Hallo miteinander,
wesentliche Dinge hat El Quijote schon dargelegt, und ich möchte auch an dieser Stelle nicht mehr tun, als diese noch etwas zu ergänzen und weiter auszuführen :fs:
immer so schrieb:
Aktion - Reaktion - und die Kreuzzuege warn halt eine Reaktion auf 400 Jahre islamische Eroberung von christlichem Gebiet (Zitat "Merowig")
Eine interessante Behauptung, die durchaus Stoff für eine ausführlichere Diskussion bietet.
Voraussetzung sollte hierbei meiner Meinung nach die Begrenzung des Raumes - und damit auch des Begriffs "Kreuzzüge" - auf den Mittleren Osten sein; als zeitliche Begrenzung schlage ich das Ende des 13. Jh. vor, als die Auflösung der Kreuzfahrerstaaten im wesentlichen abgeschlossen war.
Einzelne, eher unbedeutende Ausnahmen möchte ich dabei ebenfalls vernachlässigen, wie etwa das Inselchen vor Tartus, auf dem sich einige Jahrzehnte noch Ordensritter verschanzt hatten.
Zunächst gebe ich zu bedenken, daß die Behandlung dieses Themas angesichts der Betrachtung eines Zeitraumes von knapp 700 Jahren (erste Erweiterungen des islamischen Machtbereiches im 2. Viertel des 7. Jh. bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten zum Ende des 13. Jh.) äußerst komplex ist. Zur Verdeutlichung: wenn ich von heute knapp 700 Jahre zurückblicke, sind die Johanniter gerade dabei, von Zypern aus die Insel Rhodos zu erobern, während Philippe IV. de Capet den Templern den Garaus macht :grübel:
immer so schrieb:
Als erste Anregung folgende Stichpunkte
Auch diese Stichpunkte bestreichen z.T. längere Zeiträume mit differenzierten Entwicklungen und differenzierten Beteiligten, so daß deren Beantwortung nicht minder aufwendig ist.
immer so schrieb:
In welcher Weise erfolgten die islamischen Eroberungen im 7.Jh.: Wie wurde Jerusalem genommen, und wie war "die" christliche Reaktion darauf?
Grob gesagt entsponnen sich die arabisch-islamischen Eroberungen im Nahen/Mittleren Osten bzw. die Erweiterung des arabisch-islamischen Machtbereiches in dieser Region an den kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Byzantinischen Reich, was dann sogar 674/78 in Angriffen auf Byzanz (Konstantinopel) selbst seinen Höhepunkt findet.
Die Byzantiner waren natürlich über den Verlust ihrer Provinzen wenig glücklich, allerdings wohl eher aus machtpolitischen denn religiösen Gründen.
Den Christen im Abendland (westl. Europa) dürfte es - soweit sie davon erfuhren - eher gleich gewesen sein, solange die Pilgerreisen nach Jerusalem weiterhin möglich waren.
immer so schrieb:
Was für unmittelbare und längerfristige Folgen ergaben sich für die einheimische christliche Bevölkerung?
Das Arabische Kalifat tolerierte die christliche wie auch die jüdische Bevölkerung jener Gebiete; sie wurden nicht bekehrt oder zur Annahme des Islam gezwungen, unterlagen aber - wie bereits angesprochen - einer Sonderbesteuerung. Was natürlich im Einzelfall durchaus den Übertritt zum Islam aus ökonomischen Gründen zur Folge haben konnte.
Als allerdings das Kalifat sich etwa ab 800 in Teilreiche aufzulösen beginnt, gibt es vereinzelt in den folgenden Jahrhunderten auch Übergriffe auf die nichtmuslimische Bevölkerung bzw. Teile dieser. Dies sind jedoch wirklich Einzelfälle!
immer so schrieb:
Was können die Gründe und die Auslöser des ersten Kreuzzugs gewesen sein, und galten diese auch noch für die späteren Kreuzzüge?
