Frage zu Waffen im Mittelalter

Ich habe bis 2016 HEMA trainiert, nach Fiore de'i Liberi. Die Abhandlungen der Fechtmeister gelten vielen ja als eher praxisfern und vorrangig für Zweikämpfe gemacht, aber es gibt auch Gegenstimmen, z.B. Bachrach in 'Warfare in Medieval Europe c.400-c.1453'. Und Marsden weist in 'Historical European Martial Arts in its Context' darauf hin, dass zwar bei Weitem nicht alle Kniffe Liechtenauers "kriegstauglich" gewesen seien, aber gewisse grundlegende Techniken auch auf dem Schlachtfeld zu Hause waren.

Was @Perquit's Frage angeht; meiner Ansicht nach werden die körperlichen Fähigkeiten, die das Kämpfen im Kontext des Mittelalters erforderte, gleichzeitig über- und unterschätzt.

Überschätzt, da das Fechten mit Blankwaffen an sich kein hohes Maß an Körperkraft und Ausdauer erfordert.

So wissen wir, dass bei der Schlacht von Visby (1361) auf Seiten der Verteidiger dreizehn-, vierzehnjährige Jungen kämpften. Wir wissen, dass der yorkistische Ritter Thomas Kyriell in seinem 66. Lebensjahr erfolgreich in der Schlacht von Mortimer's Cross (1461) kämpfte. Und Sanuto berichtet, dass Caterina Sforza in Ravaldino – zu diesem Zeitpunkt auch schon 36 Jahre alt – eigenhändig "einige" Männer im Kampf tötete.

Derartige Anekdoten gibt es viele – zu viele, um noch zu bestreiten, dass die Waffentechnik des Mittelalters grundsätzlich sogar alten Männern, Frauen und Kindern gestattete, sich ihrer Haut zu erwehren.

Anders als man vielleicht denken mag, eignen sich übrigens beidhändig zu führende Waffen für Anfänger oder weniger kräftige Personen besonders gut. Die Einbindung der zweiten Hand in die Postur macht diese Waffen führiger und verteilt ihr Gewicht auf zwei Arme. Dies gilt für keine Waffe mehr als für den besonders intuitiv handzuhabenden Speer, der nicht umsonst als ideal für "Anfänger" beschrieben wird.

Auch der Einfluss des Gewichts von Schutzwaffen wird häufig überschätzt. Da sich das Gewicht über die Körperoberfläche verteilt, behindert es den Bewegungsablauf weniger, als es dasselbe Gewicht auf den Rücken geladen täte. Tatsächlich deuten viele Quellen darauf hin, dass der Anstieg der Körpertemperatur unter der nicht gerade "atmungsaktiven" Rüstung für viele Kombattanten das weitaus größte Problem war.

Ich selbst habe zwar nie eine "richtige" Rüstung getragen, glaube solche Beschreibungen aber nur allzu gern. Meine Ausrüstung aus Fechtjacke, -hose, -maske, Schamkapsel und stählernen Panzerfäustlingen kam damals zusammen auf ca. 12 kg (eine gut angepasste gotische Plattenrüstung wiegt ~25 kg). Ich war nie besonders fit, trotzdem war das Gewicht kein Problem für mich. Nicht zu überhitzen, das war eine Herausforderung!

Daher sage ich, die physischen Anforderungen werden auch unterschätzt. Und das kurioserweise oft von den Leuten, die in der Materie etwas mehr drinstecken. Was wirklich ein hohes Maß an Körperkraft und Ausdauer erfordert, das ist das Fechten unter widrigen (≈ wahrscheinlich anzutreffenden) Umständen.

Viele Zweikämpfe scheinen rasch vorüber gewesen zu sein, wahrscheinlich in Sekunden – aber eben nicht alle! Wir wissen von Gerichtskämpfen, die unterbrochen werden mussten, weil sich beide Kontrahenten hoffnungslos verausgabt hatten. Und wir wissen natürlich von Schlachten, die Stunden dauerten.

Denn dass ich mit einem feindlichen Waffenknecht fertig werde, heißt nicht, dass ich auch mit seinem Kameraden fertig werde, oder mit dessen Kamerad. Zumal im Kontext eines Krieges noch andere Anstrengungen in Rechnung zu stellen sind, so manche Schlacht wurde nach einem Gewaltmarsch geschlagen.

