Die Kolonialgreuel der "zivilisierten" Staaten als Vorboten der Greuel in Europa?

Anderes Beispiel: Der spanische Bürgerkrieg. Franco griff mit der Kolonialarmee aus Marokko an. Dabei auch die moros also die Regulares-Regimenter, die sich aus Einheimischen des Spanischen Protektorates Marokko rekrutierten. Diese moros waren unter den republikanischen Milizen/der Bevölkerung in den republikanisch beherrschten Gebieten besonders gefürchtet, weil sie als besonders brutal galten. Historiker erklären diese besondere Brutalität der regulares mit deren Erfahrungen aus den Kolonialkriegen in Marokko, wo man auch keinerlei Barmherzigkeit mit der einheimischen Bevölkerung zeigte. Die regulares kannten es nicht anders und sahen womöglich jetzt auch mal die Chance, sich an einem Teil der spanischen Bevölkerung für vorherige Kolonialgreuel zu rächen.
 
Anderes Beispiel: Die regulares kannten es nicht anders und sahen womöglich jetzt auch mal die Chance, sich an einem Teil der spanischen Bevölkerung für vorherige Kolonialgreuel zu rächen.

Dass die moros dabei gerade den wohl eher "kolonial orientierten" Nationalisten, Falangisten und Carlisten halfen, die Republikaner, Anarchisten und Sozialisten zu besiegen, darf dann wohl einmal mehr als Ironie der Geschichte angesehen werden - mamita mia !
 
Anderes Beispiel: Der spanische Bürgerkrieg. Franco griff mit der Kolonialarmee aus Marokko an. Dabei auch die moros also die Regulares-Regimenter, die sich aus Einheimischen des Spanischen Protektorates Marokko rekrutierten. Diese moros waren unter den republikanischen Milizen/der Bevölkerung in den republikanisch beherrschten Gebieten besonders gefürchtet, weil sie als besonders brutal galten. Historiker erklären diese besondere Brutalität der regulares mit deren Erfahrungen aus den Kolonialkriegen in Marokko, wo man auch keinerlei Barmherzigkeit mit der einheimischen Bevölkerung zeigte. Die regulares kannten es nicht anders und sahen womöglich jetzt auch mal die Chance, sich an einem Teil der spanischen Bevölkerung für vorherige Kolonialgreuel zu rächen.
Ich hatte vor Tagen mal ein posting geschrieben, aber dann gelöscht. Dein posting hier betrifft aber jetzt etwas, daß ich ansprechen wollte.
Vor fast genau 166 Jahren verübte Jonker Afrikaner in Okahandja ein Massaker an den Herero. Genau 30 jahre später rächten sich die Herero im Blutbad von Otjimbingwe. man könnte auch andere Völker nennen, so die Irokesen und Huronen in Nordamerika. genauso könnte man sich mal die geschichte Europas anschauen, gräuel gab es immer wieder und überall. Vielleicht sollte man nicht fragen, ob die Kolonialgräuel für Gräuel in Europa im 20. Jahrhundert verantwortlich waren, sondern ob Gräuel zum krieg einfach dazu gehören und auf eine Mehrzahl von faktoren zurückzuführen sind?
 
genauso könnte man sich mal die geschichte Europas anschauen, gräuel gab es immer wieder und überall.
Das läuft auf die These von Robert Bartlett hinaus, wonach das, was wir Europa nennen, "aus dem Geist der Gewalt" geboren ist. Zitat (S. 520):
Die europäischen Christen, die im 15. und 16. Jahrhundert an die Küsten Nord- und Südamerikas, Asiens und Afrikas segelten, kamen aus einer Gesellschaft, die bereits einschlägige Kolonialerfahrungen hatte. Jenes Europa, das einen der größten Eroberungs-,Kolonisierungs- und kulturellen Transformationsprozesse der Welt initiierte, war seinerseits schon das Produkt eines solchen Prozesses.
Vielleicht sollte man nicht fragen, ob die Kolonialgräuel für Gräuel in Europa im 20. Jahrhundert verantwortlich waren, sondern ob Gräuel zum krieg einfach dazu gehören und auf eine Mehrzahl von faktoren zurückzuführen sind?
Als "anthropologische Konstante" sozusagen? Ein weites Feld, das hier im Forum schon an vielen Stellen beacktert wurde.
 
