm künftig im Friden zu leben und dass auch den anderen europäischen Mächten klar zu machen.
Denn warum sonst, hätte man im Frieden einen Grenzverlauf anpeilen sollen, der beiden Seiten den Aufbau recht starker defensiver Positionen ermöglichte und somit jeder der beiden Seiten einen künftigen, direkten Angriff, alleine schon aus militärgeographischen Gründen massiv erschweren musste.

Aus meiner Sicht, ist die realiter gewählte Grenzziehung durchaus ein deutliches Statement dahingehend, dass man sich gen Westen als saturiert betrachtete.
Was nun Frankreich angeht: Welchen objektiven Grund hatte man gemessen am eigenen Handeln sich über die Annexion von Elsass und Lothringen zu beschweren?
Hatte man nicht selbst, knapp 10 Jahre vorher das Verschieben österreichischer Territorien an Sardinien-Piemont mit großem Eifer betrieben um sich dabei selbst territorial zu bereichern?

Wenn also die deutschen Annexionen so verdammensert waren, war doch das eigene Umgehen mit der Lombardei, die Man Österreich gewaltsam abhnam um sie dann gegen Nizza und Savoyn einzutauschen, nicht weniger verdammenswert.
Ist man in Frankreich aber jemals auf die Idee gekommen, die beiden auf diese fragwürdige Weise erworbenen Territorien wieder abzugeben?

Wenn nicht, konnte es dabei also nicht um generell anwendbare Prinzipien gehen, sondern lediglich um reinen machtpolitischen Egoismus.
Wer aber garantierte, dass sich dieser dann nicht auch bei Gelegenheit wieder auf den Rhein richten würde?

Ich will hier die Annexion von Elsass und Lothringen nicht schönreden, zumal mir bekannt ist, in welcher Weise die Bewohner der beiden Territorien in der Folge politisch diskriminiert wurden. Auch die Ausweisungspraktiken, sind mir bekannt.
Das kann ich selbstredend nicht gutheißen.

Dennoch bleibe ich dabei, der Verlauf der Grenzziehung war ein manifestes Statement, das auf Frieden abziehlte und dass man in dieser Form eigentlich nur übersehen konnte, wenn man es übersehen wollte.


Nein, ich hänge den Rückversicherungsvertrag nicht zu hoch. Ich habe dazu ja schon so einiges geschrieben. Entscheidend war jedoch, dass die Nichtverlängerung zu einen sehr schlechten Zeitpunkt stattfand. Russland stand auf einmal allein und nach Lage der damaligen außenpolitischen Gesamtsituation lag es für das Zarenreich eben nahe, Anlehnung bei Frankreich zu suchen. Das war folgerichtig und hätte für 5 weitere Jahre, eben durch die Verlängerung des Rückversicherungsvertrages, verhindert werden können.

Wie gesagt, da bin ich etwas anderer Meinung, weil ich absolut nicht sehe, welche Basis der Rückversicherungsvertrag Russland perspektivisch für eine aktive Politik im Westbalkan hätte bieten sollen. So lange es um machtpolitische "Besitzsstandswahrung" im Ostbakan ging und darum und in Fernost für Russland die Tür zur weiteren Machtausdehnung und Expansion offen stand, hatte der Rückversicherungsvertrag seinen Wert.

Lediglich, der Aufstieg Japans, der Russlands Möglichkeiten im Osten Grenzen setzte, vollzog sich gänzlich unabhängig von den Windungen der europäischen Politik und mit der faktisch existierenden Besatzungs Bosniens und der Herzegowina, war auch 1890 bereits klar, dass in den Westbalkan, mindestens in begrenzten Ausmaß Bewegung hineinkommen würde.

Was also garantiert, dass der Rückversicherungsvertrag auf Dauer bestand gehabt hätte, während sich Russlands Möglichkeiten und Prioritäten, was Expansionsziele angeht, seit Bismarcks Zeit sukzzessive verschoben, was teilweise absehbar war (wer konnte denn annehmen dass Russland sich im Hinblick auf den Balkan auf Ewig mit dem Einfluss auf seinen Protégé Bulgarien begnügen würde)?

Ja, vielleicht hätte der Rückversicherungsvertrag 5 weitere Jahre Sicherheit gegeben, wenn man ihn verlängert hätte. Aber was wäre am Ende damit gewonnen gewesen? Es musste auch damals absehbar sein, dass eine Zeit kommen würde, in der dieser Vertrag nicht mehr ausreichte den russischen Expansionswünschen Rechnung zu tragen.
Was hätte aber dann Russland von Frankreich weg gehalten, denn Frankreich musste durch seine isolierte Lage ja grundsätzlich an einer Zusammearbeit gelegen sein?
Um letzteres zu erreichen, hätte man weiter auf russische Interessen eingehen müssen und das hätte nur auf Kosten österreichischer Interessen funktionieren können.

Insofern hatte das System, das Bismarck da zusammengeschustert hatte ein Ablaufdatum, und das wäre, so sehe ich das jedenfalls, auf den Moment terminiert gewesen, ab dem für Russland der Westbalkan interessant werden musste, weil im Osten durch Japan nichts mehr zu machen war und es im Ostbalkan keinen Einfluss mehr zu gewinnen gab, weil man den, jedenfalls solange es Bulgarien betrifft, bereits inne hatte.

Deswegen die von mir angestoßene Frage, ob Bismarcks Nachfolger dessen Politik so ohne weiteres hätten fortsetzen können.
Vielleicht hätten sie das 5 oder 10 oder sogar 15 Jahre lang gekonnt, aber dann wäre die Angelegenheit an ihren inneren Widersprüchen gescheitert.

Insofern halte ich den Grundgedanken einer Umorientierung eigentlich für folgerichtig. Darüber, dass man in der Art und Weise, die Sache komplett vermasselt hat, braucht man demgegenüber nicht zu reden, das ist klar.
 
Deswegen halte ich es für sehr fraglich, ob ein fiktiv weiterbestehender Rückversicherungsvertrag, nachdem Russland sein fernöstliches Spielfeld aufgeben musste und sich auch des Drucks der Öffentlichkeit wegen eine konziliante Haltung hinsichtlich des Westbalkans kaum noch leisten konnte, darüber hinaus, besonders gute Chancen auf Beatand gehabt hätte.

Das ist selbstverständlich „fraglich“: ob eine solcher Vertrag Bestand gehabt hätte, da er ja nicht verlängert wurde. (In der Mathematik würde man das als „triviale Lösung“ betrachten; beide Seiten der Gleichung mit Null multiplizieren, fertig ist man. :D)

.. und sich auch des Drucks der Öffentlichkeit wegen eine konziliante Haltung hinsichtlich des Westbalkans kaum noch leisten konnte,..
Da stellt sich schon die Frage, wie dieser Druck durch eine, ab 1906 hochschießenden, öffentlichen Meinung* zustande kam und ob diese von innen induziert wurde, oder von Außen.

* ‚public opinion‘ trifft es als Ausdruck besser, denn der benennt Überzeugung statt Meinung.
 
Wenn ich von einen milden, beispielhaften Frieden für Österreich gesprochen habe, meine ich damit den Prager Frieden zwischen Österreich und Preußen aus dem Jahre 1866.

Dieser Frieden sah vor, das Österreich kein Territorium an Preußen abtreten musste. Österreich musste Preußen 20 Millionen an Reparationen zahlen; ein verhältnismäßig geringer Betrag. Außerdem musste Österreich der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmen und seine Rechte an Holstein an Preußen abzutreten. Das war ein milder Frieden.

Ich habe nicht vom Frieden zwischen Italien und Österreich gesprochen. Im Übrigen hatte Österreich selbst schon in unmittelbaren Vorfeld des Krieges, im Juni 1866, auf Venetien verzichtet, um sich dadurch die Neutralität Frankreichs zu erkaufen. Napoleon III. setzte auf das falsche Pferd, denn er erwartet einen Sieg Österreichs. Hätte er einen preußischen Sieg erwartet, hätte er sich wohl nicht so einfach und ohne konkrete Zusagen von Bismarck vor dem Krieg abspeisen lassen.

Ganz Frankreich sah das vollkommen anders. Staatsführung und Bevölkerung waren sich einig und empfanden die vollständige militärische Niederlage, die Begründung des Deutschen Kaiserreichs auf französischen Boden, die durch den Frankfurter Frieden noch saurer wurde, als empfindliche Demütigen der Grande Nation. Hier wurde der französische Stolz, der sicher übertrieben war, ganz empfindlich getroffen. Die deutsch-französische Erbfeindschaft hatte einen neuen Höhepunkt erreicht. Das war Bismarck auch vollkommen bewusst.