Der zweite Irrtum betrifft das auch heute bei Kampfsport-Fans beliebte Sujet, dass technische Finesse bloßer Muskelkraft überlegen sei. Das ist natürlich ein verlockender Gedanke; denn warum sonst sollte man bspw. zehn Jahre lang für den schwarzen Gürtel im Brasilianischen Jiu-Jitsu trainieren wollen, wenn es nichts "nützt"? Nur sieht die Realität leider anders aus, ebendarum gibt es ja die Gewichtsklassen im Kampfsport.

Ich würde behaupten: Die Prämisse, dass Technik Stärke übertrumpft, gilt nur in nicht repräsentativen Extremfällen, und das wird auch auf realen Schlachtfeldern gegolten haben, weil die körpermechanischen Sachzwänge unverändert gelten. Und es ist wenig wahrscheinlich, dass eine körperlich unterlegene, aber technisch viel versiertere Person auf dem Schlachtfeld (oder im Kontext eines Gerichtskampfes) jemandem gegenübertritt, der zwar bärenstark ist, aber vom Kämpfen nichts versteht.

Interessant ist vielleicht noch die Frage, was unter mittelalterlicher "Wehrtauglichkeit" zu verstehen wäre. Was das anlangt, würde ich annehmen, dass die Menschen im Schnitt bessere Voraussetzungen mitbrachten als wir heute (und dabei denke ich nicht etwa an moderne Phänomene wie die verbreitete Fettleibigkeit). Ritter wurden ja bekanntermaßen von Kindesbeinen an die Strapazen des Kampfes gewöhnt.

Aber auch Waffenknechte oder z.B. die Milizionäre der städtischen Bürgerwehren trainierten regelmäßig. Und der Durchschnittsmensch, der vielleicht ad hoc Haus und Hof verteidigen musste, wird jedenfalls körperliche Entbehrungen gewohnt gewesen sein – man denke nur daran, was für eine Knochenarbeit die vorindustrielle Landwirtschaft war. Damit war die physische Belastbarkeit wohl allgemein höher.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, dem kann ich nur voll zustimmen, so ähnlich sehe ich das auch.
Auch im Mittelalter gilt: Die "beste" Waffe gibt es nicht. Es kommt immer auf den Nutzer an, den Einsatzzweck, den Gegner und die äußeren Umstände.
Zur Schutzausstattung kann ich nur bestätigen, mein 12kg schwereres Kettenhemd trägt sich gut solange ich mich bewege, da fällt das Gewicht bei meinen kaputten Kreuz kaum ins Gewicht. Längere Zeit damit stehen ist viel anstrengender.
 
Der zweite Irrtum betrifft das auch heute bei Kampfsport-Fans beliebte Sujet, dass technische Finesse bloßer Muskelkraft überlegen sei. Das ist natürlich ein verlockender Gedanke; denn warum sonst sollte man bspw. zehn Jahre lang für den schwarzen Gürtel im Brasilianischen Jiu-Jitsu trainieren wollen, wenn es nichts "nützt"? Nur sieht die Realität leider anders aus, ebendarum gibt es ja die Gewichtsklassen im Kampfsport.

Ich würde behaupten: Die Prämisse, dass Technik Stärke übertrumpft, gilt nur in nicht repräsentativen Extremfällen, und das wird auch auf realen Schlachtfeldern gegolten haben, weil die körpermechanischen Sachzwänge unverändert gelten. .

Ich würde mal behaupten wollen, dass zwischen Trainingskampf und "Ernstfall" ein Unterschied besteht wie zwischen auf eine Scheibe schießen und auf Gefährliches Wild oder einen Gegner schießen, der zurückschießt.

Im Ernstfall sind oft Überraschungsmoment und Kaltblütigkeit viel entscheidender, als technische Finesse. Im Ernstfall müssen Techniker oft viel einstecken. Ein guter Techniker kann es sich aber viel eher leisten, defensiv auf Aktionen zu reagieren, wird sich in der Regel auch nicht so leicht überrumpeln lassen.

