Die "Illusion des kurzen Krieges" und der deutsche Generalstab vor 1914

@Silesia: Ich meinte vor allem "Aufklärungsergebnisse", Spionage oder sonstige Informationen, die ein mehr oder minder solides Fundament für die möglichst realistische Beurteilung der russischen Rüstung bzw. des Militärs für die deutsche Armee ab 1912 gebildet hat.

Gibt es dazu irgendwelche Studien, die sich mit dieser Seite beschäftigt haben.

Waren es Fakten, Mythen oder Wunschdenken, das das Bild des deutschen Generalstabs bestimmt hat?
 
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@Silesia: Ich meinte vor allem "Aufklärungsergebnisse", Spionage oder sonstige Informationen, die ein mehr oder minder solides Fundament für die möglichst realistische Beurteilung der russischen Rüstung bzw. des Militärs für die deutsche Armee ab 1912 gebildet hat.

Gibt es dazu irgendwelche Studien, die sich mit dieser Seite beschäftigt haben.

Waren es Fakten, Mythen oder Wunschdenken, das das Bild des deutschen Generalstabs bestimmt hat?

Ich frage mich, ob es zur fraglichen Zeit überhaupt eine entsprechende professionelle Struktur gab, die über die Berichte der Diplomaten und Militäratachees, und Auswertungen von öffentlichen Quellen wie allgemein erhältliche Druckerzeugnisse hinausging.
 
Es wird hier im Strang ja immer wieder deutlich, wie sehr alle beteiligten Länder an verschiedenen Punkten eskalierend agiert haben. Allerdings war der Weltkrieg nicht gewollt, alle Kriegsvorbereitungen zielten auf lokale (z.B. Österreich -> Serbien) oder maximal einzelne große (z.B. Frankreich <-> Deutschland oder Russland -> Österreich) Kriege. Man dachte nicht daran, dass die politischen und wirtschaftlichen Verpflichtungen sehr schnell einen umfassenden Konflikt herbei führen würden.

Auch wurde im Vorfeld des ersten Weltkriegs nur unzureichend erkannt, dass nicht nur die Armeen aufeinander prallen würden sondern die ganzen Volkswirtschaften massiv eingespannt werden mussten.
 
Die "short-war-illusion" und auch indirekt der "cult of offensive" berühren diesen Aspekt. Auch wenn es vielleicht OT ist:

Auch wurde im Vorfeld des ersten Weltkriegs nur unzureichend erkannt, dass nicht nur die Armeen aufeinander prallen würden sondern die ganzen Volkswirtschaften massiv eingespannt werden mussten.

Förster, Leonhard, Wehler und andere zitieren da gerne die Moltke-Rede (d.Ä.) vom 14.5.1890 vor dem Reichstag, in der er als militärische Instanz darauf hinwies, dass wegen der künftig in Bewegung gesetzten Millionenheere "es nur noch den Volkskrieg" geben könne, seine Dauer und sein Ende seien nicht abzusehen, "es kann ein Siebenjähriger, es kann ein Dreißigjähriger werden." Und: "Die Zeit der Kabinettskriege liegt hinter uns, wir haben jetzt nur noch den Volkskrieg"
Verhandlungen des Deutschen Reichstags
Das sagte nicht irgendwer, sondern die Kapazität schlechthin, und inzwischen Alterspräsident des Reichstages.

Das führt dann über zum fatalen Fehler, von einem Schlieffen-/Moltkeplans (den Bethmann Hollweg mindestens seit Dez. 1912 kannte) mit dem Hintergrundrauschen eines "cult of offensive" doch davon auszugehen, man könne in Folge des "Dogmas der Vernichtungsschlacht" politisch, sozusagen vor dem langjährigen Volkskrieg, beenden. Dann wäre man bei der Frage, ob solche militärischen "Vorstellungen" Bethmann Hollwegs "Risikostrategie" in der Julikrise 1914 beinflusst haben könnten.