Ich habe bisher noch in keiner historisches Abhandlung lesen können, welches den Frankfurter Frieden als einen milden bewertet. Die Kriegskontribution in Höhe von 5 Milliarden war für damalige Verhältnisse eine gewaltige Summe und war selbst nach Bismarcks Urteil nicht mehr angemessen. Bismarck war klar, das Frankreich dieses Demütigung niemals akzeptieren werde und ganz sicher nicht als Partner oder gar Verbündeter zu gewinnen sein würde. Mittelfristig ist wohl mit einer militärischen Revanche zu erwarten, so Bismarck. Die deutsch-französischen Beziehungen standen ab Mai 1871 sicher nicht auf einen sonderlich soliden Fundament.

Klar man streiten, ob das französische Empfinden gerechtfertigt geschweige denn rational vernünftig war; gleiches gilt ja auch "Rache für Sadowa". Der entscheidende Punkt m.E. ist aber der, das man deutscherseits, und Bismarck wusste dies, eben mit diesem ausgeprägten französischen nationalen Empfinden rechnen musste und dass dieser Frieden bei den anderen Großmächten auch nicht gerade wohlwollend aufgenommen werden würde. Frankreich musste praktisch seine mächtige Position im europäischen Mächtekonzert an Deutschland abtreten, was durch diesen harten Frieden für jedermann sichtbar wurde.

Russland war zum damaligen Zeitpunkt, so führte es Schuwalow gegenüber Bismarck im Zuge der Verhandlungen des Rückversicherungsvertages aus, Interessenkollisionen mit Österreich-Ungarn direkt zu lösen. Russland ist über dem Vertrag von 1879 von Bismarck in Kenntnis gesetzt worden.
 
Ich habe nicht vom Frieden zwischen Italien und Österreich gesprochen.
Spielt doch für die Österreichischen Verluste, keine Rolle, zumal die preußischen Waffen ja nicht eben geringen Anteil daran hatten, Italien diese Zugewinne zu ermöglichen.

Im Übrigen hatte Österreich selbst schon in unmittelbaren Vorfeld des Krieges, im Juni 1866, auf Venetien verzichtet, um sich dadurch die Neutralität Frankreichs zu erkaufen. Napoleon III. setzte auf das falsche Pferd, denn er erwartet einen Sieg Österreichs. Hätte er einen preußischen Sieg erwartet, hätte er sich wohl nicht so einfach und ohne konkrete Zusagen von Bismarck vor dem Krieg abspeisen lassen.

Auch das revidiert nicht das Faktum, dass Österreich Venetien los wurde und damit durchaus schmerzhafte territoriale Einbußen hinzunehmen hatte.
Es ist nur einmal mehr Nachweis dessen, dass man in Frankreich fremden Territorialbestand durchaus für verhandelbar hielt, wenn es denn den eigenen Interessen diente.

Klar, Österreich stimmte der Abtretung Veneties bereits vor dem Krieg vertraglich zu, aber doch nicht deswegen, weil es das freiwillig so gerne los werden wollte, sondern weil ein Einschwenken Frankreichs auf die preußische Seite Österreichs sichere Niederlage gewesen wäre.

Das nun als Argument für "milde" gegenüber Österreich anführen zu wollen, halte ich für fragwürdig. Dann müsste könnte man ja im Gegenzug anführen, dass Frankreich im Frankfurter Frieden ebenfalls "von sich aus" auf Elsass und Lothringen verzichtet habe, weil es hätte das ja, bei Konsequenz der Fortsetzung des sinnlosen Gemetzels, unterlassen können.

Ganz Frankreich sah das vollkommen anders. Staatsführung und Bevölkerung waren sich einig und empfanden die vollständige militärische Niederlage, die Begründung des Deutschen Kaiserreichs auf französischen Boden, die durch den Frankfurter Frieden noch saurer wurde, als empfindliche Demütigen der Grande Nation. Hier wurde der französische Stolz, der sicher übertrieben war, ganz empfindlich getroffen. Die deutsch-französische Erbfeindschaft hatte einen neuen Höhepunkt erreicht. Das war Bismarck auch vollkommen bewusst.
"Stolz" ist in diesem Kontext ein Euphemismus, die Art und Weise, in der man sich von französischer Seite her bis dato über das Wiener System hinweg gesetzt hatte und die Selbstverständlichkeit mit der Teile der französischen Öffentlichkeit meinten, dass Frankreich irgendein wie auch immer geartetes Recht auf die Beherrschung des Rheinlands habe, ist schlicht weg als "Chauvinismus" und "Arroganz" zu bezeichnen.
In dem Sinne, ähnlich problematisch, wie die Attitüde deutscher Annexionisten, die 2 Generationen später den Hals nicht voll bekommen konnten.





Ich habe bisher noch in keiner historisches Abhandlung lesen können, welches den Frankfurter Frieden als einen milden bewertet. Die Kriegskontribution in Höhe von 5 Milliarden war für damalige Verhältnisse eine gewaltige Summe und war selbst nach Bismarcks Urteil nicht mehr angemessen. Bismarck war klar, das Frankreich dieses Demütigung niemals akzeptieren werde und ganz sicher nicht als Partner oder gar Verbündeter zu gewinnen sein würde. Mittelfristig ist wohl mit einer militärischen Revanche zu erwarten, so Bismarck. Die deutsch-französischen Beziehungen standen ab Mai 1871 sicher nicht auf einen sonderlich soliden Fundament.

Wie gesagt, wie ich dass sehe, wäre man anno 1871 von preußisch-deutscher Seite her durchaus auch in der Lage gewesen, Frankreich eine Ostgrenze zu verpassen, die sich weit weniger einfach hätte verteidigen und befestigen lassen.
Sicher, finanziell war der Frieden für Frankreich durchaus happig. Auf der anderen Seite, hat man den Krieg von französischer Seite her begonnen und auch unnötig in die Länge gezogen, was denn auch der anderen Seite einiges an Kosten verursacht hat.
Wäre man in Frankreich vernünftig genug gewesen nach Sedan einen Verlustfrieden zu akzeptieren, wäre der sicherlich deutlich milder ausgefallen, möglicherweise auch territorial.


Klar man streiten, ob das französische Empfinden gerechtfertigt geschweige denn rational vernünftig war; gleiches gilt ja auch "Rache für Sadowa". Der entscheidende Punkt m.E. ist aber der, das man deutscherseits, und Bismarck wusste dies, eben mit diesem ausgeprägten französischen nationalen Empfinden rechnen musste und dass dieser Frieden bei den anderen Großmächten auch nicht gerade wohlwollend aufgenommen werden würde. Frankreich musste praktisch seine mächtige Position im europäischen Mächtekonzert an Deutschland abtreten, was durch diesen harten Frieden für jedermann sichtbar wurde

Mit "Rache für Sadowa" sprichst du aber mMn durchaus schon einen Punkt an, der doch erhebliche Zweifel an der künftigen Friedferigkeits Frankreichs auch ohne Annexionen sähen musste.
Denn da fühlten sich weite Teile der französischen Bevölkerung ja nicht einmal durch eine eigene Niederlage gekränkt, sondern bereits dadurch, dass Frankreich keine Appanage gewährt wurde, dafür, dass Österreich militärische Niederlagen hatte einstecken müssen.

Wenn man es also in der farnzösischen Öffentlichkeit in weiten Teilen bereits als eine Beleidigung der Nation auffasste, für Niederlagen, die das eigene Land überhaupt nicht erlitten hatte, sondern lediglich, weil sich seine eigene Regierung verspekuliert hatte warum sollte man dann erwarten, bei einer Niederlage Frankreichs, wenn auch ohne Annexionen weniger übersteigerte Revanchegelüste zu wecken?
Wie gesagt, ich möchte grundsätzlich keine Annexionspolitik über die Köpfe der jeweiligen Bevölkerung hinweg schön reden und die anschließende Behandlung dieser Bevölkerung und dem Umstand des "Reichslandes" und der damit verbundenen Diskriminierungen erst recht nicht.
Militärisch halte ich es aber für nachvollziehbar.

Bismarck hat seinerzeit mal argumentiert (genaue Stelle müsste ich herauskramen), dass man Frankreich nach X Agressionen gegen den deutssprachigen Raum seit dem 30-Jährigen Krieg immer insofern zuvorkommend behandelt habe, dass es kaum einmal, selbst bei schweren Niederlagen territoriale Einbußen hat hinnehmen müssen, ohne dass dies Frankreich je von dem Weg abgebracht habe, seinen Einfluss ostwärts ausdehnen zu wollen.

