Erster Weltkrieg: Alternative Geschichte - Realistisch?

Auch wenn es kein Polen gab, gab es wohl Polen, die polnisch sprachen. Auch Kritiker alternativer Geschichtsentwürfe sollten sich in realer Geschichte auskennen
 
Bisher ging es ja um die mögliche Reaktion der europäischen Staatenwelt und die preußisch-deutschen Interessen. Vielleicht kann man die Frage auch noch von einer anderen Seite her betrachten, die etwas stärker die handelnden Personen in den Blick nimmt. Das Ministerium Bismarck war ja in Preußen gerade im Konflikt mit der Volksvertretung berufen wurden und die Entscheidungsträger wie Wilhelm I., Bismarck oder Roon lehnten jede Form der Volkssouveränität ganz entschieden ab. Hätten diese Männer von ihrem Weltbild her wirklich so handeln können? Hätten sie wirklich so weit von den Überzeugungen abweichen wollen, die ihr Leben bisher geprägt hatten?

Ich bin da eher skeptisch, zumal sie damit auch die territorialen Gewinne, die ihr Königreich zwischen 1864 und 1871 gemacht hatte, aufs Spiel gesetzt hätten. Sie konnten ja nicht wissen, ob Bayern, Hessen oder Schleswig-Holstein wirklich bei Preußen bleiben würden, wenn der Bevölkerung die freie Entscheidung zugestanden worden wäre. Und man kann wohl mit einiger Sicherheit sagen, dass König, Kanzler/ Ministerpräsident und Minister in Berlin sich 1871 Preußen stärker verpflichtet fühlten als Deutschland, selbst wenn sich das später geändert haben mag.
 
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Auch wenn es kein Polen gab, gab es wohl Polen, die polnisch sprachen. Auch Kritiker alternativer Geschichtsentwürfe sollten sich in realer Geschichte auskennen
gewiß gab es Polen anno 1912:
- unter der Herrschaft des dt. Reichs
- unter KuK Herrschaft
- unter zaristischer Herrschaft
ansonsten im Exil (dort sogar einige recht prominente Polen)

Allerdings gab es anno 1912 keinen polnischen Staat - insofern hätten es die fiktiven sieben Schwaben sehr schwer gehabt, eine polnische Staatsbürgerschaft zu erhalten... ;)
 
Bist Du auf diese Idee gekommen oder gibt es einen belastbare Literaturverweis?

Wofür? Dass Österreich Ansprüche auf nicht-Deutsche Territorien erhob? Oder, dass es nationale Unabhängigkeitsbewegungen in nicht-Deutschen Territorien gab, war doch der Sarajevo-Attentäter ein Mitglied einer eben solchen?

Das mit dem Handy mag ja alles sein, und Wut und Missverständnis tendieren sicherlich dazu die Lage eskalieren, ABER das macht noch lange keinen Kriegsgrund. D.h. in meinem Universum nicht. Ich kann dir hierzu leider keinen Literaturverweis geben, aber Clausewitz sagte schon, dass Krieg die Fortsetzung der Politik sei, nicht die "Fortsetzung der Instablität" oder "Fortsetzung der Missverständnisse".

Sie konnten ja nicht wissen, ob Bayern, Hessen oder Schleswig-Holstein wirklich bei Preußen bleiben würden, wenn der Bevölkerung die freie Entscheidung zugestanden worden wäre.

Ich glaube es hätte funktioniert. Es war in der Antike schon Regierungsform wichtiger als ethnische/nationale/religiöse Zugehörigkeit. Es ist daher naheliegend, dass sich ein Volk - wenn es demokratisch befragt wird, für die demokratischte Alternative entscheidet, und die wäre das Deutsche Reich gewesen (vorausgesetzt es bringt Reformen auf den Weg wie im Anfangspost angedeutet).
 
