Elsaß-Lothringen 1871-1918

Die Sicht, speziell im Ausland, auf den deutsch-französischen Krieg drehte sich aber, als man von den Manipulationen Bismarcks an der Emser Depesche erfuhr. Nun erschien die Annexion von Elsass-Lothringen am Ende einer Entwicklung zu stehen, die von Bismarck klug geplant und gesteuert erschien.

Die "Umformulierungen" haben den Ton, aber nicht die Sache geändert. Daraus einen Kriegsgrund abzuleiten, ist doch hirnrissig - auch im 19.Jahrhundert. Und wäre es nicht dies gewesen - es hätte einen anderen Vorwand für Napoleon gegeben. Mit dem Säbel hatte er doch schon seit Jahren gerasselt.
Und hätte das Ausland die von dir beschriebene Sicht gehabt, wäre Bismarck ganz fix zurückgepfiffen worden. Aber England, Rußland und sogar das gerade gedemütigte Österreich-Ungarn blieben wohlwollend neutral und gönnten dem "arroganten Frankreich" wahrscheinlich sogar heimlich eine "Tracht Prügel".
 
@jschmidt: Bin für alle Hinweise, welche dieses belegen könnten, dankbar.
Es dürfte für jemanden, der des Französischen mächtig ist, nicht schwer sein Korrespondenzen und Pressemeldungen dazu zu finden.

Einstweilen mag dies genügen:
Veränderte deutsche Kriegsziele

Dass die Rheingrenze auf ganzer Länge Frankreichs erstrebtes Politikziel war, zieht sich ja wie ein roter Faden von Ludwig XIV. bis de Gaulle durch die Geschichte. Zum Glück haben im 20.Jahrhundert die anderen Alliierten nicht mitgespielt. Als Saarländer sollte dir dies bekannt sein.

Bismarck stellte sich "in krassen Widerspruch zur vorherrschenden öffentlichen Meinung Europas, für die der Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker ein unverlierbarer Bestandteil liberalen Denkens war", so Walter Bußmann (Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 5 [1981], S. 604).
So schön das Zitat klingt - 1870 war vom Selbstbestimmungsrecht der Völker höchstens in nationalen Intellektuellenkreisen die Rede, damit kam hochoffiziell erst Woodrow Wilson in seinen 14 Punkten. Und was diese Floskel heute wert ist, kannst du nachher in der Tagesschau sehen.
 
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Gandolf schrieb:
Die Sicht, speziell im Ausland, auf den deutsch-französischen Krieg drehte sich aber, als man von den Manipulationen Bismarcks an der Emser Depesche erfuhr. Nun erschien die Annexion von Elsass-Lothringen am Ende einer Entwicklung zu stehen, die von Bismarck klug geplant und gesteuert erschien.

Ich habe hier einen alten Beitrag von mir aus einen anderen Thread reinkopiert, da er hier auch zu passen scheint.


Formal hatte Frankreich den Krieg begonnen, das ist schon richtig. Aber durch die Kandidatur des Fürsten Leopold von Hohenzollern- Sigmaringen, einer Nebenlinie der preußischen Hohenzollern, fühlte sich die französische Öffentlichkeit und Regierung stark provoziert. Da spielten sicher auch Erinnerungen an die Zeiten Karl V. eine Rolle.

Bismarck hatte zu jener Zeit nicht nur Erfolge zu verbuchen. Genannt seien hier die Zollparlamentswahlen, die Stärkung der süddeutschen Opposition, Regierungskrisen in Bayern und Württemberg und die Abzeichnung einer Auseinandersetzung über das Budget für das Militär. Es lief also damals nicht auf der Überholspur in Richtung Einheit.

In Spanien hatten die Militärs 1868 ihre Königin gestürzt. Frankreich brachte einen eigenen bourbonischen Thronfolger ins Gespräch, der jedoch von den Spaniern nicht akzeptiert worden war. Sie wollten stattdessen einen deutschen Thronfolger und kamen dabei auf den Fürsten Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen.