Mal unabhängig davon, dass es die Möglichkeit Frankreich so deutlich viel abzunehmen faktisch selten genug gab und dass wenn überhaupt, schon gar nicht originär in preußischen oder allein gesamtdeutschen Händen lag und auch wenn es Rechtfertigungsrethorik ist, meine ich, kann man dem nicht vollständig widersprechen.

Man hat Frankreich nach den Niederlagen Napoléons 2 mal einen verhältnissmäßig milden Frieden gewährt obwohl man in dieser Situation sicherlich Teile hätte abtrennen können.
Die Folge war aber nicht etwa, dass man sich in Frankreich damit arrangiert hätte, sondern die Folge war, dass man beim Auseinanderbrechen der Vereinigten Niederlande versuchte die Wallonie dabei in irgendeiner form abzugreifen, dass man anno 1840 ultimativ bei Drohung des Krieges die Übergabe territorialer Zugeständnisse am Rhein forderte, dass man um des eigenen Vorteils Willen an der Wiener Ordnung in Italien zündelte und sich zuletzt darin verstieg sich persönlich beleidigt zu fühlen, weil man zur Kompenstaion für die österreichischen Niederlagen keine Prozente bekam.

Es sollte klar sein, dass das Wiener System Frankreich dabei noch mehr machtpolitische Möglichkeiten im deutschsprachigen Raum und auch im restlichen Europa eröffnete, als das nach der Reichseinigung jeweils noch der Fall sein konnte.
Preußen wurde damit unvergleichlich mächtiger und kleinere deutsche Fürstentumer mit eigenständiger Politik, die man weitgehend von sich abhängig hätte machen können, gab es nicht mehr.

Ich möchte hier nicht anmaßend rüber kommen, verstehe aber nicht, worauf sich die Annahme begründet, dass man von französischer Seite schon aus freien Stücken akzeptiert hätte, dass ........

Man hat von französischer Seite schon das Wiener System nie wirklich akzeptiert obwohl das sicherlich deutlich weniger schwer zu schlucken war und man war (siehe "Rache für Sadowa") in Teilen bereit Krieg zu führen um Niederlagen "zu rächen", die man überhaupt nicht erlitten hatte.

Ich für meinen Teil hätte von einem Land mit einer derartig chauvinistisch gestimmten Öffentlichkeit nicht unbedingt Friedfertigkeit erwartet.
 
Spielt doch für die Österreichischen Verluste, keine Rolle, zumal die preußischen Waffen ja nicht eben geringen Anteil daran hatten, Italien diese Zugewinne zu ermöglichen.

Auch das revidiert nicht das Faktum, dass Österreich Venetien los wurde und damit durchaus schmerzhafte territoriale Einbußen hinzunehmen hatte.
Es ist nur einmal mehr Nachweis dessen, dass man in Frankreich fremden Territorialbestand durchaus für verhandelbar hielt, wenn es denn den eigenen Interessen diente.


Klar, Österreich stimmte der Abtretung Veneties bereits vor dem Krieg vertraglich zu, aber doch nicht deswegen, weil es das freiwillig so gerne los werden wollte, sondern weil ein Einschwenken Frankreichs auf die preußische Seite Österreichs sichere Niederlage gewesen wäre.


Das nun als Argument für "milde" gegenüber Österreich anführen zu wollen, halte ich für fragwürdig. Dann müsste könnte man ja im Gegenzug anführen, dass Frankreich im Frankfurter Frieden ebenfalls "von sich aus" auf Elsass und Lothringen verzichtet habe, weil es hätte das ja, bei Konsequenz der Fortsetzung des sinnlosen Gemetzels, unterlassen können.

Da ist gar nichts fragwürdiges dran. Österreich hat sich freiwillig dazu entschieden, Venetien aufzugeben. Das war der von Napoleon III. genannte Preis, den Österreich gezahlt hat. Man hat den Verlust also bereits vor dem ersten Schuss akzeptiert. Das ist Fakt. Österreich hätte als Gegenleistung von Napoleon III. sich zusichern lassen sollen, das wäre klug gewesen, das dieser dafür Sorge trägt, das Italien die Füße still hält.

Das Frankreich kein Unschuldslamm ist, das ist bekannt und wird auch gar nicht in Frage gestellt.

Europa, insbesondere Großbritannien, sympathisierte übrigens mit den italienischen Bestrebungen und die österreichische Fremdherrschaft galt schlicht als überholt.


"Stolz" ist in diesem Kontext ein Euphemismus, die Art und Weise, in der man sich von französischer Seite her bis dato über das Wiener System hinweg gesetzt hatte und die Selbstverständlichkeit mit der Teile der französischen Öffentlichkeit meinten, dass Frankreich irgendein wie auch immer geartetes Recht auf die Beherrschung des Rheinlands habe, ist schlicht weg als "Chauvinismus" und "Arroganz" zu bezeichnen.

Es geht doch überhaupt gar nicht darum, wie wir retrospektiv das französische Nationalempfinden bewerten, sondern, das dieses einfach adäquat hätte in Rechnung gestellt werden müssen. Und genau deshalb habe "Rache für Sadowa" erwähnt.


Wie gesagt, wie ich dass sehe, wäre man anno 1871 von preußisch-deutscher Seite her durchaus auch in der Lage gewesen, Frankreich eine Ostgrenze zu verpassen, die sich weit weniger einfach hätte verteidigen und befestigen lassen.

Da bin ich mir nicht so sicher. Bismarck hatte alle Hände voll zu tun, um das Mächtekonzert aus den Friedensverhandlungen herauszuhalten. Es gab auch Grenzen, über die Bismarck nicht rüber konnte.


Sicher, finanziell war der Frieden für Frankreich durchaus happig. Auf der anderen Seite, hat man den Krieg von französischer Seite her begonnen und auch unnötig in die Länge gezogen, was denn auch der anderen Seite einiges an Kosten verursacht hat.

Es wurde mehr verlangt, als der Krieg gekostet hat.

Wäre man in Frankreich vernünftig genug gewesen nach Sedan einen Verlustfrieden zu akzeptieren, wäre der sicherlich deutlich milder ausgefallen, möglicherweise auch territorial.

Ja, aber man war es eben nicht rational vernünftig und das war eben durchaus bekannt. Andererseits hätte es auch auf deutscher Seite auch gereicht, sich mit dem Elsass als Teil des deutschen Sprachraums zu begnügen. Das konnte noch nachvollzogen werden. Lothringen hingegen war eindeutig Teil des französischen Kulturraumes.




Mit "Rache für Sadowa" sprichst du aber mMn durchaus schon einen Punkt an, der doch erhebliche Zweifel an der künftigen Friedferigkeits Frankreichs auch ohne Annexionen sähen musste.
Denn da fühlten sich weite Teile der französischen Bevölkerung ja nicht einmal durch eine eigene Niederlage gekränkt, sondern bereits dadurch, dass Frankreich keine Appanage gewährt wurde, dafür, dass Österreich militärische Niederlagen hatte einstecken müssen.

Siehe meine obigen Ausführungen.

Wenn man es also in der farnzösischen Öffentlichkeit in weiten Teilen bereits als eine Beleidigung der Nation auffasste, für Niederlagen, die das eigene Land überhaupt nicht erlitten hatte, sondern lediglich, weil sich seine eigene Regierung verspekuliert hatte warum sollte man dann erwarten, bei einer Niederlage Frankreichs, wenn auch ohne Annexionen weniger übersteigerte Revanchegelüste zu wecken?

Du bewertest immer wieder das französische Ehrempfinden. Es geht, ich wiederhole, es in Rechnung zu stellen und nicht zu bewerten. Denn es war eine gegebene Tatsache, egal wie man dazu stand.


Wie gesagt, ich möchte grundsätzlich keine Annexionspolitik über die Köpfe der jeweiligen Bevölkerung hinweg schön reden und die anschließende Behandlung dieser Bevölkerung und dem Umstand des "Reichslandes" und der damit verbundenen Diskriminierungen erst recht nicht.
Militärisch halte ich es aber für nachvollziehbar.

Ja, ich führte es schon weiter oben aus, die Annektion ist militärstrategisch zum Teil nachvollziehbar. Diplomatisch hingegen war sie kontraproduktiv.
 
Bismarck hat seinerzeit mal argumentiert (genaue Stelle müsste ich herauskramen), dass man Frankreich nach X Agressionen gegen den deutssprachigen Raum seit dem 30-Jährigen Krieg immer insofern zuvorkommend behandelt habe, dass es kaum einmal, selbst bei schweren Niederlagen territoriale Einbußen hat hinnehmen müssen, ohne dass dies Frankreich je von dem Weg abgebracht habe, seinen Einfluss ostwärts ausdehnen zu wollen.