Für einen Anfänger ist es viel schwerer, zu reagieren. Für Anfänger hat der Satz Angriff ist die beste Verteidigung viel mehr Gültigkeit. Wenn man merkt, dass Kampf nicht zu vermeiden ist, ist es effektiver, dem Gegner zuvorzukommen und selbst anzugreifen, um das Überraschungsmoment zu nutzen, während der Gegner, der nicht kämpfen, sondern demütigen und abziehen will, noch dabei ist, die Vorfreude über einen Sieg ohne Kampf zu genießen und auf massive Gegenwehr nicht eingestellt ist.

Im Melée ist Erfahrung, Kaltblütigkeit und Übersicht entscheidend, nicht technische Finesse. Vor allem ist entscheidend, ob mehrere Kämpfer ein Tech-Team bilden können. Gut aufeinander eingespielte, im Nahkampf erfahrene Kämpfer können gegen eine größere Zahl von Gegnern ohne Zusammenhalt ohne Weiteres sich durchsetzen.

Eine Frau, die technisch überlegen ist, kann sich auch gegen einen kräftigen Mann behaupten, solange sie sich nicht in den Clinch oder Bodenkampf verwickeln lässt. Gegen zwei Männer hat auch eine technisch versierte Frau ohne Hilfsmittel kaum eine Chance.
 
Natürlich gibt es einen großen Unterschied zwischen Training und Ernstfall, allerdings ist dieser Unterschied bezüglich
der ursprünglichen Frage wenig relevant, da Ernst und Training wenig an der grundsätzlichen Handhabung der Waffen ändert. Ich möchte auch nicht mit der damaligen Realität tauschen.
Aber wenn man diese Waffen zum Training nutzt hat man zumindest einen echten Eindruck des Handlings.
Über sowas nur zu lesen oder auch damit zu hantieren ist schon ein großer Unterschied,
 
Ich habe schon mit einem modernen Bogen geschossen - und fand es anstregend. Besser fand ich micht mit Armbrust zurecht: Auf einem Mittelalterfest habe ich damit ein Mittagsessen gewonnen, weil 3-mal hintereinander ins Schwarze getroffen. :D
 
Zum Thema Wehrtauglichkeit und Kraft: Robert Bale erwähnt in seinen 'Chronicles', dass John Talbot, Graf von Shrewsbury, im Alter von zwölf Jahren bei der Zweiten Schlacht von St. Albans gekämpft und Männer "felled" habe, was man mit niederhauen oder töten übersetzen kann. Dies ist umso bemerkenswerter, als sein Zeitgenosse William Botoner Shrewsbury als einen wenig soldatischen Menschen beschreibt, der tapfer, aber eher den Künsten als dem Waffenhandwerk zugetan gewesen sei.
Ich würde mal behaupten wollen, dass zwischen Trainingskampf und "Ernstfall" ein Unterschied besteht wie zwischen auf eine Scheibe schießen und auf Gefährliches Wild oder einen Gegner schießen, der zurückschießt.

Im Ernstfall sind oft Überraschungsmoment und Kaltblütigkeit viel entscheidender, als technische Finesse. Im Ernstfall müssen Techniker oft viel einstecken. Ein guter Techniker kann es sich aber viel eher leisten, defensiv auf Aktionen zu reagieren, wird sich in der Regel auch nicht so leicht überrumpeln lassen.
Richtig.