Dann sind wir in einem anderem Sumpf gelandet, vielleicht aus der Sicht der Nachgeborenen wieder bei den "cult of offensive"-Schlafwandlern, die früher mal als Short-War-Illusionisten bezeichnet wurden.:winke:
 
@Silesia: Wurden solche Stimmen wie von Moltke überhaupt richtig wahrgenommen? Denn die Vorstellung, man könne schneller als die beschriebenen Auswirkungen siegen, macht ja nur Sinn, wenn die Alternative in ihren Konsequenzen durch worden wäre.

Oder hat einfach der Zeitraum von 1890 bis 1914 dazu geführt, dass die notwendige Geschwindigkeit (wie von Schlieffen ja vorausgesetzt) nicht mehr durch die nötige "Volksmobilisierung" sondern rein militärisch durch den Zweifrontenkrieg begründet war. 1890 war ein Krieg gegen Russland ja nicht akut.
 
Das ist schwierig zu sagen, weil sich Wünsche und "Hoffen" mit Planungen und Kalkulationen bunt durchmischen.

Die Diskussion sollten wir aber vielleicht hier fortsetzen:
http://www.geschichtsforum.de/f58/d...nd-der-deutsche-generalstab-vor-1914-a-43914/

Tatsache ist, dass die militärischen "Hoffnungen" auf den durchschlagenden Erfolg des Schlieffen-Planes gerichtet waren.

Da hat man offenbar einen weiteren Grundsatz von Moltke missachtet: "Erst wägen, dann wagen" :devil:
 
Je länger ich zu dem Thema etwas lese, desto zentraler wird die Frage, wie konkret waren die Informationen bzw. Szenarien, die den preußischen Generalstab veranlaßten, von einer

1. Kriegsbereitschaft der russsichen Armee in 1916/1917 auszugehen

2. die politische Bereitschaft des Zaren zum Waffengang zu bewerten.

Die mir bisher vorliegenden Informationen gehen eher von einer "diffusen" Informationslage aus, die "apokalyptische Züge" bei der Bewertung aufwies. Und in dieser Form auch in Richtung KW II und auch Reichskanzler kanalisiert wurde.
...
http://www.geschichtsforum.de/701961-post546.html

Das ist wirklich verwunderlich und ich frage mich auch wie diese Einschätzung,
nämlich dass Russland aggressiv erstarken würde, zustande kam.
Denn so wie ich es verstehe, ich kann mich da auch irren, war ja gerade das DR in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft auf einem auffallenden Wachstumspfad.
War das eine fixe Idee, die sich sozusagen selbst beflügelte, so was solls ja geben,
oder gab es eine sachliche Grundlage?

Denn es ist tatsächlich bemerkenswert, dass sich diese Vorstellung immer wieder in der Rückschau findet,
während die Begründung dieser Vorstellung (zumindest einfach) nicht zu finden ist.
Dabei scheint es so zu sein, dass diese großen Einfluss auf kritische Entscheidungen hatte.

Als bestimmendes Motiv für dieses Handeln machte der militärische Geheimdienst [Frankreichs – Anmerkung durch mich]
die zukünftige Machtentfaltung des Zarenreiches aus. Diese habe im
Deutschen Reich die Ansicht entstehen lassen, daß, sollte der Schritt der
Habsburgermonarchie zu einem großen Koalitionskrieg führen, dieser im
Jahr 1914 mit größerer Aussicht auf Erfolg geführt werden konnte, als dies
zu einem späteren Zeitpunkt der Fall sein würde 65.
http://www.perspectivia.net/content/publikationen/phs/schmidt_aussenpolitik Seite 69

Und Lichnowsky bemerkt in seinem, zwei Jahre nach Kriegsausbruch verfassten, Memorandum in lapidarer und entteuschter Weise:
Im Amte erklärte man mir auch, im Jahre 1916 wäre
es doch zum Kriege gekommen, dann wäre Russland „fertig", daher sei es besser
jetzt.
https://ia600307.us.archive.org/6/items/diedenkschriftde00lich/diedenkschriftde00lich.pdf Seite 35

Worauf fusste die Vorstellung, dass gerade Russland, welches ja immerhin 1905 eine empfindliche Niederlage gegen den Underdog Japan erlitt, eine bedrohlich aufstrebende Nation sei?