Mal unabhängig davon, dass es die Möglichkeit Frankreich so deutlich viel abzunehmen faktisch selten genug gab und dass wenn überhaupt, schon gar nicht originär in preußischen oder allein gesamtdeutschen Händen lag und auch wenn es Rechtfertigungsrethorik ist, meine ich, kann man dem nicht vollständig widersprechen.
Nur als Randnotiz:
Auf dem Wiener Kongress konnte Frankreich wichtige Teile der heutigen Pfalz als französisches Staatsgebiet sichern. Erst durch Napoleons Abenteuer von Elba nach Waterloo sah man sich von Seiten der deutschen Staaten veranlasst, diese jetzt pfälzischen Gebiete den Franzosen wegunehmen. Ohne den Hasardeur Napoleon wären diese Gebiete wohl sehr wahrscheinlich heute französisch und hätten einen Sprachenwechsel ins romanische vollzogen.

Landau in der Pfalz – Wikipedia
 
Da ist gar nichts fragwürdiges dran. Österreich hat sich freiwillig dazu entschieden, Venetien aufzugeben. Das war der von Napoleon III. genannte Preis, den Österreich gezahlt hat. Man hat den Verlust also bereits vor dem ersten Schuss akzeptiert. Das ist Fakt. Österreich hätte als Gegenleistung von Napoleon III. sich zusichern lassen sollen, das wäre klug gewesen, das dieser dafür Sorge trägt, das Italien die Füße still hält.

Das war der von Frankreich genannte Preis dafür, dass Frankreich sich nicht auf die preußische Seite schlagen und die Waffen gegen Österreich erheben würde. Und damit war daran überhaupt nichts freiwillig, sondern diese Abtretung war durch latente militärische Drohung erpresst.
Ja, man hat den Verlust vor dem ersten Schuss akzeptiert. Was genau macht das für das Faktum, dass dieser Verlust vor entsprechender militärischer Drohkulisse zustande kam für einen Unterschied?

Wenn dir auf der Straße jemand auflauert und du ihm beim vorgehaltenen Messer deinen Geldbeutel "freiwillig" abtrittst, bevor er damit zusticht, ist dein finanzieller Verlust dadurch kleiner, als wenn du ihn erst aushändigst, nachdem er es getan hat, oder wird das Handeln des Auflauernden durch diesen Umstand in irgendeiner Weise legal oder moralisch legitim?

Das Frankreich kein Unschuldslamm ist, das ist bekannt und wird auch gar nicht in Frage gestellt.

Europa, insbesondere Großbritannien, sympathisierte übrigens mit den italienischen Bestrebungen und die österreichische Fremdherrschaft galt schlicht als überholt.
Joa, in Teilen des deutschsprachigen Raums galt die französische "Fremdherrschaft" über Elsass und Lothringen auch als überholt.
Insofern ist es reichlich Rosinenpickerei, die österreichischen Grenzen als ausfluss diverser internationaler Abkommen für verhandelbar zu erklären, die Deutschen aber nicht und Italien zugestehen zu wollen, mehr oder minder jedes größere italienischsprachige Gebiet seinem Nationalstaat einverleiben zu wollen, weil der Nationalismus eine legitime Sache sei, selbiges den Deutschen oder auch den Franzosen (wie denken an die Wallonie) nicht gestatten zu wollen.

Derart inkonsequent, sich in dieser Weise einseitig für die italienische Sache zu engagieren, war ja nicht einmal Frankreich. Oder war vielleicht die von Frankreich bewaffnet geschützte, aus dem Mittelalter tradierte und in Wien erneuerte Herrschaft des Papstes über Rom und das Lazio in irgendeiner Form zeitgemäßer, als Österreichs Herrschaft im Veneto und im Trentino?

Es geht doch überhaupt gar nicht darum, wie wir retrospektiv das französische Nationalempfinden bewerten, sondern, das dieses einfach adäquat hätte in Rechnung gestellt werden müssen. Und genau deshalb habe "Rache für Sadowa" erwähnt.
Ich würde mal Behaupten, dass "bewerten" und "in Rechnung stellen" so strickt denn auch wieder nicht von einander zu trennen sind.
Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/1871 war doch kein von Napoléon III. im stillen Kämmerlein ausgeheckter und anschließend mintziös inszenierter Kabinettskrieg, sondern die französische Kriegserklärung kam durch nicht unerheblichen Druck der französischen Öffentlichkeit und der französischen Presse zu stande.

Das ignorierst du hier vollkommen. Sicherlich, Bismarck hatte mit der Emser Depesche durchaus in voller Absicht Öl ins Feuer gegossen. Frankreichs Öffentlichkeit aber nahm das nur allzu bereit auf, um zum Krieg zu trommeln. An dieser Stelle handelt es sich nicht mehr nur um ein reines "Bewerten" des französischen Nationalempfindens, sonder es handelt sich um ein in Rechnung stellen desselbigen als in dieser Form friedensgefährdenden Faktor vorexerziert in der Rolle von Öffentlichkeit und Presse bei der Genese des Krieges von 1870/1871.
Der Übergang Frankreichs von der Monarchie zur Republik, machte diesen Punkt auch nicht ungefährlicher, weil er darüber hinaus auf französischer seite noch einen potentiellen politischen Veto-Player gegen das Aufwallen allzu bellezistischer Stimmungen aus dem Spiel nahm.

Da bin ich mir nicht so sicher. Bismarck hatte alle Hände voll zu tun, um das Mächtekonzert aus den Friedensverhandlungen herauszuhalten. Es gab auch Grenzen, über die Bismarck nicht rüber konnte.
Natürlich gab es Grenzen, über die auch Bismarck nicht herüber konnte.
Wer wäre denn aber faktisch in der Lage und willens gewesen einzugreifen?
Österreich-Ungarn, war nach wie vor damit beschäftigt die vorangegangene Niederlage und die schlagartige Änderung der innenpolitischen Verhältnisse zu verdauen.
Du bemühst dich an anderer Stelle ja immer wieder darzustellen, dass Frankreich für Bismarcks Handeln anno 1866/1867 keine Gefahr dargestellt habe, da seine Armee in der Kürze der Zeit nicht in hinreichendem Maße ad hoc mobil zu machen gewesen.
Das nun, wird man hier für Österreich-Ungarn erst recht anführen dürfen.

Großbritannien wäre mit solchen Veränderungen sicherlich nicht unbedingt einverstanden gewesen, verfügte aber auch über kein adäquates Landherr um damit auf dem europäischen Festland entsprechend auf den Tisch hauen zu können.

Bliebe als potentielles ernstes Hindernis noch Russland. Warum genau, sollte man russischer Seits auf die Idee kommen wegen Belfort, wegen einer um 20-30 Km an die Westhänge der Vogesen oder eines etwas weiteren Ausgreifens in Richtung Toul oder Verdun Krieg gegen das neu gegründete Reich zu führen?
Noch dazu für eine französische Republik. Noch dazu für eine französische Gesellschaft, die sich in den dekaden zuvor notorisch polenfreundlich gezeigt hatte und deren Liberale Presse, die Forderung nach der Freiheit Polens in gewisser Regelmäßigkeit neu aufkochte?
Zudem, man hätte es ja nicht über weitere Gebietsabtretungen regeln müssen, sondern man hätte die Festungen, im anschließenden Grenzgebiet auch einfach schleifen und im Friedensvertrag einseitig die Neuanlegung untersagen können. Das Verbot der Anlage von Festungen an bestimmten Plätzen war in der europäischen Geschichte bis dahin ja durchaus nicht ohne Beispiel.

Es wurde mehr verlangt, als der Krieg gekostet hat.
Nenn mir mal einen Krieg, bei dem sich der Sieger am Ende damit begnügt hätte, ihn zum Selbstkostenpreis zu führen.

Ja, aber man war es eben nicht rational vernünftig und das war eben durchaus bekannt. Andererseits hätte es auch auf deutscher Seite auch gereicht, sich mit dem Elsass als Teil des deutschen Sprachraums zu begnügen. Das konnte noch nachvollzogen werden. Lothringen hingegen war eindeutig Teil des französischen Kulturraumes.