Wobei man natürlich in Rechnung stellen muss, dass militärische Auseinandersetzungen im Mittelalter für gewöhnlich in geregelten Bahnen erfolgten (selten kam ein Kombattant völlig unvorbereitet in Todesgefahr). Und außerdem, dass, obwohl schon Zeitgenossen das Sujet des Kriegers liebten, der Schlachten im Alleingang entscheidet, Einzelleistungen weniger ausschlaggebend auch für das eigene Überleben waren als Leistungen der Gruppe.
Eine Frau, die technisch überlegen ist, kann sich auch gegen einen kräftigen Mann behaupten, solange sie sich nicht in den Clinch oder Bodenkampf verwickeln lässt.
Letzteres ist sicherlich nicht falsch, aber Tatsache ist und bleibt, dass die weibliche Physis der männlichen in puncto Kraft und Ausdauer (zumindest des Oberkörpers) unterlegen ist. Frauen sind gegenüber Männern in körperlichen Auseinandersetzungen immer deutlich benachteiligt. Und wie gesagt, man wird kaum jemals einem kräftigen Mann begegnet sein, der nicht kämpfen konnte. Umso bemerkenswerter ist der Mut einer Frau wie Caterina Sforza.
Gegen zwei Männer hat auch eine technisch versierte Frau ohne Hilfsmittel kaum eine Chance.
Eher "keine" als "kaum eine". Schon deshalb, weil derartige Konstellationen auch für einen geübten, kräftigen Mann kaum zu überstehen waren. Die Fechtbücher weisen darauf hin. In der HEMA-Szene wurde entsprechend experimentiert, auch belastbar, und der Konsens geht dahin, dass allein ein mit Stangenwaffen (Speer, Mordaxt etc.) bewaffneter Kombattant hoffen durfte, einen Kampf mit mehreren Gegnern zu überleben. Hollywood entlarvt diesen Umstand ungewollt, indem in entsprechenden Filmszenen die Gegner immer artig nacheinander angreifen anstatt gleichzeitig.
Natürlich gibt es einen großen Unterschied zwischen Training und Ernstfall, allerdings ist dieser Unterschied bezüglich
der ursprünglichen Frage wenig relevant, da Ernst und Training wenig an der grundsätzlichen Handhabung der Waffen ändert.
So ist es.
Ich möchte auch nicht mit der damaligen Realität tauschen.
Wenn ich zwischen just diesen zwei Optionen wählen müsste, so absurd solche Gedankenspiele sind, könnte ich mir sogar vorstellen, lieber auf einem mittelalterlichen Schlachtfeld kämpfen zu wollen als in einem modernen Konflikt wie dem Ukraine-Krieg. (Zumindest, wenn ich auf eine medizinische Versorgung nach heutigen Standards und die Einhaltung der Genfer Konventionen vertrauen könnte.)

Kriege der Vergangenheit gelten als besonders blutig, dabei ist es für das Opfer einerlei, ob es von einer Axt oder einer Granate zerfetzt wird. Und dann ist da noch die psychische Komponente. Ich habe mal eine Studie gelesen, in der die Hypothese aufgestellt wurde, PTBS sei eine "Schießpulver-Erkrankung".

Das "Kriegszittern" sei nicht etwa deshalb in der Neuzeit erstmals beschrieben worden, weil der moderne Mensch weniger hart im Nehmen sei, wie manch ein Kommisskopf noch vor zwanzig Jahren behauptete, sondern weil die moderne Kriegsführung den Menschen um ein Vielfaches machtloser seinem Schicksal aussetzt, und über viel längere Zeiträume in Todesgefahr bringt, als er ertragen kann.

Der Speerträger in der Phalanx der Antike, der Waffenknecht des Mittelalters hatte seinen Waffengang oft rasch hinter sich, Schlachten dauerten selten länger als ein, zwei Stunden, und beileibe nicht alle Kombattanten kämpften zu jeder Zeit. Und dabei hing es viel mehr vom Einzelnen ab, ob er am Leben blieb. Solange er sich außerhalb der Reichweite der gegnerischen Blankwaffen befand und sein Truppenkörper standhielt, war er relativ sicher. Entsprechend erwähnenswert erschien es Zeitgenossen, wenn dem nicht so war, und deswegen wurden z.B. die englischen Bogenschützen so gehasst.

Gehörte der Kombattant dem siegreichen Heer an, hatte er gute Überlebenschancen, denn die allermeisten Todesopfer hatte ein Heer nicht während, sondern nach der Schlacht zu beklagen, wenn es in die Flucht geschlagen worden war. Bachrach schreibt, dass ein siegreiches Heer in der von ihm betrachteten Zeit (Hochmittelalter) durchschnittlich 5% Ausfälle erlitt (das geschlagene ca. 30%).