Ich begreif es nicht.
Vielleicht kann jemand helfen.
 
Worauf fusste die Vorstellung, dass gerade Russland, welches ja immerhin 1905 eine empfindliche Niederlage gegen den Underdog Japan erlitt, eine bedrohlich aufstrebende Nation sei?
Rein geopolitisch. Schaue dir eine Karte von 1914 an. Der Weg von der damaligen deutsch-russischen Grenze bis nach Berlin war nicht weit.
Die Schlacht bei Tannenberg, vom 26. bis 30. August 1914 ,war für das Deutsche Reich ein militärischer "Glücksfall". Ansonsten hätten von Rennenkampff und Samsonow ganz fix Berlin bedroht. Die Schlacht an der Marne wäre vielleicht zweitrangig geworden.
 
http://www.geschichtsforum.de/701961-post546.html

Das ist wirklich verwunderlich und ich frage mich auch wie diese Einschätzung,
nämlich dass Russland aggressiv erstarken würde, zustande kam.
Denn so wie ich es verstehe, ich kann mich da auch irren, war ja gerade das DR in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft auf einem auffallenden Wachstumspfad.
War das eine fixe Idee, die sich sozusagen selbst beflügelte, so was solls ja geben,
oder gab es eine sachliche Grundlage?

Denn es ist tatsächlich bemerkenswert, dass sich diese Vorstellung immer wieder in der Rückschau findet,
während die Begründung dieser Vorstellung (zumindest einfach) nicht zu finden ist.
Dabei scheint es so zu sein, dass diese großen Einfluss auf kritische Entscheidungen hatte.

Der Klassiker in diesem Zusammenhang der Perzeption militärischer Stärke ist Kennedys Sammelwerk "Knowing One's Enemy". Oder Neilsons "Watching the Steamroller". Eine ältere, quellengestützte Studie stammt interessanterweise von einem Finnen, Ropponnen. Und dann gibt es: Wohlfohrt, The Perception of Power: Russia in the Pre-1914 Balance.

Die Frage ist, wie "Stärke" wahrgenommen wird. Wohlfohrt unterscheidet deswegen die Perzeption militärischer Stärke, ökonomisch-finanzielle Faktoren, und die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Bedingungen (woraus versucht wird, einen "Gesamtwert" zu bilden).

Abseits eines solchen Generalüberblicks finden sich zahlreiche Einschätzungen in der Literatur zum Schlieffen-Plan, zur Marinerüstung, Heeresvermehrungspolitik etc.. Eine ganz interessante Episode ist die "Einweihung" eines ausgewählten SPD-Kreises zur Heeresvermehrungspolitik 1913, mittelbare Folge des Kriegsrates vom Dez. 1912, um Widerstände gegen die Rüstungspläne abzumildern. Dort eröffnete man Details der russischen Rüstungspläne, und wohl auch nebulös den Schlieffen-Plan.

Die Wahrnehmung kann nicht verwundern. Die russische Wirtschaft entwickelte sich vor 1914 sehr dynamisch, je nach Wertung sogar dynamischer als die deutsche. Dazu kam die Wahrnehmung des "Menschenpotenzials", als Ökonomie wie auch als Militärkraft. Die großen russischen Rüstungspläne 1914/17 waren überdies den europäischen Großmächten bekannt.