Das Massaker der Orlam-Afrikaner an den Herero ist auf besonders schwer einzuordnen.
Das Volk der Afrikaner war stark von den Buren beeinflusst und hatte Sprache, Schrift, Religion usw. von den Europäern übernommen. Die Afrikaner können daher kuluturell als Europäer gelten, wenn man die ohnehin verworfenen Rassentheorien ignoriert.
1861 war das Gebiet zwar noch nicht unter europäischer Herrschaft, aber die Einwanderung der Orlam-Afrikaner ins heutige Namibia und die Unterwerfung der dortigen Herero erfolgte vor allem deswegen, weil sie die Afrikaner der Herrschaft der Buren entziehen wollten.
Die Überlegenheit der Afrikaner basierte in erster Linie auf dem Gebrauch von Schusswaffen. Es ist eine interessante Frage, ob sie auch weitere Aspekte der europäische Kriegsführung in Afrika übernommen haben und imgrunde noch vor der deutschen Kolonisierung einen Kolonialkrieg gegen die Herero führten.




Jenseits von Afrika spricht man selten von Kolonialismus. Doch und während und kurz nach dem 1. Weltkriegs führten deutsche Freikorps mehr oder weniger eigenmächtig Feldzüge im Baltikum - je nach Lesart zur Abwehr des Bolschewismus oder zur Eroberung von Lebensraum im Osten.
Mit der erzwungenen Rückkehr der Baltikumer ins Deutsche Reich wurde auch die Gewalt importiert. Frühere Baltikumer wurden zur Niederschlagung der Ruhraufstände eingesetzt, beteiligten sich am Kapp-Putsch und später in der NSDAP.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der französische Schriftsteller Aimé Césaire argumentierte, der Nationalsozialismus sei im wesentlichen die Umsetzung kolonialer Idee in Europa. Für die Europäer liege das Unverzeihliche an Hitler darin, dass er koloniale Praktiken in Europa angewendet und Weiße wie Araber oder Afrikaner habe. Der Nationalsozialismus sei daher nur eine Sonderform von Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus.
Ähnlich argumentiere Rosa Amelia Plumelle-Uribe. Sklaverei, Rassentrennung und Eroberungsfeldzüge seien eine Form der "weißen Barbarei", die von den Nazis nach Europa zurückgebracht wurden.

Die Argumentation klingt für mich durchaus stimmig.
Ähnliche Anmerkungen finden sich auch bei der Bundeszentrale für Politische Bildung.
BZPB schrieb:
Expansion und Herrschaft: Geschichte des europäischen und deutschen Kolonialismus

Vielmehr rückte der geografische Ort des deutschen Kolonialreiches vom Süden in den Osten, symbolisiert etwa im Schlagwort vom "Volk ohne Raum". Ursprünglich der Titel eines Romans mit Schauplatz im Südlichen Afrika, wurde es zum Schlagwort für die malthusianistischen und sozialdarwinistischen Ängste der Deutschen vor und während des "Dritten Reiches". Der gesuchte Raum wurde schließlich im Osten Europas gefunden, und mit dem Einmarsch in die Sowjetunion begann das noch kurzlebigere zweite deutsche Kolonialreich.