So eine Kandidatur musste fast zwangsläufig Rückwirkungen auf Frankreich haben und dies wird auch einen Politiker von Formate Bismarcks auch gewusst haben.

Bismarck hatte diese Kandidatur mit Nachdruck betrieben gehabt. Ein Argument, welches Bismarck nannte, war, das es so gelingen könnte, Spanien dem Einfluss Frankreichs zu entziehen und so im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich einen Bündnispartner zu gewinnen, der entsprechende französische Kräfte binden könnte.

Der Einwand, dass gerade so eine Kandidatur ein Krieg gegen Frankreich wahrscheinlicher machen würde, konterte Bismarck mit dem Argumente „Wir haben die Erhaltung des Friedens auf Dauer nicht vom Wohlwollen Frankreichs, sondern nur von dem Eindrucke unserer Machtstellung zu gewärtigen."

Als weiteres Argument für die Kandidatur brachte Bismarck den internationalen Prestigegewinn für das Geschlecht der Hohenzollern und das politische Interesse Preußens ins Spiel.

Eine wichtige Frage ist, ob Bismarck schon zu diesem Zeitpunkt, Ende 1869 Anfang 1870, Frankreich gezielt herausgefordert wissen wollte oder ob es ihm um lediglich um die Erzielung eines großen diplomatischen Erfolg ging?

Am 20.April 1870 hatte jedenfalls Leopold die Kandidatur erst einmal abgelehnt gehabt und Bismarck konnte seine Überlegungen als erledigt betrachten. Aber am 15.Mai 1870 wurde der bisherige französische Botschafter in Wien, Gramont, neuer französischer Außenminister. Gramont war für seine antipreußische Einstellung bekannt. Gramont brauchte diplomatische Erfolge, um so auf diesem Wege das Systems Napoleon III. zu stabilisieren.

Innenpolitisch war es in Frankreich 1869 und 1870 ziemlich unruhig. Da waren zum einen die Auseinansetzungen um die Reformierung der Verfassung. Frankreich war ja 1869 in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt worden. Zum anderen gab es in Paris aber auch in restlichen Frankreichs Streiks der Industriearbeiter. Diese unruhige politische Situation in Frankreich hat selbstverständlich bei den Reaktionen Frankreichs eine Rolle gespielt.

Bismarck betrieb die Kandidatur von Leopold nun erneut. Es gelang ihm, Leopold zu überreden, die Kandidatur für den spanischen Thron doch anzunehmen. Damit ging Bismarck eindeutig auf Konfrontationskurs zu Napoleons Frankreich. Bismarck verstand es nach außen hin, die Frage der Kandidatur als rein dynastische Angelegenheit der Hohenzollern zu verkaufen. Mit diesem Kunstgriff wollte er natürlich die französische Position verschlechtern.

Zu Beginn des Juli 1870 wurde Frankreich durch Spanien offiziell die Kandidatur von Leopold zur Kenntnis gereicht. Gramont und Ollivier drohten Preußen im französischen Parlament mit Krieg.

Es gelang den französischen Botschafter Benedetti in Bad Ems Wilhelm I. erfolgreich zu bearbeiten. Wilhelm erklärte sich bereit bei den Hohenzollern von Sigmaringen zu intervenieren. Leopold zog seine Kandidatur nun endgültig zurück. Die französische Diplomatie hatte einen glänzenden Erfolg zu verbuchen. Die Affäre schien nun erledigt zu sein. Napoleon entschloss sich, wohl auch unter dem Einfluss Gramonts, von Wilhelm nun eine Erklärung zu fordern, das dieser zusichere, das eine erneute Kandidatur nicht erfolgen würde. Des Weiteren sollte verlautbart werden, dass der Verzicht der Kandidatur auf Befehl Wilhelms erfolgt war. Benedetti wurde erneut in Bad Ems vorstellig, um die zusätzlichen Forderungen Frankreich zu präsentieren. Diese lehnte Wilhelm aber ab, nicht jedoch ohne nochmals auf den Verzicht der Kandidatur hingewiesen zu haben.

