"Gotische Wandersage" Fortsetzung
Kehren wir zur Wandersage zurück (und zu unserer Diskussion #49-60)
„ Da brach jedoch, nachdem schon die Hälfte die Brücke überschritten hatte,
welche über den Fluss führte, diese zusammen und man konnte sie nicht wiederherstellen; so konnte niemand mehr hinüber oder herüber“.(Übers. Dr. Wilhelm Martens Phaidon-Verlag)
Auffallend ist hier folgendes : der oben unterstrichene Satz lautet „ ...unde amnem traiecerat...“, und „amnis“ bedeutet „Fluss, Strömung, Gewässer,“, kurz gesagt, die Wassermassen des Flusses.
Sonst wird „amnis“ von Jordanes nur fûr grosse Flüsse gebraucht, fûr Donau, Don, Weichsel, Dnjepr und den fernen Araxes in Armenien. Alle anderen Flûsse sind „flumen = Flusslâufe“.
Wolfram nimmt an, dass die eingestürzte Brücke über den Dnjepr führte; gibt aber zu bedenken, dass auch der kein unübrwindliches Hindernis gewesen sein kann.
Aber sehen wir weiter: „Diese Gegend ist, wie erzählt wird, von einem Abgrund mit unsicherem Moor umgeben, und die Natur hat sie so auf doppelte Art unwegsam gemacht.“
Anschliessend erzählt Jordanes noch zu seiner Zeit hätten glaubwûrdige Zeugen dort Rindergebrüll und Zeichen menschlicher Siedlung bemerkt.
Norbert Wagner,der darüber selbst nüchtern und sachlich schreibt, aber eigentlich nur zumScluuss kommt, dass es eine Sage sei , zitiert A;Stender- Petersen (S.231) “..Volksüberlieferung...(weil) der Durchzug .durch die Pripjet-Sümpfe ...grosse Opfer an Menschen und Zugtieren gekostet habe...als Leute und Vieh versanken, ohne dass man helfen konnte“ (Slav.-germ. Lehnwortkunde)
Niemand hat sich gewundert, was das fûr ein merkwürdiger Abgrund war, der, von unsicheren Sümpfen umgeben, nicht voll Wasser läuft und ein See wird, oder aber ein so bedeutender See, dass die Goten, die angeblich zwei Generationen vorher die Ostseee überquert haten, nun an ihm scheiterten. ( Es ist halt eine Sage, nicht wahr?)
Jordanes(Cassiodor?) sagt „tremulis paludibus Voragine circumiecta“, also „ein Abgrund umgeben von schwnkenden Sümpfen“, aber es ist hier von einer „vorago“ die Rede, (vorare =verschlingen), also genau genommen von einem „Schlund“, also weder von einem „gurges“(Abgrund) noch von einem „praecipitium“ in das man hineinstürzen (praecipitare) kann.
Der anschliessende Satz eerzählt dann „haec ergo pars Gothorum, quae apud Filemer dicitur in terras Oium emenso amne transposita, optatum potiti solum....“
Martens: „Der Teil der Goten also, der unter Filimer über den Fluss setzte und nach Oium kam, bemächtigte sich des ersehnten Bodens.“. Das stimmt so ungefähr. Die englische Übersetzung von Charles Mierow (im Internet) ist genauer:
„This part of the Goths, which is said to have crossed the river (amne transposita) and entered with Filimer into the country of Oium, came into posession of the desired land“.
„Oium“, das sind, nach Wolfram, die fruchtbaren Ländereien am Ufer des schwarzen Meeres.Aber sie sind von der Einmündung des Pripjet in den Dnjepr mindestens 500 Km entfernt – Luftlinie!
Während der Text die „oium“ einfach ans erreichte Ufer plaziert. ( Sicher wieder eine Entstellung durch die Überlieferung!)
Ich unterbreche hier, um zwei Fragen aufzuwerfen:
- Was ist das für ein „verschlingender Schlund“, der inmitten von Sümpfen doch nicht voll Wasser lâuft?Und wo kann er sein?
- Die Goten ûberquerten keinen „flumen“ sondern „amnis“ Wassermassen (Strom, Fluss, Sturzbach, Strömung, Wasser, Gewässer), und scheinen dann unmittelbar in den „Oium“ zu
sein? Oder was heisst „..in terras Oium emenso...(„emetiri“ = durchmessen, pp.“emensus“).
Und was ist „amne transposita...“? Haben die Goten nun „ über das Wasser übergesetzt“, oder haben sie „das Wasser übergesetzt“ (über was.? ) So wie sie auch „medietate transposita“ haben ?
(Ich halte übrigens „Oium“ nicht wie Wolfram für ein Plural, sonern für ein Neutrum Singular,
„Übersetzung“ eines germanischen „ Das Oy, Ey, Eiland“.)
Fortsetzung demnächst
Boiorix