Hitler schrieb:
Der russische Raum ist unser Indien, und wie die Engländer es mit einer Handvoll Menschen beherrschen, so werden wir diesen unseren Kolonialraum regieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der französische Schriftsteller Aimé Césaire argumentierte, der Nationalsozialismus sei im wesentlichen die Umsetzung kolonialer Idee in Europa.
Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Aimé_Césaire mit Zitat.
Cesaires "Discours sur le colonialisme" stammt von 1955.
Ähnlich argumentiere Rosa Amelia Plumelle-Uribe. Sklaverei, Rassentrennung und Eroberungsfeldzüge seien eine Form der "weißen Barbarei", die von den Nazis nach Europa zurückgebracht wurden.
Näheres dazu unter https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Amelia_Plumelle-Uribe. [/QUOTE]

Die Argumentation klingt für mich durchaus stimmig.
Die Argumentation ist insoweit defizitär, als "Sklaverei, Rassentrennung und Eroberungsfeldzüge", bevor sie in der "weiten Welt" stattfanden, ja auch in Europa gang und gäbe waren. (Siehe oben #44).
 
Trotzdem wurde diese Traditionslinie zum Teil auch von Hitler gezogen. So findet sich etwa im 25-Punkte-Programm die Forderung nach Kolonien und die Argumenation für den "Lebensraum im Osten" ist mit der Begründung des Wilhelminischen Kolonialismus teilweise identisch. Das Reich benötigt Raum, um seinen Bevölkerungsüberschuss dort anzusiedeln.

An anderer Stelle argumentierten die Nazis jedoch ganz anders und sah viel mehr eine Kontinuität ihrer Expansions- und Ausrottungspolitik zur mittelalterlichen und spätantiken Geschichte Europas. Konkret bezog man sich auf die mittelalterliche Ostkolonisation und die germanische Völkerwanderung. So konnten die Nazis Russland sowohl als deutschen Indien betrachten, aber auch als alte Gotenheimat.

Das läuft auf die These von Robert Bartlett hinaus, wonach das, was wir Europa nennen, "aus dem Geist der Gewalt" geboren ist.
Das ändert nichts an der schlichten Tatsache, dass Gräueltaten an nichteuropäischer Bevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts kaum tabuisiert waren, während eine annähernd gleichartige Behandlung von Europäern als absoluter Ziviliationsbruch empfunden wurde.
Sehr anschaulich wird dies, wenn den italienischen Abessinienkrieg (1935 bis 1941) mit dem deutschen Überfall auf Polen (1939) oder dem Spanischen Bürgerkrieg vergleicht. Die Liste der Verbrechen der Faschisten in Äthiopien ist lang: Massenerschießungen, Giftgaseinsätze, Konzentrationslager ...
 
Trotzdem wurde diese Traditionslinie zum Teil auch von Hitler gezogen. So findet sich etwa im 25-Punkte-Programm die Forderung nach Kolonien und die Argumenation für den "Lebensraum im Osten" ist mit der Begründung des Wilhelminischen Kolonialismus teilweise identisch. Das Reich benötigt Raum, um seinen Bevölkerungsüberschuss dort anzusiedeln.

In dieser Diskussion geht es erneut um die Frage der Position Deutschlands in Europa. Und eines der zentralen ungeklärten Punkte war, auf welche Art sich für das Land in der Mitte Europas, also Deutschland, die Möglichkeit bieten würde, seine geographische Position in Kombination mit einer entsprechenden Wirtschaft und Militär in eine hegemoniale Position zu erweitern.

Bei Bismarck lag die Anknüpfung noch stark auf der Konsolidierung der Position nach 1871 und man kann ihn noch als einen "kontinentalen" Vertreter identifizieren. Auch implizit und ohne das Konzept zu kennen noch im Sinne der "Heartland-Theorie" von MacKinder.

https://de.wikipedia.org/wiki/Heartland-Theorie

Diese Sicht wurde durch KWII und Tirpitz reformuliert und man orientierte sich stärker am "Blue-Wather" Imperailismus und dem "Navalismus eines Mahan.

Das Thema "Volk und Raum" und das Konzept des Lebensraums im Osten greift die Idee eines kontinentalen Reichs wieder auf.

Und in diesem Sinne ist die Darstellung von Maglor, der die Osterweiterung des 3. Reichs als "kolonialen Feldzug" deutet, durchaus strukturell für mich nachvollziehbar. Und es gibt ebenfalls eine Reihe von Publikationen, die es ähnlich sehen.