Da kommen im 11. Jh. einige Dinge zusammen, die ich in Kürze nur nennen will:
1. Unter dem fatimidischen Kalifen von Kairo, Al-Hakim (995/1021), wird die religiöse Toleranz aufgegeben - zum ersten Mal damit auf dem gesamten Gebiet eines islamischen Reiches (Anm. d. Verf.: das Fatimidenreich erstreckte sich damals etwa von Tunesien bis Syrien)!
Öffentliche Prozessionen und kultische Handlungen von Christen und Juden werden verboten; im Jahre 1009 wird gar die Grabeskirche von Jerusalem zerstört, aber auch andere christliche Gebäude fallen dem zum Opfer oder werden geplündert.
2. Im Jahre 1054 zerbricht am Gegensatz bzw. den Gegensätzen zwischen dem Papst in Rom und dem Patriarchen von Konstantinopel die Einheit der Christen.
3. Die Seldschuken dringen - von Mittelalsien kommend - über Choresm (heutiger Irak) nach Syrien (Groß-Seldschuken) bzw. nach Kleinasien vor (Rum-Seldschuken).
3.a. Die Rum-Seldschuken siegen gegen die Byzantiner in der Schlacht bei Mantzikert (1071) und drängen dieses bis auf einige schmale Küstenstreifen in Kleinasien zurück, was den byzantinischen Kaiser zu einem Hilferuf ins westliche Europa veranlaßt.
3.b. Die Groß-Seldschuken dringen in Syrien und Palästina weiter vor und geraten dadurch mit den ägyptischen Fatimiden aneinander: Syrien und Palästina werden damit zu einer Art "Machtvakuum".
4. Das Reformpapsttum (1046/75) im westlichen Europa führt - wieder sehr grob formuliert - zu einem Aufschwung der kirchlichen Authorität und zu einer tieferen Frömmigkeit.
Daraus erwachsen folgende Konsequenzen, die zu jener Zeit die Kreuzzugsbewegung als eine neue Form der Pilgerfahrten ins Heilige Land (denn die Zeitgenossen sprechen immer von "bewaffneter Pilgerfahrt" und erst spätere Generationen vom "Kreuzzug") werden lassen:
1. Es entspricht sowohl dem Denken der Menschen jener Zeit wie auch ihrer Frömmigkeit, die Heiligen Stätten der Christenheit aus den Händen der "Ungläubigen" zu befreien.
2. Die Uneinigkeit bzw. sogar Rivalität der regionalen und lokalen Machthaber in Choresm, Syrien und Palästina erscheint günstig für militärische Aktionen von christlicher Seite - egal, ob von Byzantinern oder Westeuropäern. Byzanz verfügt nur selbst nicht über ausreichend Kräfte, weswegen der Kaiser eben auch Ritter aus dem Westen zu Hilfe ruft.
3. Das Vertrauen in kirchliche Authoritäten im (kath.) Europa ist gefestigt; vor dem Hintergrund des eben erfolgten abendländischen Schismas sieht das Papsttum - ganz machtpolitisch - die Gelegenheit gekommen, in den Gebieten des Orients Einfluß zu gewinnen und - kirchenpolitisch - die Christenheit wieder zu einen (unter römischer bzw. lateinischer "Vorherrschaft").
Da der daraus erfolgte 1. Kreuzzug erfolgreich ist (Eroberung Jerusalems und Staatenbildungen), sind die nachfolgenden Kreuzzüge eher Reaktionen auf die dort ablaufenden Ereignisse.
Der 2. Kreuzzug (1147/49) dient der Rückeroberung Edessas, welches 1144 von Imadeddin Zenghi erobert wurde; das Ziel wird nicht erreicht.
Der 3. Kreuzzug (1190/93) dient der Rückeroberung Jerusalems, das 1187 von Saladin erobert wurde; er weist Teilerfolge auf, wenngleich Jerusalem in islamischer Hand bleibt.
Der 4. Kreuzzug (1202/04) soll Eroberungen in Ägypten zum Ziel haben, wird jedoch vom Dogen von Venedig mißbraucht, um sich in Thronkämpfe des Byzantinischen Reiches einzumischen und zugleich die Position Venedigs in Byzanz zu stärken. Deshalb erobert der größte Teil des Kreuzfahrerheeres für den Dogen Konstantinopel und verwüstet damit eine christliche Stadt

Der 5. Kreuzzug (1228/29) dient wieder der Eroberung Jerusalems, welches auf dem Verhandlungswege zurückgewonnen wird.