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Ich glaube es hätte funktioniert. Es war in der Antike schon Regierungsform wichtiger als ethnische/nationale/religiöse Zugehörigkeit. Es ist daher naheliegend, dass sich ein Volk - wenn es demokratisch befragt wird, für die demokratischte Alternative entscheidet, und die wäre das Deutsche Reich gewesen (vorausgesetzt es bringt Reformen auf den Weg wie im Anfangspost angedeutet).
Einfaches Gegenbeispiel: Die Volksabstimmung im Saargebiet 1935, die mit überwältigender Mehrheit zugunsten des Anschlusses an Hitler-Deutschland und gegen einen Anschluss an das demokratische Frankreich ausging.
 
Ich glaube es hätte funktioniert. Es war in der Antike schon Regierungsform wichtiger als ethnische/nationale/religiöse Zugehörigkeit. Es ist daher naheliegend, dass sich ein Volk - wenn es demokratisch befragt wird, für die demokratischte Alternative entscheidet, und die wäre das Deutsche Reich gewesen (vorausgesetzt es bringt Reformen auf den Weg wie im Anfangspost angedeutet).

Weshalb hätten die handelnden Personen in Preußen-Deutschland - insbesondere der frischgebackene Kaiser und Otto von Bismarck - gerade zum Zeitpunkt des Triumphes der unter schweren Konflikten durchgesetzten monarchischen Politik plötzlich gegen die eigenen Überzeugungen eine demokratische Reform des Staatswesens in Angriff nehmen sollen? Und weshalb hätten sie die militärischen und politischen Erfolge bei der Expansion "ihres" preußischen Königreiches durch einen Pakt mit den mehr oder minder kraftvollen Sezessions- und Nationalbewegungen in diversen europäischen Staaten aufs Spiel setzen sollen, zumal diese zum Teil noch in den Kinderschuhen steckten?
 
Weshalb hätten die handelnden Personen in Preußen-Deutschland - insbesondere der frischgebackene Kaiser und Otto von Bismarck - gerade zum Zeitpunkt des Triumphes der unter schweren Konflikten durchgesetzten monarchischen Politik plötzlich gegen die eigenen Überzeugungen eine demokratische Reform des Staatswesens in Angriff nehmen sollen?

Ach weißt Du, im Grunde ihres Herzens waren sie ja gar keine Monarchisten.
Zumindest...
in meinem Universum nicht.
 
ich find die Darstellung Österreichs als Despot sehr einseitig. Gavrilo Princip war als Serbe Mitglied der serbisch-nationalistischen Bewegung Mlada Bosna, und was die Serben unter Befreiung der Südslawen verstehen haben sie bis vor 20 Jahren bewiesen.
 
Wenn es zu einseitig ist - und Du kritisierst ja nicht zum ersten Mal die Sicht in diesem Forum auf Österreich - dann hast Du 3 Möglichkeiten:

1. Du findest die entsprechenden kompetenten Beiträge im Forum, die die Rolle von Ö-U und die Frage der Inklusion von Slawen, Tschechen oder Magyaren (in Ungarn war ein größer Anteil der Bevölkerung Süd-Slawen) vor 1914 differenziert behandeln

2. Du verweist auf entsprechende Darstellungen von kompetenten Autoren und dann wissen wir, dass Du das Thema kompetent beurteilst

3. Du gehst noch einen Schritt weiter und schreibst eine kompetente, ausgewogene Sicht aus Deiner Perspektive und dann hast Du Deine pauschale Kritik konstruktiv gewendet

Und wenn Du Glück hast, dann findet sich jemand, der Dir die Arbeit abnimmt und die notwendige Tiefenschärfe in die Diskussion bringt und das macht, was Du hättest eigentlich tun können.

Und solltest Du zufällig D. Lieven: "Empire. The Russian Empire and its Rivals" besitzen, dann kannst Du beispielsweise unter "A Conglomerate of Crownlands" (S. 170) die vielfältige Probleme der Integration von Ö-U nachlesen. Auch in Bezug zu den anderen Großmächten.
 
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Das kann dem Deutschen Reich aber egal sein.