Wenngleich es natürlich doch deutlich Unterschiede zwischen den traditionellen indigenen Kolonialvölkern gab und der Population im Osten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Abessinien - Polen

Das ändert nichts an der schlichten Tatsache, dass Gräueltaten an nichteuropäischer Bevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts kaum tabuisiert waren [Beispiel: Abessinien 1936], während eine annähernd gleichartige Behandlung von Europäern als absoluter Zivilisationsbruch empfunden wurde [Beispiel: Polen 1939].
Der Abessinienkrieg ist ein interessantes Thema, das ich aber hier ungern "verbrauchen" würde. Er hat mit dem Polenkrieg gemeinsam, dass man beide als "späte koloniale Feldzüge" – hier nach Süden, dort nach Osten – bezeichnen könnte und dass es in beiden Fällen zu einer Entgrenzung von Gewalt kam.
Allerdings wurde ich die These, der Abessinienkrieg sei (gestern oder auch heute?) grundsätzlich anders bewertet worden, etwas genauer unter die Lupe nehmen wollen.

Ausgangspunkt der "Kontinuitätslinie"

Zur Beantwortung der Frage, wo die von Europäern entfesselte Gewalt ihren Ausgangspunkt hatte, kann der Abessinien-Polen-Vergleich allerdings nichts beitragen.

Die These des Themen-Titels lautet: In den Kolonien begangene Gräueltaten und die mit ihnen einhergehende Brutalisierung und Entmenschlichung wiederholen sich letztlich im 20. Jh. in Europa selbst.

Dagegen habe ich These Bartletts gestellt, das die Entfesselung von Gewalt ihren Anfang auf der europäischen Landkarte (A) nahm. Die europäische Gewalt-Praxis wurde in der frühen Neuzeit sozusagen "exportiert" (B) und durch bestimmte (vor allem rassistische) Faktoren noch verstärkt und im 20. Jh., 200 Jahre nach der Aufklärung, "reimportiert" (C).

Wer in A und B die entscheidenden Beiträge geleistet hat, d.h. wer aus dem Europäer den Homo rapiens (Gray) gemacht hat, bedarf weiterer Analyse. [1]


[1] Siehe auch Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. München 2016, der ebenfalls bei A ansetzt.
 
Für Typen wie Stanley oder Peters ist der Begriff Forscher nach meiner Ansicht eh nicht zutreffend, das waren Abenteurer. Wirkliche Afrikaforscher waren Leute wie Heinrich Barth, Gustav Nachtigal oder Leo Frobenius um nur mal drei Deutsche zu nennen, die mir grad im Kopf sind.

Ich bin nun wirklich kein Fan von Henry M. Stanley, aber ein bloßer Abenteurer war er nicht. Manche Forscher zogen tatsächlich wie Gerhard Rohlfs aus Abenteuerlust los, das diskreditiert aber nicht ihre Verdienste. Gerhard Rohlfs war Arzt in der Fremdenlegion und erforschte ohne Auftrag und Forschungsgelder die Sahara. Er reiste unter dem Pseudonym Mustafa el Tohib, gab sich als Konvertit zum Islam aus. wenn ihm das Geld ausging, verdingte er sich als Karawanentreiber, bereiste den Fezzan und wurde einmal ausgeraubt und schwer verletzt. Später sollte er im Auftrag der Geographischen Gesellschaft das Schicksal der deutschen Forscher Vogel und Beuermann klären.