Wilhelm sandte Bismarck ein Telegramm, in dem er über die Vorgänge in Bad Ems informierte. Bismarck hatte das Telegramm dann auf eine Art und Weise gekürzt und an die Presse weitergegeben, dass dies in Frankreich als beleidigend empfunden werden musste. Die Folgen sind bekannt.

Die Frage, wer nun den Krieg verschuldet hat, ist aus meiner Sicht gar nicht so leicht zu beantworten. Napoleons Forderungen, nach dem Verzicht auf die Thronkandidatur Leopolds, kann man ruhig als überzogen klassifizieren, die das Ziel hatten Preußen zu demütigen. Den Verantwortlichen in Paris hätte klar sein müssen, das diese „Alles oder Nichts“ Diplomatie das Risiko eine Krieges in sich bergen musste. Auf der anderen Seite war Bismarcks provokative Politik ebenso risikoreich, nämlich spätestens als er erneut die Kandidatur Leopolds betrieb und sich eigentlich über die französischen Reaktionen, vor allem mit einem Außenminister Gramont, hätte in Klaren sein müssen.



Francois Caron, Frankreich im Zeitalter des Imperialismus, DVA 1991
Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 - 1918, Beck 1992
Wolfgang Mommen, Das Ringen um den nationalen Staat, Propyläen 1993
 
Die "Umformulierungen" haben den Ton, aber nicht die Sache geändert. Daraus einen Kriegsgrund abzuleiten, ist doch hirnrissig - auch im 19.Jahrhundert. Und wäre es nicht dies gewesen - es hätte einen anderen Vorwand für Napoleon gegeben. Mit dem Säbel hatte er doch schon seit Jahren gerasselt.
Und hätte das Ausland die von dir beschriebene Sicht gehabt, wäre Bismarck ganz fix zurückgepfiffen worden. Aber England, Rußland und sogar das gerade gedemütigte Österreich-Ungarn blieben wohlwollend neutral und gönnten dem "arroganten Frankreich" wahrscheinlich sogar heimlich eine "Tracht Prügel".
Mit Eroberungskrieg war keine juristische sondern eine politische Bewertung gemeint. Die Großmächte und nicht nur die mussten doch nach dem Krieg analysieren, mit wem sie es nun in der Mitte Europas unter dem Namen "Deutsches Reich" zu tun hatten.

Der 1870/71er Krieg wurde zu seinem Beginn anders beurteilt als an seinem Ende:
- Zu Beginn des Krieges erschien Frankreich masslos und fand keine internationale Unterstützung.
- Als am Ende des Krieges Elsaß-Lothringen annektiert wurde, drehte sich deise Sicht. Doch für ein Eingreifen war es nun zu spät. Frankreich lag bereits am Boden (schied als Waffenpartner aus) und eine diplomatische Lösung erschien aufgrund der von Bismarck - allen Briefen an seine Ehefrau (mit wem hat diese über Bismarcks Ansichten geredet?) zum Trotz - gesteuerten Pressekampagne für die Annexion von Elsass-Lothringen aussichtslos. @jschmidt hat ja ein konkretes Beispiel hierzu genannt.

Auch Bismarck war klar, dass man ihn nach dem Krieg international viel kritischer beurteilte als zu Beginn des Krieges. In Berlin machte sich schon kurz nach dem deutsch-französischen Krieg die Angst breit, dass es zu einem neuen Krieg kommen würde, mit dessen Hilfe die Großmächte die deutsche Einigung rückgängig machen würden. Diese Sorge liess Bismarck schließlich 1875 die Krieg-in-Sicht-Krise inszenieren.
 