Wieso? Deutschland hat bekanntermassen eine zentrale Lage in Europa, da ist mindestens eine freundschaftliche Beziehung zu allen/møglichst vielen Nachbarn essentiell. Wenn nun aber alle deine "Selbstbestimmung der Vølker" nicht akzeptieren wollen oder kønnen?

Russland wird dein Freund nicht sein, Frankreich nicht, GB auch nicht, Ø/U oder was davon uebrigbleibt auch nicht.

Italien hatte ich genannt, weil die spæteren Arrondierungswünsche über rein italienisch-sprachige Gebiete hinausgingen. (s. Tirol; s. Triest)

Die Schweiz hatte ich genannt, weil andere Staaten die jeweils ihre Sprache sprechenden Schweizer als die ihrigen ansehen kønnten und entspr. Gebietsansprüche erheben kønnten

Es wurde ja auch schon genannt, bei ethnisch gemischten Gebieten gibt's ohnehin keine Lösung ohne Gewinner und Verlierer.
National-ethnische Gründe als "Casus Belli" sind doch auch nur meist vorgeschobene Gründe, hat man diesen Grund nicht, findet man einen anderen.
Der Krieg 1870/71 ist ausgebrochen, weil sich jemand beleidigt gefühlt hat...

Eine Machtbalance zwischen den Grossmächten kann einen Krieg verhindern oder erschweren - das sehe ich aber in deinem Modell nicht.
Du wirst es kaum hinbekommen, deine Nachbarn zu Freunden oder gar Verbündeten zu machen, im Gegenteil, den einen zerstörst du sogar mutwillig.

Gruss, muheijo
 
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....
Italien hatte ich genannt, weil die spæteren Arrondierungswünsche über rein italienisch-sprachige Gebiete hinausgingen. (s. Tirol; s. Triest)

...

Die nennung Italiens war schon korrekt. 1914 war das Land sehr fern davon ethnisch homogen zu sein. Abgesehen von kleinen einsprengseln wie Griechen und Albaner, Katalanen, Slovenen und Ladiner, waren die regionalen Unterschiede sehr groß. Die Unterschiede zwischen Norden und Süden sind auch heute noch sehr akut. Vor der Verbreitung der Italienischen Sprache durch die allgemeine Schulpflicht und später dem Fernsehen, konnten sich z.B. ein Sarde und ein Venezianer, ein Piamontese und ein Sizilianer kaum verständigen. Teilweise sind das keine Dialekte mehr, sondern schon unterschiedliche Sprachen.
Das "Bewustsein" ein Land und ein Volk zu sein, war eine Bestrebung der gebildeten Klassen das jedoch anfanglich sowohl von der ärmeren Bevölkerung so wie von dem Adel zurückgewiesen wurde.
 
Die nennung Italiens war schon korrekt. 1914 war das Land sehr fern davon ethnisch homogen zu sein. Abgesehen von kleinen einsprengseln wie Griechen und Albaner, Katalanen, Slovenen und Ladiner, waren die regionalen Unterschiede sehr groß. Die Unterschiede zwischen Norden und Süden sind auch heute noch sehr akut. Vor der Verbreitung der Italienischen Sprache durch die allgemeine Schulpflicht und später dem Fernsehen, konnten sich z.B. ein Sarde und ein Venezianer, ein Piamontese und ein Sizilianer kaum verständigen. Teilweise sind das keine Dialekte mehr, sondern schon unterschiedliche Sprachen.
Das "Bewustsein" ein Land und ein Volk zu sein, war eine Bestrebung der gebildeten Klassen das jedoch anfanglich sowohl von der ärmeren Bevölkerung so wie von dem Adel zurückgewiesen wurde.