Stanley war Journalist, eignete sich aber große geographische Kompetenz und Astronavigation an. Er kartographierte den Victoriasee, und seine Karten waren so professionell, dass sie teilweise bis zum Weltkrieg vollauf genügten. Er verlangte von sich selbst und seinen Expeditionsteilnehmern viel, vielleicht zu viel. Die Durchquerung Afrikas und die Erforschung des Kongo war eine beachtliche physische und geographische Leistung. Dass er dabei mit Warlords wie Mirambo und Sklavenhändlern wie Tippu Tib zusammenarbeitete, mit Mirambo schliss er sogar Blutsbrüderschaft kann man kritisieren, aber die Kartographierung des Victoriasees und des Oberlaufs des Kongo waren geographische Meisterleistungen, mit denen ein bloßer Abenteurer überfordert gewesen wäre. Bei der Emin Pascha-Rettungsaktion erforschte er das Ruvenzori-Gebirge und löste das Geheimnis der Quellen des Nils. Wegen seiner Energie, aber auch seiner Rücksichtslosigkeit bekam er den Namen Bula Matari, der Felsenbrecher.

Viele seiner Verdienste wurden durch die Verwicklung in die Kongo-Greuel geschmälert, aber nur ein Abenteuer war er nicht, auch wenn er kein Studium absolviert hatte.
 
Jenseits von Afrika spricht man selten von Kolonialismus. Doch und während und kurz nach dem 1. Weltkriegs führten deutsche Freikorps mehr oder weniger eigenmächtig Feldzüge im Baltikum - je nach Lesart zur Abwehr des Bolschewismus oder zur Eroberung von Lebensraum im Osten.
Mit der erzwungenen Rückkehr der Baltikumer ins Deutsche Reich wurde auch die Gewalt importiert. Frühere Baltikumer wurden zur Niederschlagung der Ruhraufstände eingesetzt, beteiligten sich am Kapp-Putsch und später in der NSDAP.

Das geht, meine ich, in eine recht interessante Richtung. Wo fängt der Begriff "Kolonie" denn in unserem Verständnis eigentlich an?
Analog zu den deutschen Freikorpsverbänden im besonderen in Kurland, könnte man darüber hinaus vielleicht auch darüber nachdenken, den russischen Bürgerkrieg, der ja mitunter auch den Charakters einer Auseinandersetzung der Metropole mit der "kolonialen" Peripherie des ehemaligen Zarenreiches annahm stärker unter kolonialpolitischen Aspekten zu betrachten?

Ob die Verhältnisse in der heutigen Ukraine und in Weißrussland dem Ettikett "kolonial" in irgendeiner Weise gerecht werden, halte ich für eine ziemlich komplizierte Auseinandersetzung, weil da die zeitgenössischen Ansichten darüber, was russisches Kernland sei und was nicht, sicherlich ziemlich auseinander gingen (und das offensichtlich mit Hinblick auf die Krim bis heute tun).
Im Hinblick aber jedenfalls auf den Kaukasus und Zentralasien, halte ich das für durchaus angemessen.

Literarischer Aufhänger wäre für mich hier vor allen Dingen Baberowskis "Verbrannte Erde, Stalins Herrschaft der Gewalt" (München, 2012), dass die Übergänge und Verzahnungen inklusive der Personellen zwischen der Periode des russischen Bürgerkriegs und dem stalinistischen Terror ziemlich deutlich (für mich ein bisschen überdeterminiert, aber nichtsdesto weniger lesenswert) herausstellt.
 
Peters war auch auf der Suche nach Emin Pascha.


Das Wettrennen um Emin Pascha

Emin Pascha war von Geburt Deutscher, er stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie und wurde als Karl Eduard Schnitzer geboren. Gemeinsam mit seiner Mutter trat er zum Protestantismus über, studierte Medizin.Da ihm in Deutschland die Zulassung zum Staatsexamen verweigert wurde, ging er ins Osmanische Reich, konvertierte zum Islam. Als Gouverneur der Provinz Äquatoria im Dienste des Khediven wurde er vom Mahdi-Aufstand überrascht und war jahrelang verschollen, als Stanley zu seiner "Rettung" aufbrach. Stanley marschierte los wie er das mit seinen Expeditionen zu tun pflegte. Fast militärisch organisiert und bis an die Zähne bewaffnet. Die Expedition musste zunächst einen Abstecher ins Ruwenzori-.Gebirge machen, wo Stanley das Geheimnis der Nilquelle löste.