Den Aufsatz von Wohlfohrt findest Du auch im Volltext in Netz.
Und noch ein weiterer Tipp: Perzeption der Stärke verknüpft mit ökonomischen Abhängigkeiten, und ein Versuch zu erklären, was 1914 "anders" war als bei den Krisen zuvor - nur ein Beispiel für die Gegenentwürfe zu angeblichen Schlafwandlern:
http://pages.ucsd.edu/~egartzke/papers/ww1interdep_02042011.pdf
 
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Der Klassiker in diesem Zusammenhang der Perzeption militärischer Stärke ist Kennedys Sammelwerk "Knowing One's Enemy". Oder Neilsons "Watching the Steamroller". Eine ältere, quellengestützte Studie stammt interessanterweise von einem Finnen, Ropponnen. Und dann gibt es: Wohlfohrt, The Perception of Power: Russia in the Pre-1914 Balance.

Die Frage ist, wie "Stärke" wahrgenommen wird. Wohlfohrt unterscheidet deswegen die Perzeption militärischer Stärke, ökonomisch-finanzielle Faktoren, und die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Bedingungen (woraus versucht wird, einen "Gesamtwert" zu bilden).

Abseits eines solchen Generalüberblicks finden sich zahlreiche Einschätzungen in der Literatur zum Schlieffen-Plan, zur Marinerüstung, Heeresvermehrungspolitik etc.. Eine ganz interessante Episode ist die "Einweihung" eines ausgewählten SPD-Kreises zur Heeresvermehrungspolitik 1913, mittelbare Folge des Kriegsrates vom Dez. 1912, um Widerstände gegen die Rüstungspläne abzumildern. Dort eröffnete man Details der russischen Rüstungspläne, und wohl auch nebulös den Schlieffen-Plan.

Die Wahrnehmung kann nicht verwundern. Die russische Wirtschaft entwickelte sich vor 1914 sehr dynamisch, je nach Wertung sogar dynamischer als die deutsche. Dazu kam die Wahrnehmung des "Menschenpotenzials", als Ökonomie wie auch als Militärkraft. Die großen russischen Rüstungspläne 1914/17 waren überdies den europäischen Großmächten bekannt.

Den Aufsatz von Wohlfohrt findest Du auch im Volltext in Netz.
Und noch ein weiterer Tipp: Perzeption der Stärke verknüpft mit ökonomischen Abhängigkeiten, und ein Versuch zu erklären, was 1914 "anders" war als bei den Krisen zuvor - nur ein Beispiel für die Gegenentwürfe zu angeblichen Schlafwandlern:
http://pages.ucsd.edu/~egartzke/papers/ww1interdep_02042011.pdf

erstmal Danke silesia,

für die Hinweise und Quellen.
Die zuletzt als Link benannte Quelle hab ich nun gelesen und finde sie recht interessant.
(den angesprochenen Wohlwforth hab ich immerhin gefunden :D und werd ihn mir voraussichtlich auch reinziehen)

Bezogen auf Deinen letzten Link als einen (guten!) Tipp:
Es wird hier ja die These betrachtet und bejaht, dass gegenseitige wirtschaftliche Verflechtungen und Abhängigkeiten geeignet seien friedliche Lösungen zu fördern,
und es so sei, dass nicht etwa der Ausbruch des Weltkriegs dies widerlegen würde.
Es sei vielmehr so, dass der fatale Anfangskonflikt zunächst zwischen Nationen mit geringer "economic interdependence" entstand.
Dieser sei deshalb besonders gefährlich geworden, weil diese meinten, sich aufgrund ihrer Bündnissituation, zunehmend aggressiv verhalten zu dürfen.
In a very real sense, the foreign policies
of the interdependent great powers was gradually being reassigned over subsequent crises, from then interdependent partner to the non-interdependent partner, thus heightening the danger of entrap-
ment or \chain ganging.
PDF-Seite 20

Der tief entteuschte Lichnowsky beschreibt 1916 eben diese Sicht auf die Ursprünge der Katastrophe aus einer anderen Perspektive.
Wir brauchten daher keine Rücksichten auf die Wünsche unserer „Bundesgenossen"
zu nehmen, sie waren nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich, weil
sie zum Zusammenstoss mit Russland führten, wenn wir orientalische Fragen durch österreichische Brillen betrachteten. Die Ausgestaltung des Bündnisses aus einem unter einer einzigen Voraussetzung geschlossenen „Zweckverbande" zu einer „Gesamtgemeinde", zu einer Interessengemeinschaft auf allen Gebieten, war geeignet,
eben dasjenige herbeizuführen, was das Rechtsgeschäft verhindern sollte — den Krieg.
https://archive.org/details/diedenkschriftde00lich

