Ich bin ein wenig darüber verwundert, dass ihr zum unmittelbaren Anlass der Kreuzzüge nicht die berühmte Predigt Papst Urbans II. zählt, in der er im Jahr 1095 auf einer Versammlung im südfranzösischen Clermont die Ritter des Abendlandes erstmals zur Befreiung der Heiligen Stätten aufruft. Im Anschluss an diese Rede riefen die begeisterten französischen Ritter den Quellen zufolge "Deus lo volt! - Gott will es! - , hefteten sich Kreuze aus Stoff auf die Schultern ihrer Mäntel und gingen nach Abschluss aller notwendigen Vorbereitungen auf den Ersten Kreuzzug!
Interessant ist, was Papst Urban II. in dieser uns überlieferten Kreuzzugspredigt von 1095 als Grunde für die Befreiung der Heiligen Stätten angibt:
1. Das "Volk der Franken" (Franzosen) ist Gottes auserwähltes Volk, herausgehoben von anderen Völkern durch die Wertschätzung der katholischen Kirche (das lässt sich wohl als Lobhudelei abbuchen!)
2. Die "frremden und gottesfernen" Araber haben das Land Jerusalem besetzt, durch Mord, Raub und Brand entvölkert und die Gefangenen umgebracht oder entführt.
3. Kirchen der Christen wurden zerstört, entweiht oder zu Moscheen gemacht.
4. Sodann werden die Ritter aufgefordert, die "Reiche der Heiden" zu zerstören, neues Land statt der kleinen heimischen Ländereien zu gewinnen und das "gottlose Vok" der Araber zu unterwerfen.
5. Erst ganz zum Schluss wird darauf hingewiesen, dass Jerusalem als "Mittelpunkt der Erde" ein "zweites Paradies der Wonne" werden kann und der Ort natürlich als christliche Königsstadt, die der Erlöser verherrlicht hat, ihre Befreiung ersehnt. "Vergebung der Sünden" und "nie welkender Ruhm" wird dafür vom Papst versprochen.
Natürlich handelt es sich hier um kriegerische Propaganda, aber auch um ein bestimmtes religiöses Selbstverständnis der Epoche. Es hochinteressant, einmal einen Blick in solche originalen Quellen zu werfen, um ein Gespür für die Atmosphäre zu gewinnen, in der die christlichen Ritter ihren Kreuzzug unternahmen. Sichtbar wird besonders, dass Hass sowohl auf christlicher als auch arabischer Seite gepredigt wurde, oftmals mit, noch öfter ohne besseres Wissen!
Es ist kaum möglich und vielleicht müßig zu beurteilen, wer nun ein fundamentaleres Recht auf das Heilige Land hatte. Das Römische Reich eroberte die Regionen Syrien, Judäa und Ägypten seit etwa 30 v. Chr.-ca. 100 n. Chr, wobei nach Untzergang Westroms das Oströmischen Reich bzw. Byzanz die Herrschaft ausübte.
Als die Araber die Region im 7. Jh. eroberten, wurden sie vielfach als Befreier begrüßt, da der einheimischen vorderasiatischen Bevölkerung das politische System von Byzanz, das seine Provinzen finanziell ausbeutete, verhasst war. Zudem erwiesen sich die Araber vielfach als tolerant, verlangten von Christen und Juden - den "Leuten des Buchs" - lediglich eine Kopfsteuer und ließen sie problemlos zum Islam übertreten.
Ein "rechtlicher Anspruch" der Kreuzritter aufs Heilige Land ist also zumindest zweifelhaft und religiöse Motive - oft auch Fanatismus - mischten sich mit sehr weltlichen Hoffnungen auf Land, Reichtum und Ruhm. Man kann dies nur konstatieren, denn angesichts der damaligen Zeit wäre es unhistorisch, heutige moralische Maßstäbe anzulegen. Das gilt sowohl für Christen als auch Araber!
Politisch-militärisch blieben die Kreuzzüge ohnehin folgenlos, denn bekanntlich konnte sich die kleine Schar der Ritter ohne ständigen Zuzug aus Europa nicht gegenüber der ansässigen arabischen Bevölkerung durchsetzen. Folgenreicher war hingegen ein Kulturstrom von Ost nach West - besonders in der Technik und den Naturwissenschaften sowie der Literatur - was aber wohl in erster Linie über Italien und das muslimische Spanien nach Europa einströmte.