Stanley war berühmt geworden, als er als rasender Reporter des Boulevardblattes New York Herald den verschollenen Livingstone fand. Livingstone hat er damals vermutlich tatsächlich gerettet. Der besaß kaum Proviant, keine Träger und nur noch 3 Diener. Livingstone hatte seinerzeit mit bescheidenen Mitteln Süd- und Ostafrika bereist. Livingstone hatte sich aber damals geweigert, mit Stanley nach England zurückzukehren. Er wollte das Geheimnis des Lualaba, des Oberlaufs des Kongo ergründen, und dabei ist er einige Zeit später gestorben. Stanley hatte Livingstones Werk fortgesetzt und war dann in Leopolds Dienste getreten.

Als er Emin Pascha nach unsäglichen Mühen fand, war die große Frage, wer da wen gerettet hatte. Emin Pascha hatte Stanley in schneeweißem Tropendress begrüßt und ihm als erstes ein paar Stiefel geschenkt. Emin Pascha brach gemeinsam mit Stanley auf, weigerte sich aber, Stanley zurück nach Europa zu reisen, sondern er ging nach Deutsch Ostafrika und trat in deutsche Dienste. Im Kampf mit arabischen Sklavenhändlern ist er 1890 ums Leben gekommen.

Dass Emin Pascha Stanley nicht nach Europa begleitete, brachte diesen in Erklärungsnot. In seinem zweibändigen Werk über die Emin Pascha Expedition beschreibt Stanley Emin Pascha als gastfreien, hochgebildeten Gentleman, Emin Pascha sprach ein halbes Dutzend Sprachen, entwirft aber das Bild eines weltfremden Sonderlings, der sich mit Ornithologie und allerlei Liebhabereien beschäftigt, der sich aber bei seinen ägyptischen Offizieren nicht recht durchsetzen kann und zeitweise von diesen als Gefangener behandelt wird. Einer von Stanleys Offizieren und Expeditionsgenosse Stairs beschreibt in einem eigenen Band, wie Emin Pascha auf dem Rückweg nach der "Rettung" durch Stanley sich mit einer Meuterei herumschlagen muss.

Gar so weltfremd und ohne Energie kann Emin Pascha aber nicht gewesen sein. Er hatte sich jahrelang, völlig abgeschnitten von der Außenwelt mit seiner Truppe in Äquatoria halten können, und er war so reichlich mit Proviant, Kleidung und Munition versehen, dass er davon sogar noch an Stanleys Leute abgeben konnte.
 
Dr. Emin Pascha hat nie ein Denkmal bekommen. Die jeweiligen Gründe lesen sich wie eine Geschichte politischer Opportunität, was es erst eigentlich bemerkenswert macht.
 
Dass Emin Pascha Stanley nicht nach Europa begleitete, brachte diesen in Erklärungsnot. In seinem zweibändigen Werk über die Emin Pascha Expedition beschreibt Stanley Emin Pascha als gastfreien, hochgebildeten Gentleman, Emin Pascha sprach ein halbes Dutzend Sprachen, entwirft aber das Bild eines weltfremden Sonderlings, der sich mit Ornithologie und allerlei Liebhabereien beschäftigt, der sich aber bei seinen ägyptischen Offizieren nicht recht durchsetzen kann und zeitweise von diesen als Gefangener behandelt wird.

Einer von Stanleys Offizieren und Expeditionsgenosse Stairs beschreibt in einem eigenen Band, wie Emin Pascha auf dem Rückweg nach der "Rettung" durch Stanley sich mit einer Meuterei herumschlagen muss.
.