Jedenfalls war es für Bismarck nicht ganz einfach, einerseites zwischen den extremen Zielvorstellungen von Moltkes und dann den Interventionen Großbritanniens und Rußlands sich die volle Handlungsfähigkeit zu erhalten.

So hatte doch die britische Regierung beispielsweise vorgeschlagen Elsaß-Lothringen zu neutralisieren und die Festungen Straßburg und Metz zu schleifen.

Bismarck hat diesen Vorschlag nicht akzeptiert, weil er keine machtpolitische Einschränkung Preußen-Deutschlands akzeptieren wollte. Dies wurde dann auch von Großbritannien hingenommen, weil die auf der bevorstehenden Konferenz auf Rußland setzten. Rußland bot den Kauf von Luxemburg an, statt Elsaß-Lothingen zu annektieren.

Jedenfalls ist es Bismarck gelungen, den Krieg zu Ende zu bringen, ohne das sich Großbritannien oder Rußland eingemischt haben. Im März fand dann erst die Konferenz in London statt.
 
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Es dürfte für jemanden, der des Französischen mächtig ist, nicht schwer sein Korrespondenzen und Pressemeldungen dazu zu finden.
Falls Du doch noch etwas findest, lass' es mich wissen.:fs:

Ja, und? Dass Bismarck so dachte, ist ja bekannt. Sinngemaß das Gleiche hat er dem General Reille nach der Schlacht von Sedan auch gesagt (zit. in "Bismarck-Denkwürdigkeiten" [1899], Bd. 2, S. 130).

Dass die Rheingrenze auf ganzer Länge Frankreichs erstrebtes Politikziel war, zieht sich ja wie ein roter Faden von Ludwig XIV. bis de Gaulle durch die Geschichte. Zum Glück haben im 20.Jahrhundert die anderen Alliierten nicht mitgespielt. Als Saarländer sollte dir dies bekannt sein.
Wenn man so will, kann man auch gern noch ein paar Jahrhunderte zurückgehen, bis zum Streit um Lotharingien vielleicht.

Bezüglich des Saarlandes gebe ich dir völlig recht: Dass Frankreich nicht auf der Abtrennung bestanden hat - ob es sie nach 1945 tatsächlich gewollt hat, ist weiter Gegenstand der Diskussion -, war eine wichtige Grundlage für die deutsch-französische Aussöhnung. Letztere, das schrieb ich ja bereits, hat Bismarck a priori ausgeschlossen. Das, was folgte, kann man deshalb als eine klassische "self fulfilling prophecy" sehen.

... Selbstbestimmungsrecht der Völker ... nachher in der Tagesschau...
Da darf ich nix zu sagen - Politik... ;)
 
Gandolf schrieb:
Auch Bismarck war klar, dass man ihn nach dem Krieg international viel kritischer beurteilte als zu Beginn des Krieges. In Berlin machte sich schon kurz nach dem deutsch-französischen Krieg die Angst breit, dass es zu einem neuen Krieg kommen würde, mit dessen Hilfe die Großmächte die deutsche Einigung rückgängig machen würden. Diese Sorge liess Bismarck schließlich 1875 die Krieg-in-Sicht-Krise inszenieren.

Sehe ich sehr ähnlich!
 
Ich habe hier einen alten Beitrag von mir aus einen anderen Thread reinkopiert, da er hier auch zu passen scheint.

(...)