Der 6. Kreuzzug (1248/54) geht erneut gegen Ägypten, nachdem Jerusalem 1244 erneut verlorengegangen ist und die von Christen beherrschten Gebiete Palästinas weiter eingeengt wurden. Dieser Kriegszug scheitert nach Anfangserfolgen.
Der 7. Kreuzzug (1270) soll wieder gegen Ägypten gehen, doch Charles d'Anjou lenkt ihn gegen Tunis; der Zug endet in einer Katastrophe.
immer so schrieb:
Andersherum: Welche Merkmale wiesen die Eroberungen der Kreuzfahrer auf, und was waren die Folgen für die Bevölkerung, christlich, jüdisch, muslimisch?
Für die Eroberung Jerusalems hat dies El Quijote bereits geschrieben, und ich habe dem auch gar nichts hinzuzufügen.
Bezüglich der Bevölkerung in den Gebieten der lateinischen Kreuzfahrerstaaten lassen sich folgende Dinge grundsätzlich - und etwas stark verallgemeinert - feststellen:
1. Die orientalischen Christen mussten "nur" die Dominanz der "Lateiner" ertragen, was ihnen allerdings nicht sonderlich zu behagen schien.
2. Jüdische Bevölkerung gab es im Nahen/Mittleren Osten zu jener Zeit nur punktuell, d.h., vereinzelt in größeren Städten - sie galten aber wie im westlichen Europa auch als Unfreie.
3. Die muslimische Bevölkerung wurde mW nach nicht zwangsbekehrt, sondern befand sich ebenfalls in einem Status, der dem des Unfreien bzw. sogar des Sklaven entsprach.
immer so schrieb:
Schließlich: Wie konnten die Kreuzfahrer zu einem so schlechten Ruf gelangen (heutzutage), wenn sie doch für eine gute Sache kämpften?
Ich denke, daß da noch einige Aufarbeitung und kritische Prüfung bisheriger Historikerurteile vonnöten ist; es ist nämlich mE nach schwierig, von unserem durch den Humanismus geprägten Weltbild das Tun und Handeln der Menschen jener Zeit zu ergründen.
Nichtsdestotrotz hat es - wie von El Quijote ebenfalls schon behandelt - auch von christlichen Zeitgenossen bereits genügend Kritik an den Kreuzzügen gegeben.
Bezüglich Greueltaten nahmen sich übrigens aber beide Seiten gar nicht so viel, denn dazu haltet Euch doch nur einmal vor Augen, wie Saladin mit den besiegten Kämpfern (und ich meine damit jetzt nicht Rainald de Chatillon, Gerard de Ridefort und Guy de Lusignan) nach der Schlacht bei Hattin umgegangen ist. Das stimmte sogar seinen Sekretär und Biographen arg befremdlich, der ansonsten ja nur voll des Lobes über seinen Herrn ist...
immer so schrieb:
Wofür kämpften sie im einzelnen - Stichwort Reynald de Chatillon, Gottfried von Bouillon, Ludwig der Heilige, Kaiser Friedrich II. als Fallbeispiele ?
Ich finde die Auswahl aus verschiedenen Gründen interessant, wiewohl ich auch andere unbedingt betrachten würde; aber bleiben wir erst einmal bei den Genannten...
Und ich erlaube mir, die vier Beispiele chronologisch abzuhandeln
Gottfried von Bouillon (um 1060/1100)
Im Gegensatz zu den anderen Heeresführern des 1. Kreuzzuges hatte er "zuhause" Land und Titel, war Markgraf von Antwerpen und Herzog von Niederlothringen.
Laut den Quellen war er ein Mann von tiefer religiöser Frömmigkeit, was ihn - neben dem nicht minder unbedeutenden Fakt, daß er sich als Reichsfürst nicht durchsetzen konnte - veranlaßte, dem päpstlichen Aufruf Urbans II. zu folgen.