Ich muss mich korrigieren! Der Autor eines eigenen Bandes über die Emin Pascha Expedition war nicht Stanleys Expeditionsgefährte Leutnant Stairs, sondern ein gewisser Arthur Jephson. Jephson war ebenfalls Teilnehmer der von Stanley geleiteten Expedition zur Rettung Emin Paschas. Schnitzers Schicksal schien die Öffentlichkeit sehr zu bewegen. In Deutschland gab es eine Spendenaktion, in deren Rahmen reichsweit eine große Summe gesammelt wurde, um eine Expedition zur Rettung Emin Paschas zu organisieren. Diese Expedition wurde von Carl Peters geleitet, auch Hermann Wissmann war am Rande involviert in diese Expedition.

Emin Pascha hatte von Wilhelm Junker über Uganda noch eine Hilfslieferung, die vor allem aus Lebensmitteln bestand. Emin Pascha konnte noch reichlich Proviant an Stanleys Expedition abgeben, deren Vorräte fast erschöpft waren. Emin Pascha empfing Stanley in einer weißen Uniform, wobei sich Stanley wunderte, wie Emin Paschas Kammerdiener es fertigbrachte, sie so zu pflegen. Emin Pascha lud Stanley zu einem Menü mit mehreren Gängen, Champagner, Cognac und Mokka. Wer da wen gerettet hatte, wird man sich wirklich fragen müssen. Emin Pascha hatte jedenfalls Proviant und Munition, wirklich in Gefahr befand er sich augenscheinlich nicht.

Der Vorfall, den Jephson in einem Sonderband zur Emin Pascha Rettungsexpedition beschrieb, ereignete sich erst nach Zusammentreffen von Emin Pascha und Stanley. Bei all seinen Expeditionen wählte Stanley stets weiße Expeditionsteilnehmer, die nicht in der Lage waren, zu navigieren oder eigene ethnologische, botanische und zoologische Studien durchzuführen oder eigene Expeditionsberichte zu schreiben, die mit seinen eigenen hätten konkurrieren können. Bei der Expedition zur Suche Livingstones und bei seiner zweiten Reise, bei der er als erster Europäer Afrika von Zanzibar bis Boma an der Kongomündung durchquerte, hatte keiner seiner Begleiter überlebt. Stanley war unehelich geboren, und auch wenn er später geadelt wurde und sich in mondäner Gesellschaft zu benehmen wusste, hatte Stanley doch im Umgang mit Eliten gewisses Unbehagen.
Bei der Emin Pascha Expedition hatte Stanley es mit mehreren Teilnehmern zu tun, die Offiziere und Gentleman waren. Vor der Expedition hatten alle Teilnehmer sich verpflichten müssen, keine Bücher über die Expedition zu schreiben.

Jephson war der Einzige, der von dem Verbot befreit wurde.
 
Wer sich übrigens einen Eindruck über die grundsätzliche Einstellung der Europäer auch außerhalb des DR zum Kolonialismus besonders in Afrika machen will, dem empfehle ich die sogenannten "Afrikaromane" des Autoren von King Kong und Krimiautoren Edgar Wallace
Seinerzeit war er damit erfolgreicher als mit seinen Kriminalroman und sie werfen ein bezeichnend Licht auf die triviale Sicht im viktorianischen England auf den Umgang mit den kolonisierten Völkern
 
Der Kolonialismus entstand aus der technologischen und/oder soziökonomischen Überlegenheit gegenüber Völkern, die in diesen Bereichen auf einer niedrigeren Stufe standen. Das hat es in der Geschichte schon immer gegeben, siehe zum Beispiel die Expansion des alten Ägyptens in die Nachbarländer oder die römische Expansion und Kolonisierung des Mittelmeerraumes und halb Europas. Die eroberten Ländereien samt der Bevölkerung waren dazu da, zum Wohle Ägyptens/Roms ausgebeutet zu werden. Die Ägypter/Römer konnten das tun, weil sie technologisch, ökonomisch und militärisch dazu in der Lage waren.

