Repo, wir diskutieren hier auf zwei Ebenen. Während Du immer noch meinst, hier gegen das Urteil des 19. Jahrhunderts anzudiskutieren, nämlich dem Stamm als "rassisch homogener" Gemeinschaft und dagegen Argumente ins Feld führst, argumentiert niemand für eine "rassisch homogene" Gemeinschaft.
Es steht völlig außer Frage, dass einzelne Volksteile liegen blieben und dafür andere mitgeführt wurden, und dass jemand der bei der Schlacht von Adrianopel noch Gote war einige Zeit später keiner mehr sein musste und jemand, dessen Vorfahre bei der Schlacht bei Adrianopel kein Gote war, trotzdem im Toledanischen Westgotenreich als Gote anerkannt wurde. Das ändert aber nichts daran, dass
- dies keine individuelle Entscheidung war (Personenverband)
- es gewisse Merkmale geben musste, welche dazu führten, dass man als Angehöriger eines Stammes anerkannt wurde, oder nicht.
Diese Merkmale dürften im Wesentlichen durch Glaubensvorstellungen und Lebensweise bestimmt gewesen sein, d.h. es musste eine gewisse kulturelle Affinität geben.
Wenn im Zitat von Herwig von der "leichten" Austauschbarkeit der gentilen Identität die Rede ist, dann kann damit nicht gemeint sein, dass dies eine Willensentscheidung von Einzelpersonen war, sondern dies muss in der Relation zur der Vorstellung festgefügter Stammesverbände gesehen werden.
Woran sich natürlich auch ein Teil des grundsätzlichen Missverständnisses in diesem Thread festmacht, dass sind die unterschiedlichen Ausdeutungen von Ethnizität. Die eine Seite nimmt eine Ethnie als eine Kultur-, die andere als eine Abstammungsgemeinschaft wahr, die Grenzen zwischen beidem sind fließend.
Noch etwas zu dem vorgestellten Buch:
Es war eine ausgesprochen glückliche, allerdings von der innovativen Forschergruppe zu erwartende Entscheidung, diese Fragestellungen nicht bloß auf germanische Wandervölker zu beschränken, sondern auch auf die Araber/Berber in Spanien, [...] Ann Chrystys konnte zeigen, daß sich die Sieger von 711/25 ebenso als Gens verstanden, wie die Besiegten die arabisch-berberischen Neuankömmlinge als eine solche wahrnahmen (219ff.).
Dem möchte ich widersprechen. Sicher die Altbewohner der iberischen Halbinsel nahmen die Araber und Berber nach den ihnen bekannten Mustern war. So wie die Ungarn in Mitteleuropa mit den Hunnen (
hungaros) verbunden wurden (eben ein bekanntes Muster) und noch bis heute eher als solche, denn als Magyaren bekannt sind, so nannte man in Spanien, wo man ja in der römischen Kaiserzeit Maureneinfälle erlebt hatte, die Neuankömmlinge Mauren. Gut, die Berber waren natürlich teilidentisch mit jenen Mauren 500 Jahre zuvor, die Araber, selbst "Neubürger" im Maghreb aber eben nicht.
Dass die Araber und die Berber sich aber als gemeinsame Ethnie wahrgenommen hätten mag eher ein Wunsch der Berber gewesen sein, bei den Arabern war dies eher nicht der Fall. So wie die
muwalladun nicht als vollwertige Muslime anerkannt wurden, so wurden die Berber ebenfalls lange als zweitklassige Muslime angesehen (im Übrigen entgegen der eigentlichen Lehren). Den Arabern wurde das fruchtbare Land in den Flusstälern zugewiesen, die Berber erhielten ihr Landzuteilungen im Gebirge. Das berichten sowohl die Quellen, als sich das auch durch Namenmaterial auf der iberischen Halbinsel nachweisen lässt. Insofern ist zuzustimmen: Die Außensicht spricht von Mauren, die Innensicht ist differenzierter. Nicht einmal die Araber waren eine homogene Gruppe, neben den Aufständen und Bürgerkriegen von
muwalladun und Berbern gab es, zumindest in den ersten Jahrzehnten von al-Andalus, auch noch bewaffnete Auseinadersetzungen zwischen Nordarabern und Südarabern, Stammeskonflikte, die noch aus der vorislamischen Zeit herrührten, und die in al-Andalus wieder aufblühten. Dies sind Sachverhalte, die nicht gerade für die Korrektheit des Urteils von Ann Chrystys sprechen. Aber ich werde mir das bei Gelegenheit mal zu Gemüte führen, vielleicht kann mich Chrystys' Argumentation ja doch überzeugen.