Aber weder war H. psychisch krank, noch in der SS auffallend viele sadistische Triebtäter. Nicht einmal alle am Holocaust beteiligten Täter waren überzeugte Antisemiten und/oder Nazis. Manche haben "nur" funktioniert, andere wollten die Kameraden nicht mit der "Drecksarbeit" alleine lassen.
Ist mir bekannt.
Was ich hingegen nicht verstehe, das sind die Befürchtungen bzw. Kritikpunkte, die Du zweimal in diesem Faden geäußert hast, dass sich damit eigene Schuld ausblenden oder Nazi-Verbrechen trivialisieren ließen. Und offenbar soll dieser Ansatz auch noch sehr verbreitet gewesen sein.
Die nationalsozialistischen Verbrechen wurden immer wieder gerne auf H.s Psyche, eine SS voller sadistischer Triebtäter und einen mehr oder weniger weit gefassten Kreis von Nazi-Größen reduziert.
Werden sie das?
Tun wir—des Arguments halber—einfach mal so, als gäbe es für Hitler eine einwandfreie Diagnose paranoider Schizophrenie.
Was ändert sich dadurch?
Wie entlastet das jene, die taten, was Hitler ihnen befahl?
Würde es ihrer Moral nicht sogar ein noch schlechteres Zeugnis ausstellen, dass sie einem Irren gefolgt sind?
Nun könnte man zwar die Frage, ob Hitler psychisch krank war, als Versuch interpretieren, ihn von seiner eigenen Verantwortung zu entlasten. Aber auch dieser Gedankengang überzeugt mich nicht.
Denn erstens gilt schon seit über 120 Jahren der (medizinisch wohlbegründete) strafprozessuale Grundsatz, dass die Diagnose einer psychischen Krankheit allein noch keine Schuldunfähigkeit herbeiführt. Stattdessen muss nachgewiesen werden, dass der Angeklagte im Augenblick des Handelns das Unrecht seiner Tat aufgrund seiner Krankheit nicht einsehen konnte. Selbst wenn Hitler psychisch gestört gewesen wäre, würde ihn das also nicht automatisch von Schuld freisprechen.
Und zweitens: Was für Leute hätten denn überhaupt ein Interesse daran, Hitler von persönlicher Schuld freizusprechen? Neben Hitler-Anhängern doch eigentlich nur Formalisten in der Psychologie, etwa solche, die sowieso nicht an den freien Willen glauben. Und Hitler-Fans werden eher nicht dazu neigen, aus dem Objekt ihrer Verehrung einen psychisch Kranken zu machen, der in die Gummizelle gehört hätte.
Deswegen kann ich solche Kommentare …
Diese ganze Diskussion blendet wieder zwölf bzw. dreiundzwanzig Jahre deutscher Geschichte aus und millionenfache Mitläufer- und -täterschaft. Wie leicht das geht....
Aber hier muss man sehr vorsichtig sein, auch weil eine Pathologisierung Hitlers dazu benutzt werden könnte, ihn wenigstens zum Teil von seiner Verantwortung zu entbinden. Hier ist also größte Vorsicht und Sorgfalt angebracht.
Der Begriff Reductio ad Hitlerum bedeutet zwar etwas anderes (nämlich bezogen Argumentationen wie Vegetarier und Nichtraucher neigten zur Radikalität, siehe den Vegetarier und Nichtraucher Hitler), aber auch dies hier würde ich - in einem anderen Sinne - als Reductio ad HItlerum bezeichnen. Die Beschäftigung mit Hitlers vermeintlichen Krankheiten entschuldigt nicht nur nicht seine Verbrechen, wie Emma Turi richtig feststellt, sie erklärt nicht, warum ein Großteil dem Führer folgte. Warum zig Millionen seine Komplizen und willfährigen Instrumente wurden.
… einfach absolut nicht nachvollziehen, weder logisch noch emotional.