Was genau heißt "Kulturraum"? Das kann man ja nun durchaus auch anders definieren, als an Hand sprachlicher Kriterien und da ließe sich ja auch durchaus behaupten, schaute man etwa auf die Rechtstraditionen etc. dass da auch das Elsass nicht dazu gehörte.
Zudem, wovon reden wir? Damit von einem gesamtdeutschen Kulturram zu reden, tue ich mich hier durch recht schwer, anlässlich der Tatsache, dass Österreich bekanntermaßen außen vor blieb, dafür nennenswerte polnischsprachige Gebiete vertreten waren und man bereits üben Annexionen zu debattieren begann, bevor die letztendliche konkrete politische Einbindung der übrigen süddeutschen Staaten in diesen Raum vollzogen war.
Zu einem, faktisch in der Hauptsache handelnden norddeutsch-polnischen Raum wie es der Norddeutsche Bund einmal war, gehörte nun auch das Elass sicherlich nicht.

Welche Territorien, die man mit diesem Krieg von Frankreich zu gewinnen erhoffte gehörten denn umgekehrt einem wie auch immer gearteten französischen Kulturraum an?
Ich denke entsprechende Phantasien hinsichtlich des Rheinlands weil dort unter Napoléon anderthalb oder zwei Dekaden Frankreich regierte, kommen noch abstruser daher, als das Elsass in irgendeiner kulturellen Einheit mit Preußen sehen zu wollen oder sich darein zu versteigen, dass man von deutscher Seite irgendwelche legitimen Ansprüche auf Teile Lothringes habe, weil die bis 150 Jahre zuvor noch irgendwo zum Heiligen Römischen Reich gehört hatten oder derlei Absurditäten.

Wenn sich beide Seiten an das Prinzip gehalten hätten sich auf das beschränken zu wollen, was man noch einigermaßen sinnvoll ihrem "Kulturraum" zuordnen konnte, wäre dieser Krieg nie geführt worden, denn dass man ihn von französischer Seite her ohne territoriale Ambitionen betrieb, nur um Bismarcks Tintenkleckserei in Bad Ems zu rächen, wirst du mir nicht weißmachen wollen.
Warum also Prinzipien anwenden, von denen man weiß, dass der Gegner sie sehr gerne in Anspruch nimmt, wenn sie ihm gerade nutzen, die er aber geflissentlich und evident immer wieder übergeht, wenn sie gerade nicht zu den eigenen mittelfristigen Zielvorstellungen passen?
 
Du bewertest immer wieder das französische Ehrempfinden. Es geht, ich wiederhole, es in Rechnung zu stellen und nicht zu bewerten. Denn es war eine gegebene Tatsache, egal wie man dazu stand.
Nein, ich stelle in Rechnung, das ein überzogener Bellezismus der fanzösichen Öffentlichkeit bereits in der Vergangenheit Einfluss auf die französische Politik hatte, so dass man da etwaige Widerholungen durchaus aus vernünftigen Beweggründen heraus antizipieren konnte, wenn nicht musste.

Ja, ich führte es schon weiter oben aus, die Annektion ist militärstrategisch zum Teil nachvollziehbar. Diplomatisch hingegen war sie kontraproduktiv.
Und der Meinung bin ich eben nicht.
Diplomatisch im entscheidenden Maße kontraproduktiv, wären sie gewesen, wenn man sich damit Optionen verbaut hätte, die sonstigenfalls da gewesen wären.
Um das eindeutig feststellen zu können, wäre es wie gesagt notwendig den Nachweis zu führen, dass Frankreich sich im Falle eines milderen Friedens dauerhaft kooperativ gezeigt hätte.
Den Nachweis hast du aber nicht erbringen können und er ist, weil kontrafaktisch auch nicht zu erbringen.
Das ist nichts weiter als eine Theorie, die sich auf der Annahme gründet, dass milde schon irgendwie mit Dankbarkei honoriert werden würde.
Dachte Chamberlain, ohne hier allzu schiefe Vergleiche anstellen zu wollen, auch mal.

Es ist wie gesagt eine Theorie, eine andere, an den vorherigen Erfahrungen mit Frankreich gemessene Theorie würde die gegenteilige Annahme stützen und ist demgegenüber sicherlich als kontrafaktische Überlegung erstmal nicht weniger berechtigt.

Insofern gehe ich damit, dass Bismarck hier diplomatisch falsch handelte nicht mit. Er handelte unklug, aber nicht zwangsläufig falsch.
Unklug deswegen weil inkonsequent.

Entweder konnte man annhemen, dass Frankreich sich schon wohlverhalten würde, dann durfte man ihm jedenfalls den französischsprachigen Teil Lothrigens nicht abnehmen, eigentlich hätte man es, was Territorien angeht, beim Status Quo ante belassen müssen.

Oder aber, man konnte annehmen, dass Frankreich sich ohnehin notorisch feindlich verhalten würde, dann hätte man es schwerer schädigen und die Zustimmung anderer europäischer Staaten dadurch erkaufen müssen, sie daran zu beteiligen: Belfort und Toul zu Preußen-Deutschland, Nizza, Korsika und Savoyen an Italien, Roussillion an Spanien, Frankreichs Überseegebiete zwischen England und den Niederlanden aufteilen, sämmtliche Festungen schleifen, Frankreich den Unterhalt einer Armee und Flotte nicht über ein gewisses Maß hinaus genehmigen oder dergleichen.

Insofern, keiner der beiden Wege konsequent verfolgt wurde, sondern Seitens Bismarck erst an den territorialen Bestand gegriffen wurde, um Frankreich dann bei dessen kolonialer Expansion recht großzügig zu unterstützen, war diese Politik mMn schizophren und lediglich dafür gut einen kurzfristigen Modus vivendi zu finden, so lange es außerhalb Europas noch etwas zu verteilen gab, der langfristig kontraproduktiv war weil er einen nicht versöhnten und vielleicht nicht versöhnbaren Gegner noch stärkte.

Soweit können wir uns da vielleicht auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, nachdem zu konstatieren wäre, dass Bismarcks Umgang mit Frankreich nicht klug war.
Ich gehe nur nicht mit der Annahme mit, dass der einzig sinnvolle Weg mit Frankreich umzugehen darin bestanden haben würde es zuvorkommend zu behandeln.

Man konnte es entweder zuvorkommend behandeln und auf Wohlverhalten hoffen oder es so sehr schädigen, dass es sich in absehbarer Zeit davon nicht mehr erholen würde.

Vielleicht hätte am Ende einer der beiden Wege zum Ziel geführt, vielleicht beide und vielleicht keiner von beiden. Weiß ich nicht und ich wüsste auch nicht, wie man das mit Bestimmtheit sagen sollte, die Geschichte ist einmal anders gelaufen.
Deswegen kann ich bei der Unterstellung, ein bisschen mehr Milde hätte Frankreich schon pazifiziert, nicht mitgehen.
Möglich, dass Frankreich sich damit arrangiert hätte, aber nicht ausgemacht. Ebenso ist es möglich, dass die anderen europäischen Mächte sich, wenn man sie daran beteiligt hätte, zumal in Ermangelung der Möglichkeit dem ad hoc militärisch begegnen zu können, damit arrangiert hätten, wäre Frankreich noch weiter geschwächt und in einen für einen Revanchekrieg noch weit ungünstigere Lage gekommen.
 
Das war der von Frankreich genannte Preis dafür, dass Frankreich sich nicht auf die preußische Seite schlagen und die Waffen gegen Österreich erheben würde. Und damit war daran überhaupt nichts freiwillig, sondern diese Abtretung war durch latente militärische Drohung erpresst.
Ja, man hat den Verlust vor dem ersten Schuss akzeptiert. Was genau macht das für das Faktum, dass dieser Verlust vor entsprechender militärischer Drohkulisse zustande kam für einen Unterschied?

Wenn dir auf der Straße jemand auflauert und du ihm beim vorgehaltenen Messer deinen Geldbeutel "freiwillig" abtrittst, bevor er damit zusticht, ist dein finanzieller Verlust dadurch kleiner, als wenn du ihn erst aushändigst, nachdem er es getan hat, oder wird das Handeln des Auflauernden durch diesen Umstand in irgendeiner Weise legal oder moralisch legitim?

Die entscheidende Frage lautet: Wer wollte hier etwas von wem? Genau, Österreich wollte das Frankreich im Krieg gegen Preußen neutral bleibt. Dafür wurde von Napoleon III. ein Preis genannt und dieser wurde akzeptiert. Wenn Österreich „zu dumm“ war, in dieser Vereinbarung die italienische Neutralität zu verankern, das ist dies eine grobe Nachlässigkeit des Ballhausplatzes gewesen. Übrigens wer hat Österreich eigentlich darin gehindert, die preußische Gleichberechtigung im Bund anzuerkennen?

Und es hilft nicht weiter, damalige Vorgehensweise retrospektiv zu betrachten und zu bewerten.