Wollte man daraus ein Comic basteln, dann wären, ansonsten gute Nachbarn, über die gegenseitige Bissigkeit ihrer Haushunde so Rage geraden, dass sie sich gegenseitig erstachen.
.. wenns nur nicht so traurig wäre, man könnte es als Komik nehmen. :weinen::weinen:
 
...

1. Ein Krieg gegen die anderen europäischen Großmächte ist unvermeidlich.
2. Wenn dieser Krieg also unvermeidlich ist, dann müssen wir ihn bald möglichst führen, solange uns vor allem Russland in der Rüstung nicht überholt, wir Russland also noch besiegen können.
3. In einem Krieg gegen Russland wird diesem immer Frankreich zur Hilfe kommen.
4. Diesen Zweiforntenkrieg können wir nur gewinnen, wenn wir einen der beiden Gegner sehr schnell besiegen.
5. Es ist unmöglich Russland schnell zu besiegen.
6. Also muss Frankreich schnell besiegt werden.
7. Frankreich kann nur schnell besiegt werden, wenn wir den Festungsgürtel an der deutschen Grenze umgehen.
8. Das geht nur durch Belgien.
9. Ergo müssen wir schnellst möglich einen Krieg gegen Russland und Frankreich beginnen, und in Frankreich über Belgien einmarschieren. Selbst wenn die Chance auf diese Weise zu gewinnen minimal ist, ist es die einzige Chance um überhaupt zu gewinnen.
...

Wenn wir den ersten Punkt a priori als gegeben hinnehmen und ihn nicht weiter hinterfragen...was wäre dann an den Punkten 2 bis 9 verkehrt?

Wenn wir den ersten Punkt hingegen abschwächen und "unvermeidlich" durch "wahrscheinlich" oder noch schwächer auch nur "eventuell vorstellbar" ersetzen, so stellt sich dennoch die Frage, ob selbst dann die Punkte zwei und neun nicht so maßgeblich wären, dass die Punkte vier bis acht zwingend für jede verantwortliche politisch-militärische Entschlußfindung werden und auch sein müssen.
 
Wenn wir den ersten Punkt a priori als gegeben hinnehmen und ihn nicht weiter hinterfragen...was wäre dann an den Punkten 2 bis 9 verkehrt?

Wenn wir den ersten Punkt hingegen abschwächen und "unvermeidlich" durch "wahrscheinlich" oder noch schwächer auch nur "eventuell vorstellbar" ersetzen, so stellt sich dennoch die Frage, ob selbst dann die Punkte zwei und neun nicht so maßgeblich wären, dass die Punkte vier bis acht zwingend für jede verantwortliche politisch-militärische Entschlußfindung werden und auch sein müssen.

War/ist denn ein Krieg denn wirklich überhaupt unvermeidlich? Der Erste Weltkrieg war es jedenfalls. Alles andere ist Kaffeesatzleserei.
 
Es ist eben gerade keine Kaffeesatzleserei. Der geschwächte Schlieffen-Plan von 1914 ist natürlich grandios gescheitert. Aber er war dennoch ein Erfolg. Kaffeesatzleserei ist für mich die gnadenlose "Abrechnung" mit diesem Plan, wobei nicht aufgezeigt wird, welche andere Vorgehensweise realistisch betrachtet bessere Ergebnisse gezeitigt hätte und wenn man dies tut, so wäre das wohl eher Kaffeesatzleserei. Aber wünschen würde ich es mir, denn ich wäre interessiert zu sehen, welcher Plan eine ähnliche Ausgangslage gebracht hätte, wie der, weite Teile Belgiens zu kontrollieren sowie 7,5 Prozent der Fläche Frankreichs, die Industriegebiete im Norden und die lothringischen Eisenerzfelder unter Kontrolle zu haben. Zudem hatte man Raum zum geordneten Rückzug gewonnen (was ja auch folgte) und stand nicht gleich auf Reichsgebiet, von der moralischen Kompomente, zunächst tief im Feindesland zu stehen, einmal abgesehen. Welche andere Strategie wäre erfolgsversprechender, eingedenk der Tatsache, dass das Zarenreich jede strategische Offensive im Osten hätte ins Leere laufen lassen?