Auch Europäer der Neuzeit gingen so vor – weil sie es konnten. Aber während Ägypter und Römer bei ihren Sklaven keine Unterschiede bei der Hautfarbe machten – zum Sklaven konnte jeder kriegerisch Unterworfene gemacht werden – gibt es im Spätmittelalter und früher Neuzeit eine Unterscheidung zwischen den Weißen und den Schwarzen: Die letztgenannten wurden als zum Sklavensein geboren betrachtet Warum? Weil eine Stelle in der Bibel in jener Zeit so interpretiert wurde – Zitat:

Auf Noachs drei Söhne Sem, Ham und Jafet geht nach Genesis 10,1–32 EU die Aufspaltung der Menschheit in die drei damals bekannten unterschiedenen Völkerschaften zurück.

Und weiter:

Noach verflucht Kanaan, Hams Sohn, und sagt, dass dieser samt seiner Nachkommen „Sklave von Sklaven“ sein werde. Hebräische Gelehrte gebrauchten diese Passage, um die israelitische Unterwerfung Kanaans zu rechtfertigen. Diese Gelehrten, die im 6. Jahrhundert n. Chr. wirkten, führten die Idee ein, dass die Söhne Hams schwarze Haut besäßen. Christliche Gelehrte griffen im Mittelalter diese Idee auf, dass die Söhne Hams durch ihre Sünden „geschwärzt“ seien …
(…)
Die Hamitentheorie ist die Bestätigung eines abwertend gemeinten Gegensatzes des Eigenen gegenüber dem Konstrukt aus dunkel und fremd, schwarz und fern. Arabische Sklavenhändler und Europäer, die ab 1500 Sklaven nach Amerika brachten, konnten über den Mythos von Ham einen „beklagenswerten Zustand“ der afrikanischen Gesellschaft feststellen und daraus die moralische Akzeptanz der Verschleppung herleiten.

Auch der Papst hat das Seinige dazu beigetragen – Zitat:

Anfang des 15. Jahrhunderts waren die Portugiesen auf ihren Entdeckungsreisen am Kap Blanco (Westafrika) erstmalig auf indigene Bewohner gestoßen. Mit der Bulle Dum diversas erhielten sie nun vom Heiligen Stuhls die Erlaubnis, diese Menschen zu versklaven. Diese Praxis war bereits schon länger üblich, war aber zuvor vom Papst sanktioniert worden.[1]

Aus heutiger Sicht sind diese Argumentationen absurd, aber damals war das die tägliche Praxis – bis in den 19. Jhdt. hinein und bei manchen noch darüber hinaus.

PS: Dass die Kirche so lange an einem geozentrischen Weltbild festhielt, ist auch der Dreirassen- bzw. Dreivölkerschaftentheorie geschuldet: Bei einer Erde als Planet, könnten auf anderen Planeten auch „Menschen“ leben, die einer vierten Rasse zugeordnet werden müssten, die es aber laut Bibel nicht gibt bzw. nicht geben kann.

PPS: Langsam nervt mich diese Herumreiterei auf Kolonialismus, der nur ein Ausdruck oder eine Folge des Kapitalismus ist, in dem das Gewinnstreben etwas Legitimes ist. Vor 2 Wochen war ich in einer Lesung, in der eine angehende Philosophin aus ihrem Essay las, den sie wohl veröffentlichen will. Sie reihte ein Klischee ans andere, bis es einem Zuhörer zu viel wurde und fragte: „Müssen wir uns jetzt schämen, wenn wir Tee oder Kaffee trinken, weil das auch eine Folge unserer Kolonialgeschichte ist?“ Und was antwortete sie? „Ja, das wäre ein guter Anfang.“ o_O

Ich habe nichts mit dieser Kolonialgeschichte zu tun, und sofern mir bekannt, auch meine direkten Vorfahren nicht. Und selbst wenn – soll ich mir dafür schämen, dass ich ein Weißer bin? Für meine Haut kann ich genauso wenig wie ein Schwarzer für seine. Außerdem ist das ein Denken, das den Rassengedanken weiter kreisen lässt: Hier die Weißen, dort die Schwarzen. Ich dachte, wir wollen das abschaffen?
 
Zurück
Oben