Das ist vermutlich auch einer der Gründe, weshalb eine Staatenneubildung am Reißbrett nach nationalen Gesichtspunkten in jedem Fall zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, selbst wenn in ganz Europa demokratische Zustände geherrscht hätten. Nationen sind keine naturgegebenen Gebilde, die stets dieselben Personen und deren Nachkommen umfassen und deren Grenzen fest umrissen werden können, sondern entwickeln sich im Rahmen der jeweiligen historischen Gegebenheiten. Dabei können auch bewusste staatliche oder gesellschaftliche Nationalisierungsmaßnahmen eine Rolle spielen und haben das auch immer wieder getan.
 
Mit anderen Worten, Deine "alternative Geschichte" ist mir zu naiv-idealistisch. Du vergisst die Machtinteressen der anderen Staaten, und viele* davon können der "Selbstbestimmung der Völker" nie zustimmen, ohne ihre eigene Integrität in Frage zu stellen.

* Russland, Østerreich-Ungarn, GB, Schweiz, Italien um mal nur ein paar zu nennen.

Gruss, muheijo

Also im Falle der Schweiz ginge da schon - und wurde auch schon früher gemacht. 1798 haben sich beispielsweise die Tessiner dafür entschieden, sich nicht der Cisalpinen Republik anzuschliessen sondern der Helvetischen Republik.
 
Die nennung Italiens war schon korrekt. 1914 war das Land sehr fern davon ethnisch homogen zu sein. Abgesehen von kleinen einsprengseln wie Griechen und Albaner, Katalanen, Slovenen und Ladiner, waren die regionalen Unterschiede sehr groß. Die Unterschiede zwischen Norden und Süden sind auch heute noch sehr akut. Vor der Verbreitung der Italienischen Sprache durch die allgemeine Schulpflicht und später dem Fernsehen, konnten sich z.B. ein Sarde und ein Venezianer, ein Piamontese und ein Sizilianer kaum verständigen. Teilweise sind das keine Dialekte mehr, sondern schon unterschiedliche Sprachen.
Das "Bewustsein" ein Land und ein Volk zu sein, war eine Bestrebung der gebildeten Klassen das jedoch anfanglich sowohl von der ärmeren Bevölkerung so wie von dem Adel zurückgewiesen wurde.

Ähnliches läßt sich doch sicherlich auch über Deutschland sagen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen deutschsprachigen Regionen waren und sind immer noch groß.

Aber auch in kleineren Nationalstaaten wie den Niederlanden gibt es große Unterschiede zwischen den Dialekten. Sogar in den flämischsprachigen Gebieten Belgiens sind die Unterschiede noch groß. Vor einiger Zeit sprach ich mit einem Flamen, der mir sagte, dass er bereits 60 km von seinem Heimatort entfernt die lokalen flämischen Dialekte nicht mehr verstand (von den Unterschieden zwischen dem flämischen Norden und dem wallonischen Süden ganz zu schweigen).

Ähnliches gilt auch für Frankreich und Spanien.
 
Ähnliches läßt sich doch sicherlich auch über Deutschland sagen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen deutschsprachigen Regionen waren und sind immer noch groß.

Aber auch in kleineren Nationalstaaten wie den Niederlanden gibt es große Unterschiede zwischen den Dialekten. Sogar in den flämischsprachigen Gebieten Belgiens sind die Unterschiede noch groß. Vor einiger Zeit sprach ich mit einem Flamen, der mir sagte, dass er bereits 60 km von seinem Heimatort entfernt die lokalen flämischen Dialekte nicht mehr verstand (von den Unterschieden zwischen dem flämischen Norden und dem wallonischen Süden ganz zu schweigen).

Ähnliches gilt auch für Frankreich und Spanien.

Nun ja, ich kann es bei Italien schwer einschätzen, inwiefern die Dissonanzen zwischen Italienern und Minderheiten hersschten, oder innerhalb der Italiener selbst. Es ist die Frage, wie man eben die regionalen Kräfte sieht. Als mehr oder weniger "Dialekt" Gruppe (also damit meine ich Unterschiede innerhalb der Italiener) oder unterschiedliche Volksgruppen.

Diesbezügliche Probleme sieht man ja bis heute, aber das geht wieder zu stark in Richtung Tagespolitik.
 
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