Joa, in Teilen des deutschsprachigen Raums galt die französische "Fremdherrschaft" über Elsass und Lothringen auch als überholt.
Insofern ist es reichlich Rosinenpickerei, die österreichischen Grenzen als ausfluss diverser internationaler Abkommen für verhandelbar zu erklären, die Deutschen aber nicht und Italien zugestehen zu wollen, mehr oder minder jedes größere italienischsprachige Gebiet seinem Nationalstaat einverleiben zu wollen, weil der Nationalismus eine legitime Sache sei, selbiges den Deutschen oder auch den Franzosen (wie denken an die Wallonie) nicht gestatten zu wollen.

Derart inkonsequent, sich in dieser Weise einseitig für die italienische Sache zu engagieren, war ja nicht einmal Frankreich. Oder war vielleicht die von Frankreich bewaffnet geschützte, aus dem Mittelalter tradierte und in Wien erneuerte Herrschaft des Papstes über Rom und das Lazio in irgendeiner Form zeitgemäßer, als Österreichs Herrschaft im Veneto und im Trentino?

Jetzt holst du aber sehr weit aus. Teile vom Elsass haben die Franzosen während des 30jährigen Krieges sich einverleibt. Im Frieden von 1648 hatte Österreich auf seine Rechte im Elsass und auch in Namen des Reiches verzichtet. 1697 hatte das Reich die elsässischen Reunionen der Franzosen anerkannt. Hier ist Macht vor Recht gegangen. Nur wo willst du denn eigentlich anfangen oder aufhören, wenn du vergangenes Unrecht wieder korrigieren willst? Das waren schon fast 200 Jahre her. Ebenso gut hätten die Österreicher Schlesien verlangen können; das hätte in Preußen aber für einen gewaltigen Aufschrei gesorgt. Das führt doch zu nichts.

Es geht doch darum, ob es nun wirklich so schlau war, hier im konkreten Fall Elsass und Lothringen in das neue Deutsche Reich einzufügen. Angesichts der zu erwartenden Reaktionen Frankreichs, europäische Sympathien gewann man mit der Annektion ganz sich auch nicht, da sind sich eigentlich alle Historiker einig, kann man dies wohl verneinen.

Ich würde mal Behaupten, dass "bewerten" und "in Rechnung stellen" so strickt denn auch wieder nicht von einander zu trennen sind.
Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/1871 war doch kein von Napoléon III. im stillen Kämmerlein ausgeheckter und anschließend mintziös inszenierter Kabinettskrieg, sondern die französische Kriegserklärung kam durch nicht unerheblichen Druck der französischen Öffentlichkeit und der französischen Presse zustande. Das ignorierst hier vollkommen.

Nein, das tue ich nicht. Nur war der Aufschrei erst gar nicht erforderlich.
Die Krise war nämlich durch den Thronverzicht eigentlich schon so gut wie erledigt. Ganz Europa war erleichtert und würdigte den Verzicht. Preußen hatte zu diesem Zeitpunkt eine herbe Schlappe erlitten und Frankreich konnte sich eigentlich in einen glänzenden diplomatischen Erfolg sonnen. So aber nicht Gramont.
Der französische Außenminister, er hasste Preußen, sah die große Chance Preußen zu demütigen und meinte maßlose Forderungen stellen zu müssen. Das war der entscheidende Schritt.

Als Ollivier von Gramont erfuhr, das dieser bei Wilhelm I. in Bad Ems noch eine weitere Forderung nachgelegt hatte, platzte Ollivier der Kragen. Er fragte Gramont sinngemäß, ob er den Verstand verloren hatte. Kein gekröntes Haupt Europas könne so einer demütigenden Forderung zustimmen, ohne seinen Thron zu riskieren.

Bismarck hatte nunmehr leichtes Spiel.

Sicherlich, Bismarck hatte mit der Emser Depesche durchaus in voller Absicht Öl ins Feuer gegossen. Frankreichs Öffentlichkeit aber nahm das nur allzu bereit auf, um zum Krieg zu trommeln. An dieser Stelle handelt es sich nicht mehr nur um ein reines "Bewerten" des französischen Nationalempfindens, sonder es handelt sich um ein in Rechnung stellen desselbigen als in dieser Form friedensgefährdenden Faktor vorexerziert in der Rolle von Öffentlichkeit und Presse bei der Genese des Krieges von 1870/1871.
Der Übergang Frankreichs von der Monarchie zur Republik, machte diesen Punkt auch nicht ungefährlicher, weil er darüber hinaus auf französischer seite noch einen potentiellen politischen Veto-Player gegen das Aufwallen allzu bellezistischer Stimmungen aus dem Spiel nahm.

Ja klar, Bismarck nutzte "die Gunst der Stunde" aus und redigierte die Emser Depesche für die Öffentlichkeit so um, das die erwartete und zu diesem Zeitpunkt auch gewollte Reaktion zwangsläufig kommen musste. Hier hatte Bismarck das übertriebene französische Nationalbewusstsein vollkommen richtig eingeschätzt.
 
Shinigami schrieb:
Soweit können wir uns da vielleicht auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, nachdem zu konstatieren wäre, dass Bismarcks Umgang mit Frankreich nicht klug war.

Na, dann wir sind uns wenigstes in diesem Punkt einig.:)
 
Die entscheidende Frage lautet: Wer wollte hier etwas von wem? Genau, Österreich wollte das Frankreich im Krieg gegen Preußen neutral bleibt. Dafür wurde von Napoleon III. ein Preis genannt und dieser wurde akzeptiert. Wenn Österreich „zu dumm“ war, in dieser Vereinbarung die italienische Neutralität zu verankern, das ist dies eine grobe Nachlässigkeit des Ballhausplatzes gewesen. Übrigens wer hat Österreich eigentlich darin gehindert, die preußische Gleichberechtigung im Bund anzuerkennen?

Und es hilft nicht weiter, damalige Vorgehensweise retrospektiv zu betrachten und zu bewerten.

Niemand hat Österreich gehindert sich in irgendeiner Form mit Preußen zu verständigen, wer behauptet das denn? Gleichwohl, eine wie auch immer geartete Refom des Bundes war wohl in erster Linie Angelegenheit der daran beteiligten Staat, wozu Österreich und Preußen jedenfals mit Teilen ihres Staatsgebietes gehörten, Frankreich allerdings sicherlich nicht.
Insofern stellte jede Intervention oder Drohung mit Intervention erst einmal eine Einmischung in die Angelgenheiten des Bundes dar.

Natürlich war man von österreichischer Seite nicht besonders geschickt nicht mit Italien über Stillhalten zu verhandeln. Im Grunde war es schon alles andere als geschickt 1860 auf dem Verbleib Venetiens zu bestehen und sich anschließend überhaupt in Gegensatz zu Preußen zu bringen.
Österreichischerseits hätte man sich sinnvoller Weise entscheiden müssen, ob man in Italien oder im deutschsprachigen Raum mitspielen wollte und danach hätte man sich entscheiden müssen die andere Position aufzugeben, jedenfalls nachdem mit Italien im Süden ein Staat entstanden war, der mächtig genug war, ohne sich auf Frankreich stützen zu müssen, eine eigenständige Politik zu betreiben und für Österreich mindestens im Falle eines Zweifrontenkrieges eine veritable Gefahr darzustelen.


Nein, mir geht es mehr um den Umstand, dass Frankreich sich überhaupt dergestalt in die innerdeutschen Angelegenheiten hineinmischte. um dadurch territoriale Veränderungen zu erwirken.
Ob Östereich das Veneto am Ende Qua Friedensvertrag verlor oder es verloren hätte um den Krieg zu vermeiden spielt für das Faktum des Verlustes durch Druck von außen keine Rolle.

Genau so, Österreich sich mit Preußen hätte verständigen können, hätte das im Übrigen auch Frankreich gekonnt. Ich denke, das hätte den Krieg und seine Niederlage sogar verhindern können, ohne dass man ihm das Elsass abgepresst hätte.



Jetzt holst du aber sehr weit aus. Teile vom Elsass haben die Franzosen während des 30jährigen Krieges sich einverleibt. Im Frieden von 1648 hatte Österreich auf seine Rechte im Elsass und auch in Namen des Reiches verzichtet. 1697 hatte das Reich die elsässischen Reunionen der Franzosen anerkannt. Hier ist Macht vor Recht gegangen. Nur wo willst du denn eigentlich anfangen oder aufhören, wenn du vergangenes Unrecht wieder korrigieren willst? Das waren schon fast 200 Jahre her. Ebenso gut hätten die Österreicher Schlesien verlangen können; das hätte in Preußen aber für einen gewaltigen Aufschrei gesorgt. Das führt doch zu nichts.