Er war also durchaus davon überzeugt, ein gutes i.S.v. gottgefälliges Werk zu vollbringen, wenn er mit seinen Bewaffneten Jerusalem "aus den Händen der Ungläubigen" befreite.
Daß er später zum ersten Oberhaupt des Reiches von Jerusalem gewählt wurde, hatte aber damit nichts zu tun, sondern resultierte aus seinen Führerqualitäten, mit denen er sich den Respekt der Mehrheit der Kreuzfahrer "erarbeitet" hatte.
Begünstigend war wohl außerdem der Umstand, daß Boemund di Taranto mit einem großen Teil seiner Normannen sich bereits zum Herrn von Antiochia aufgeschwungen hatte und gar nicht mit nach Jerusalem gezogen war.
Rainald de Chatillon (um 1120/87)
Er war ein nachgeborener Sohn des Grafen de Chatillon und paßte somit durch seine Herkunft in das typische Schema der europäischen Adligen, welche im Heiligen Land damals ihr Glück suchten (Macht, Besitz, Ruhm, ...).
Er galt als verwegen und raffgierig sowie als vollkommen skrupellos - und das sowohl bei Christen wie bei Muslimen.
Auf Ehre, Ideale und edle Motive gab er wohl nicht viel, denn keiner wechselte bspw. bezüglich Byzanz so oft die Fronten wie er.
Laut den Berichten soll er äußerlich recht ansehnlich und attraktiv gewesen sein, was ihm einigen Erfolg bei Frauen - v.a. denen aus den herrschenden Häusern im Heiligen Land - einbrachte.
Rainald de Chatillon kämpfte grundsätzlich für vieles: für Titel, die Macht bedeuteten, und die zugehörigen Besitzungen, und auch für Gold und Beute, denn beim Plündern war er keineswegs zimperlich. Aber für eines kämpfte er gewiß nicht - und hebt damit IMHO doch von vielen seiner Zeitgenossen ab: er kämpft bestimmt nicht für gottgefällige Werke.
Friedrich II. von Hohenstaufen (1194/1250)
Wer und was er war, brauche ich wohl hoffentlich nicht noch darzulegen... daß er der einzige exkommunizierte König von Jerusalem war, dürfte ebenso bekannt sein.
Friedrich war in seinem Denken wohl eher untypisch für einen Menschen seiner Zeit, da sein Denken doch ungewöhnlich von religiöser Toleranz bestimmt gewesen ist. Von daher stellt sich bei ihm wirklich die Frage nach der Motivation, einen Kreuzzug ins Heilige Land zu führen.
Seine Gründe sehe ich daher eher von ganz pragmatischer machtpolitischer Natur: er hatte in zweiter Ehe Jolande (Isabella de Brienne), die Erbin des Kgr. Jerusalem, geheiratet und damit die beste Gelegenheit, durch die Rückgewinnung Jerusalems für die Christenheit einen enormen Anstieg seines Ansehens in Europa zu erlangen. Persönlich denke ich sogar, daß er dabei - also mit dem Ansehen im christlichen Europa - seine Rivalen, die Päpste, ausstechen wollte.
Louis IX. de Capet (1214/70)
Er hatte es als König von Frankreich machtpolitisch bereits weit gebracht, denn sowohl nach innen (Krondomäne, Zentralismus) wie nach außen (Ausgleich mit England) war er durchaus erfolgreich gewesen.
Jedoch entsprach er wiederum dem typischen Kreuzfahrer, da er laut den Quellen im religiösen Sinne nicht nur sehr fromm war, sondern auch von einem unglaublichen Eifer erfüllt.
Demnach glaubte auch er bzw. war er fest davon überzeugt, gottgefällig zu handeln, wenn er gegen die "Ungläubigen" ins Feld zog.
Vor diesem Hintergrund machen seine beiden Züge (6. & 7. Kreuzzug) gegen Ägypten mE nach insofern Sinn, daß er "den Drachen in seinem Hort bezwingen" will. Auch dies ist aber eine Interpretation meinerseits...
immer so schrieb:
So, ich hoffe auf eine fruchtbringende Diskussion und neue Anregungen!
An mir soll's nicht liegen
In diesem Sinne
Timo