Die Frage, wer nun den Krieg verschuldet hat, ist aus meiner Sicht gar nicht so leicht zu beantworten. Napoleons Forderungen, nach dem Verzicht auf die Thronkandidatur Leopolds, kann man ruhig als überzogen klassifizieren, die das Ziel hatten Preußen zu demütigen. Den Verantwortlichen in Paris hätte klar sein müssen, das diese „Alles oder Nichts“ Diplomatie das Risiko eine Krieges in sich bergen musste. Auf der anderen Seite war Bismarcks provokative Politik ebenso risikoreich, nämlich spätestens als er erneut die Kandidatur Leopolds betrieb und sich eigentlich über die französischen Reaktionen, vor allem mit einem Außenminister Gramont, hätte in Klaren sein müssen.
Dein (schöner) Beitrag macht ja deutlich, dass Bismarck durch seine Kürzung der Emser Depesche die französische Reaktion provozierte. Dennoch würde ich und das ist meine höchstpersönliche Auffassung dazu neigen, eher Frankreich die Schuld am Kriegsausbruch zuzuweisen als Preußen. Im 19. Jh. war es eigentlich kein Kriegsgrund mehr zu den Waffen zu greifen, um für eine (gefühlte) Beleidigung Genugtuung zu verlangen. - Gleichwohl kann natürlich der 1871er Krieg aufgrund der von Bismarck eingeplanten (Kriegs-)Reaktion Frankreichs und der späteren Annexion von Elsaß-Lothringen auch als Eroberungskrieg verstanden werden.
Gerade bei einem Opportunisten und Populisten wie Napoleon III. mit einem "wäre-und-hätte" zu argumentieren, ist wenig tragfähig. So geradlinig in seinen Zielen war er keineswegs.
http://www.zeitschrift-dokumente.de/downloads/artikel/art_20032008.pdf
Den Hinweis greife ich gerne auf. Die Außenpolitik von Napoleon III. ist bis heute sphinxenhaft geblieben. Sie ist so facettenreich, dass ihr selbst das Etikett "populistisch" nicht sicher umgehängt werden kann. Denn seine Außenpolitik hatte auch sehr bemerkenswerte Ausrichtungen, die gegen den Strom der damaligen Zeit gerichtet und vielleicht für seine Zeit noch zu modern waren: Seine Ideen von einem Kongreß-Europa, das sich durch internationale Konferenzen verständigt, standen dem damaligen Konzept der Nationalstaaten entgegen. Hinsichtlich des italienischen und des deutschen Raums befürwortete Napoleon III. durchaus eine (partielle) politische Einigung. Mit solchen Vorstellungen stand er im Gegensatz zu den Auffassungen vieler seiner Landsleute und der traditionellen französischen Politik. Freilich stieß er mit seiner Politik auf Grenzen. Selbst die französischen Liberalen waren nur bereit eine kleindeutsche Einigung bis zum Main zu akzeptieren. Eine Einigung Italiens, die auch Rom umfasste, konnte Napoleon III nicht akzeptieren. Auch war seine Politik nicht klug durchdacht. Sein Versuch, durch Gebiets-Kompensationen in Gestalt von Belgien und Luxemburg seinen Landsleuten die kleindeutsche Lösung schmackhaft zu machen, ließ ihn als typischen französischen Prestigepolitiker erscheinen und stand im Gegensatz zu seiner Europa-Idee. Gleichzeitig verhedderte sich Napoleon ausgerechnet nach Sadowa in der Rom-Frage.
 
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Die Außenpolitik von Napoleon III. ist bis heute sphinxenhaft geblieben. Sie ist so facettenreich, dass ihr selbst das Etikett "populistisch" nicht sicher umgehängt werden kann.

Allerdings denke ich doch, daß Bismarck nicht nur die französiche Öffentlichkeit, sondern vor allem auch die Reaktion Napoleons III. darauf ganz richtig eingeschätzt hatte. Bezüglich seiner langfristigen Ziele mag Napoleon kaum berechenbar gewesen sein, bezüglich seiner Reaktionen in gewissen Situationen hingegen schon.
 
Allerdings denke ich doch, daß Bismarck nicht nur die französiche Öffentlichkeit, sondern vor allem auch die Reaktion Napoleons III. darauf ganz richtig eingeschätzt hatte. Bezüglich seiner langfristigen Ziele mag Napoleon kaum berechenbar gewesen sein, bezüglich seiner Reaktionen in gewissen Situationen hingegen schon.
Aber ja doch. Bismarck war ja 1862 auch mal Botschafter in Paris gewesen und kannte die Pariser Verhältnisse sehr gut. Auch über die Lage von Napoleon III. in der spanischen Thronfolger-Frage war er sehr gut unterrichtet. Er wusste ganz genau, was er mit der "Verkürzung" der Emser Depesche anrichtete.
 