Ich habe das Gegenteil von dem Geschrieben, was du mir hier unterstellst.
Es ging mir eben gerade nicht darum irgendwelches historische Unrecht aufrechnen zu wollen, sondern ich gehe in meinem Standpunkt explizit davon aus, dass vom moralischen Standpunkt her die Annexion von Elsass und Lothringen durch Preußen-Deutschland nichts mit Widergutmachung für irgendwas zu tun hat, sondern dass es sich dabei einfach nur um neugeschaffenes Unrecht handelte.
Meine Referenz zu dieser Annahme, sind die Beschlüsse von 1815, als man die Möglichkeit hatte Frankreich diese Gebiete streitig zu machen und sie entgegen dem allerdings ohne konkreten militärischen Sachzwang Frankreich weiterhin zuerkann hat.
An der Stelle ist für mich der Punkt an dem ich sage, sind sämmtliche deutschen Ansprüche (welche eigentlich? Einen deutschen Staat, den die Gebiete angehört hätten, gab es ja vorher nie und das Reich dessen Glieder sie mal waren, existierte ja auch nicht mehr, geschweigedenn, dass ausgerechnet Preußen dessen natürlicher und legitimer Repräsentant gewesen wäre) wegen französischer Annexion anno Tuck verfallen, darum geht es gerade nicht und ging es nie.

Sondern eben darum, dass solche Begründungen völlig an den Haaren herbeigezogen waren und sind, allerdings denn auf beiden Seiten.
Und im Besonderen auch im Hinblick auf die Vorstellung eines wie auch immer geartet klar abgrenzbaren Kulturraumes, zu dem dieses oder jenes nun gehört oder nicht, woran wollte man das denn festmachen?


Es geht doch darum, ob es nun wirklich so schlau war, hier im konkreten Fall Elsass und Lothringen in das neue Deutsche Reich einzufügen. Angesichts der zu erwartenden Reaktionen Frankreichs, europäische Sympathien gewann man mit der Annektion ganz sich auch nicht, da sind sich eigentlich alle Historiker einig, kann man dies wohl verneinen.
D'accord, natürlich gewann man dadurch keine Sympathien im europäischen Ausland, darüber braucht man nicht zu streiten. Die Frage ist doch eher ob man sich damit Optionen verbaute, die man sonstigenfalls gehabt hätte und die wiederrum, sehe ich nicht unbedingt.

Nein, das tue ich nicht. Nur war der Aufschrei erst gar nicht erforderlich.
Die Krise war nämlich durch den Thronverzicht eigentlich schon so gut wie erledigt. Ganz Europa war erleichtert und würdigte den Verzicht. Preußen hatte zu diesem Zeitpunkt eine herbe Schlappe erlitten und Frankreich konnte sich eigentlich in einen glänzenden diplomatischen Erfolg sonnen. So aber nicht Gramont.
Der französische Außenminister, er hasste Preußen, sah die große Chance Preußen zu demütigen und meinte maßlose Forderungen stellen zu müssen. Das war der entscheidende Schritt.

Nein, der entscheidende Schritt war, dass man am Ende französischerseits nicht bereit war die von Bismarck zurechtgebastelte Emserdepesche hin zu nehmen und seinen Botschafter, von dem man wusste, dass er es zu weit getrieben hatte, vor die Tür zu setzen und sich offiziell für dessen unmögliches Betragen zu entschuldigen.

Wenn man dazu bereit gewesen wäre, wäre die Sache mit einem geringfügigen Prestigeverlust Frankreichs abzufrühstücken gewesen. War man aber nicht. Und war im Besonderen die französische Öffentlichkeit nicht, die Bismarck da gut auf den Leim ging.
 
Shinigami schrieb:
Niemand hat Österreich gehindert sich in irgendeiner Form mit Preußen zu verständigen, wer behauptet das denn? Gleichwohl, eine wie auch immer geartete Refom des Bundes war wohl in erster Linie Angelegenheit der daran beteiligten Staat, wozu Österreich und Preußen jedenfals mit Teilen ihres Staatsgebietes gehörten, Frankreich allerdings sicherlich nicht.
Insofern stellte jede Intervention oder Drohung mit Intervention erst einmal eine Einmischung in die Angelgenheiten des Bundes dar.

Du hast meine Einlassung nicht korrekt verstanden. Egal. Ist nicht soo wichtig.

Shinigami schrieb:
Natürlich war man von österreichischer Seite nicht besonders geschickt nicht mit Italien über Stillhalten zu verhandeln. Im Grunde war es schon alles andere als geschickt 1860 auf dem Verbleib Venetiens zu bestehen und sich anschließend überhaupt in Gegensatz zu Preußen zu bringen.
Österreichischerseits hätte man sich sinnvoller Weise entscheiden müssen, ob man in Italien oder im deutschsprachigen Raum mitspielen wollte und danach hätte man sich entscheiden müssen die andere Position aufzugeben, jedenfalls nachdem mit Italien im Süden ein Staat entstanden war, der mächtig genug war, ohne sich auf Frankreich stützen zu müssen, eine eigenständige Politik zu betreiben und für Österreich mindestens im Falle eines Zweifrontenkrieges eine veritable Gefahr darzustelen.

Österreich hätte die Neutralität Italiens mit Napoleon III. vereinbaren sollen. Und das hätte Napoleon III. auch erreichen können, denn der Preis war für Italien wohl sehr annehmbar.


Shinigami schrieb:
Nein, der entscheidende Schritt war, dass man am Ende französischerseits nicht bereit war die von Bismarck zurechtgebastelte Emserdepesche hin zu nehmen und seinen Botschafter, von dem man wusste, dass er es zu weit getrieben hatte, vor die Tür zu setzen und sich offiziell für dessen unmögliches Betragen zu entschuldigen.

Wenn man dazu bereit gewesen wäre, wäre die Sache mit einem geringfügigen Prestigeverlust Frankreichs abzufrühstücken gewesen. War man aber nicht. Und war im Besonderen die französische Öffentlichkeit nicht, die Bismarck da gut auf den Leim ging.

Wieso denn Benedetti? Der hatte doch nur auf Anweisung seines Chefs Gramont gehandelt. Wenn, dann hätte Gramont vor die Tür gesetzt werden müssen. Nur, der ist ja erst gerade von Napoleon III. berufen worden und man wusste, das er eine tiefsitzende Abneigung gegen Preußen gehabt hatte.
 
Shinigami schrieb:
Genau so, Österreich sich mit Preußen hätte verständigen können, hätte das im Übrigen auch Frankreich gekonnt. Ich denke, das hätte den Krieg und seine Niederlage sogar verhindern können, ohne dass man ihm das Elsass abgepresst hätte.

Ja, wenn man wirklich gewollte hätte, wäre eine Verständigung möglich gewesen. Nur waren sowohl für Österreich und auch Frankreich die eigenen Machtinteressen und deren Wahrung prioritär.
 
Oder aber, man konnte annehmen, dass Frankreich sich ohnehin notorisch feindlich verhalten würde, dann hätte man es schwerer schädigen und die Zustimmung anderer europäischer Staaten dadurch erkaufen müssen, sie daran zu beteiligen: Belfort und Toul zu Preußen-Deutschland, Nizza, Korsika und Savoyen an Italien, Roussillion an Spanien, Frankreichs Überseegebiete zwischen England und den Niederlanden aufteilen, sämmtliche Festungen schleifen, Frankreich den Unterhalt einer Armee und Flotte nicht über ein gewisses Maß hinaus genehmigen oder dergleichen.
Nur wollten die Italiener partout Nizza nicht zurück haben. Offiziell war es eine Frage der Ehre, dass man einem besiegten Frankreich und gedemütigten Nation nicht auch noch von Seiten Italiens Leid zufügen konnte. Die Italiener dachten meines Erachtens langfristig. Nizza und Savoyen opfern und dafür mit Frankreich sich einen wichtigen Partner für weitere Expansion - insbesondere östlich der Adria - zu sichern. Pola, Triest und Trentino waren ja auch noch auf dem römischen Wunschzettel.
 