Das der Krieg nicht unvermeidlich war, ist gewiss. Nur darum ging es nicht. Es ging darum, bei Hinnahme von Punkt 1, sehe ich bei den folgenden "Kritikpunkten" zwei bis neun kaum eine bessere Alternative. Ansonsten schrieb ich, ob unvermeidlich oder nur nicht unwahrscheinlich also generell ab einem gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit... ob es selbst bei letztgenannter Option nicht eher fahrlässig wäre, anders zu handeln.
 
Staatsräson schrieb:
Aber wünschen würde ich es mir, denn ich wäre interessiert zu sehen, welcher Plan eine ähnliche Ausgangslage gebracht hätte, wie der, weite Teile Belgiens zu kontrollieren sowie 7,5 Prozent der Fläche Frankreichs, die Industriegebiete im Norden und die lothringischen Eisenerzfelder unter Kontrolle zu haben. Zudem hatte man Raum zum geordneten Rückzug gewonnen (was ja auch folgte) und stand nicht gleich auf Reichsgebiet, von der moralischen Kompomente, zunächst tief im Feindesland zu stehen, einmal abgesehen. Welche andere Strategie wäre erfolgsversprechender, eingedenk der Tatsache, dass das Zarenreich jede strategische Offensive im Osten hätte ins Leere laufen lassen?
Einen Deiner Gedanken habe ich mal fett markiert. Ist das so? Sind Soldaten im Feindesland motivierter als Soldaten bei der Verteidigung ihrer Heimat, ihrer Familien, ihres Besitzes? Waren die Sowjetsoldaten 1920 an der Weichsel motivierter als 1942 in Stalingrad? (Das Thema Afghanistan kann ich als Beispiel wegen Tagesaktualität nicht bringen)
 
@Staatsräson: Egal ob der Krieg unvermeidlich erschien oder nicht, hier geht es um die Frage ob die Annahme, der Krieg könne kurz genug gehalten werden um bestimmte Nachteile nicht wirken zu lassen eine vernünftige Grundlage hatte.
 
Der geschwächte Schlieffen-Plan von 1914 ist natürlich grandios gescheitert. Aber er war dennoch ein Erfolg.

Wenn ich mich korrekt erinnere ist der Schlieffenplan im September gescheitert. Inwiefern ist ein Scheitern ein Erfolg?

Es sind zu viele Dinge beim Entwickeln des Plans einfach nicht bedacht worden, deswegen halte ich deine These vom Erfolg für gewagt.

Ansonsten spekulierst du.
 
... hier geht es um die Frage ob die Annahme, der Krieg könne kurz genug gehalten werden um bestimmte Nachteile nicht wirken zu lassen eine vernünftige Grundlage hatte.
Ich sehe es so:
Man zog in den Ersten Weltkrieg mit der Illusion, den schnellen und einfachen Sieg gegen Frankreich von 1870/71 genau so wiederholen zu können. Damals waren jedoch auf deutscher Seite die Errungenschaften der Industriellen Revolution bereits in der Armee angekommen, auf der französischen aber noch nicht. Es wurde daher ein ungleicher Kampf.

1914 war auch die französische Armee auf dem Stand der Technik angekommen und es entstand eine neue Form von Kriegsführung; allerdings mit einer konzeptionellen Lücke - weil ja alles neu war - und so schlitterte man in die Pattsitation von Verdun.
 
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