Gandolf schrieb:
....allen Briefen an seine Ehefrau (mit wem hat diese über Bismarcks Ansichten geredet?)


Wichtig ist hier, meines Erachtens nach, was Bismarck Johanna gegenüber an Gedanken und Überlegungen geäußert hat. Sie legen doch m.M. ein beredtes Zeugnis darüber ab, das sich Bismarck sehr woh bewußt darüber war, das man in den Friedensbedingungen gegenüber Frankreich wohl doch zu weitgegeangen und darüber durchaus in Sorge war.
 
Ein paar Seiteneinwürfe:
Die Emser Depesche: Ich lese sie seit Jahrzehnten immer mal wieder, einmal sogar das Original mit Bismarcks "Änderungen" (war vor ein paar Jahren mal in Sigmaringen ausgestellt) Es will sich mir, Kind meiner Zeit, nicht erschließen, wo da ein Kriegsanlaß zu finden wäre.:fs:
Leopold von Hzl.-Sig.: mit Napoleon aus Paris deutlich näher verwandt als mit Wilhelm aus Preußisch-Berlin:confused:
Dann noch den Ausspruch Gambettas mitten in der Krise: Wenn uns dieser Kaiser die Rheingrenze bringt, verzeihe ich ihm alles.

Begonnen hat der Krieg zweifellos als Eroberungskrieg des franz. Kaiserreich.
Mit voller Unterstützung aller irgendwie relevanten Gruppen der franz. Politik.
Meine pers. Einschätzung:
Die erhaltene Rutsche hat für die "Konservierung" des Hasses auf den Boche völlig ausgereicht, da diente E-L lediglich noch als Aufhänger.
(Laut Krockow das einzige Kontinuum der franz. Politik von 1871 bis 1914)
 
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Auch als "Kind meiner Zeit" würde ich sagen: Die Kandidatur eines Fürsten des Hauses Hohenzollern war doch wohl in erster Linie "Privat"-Angelegenheit dieses Hauses und nicht Sache der "preußischen Regierung"... Die Gestaltung der veröffentlichten Depesche impliziert einen "Abbruch der Diplomatischen Beziehungen", während in Wirklichkeit Wilhelm nur "in dieser Sache" nicht mehr diskutieren wollte.

Nach dem ich die Depesche seit meiner Schulzeit mal wieder gelesen habe, fiel mir dieses auf:
"....auf des Grafen Eulenburg und meinen [d.i. Heinrich Abeken] Vortrag, beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen...."
Was war denn da "vorzutragen"? Da wurde doch schon heftig gebaggert... Die Wikipedia schildert übrigens sehr schön die Reaktion Moltkes auf Bismarcks Formulierung. Wie authentisch ist das?

Und hier noch was zur französischen Psychologie, die sicher vor 100 Jahren genauso funktionierte wie heute...

eu-community.DAAD.de: Interkulturelle Einordnung
 
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Und hier noch was zur französischen Psychologie, die sicher vor 100 Jahren genauso funktionierte wie heute...

eu-community.DAAD.de: Interkulturelle Einordnung
Die Seite mit den interkulturellen Charakteristiken der einzelnen Ländern ist ein Schmankerl und sehr nützlich, wenn man reisen sollte.

Ein Bookmark dafür bei mir!

Zum Thema: @Repo, ganz deiner Meinung - aber das habe ich ja schon gestern geschrieben. :yes:
 
Repo schrieb:
Leopold von Hzl.-Sig.: mit Napoleon aus Paris deutlich näher verwandt als mit Wilhelm aus Preußisch-Berlin:confused:

War Leopold nicht der Enkel einer Prinzessin Murat?