Ich vermute, dass die Bedeutung des Elsass für die Deutsche Geschichte nördlich des Mains nicht wirklich nachvollziehbar ist.
Wenn man sich für Geschichte interessiert und vom Oberrhein stammt, ist man mit einem einheitlichen Kulturraum konfrontiert. Die Machtbasis der Salier und der Staufer waren in nicht unerheblichem Maße deren elsässischen Besitzungen. Die Salier bauten den Trifels zur Reichsburg aus. Zudem wurde im Nordelsass und in der Südpfalz eine große Zahl an Burgen gebaut um den Trifels vor feindichen Angriffen abzusichern.
Das elsässische Hagenau war eine beliebte staufische Königspfalz, weshalb dort Reichstage abgehalten worden sind
Hagenau – Wikipedia

Das Kloster Weißenburg war eine Gründung aus dem 7. Jahrhundert. Dieses Kloster hatte eine Sonderstellung in Südwestdeutschland. Die Besitztümer erstreckten sich über das Elsass, der heutigen Pfalz sowie in das rechtsrheinischen Altbaden. Um 860 wurde dort das älteste bekannte Werk in althochdeutscher Sprache verfasst. Vermutlich lief den Franzosen der Sabber aus den Mundwinkeln, als sie im Rahmen ihrer Reunion-Politik die ehemaligen Besitzungen des Klosters Weißenburg zur Kenntnis nahmen. :D
Kloster Weißenburg (Elsass) – Wikipedia

Zudem ist die Jahreszahl 1648 für eine Übernahme des Elsass durch Frankreich nicht korrekt. Wichtiger ist die Zeit um 1680 als man die Freie Reichsstadt Straßburg und andere Städte erobern konnte.

Straßburg ist zudem als geistiges Zentrum des deutschen Südwestens von Bedeutung. Dort haben Johann Wolfgang von Goethe und Georg Büchner studiert (um mal nur zwei bekannte Namen aus der deutschen Geschichte zu nennen).

Das 19. Jahrhundert war mittelalter-besoffen. Der Historismus war nicht nur ein Baustil, sondern eine kulturelle Epoche. Daher war die Bedeutung des Elsass für das deutsche Mittelalter im Bewusstsein der gebildeten Kreise bekannt. Es ist nicht nur eine militärische Frage gewesen, ob man das Elsass wieder an Deutschland anschließen würde. Genauso gut könnte man aus französischer Sicht über Orleans als deutsche Eroberung diskutieren. Das war einfach jeden damals humanistisch gebildeten Menschen klar, dass das Elsass für die deutsche Geschichte bedeutsamer war als Ostpreußen oder Schlesien.
 
Offiziell war es eine Frage der Ehre, dass man einem besiegten Frankreich und gedemütigten Nation nicht auch noch von Seiten Italiens Leid zufügen konnte.
Ich würde meinen die Vereinnahmung des verbliebenen Kirchenstaates durch Italien und damit die Desavouierung Frankreichs als selbsternannte Schutzmacht des Katholizismus und des Papsttums, stellte für Frankreich sicherlich eine ganz gewaltige Demütigung eigener Art dar.

Ich vermute, dass die Bedeutung des Elsass für die Deutsche Geschichte nördlich des Mains nicht wirklich nachvollziehbar ist.
Ich glaube nicht, dass irgendjemand dem Elsass eine gewisse Bedeutung in der deutschen Geschichte streitig machen will.
Ich möchte nur, wie schon an anderer Stelle, einfach mal dezidiert bestritten haben, dass Preußen anno 1871 für sich in Anspruch nehmen konnte in diesem Sinne gesamtdeutsche Interessen zu vertreten und sich daher glaubhaft als deren Sachwalter gerieren zu können.
Auch die habsgburgischen Erblande und die Länder der böhmischen Krone haben in der deutschen Geschichte sicherlich eine gewisse Bedeutung. Denken wir an durchaus wirkmächtige Personen des Mittelalters, wie Ottokar II, Rudolf v. Habsburg oder an die Luxemburger, Prags zeitweilige Rolle als faktische Kaiserliche Residenz etc. auch wenn man schwerpunktmäßig sicher eher im Spätmittelalter unterwegs ist.

Das hinderte aber Bismarck und Konsorten nicht daran, diese Gebiete aus dem Raum des künftigen Deutschland hinaus zu werfen.
Nachdem man dem Modell einer großdeutschen Einigung damit eine endgültige Absage erteilte, sehe ich nicht, aus welcher Logik heraus sich Preußen hätte anmaßen können im Namen Gesamtdeutschlands, wollte man es als Kulturraum auffassen, zu halten.
Für Preußen, Nord- und Kleindeutschland wiederrum, dürfte sich die historische Bedeutung des Elass in Grenzen gehalten haben.
 
Nur wollten die Italiener partout Nizza nicht zurück haben. Offiziell war es eine Frage der Ehre, dass man einem besiegten Frankreich und gedemütigten Nation nicht auch noch von Seiten Italiens Leid zufügen konnte. Die Italiener dachten meines Erachtens langfristig. Nizza und Savoyen opfern und dafür mit Frankreich sich einen wichtigen Partner für weitere Expansion - insbesondere östlich der Adria - zu sichern. Pola, Triest und Trentino waren ja auch noch auf dem römischen Wunschzettel.

Und das von den Italienern. Bei den Österreichern hatten sie jedenfalls keine Probleme sich im Verbund mit Preußen oder Frankreichs österreichisches Territorium einzuverleiben. Na ja, mit dem Vatikan haben sie jedenfalls keine Skrupel gehabt.
 
Das hinderte aber Bismarck und Konsorten nicht daran, diese Gebiete aus dem Raum des künftigen Deutschland hinaus zu werfen.
Der Vergleich ist jetzt aber arg schief. Das Elsass und Deutsch-Lothringen wurden annektiert. Die Bevölkerung zu Untertanen des Kaiserreiches gemacht.
1866? Man hätte nach Wien marschieren und die deutschsprachigen Gebiete Österreichs besetzen und annektieren können. Da gab es nur ein paar kleine Probleme. Es gab noch das Kaiserreich Frankreich, das sich als Schiedsrichter und Partei gleichzeitig aufplusterte.

Frankreich hätte zugestimmt? Nun denn, dann haben wir eine Enklave des Norddeutschen Bundes irgendwo vor der Walachei. Und die Salzburger, Tiroler, Kärntner und Steiermärker hätten die neue Herrschaft akzeptiert? Ich denke da an Andreas Hofer. Von Wien als zukünftige Provinzhauptstadt gar nicht zu reden. Dazu alle gut katholisch. Da hätte man sich auf den Kulturkampf hoch drei freuen können, welcher später das Rheinland und die polnischen Gebiete so aufgewühlt hat.

Ein um das deutsche Kernland reduzierte Habsburgerreich hätte sich dann gehalten? Neue Residenzstadt Prag oder Budapest? Lemberg, Krakau oder Pantschewo wären da auch noch in der Verlosung. Oder wäre der Rest nicht bald auseinandergeflogen und die Russen hätten sich daran bedient? Russische Regimenter in Teschen und Krakau, Prag und Olmütz? Wäre das in Potsdams Interesse gewesen?
Was hatten die Preußen von Österreichs Situation in Holstein 1864 bis 1866 gelernt. So wirklich vorteilhaft ist so eine abgelegene Besitzung nicht.

Oder gleich 1866 die große Lösung. Baden, Württemberg, Bayern, Hessen-Darmstadt sowie Sachsen ebenfalls unter Preußens Herrschaft. Dies mit dem Plazet von Frankreich und Russland? Jetzt wird es doch ein bisschen sehr abenteuerlich.

Für Preußen, Nord- und Kleindeutschland wiederrum, dürfte sich die historische Bedeutung des Elass in Grenzen gehalten haben.
Immerhin hing man sehr an der Zollernburg und hielt den Zwergstaat Hohenzollern-Sigmaringen am Leben. So ganz rational ging es in Potsdam dann doch nicht zu.
 
Zuletzt bearbeitet:
@flavius-sterius

Las das mit den Phantasien einer französischen Intervention im Falle eines weiteren Vorgehens gegen Österreich bloß nicht @Turgot lesen. ^^

Nein, mir geht es nicht darum das preußische Handeln moralisch zu werten oder ex post oberlehrerhaft zu behaupten, was man hätte tun sollen, sondern nur darum, dass selbst wenn man mit dem schwammigen Begriff eines Klururraums argumentieren wollten (freilich ohne zu definieren, worduch dieser konstituiert sei, Sprache vs. Rechtsttraditionen etc.), es mir gegen den Strich geht Preußen in irgendeiner Form als Sachwalter gesamtdeutscher Interessen und Ansprüch zu betrachten, nachdem es 5 Jahre zuvor noch mit allen anderen bedeutenden Deutschen Staaten im Krieg gelgen hatte und mit diesem Krieg die Option einer großdeutschen Einigung selbst nachhaltig verbaut hatte.

Mehr sage ich nicht.
 
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