Die französische Presse und auch die Regierung fühlten sich gleichermaßen bei Bekanntwerden der erneuten Kandidatur von Leopold provoziert. Es ging um "die Ehre des Vaterlands". Ollivier drohte den preußischen Botschafter in Paris gleich mit Krieg. Eine entsprechende Note hat Gramont nach Berlin geschickt.

Als die Kandidatur von Leopold durch dessen Vater zurückgezoggen war, entschloß sich Napoleon in der Nacht zum 13.Juli, er folgte hier einen Anliegen Gramonts nach, das der preußische König die Kandidatur nicht erneut erlauben solle.
Napoleon war zu dieser Zeit auch nicht ganz auf der Höhe, denn er war an einer schmerzhaften Harnwegentzündung erkrankt. Ollivier war von dieser Idee nicht unbedingt entzückt und trug sich schon mit Rücktrittsgedanken.

Als Gramont am 14.Juli von der Emser Depesche Kenntnis bekam, flippte er aus. Man hatte innerhalb der Regierung einen Weg gefunden, in dem man fordern wollte, das die spanische Thronfrage in Rahmen eines europäischen Kongresses geregelt werden sollte.

Auf französischer Seite war Gramont der Chefeinpeitscher, aber auch die französische Presse hat enormen Druck ausgeübt. Napoleon war auf auußenpolitische Erfolge angewiesen. Die Kaiserin soll auch eine Rolle gespielt haben. Das Bismarck in dieser Angelegenheit eine Hebel sah, um die deutsche Einigung zu forcieren ist klar. So kam eins zum anderen...
 
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Auf die Rolle Eugenies kam ich schon zu sprechen. Böse Zungen behaupteten, dass sie über ihren Mann Frankreich regiere. Sie galt als Kriegstreiberin.

Das Auffinden eines Weibsteufels (succubus, realiter vielleicht sogar incubus?) in Gestalt Eugenies genügt natürlich "Ockham's Razor" in hohem Maße.:D

Davon abgesehen, steht man bei der Analyse von Ursache und Wirkung in Politik/Geschichte immer wieder vor dem Problem, das Watzlawick u. a. in ihrer Kommunikationstheorie beschrieben haben: „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion (Kommunikation ? Wikipedia) der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.“ (Oder denken wir an den Kindermund: "Ich habe gar nichts gemacht, und dann hat mich der Fritz zurückgeschlagen.")

Natürlich kann man elsaßmäßig bis zur Reunionszeit zurückgehen und bezüglich Metz bis 1552 oder auch sonstwie beliebig aufrechnen ("1914 in Löwen war es doch nur das Gleiche wie 1689 in Heidelberg"). Vernünftigerweise muss man aber irgendwo einen Anfang machen und einen Schlußstrich ziehen (siehe allgemein auch: Hans von Hentig, Der Friedenssschluß: Geist und Kunst einer verlorenen Technik, 1965).

Was Bismarck und Napoleon III. betrifft, so spricht einiges für die Darstellung, dass der eine seit 1864 versuchte, dem anderen Nadelstiche - oder mehr als das: Demütigungen - zu verpassen. Ich brauche das hier nicht aufzuzählen; die meisten Zeitgenossen stimmten darin überein, dass die Mißerfolgskette Napoleons - weiteres Stichwort: Mexiko - ihn immer mehr unter Druck gesetzt hat und sozusagen an die Wurzeln seines Herrschaftssystems ging. Nur standen ihm im Unterschied zu seinem größeren Namensvetter gar nicht mehr die Machtmittel zur Verfügung, die es ihm erlaubt hätten, sich an der Spitze der europäischen (Kontinental-) Mächte zu behaupten.

Gleichwohl gab es auch für Frankreich im Juli 1870 mehrere Optionen, genauso wie für Bismarck - alles andere würde ich für kruden Determinismus halten.
 
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