Man mag es kaum glauben, aber das sind selbst für das geschlagene Heer bessere Aussichten als in vielen Gefechten der jüngeren Vergangenheit (Beispiel Schlacht von Hue: 29,1% Ausfälle der Sieger, mind. 77% der Besiegten). Und der Schrecken endete rasch, während er sich heutzutage über Tage, Wochen, Monate hinziehen kann und die moderne Waffentechnik den Tod buchstäblich jederzeit und an jedem Ort bringen kann, einen unsichtbaren Tod ohne Vorwarnung aus großer, größter Entfernung.

Da kann man sich schon fragen, welches Schicksal schlimmer ist, obwohl beide zweifellos schrecklich sind und man dankbar sein muss, im Frieden zu leben.
 
der Konsens geht dahin, dass allein ein mit Stangenwaffen (Speer, Mordaxt etc.) bewaffneter Kombattant hoffen durfte, einen Kampf mit mehreren Gegnern zu überleben. Hollywood entlarvt diesen Umstand ungewollt, indem in entsprechenden Filmszenen die Gegner immer artig nacheinander angreifen anstatt gleichzeitig.

Dazu eine Stelle aus der Historia Roderici:

Cum uero rex Sanctius Zemoram obsederit, tunc fortune casu Rodericus Didaci solus pugnauit cum XV militibus ex aduersa parte contra eum pugnantibus, VII autem ex his erant loricati, quorum unum interfecit, duos uero uulnerauit et in terram prostrauit omnes que alios robusto(s) animo fugauit.
Übersetzung:

Als aber der König Sancho Zamora belagerte ~da begab es sich~, dass Rodrigo Díaz allein mit 15 gegen ihn kämpfenden Soldaten vom gegnerischen Lager kämpfte, 7 von diesen waren aber mit Kettenhemden ausgerüstet, von denen er einen tötete, zwei aber verletzte und zu Boden warf, die anderen schlug er mit starkem Herzen in die Flucht.
Was können wir dieser Quelle entnehmen? Es war möglich, dass einer gegen eine Gruppe von 15 kämpfte. Kämpften sie gleichzeitig gegen ihn oder jeder einzeln? Das können wir der Quelle nicht entnehmen. Wir können angesichts der Überzahl vielleicht davon ausgehen, dass er gegen jeden der 15 einzeln kämpfte bzw. vielleicht sogar nur gegen die drei ersten, und dass die restlichen Kämpfer dann vielleicht gar nicht mehr antraten oder, wenn er gegen alle gleichzeitig kämpfte, die Gegner sich gegenseitig behinderten und er so relativ zu Beginn ein paar Treffer landen konnte, die seine Gegner erschreckten, aber das ist alles Spekulation. Das Verhältnis der Getöteten zu den Lebenden ist jedenfalls hier 1:14.
(Und, was aber mit unserer Diskusson wenig zu tun hat: Nur knapp die Hälfte der Kämpfer trug Kettenhemden. Oder muss man statt "nur" vielleicht "immerhin" sagen?)

Direkt im Anschluss finden wir folgende zwei Sätze:

Postea namque pugnauit cum Eximino Garcez uno de melioribus Pampilone et deuicit eum.
Pugnauit quoque pari sorte cum quodam Sarraceno in Medina Celim, quem non solum deuicit, sed etiam interfecit.

Danach kämpfte er mit Jimeno Garcez, einem der Besten Pamplonas und besiegte ihn.
Er kämpfte auch mit vergleichbaren Glück mit einem gewissen Sarrazenen in Medinaceli, den er nicht nur besiegte, sondern auch tötete.
Aus dieser Stelle mag man ersehen, dass es eben nicht normal war, dass man die Gegner erschlug, denn sonst würde das nicht extra betont. Und dann noch mal eine richtige Schlacht:

Interea namque rex Aldefonsus nuntium eum pro paria sua ad regem Sibille et ad regem Cordube misit.
Tunc uero Almuctamit rex Sibille et Almudafar rex Granate erant <inimici.
Et cum rege Granate erant> Garsias Ordonii et Fortunius Sanctii, gener Garsie regis Pampilonensis, et Lupus Sanctii, frater Fortunii Saggez, et Didacus Petriz unus ex maioribus Castelle.
Vnusquisque istorum cum sua militia uenerunt pugnaturi contra regem Sibille.
Cum autem Rodericus Didaci [et] uenerit <ad> Almutamiz, statim reuelatum est ei regem Granate cum auxilio Christianorum uenire super Almutamiz et super regnum suum.
Tunc misit litteras ad regem Granate et ad Christianos, qui cum eo erant, quod amore domini sui regis Aldefonsi contra regem Sibille non uenirent nec regnum eius intrarent.
Ipsi autem in multitudine sui exercitus confidentes, preces eius non solum audire noluerunt, sed etiam eos omnino spreuerunt.
Venerunt itaque depredantes omnem terram illam usque ad castrum, qui dicitur Capra.
8. Quod autem Rodericus Didaci audiens et ueritate certa cognoscens eis statim cum exercitu suo obuiam exiit ibi que cum eisdem bellum crudele conmisit; quod utique bellum inter se permixtum durauit ab hora diei tercia usque ad sextam.
Facta est autem ibi maxima strages et interfectio exercitus regis Granate tam Sarracenorum quam Christianorum, donec omnes deuicti ac confusi fugierunt a facie Roderici Didaci.
Captus est igitur in eodem bello comes Garsias Ordonii et Lupus Sanctii et Didacus Petri et alii quam plures illorum milites.
Habito itaque triumpho, Rodericus Didaci tenuit eos captos tribus diebus.
Tandem abstulit eis temptoria et omnia eorum spolia et sic permisit eos absolute abire.
Übersetzung:

Inzwischen schickte König Alfons seinen Boten, um seinen Tribut einzufordern zum König von Sevilla und Córdoba. Damals aber waren Al-Mu'tamid, der König von Sevilla und Al-Muzaffar, der König von Granada Feinde. Und mit dem König von Granada waren García Ordóñez, Fortún Sánchez aus dem Geschlecht des Königs García von Pamplona, Lope Sánchez, der Bruder des Fortún Sánchez und Diego Pérez, einer von den Größten Kastiliens. Diese kamen mit ihren Soldaten, um den König von Sevilla zu bekämpfen.
Als aber Rodrigo Díaz zu Al-Mu'tamid kam, wurde ihm sofort erzählt, dass der König von Granada mit Hilfe der Christen über al-Mu'tamid und über sein Reich komme.
Da schrieb er Briefe an den König von Granada und die Christen, die bei ihm waren, dass sie, aus Liebe zu ihrem Herren König Alfons nicht gegen den König von Sevilla vorrückten (Q: kämen) und nicht in sein Reich einfielen (Q: einträten).
Diese aber, in Vertrauen auf die Größe ihres Heeres, wollten auf seine Bitte nicht nur nicht hören, sondern sie verachteten sie auch ganz und gar.
Sie kamen daher jenes Land plündern bis zur Burg, welche Cabra genannt wird. Als Rodrigo das aber hörte und die Wahrheit sicher wusste, kam er ihnen mit seinem Heer entgegen und kam mit ihnen zur grausamen Schlacht (Q: Krieg) zusammen; in der Schlacht (Q: Krieg) kämpften alle durcheinander (etwas frei übersetzt) und sie dauerte von der dritten bis zur sechsten Stunde des Tages.
Es wurde dort die größte Niederlage und viele aus dem Heer des Königs von Granada, sowohl Sarrazenen als auch Christen wurden erschlagen, solange bis alle besiegt und verwirrt im Angesicht Rodrigo Díaz' flohen.
Gefangen wurde also in dieser Schlacht der Graf García Ordóñez, Lope Sánchez und Diego Pérez und viele andere ihrer Soldaten. Rodrigo Díaz feierte seinen Triumph und hielt sie drei Tage lang gefangen.
Dann nahm er ihre Zelte und alle ihre Beute und so erlaubte er ihnen uneingeschränkt wegzugehen.
Es gibt in der Historia Roderici noch eine ähnlich verlaufende Schlacht, gegen Berenguer Ramón II. und die Katalanen und Südfranzosen, in der Rodrigo wiederum die Gefangenen nach fünf Tagen in die Freiheit entlässt.
 
Wobei man natürlich in Rechnung stellen muss, dass militärische Auseinandersetzungen im Mittelalter für gewöhnlich in geregelten Bahnen erfolgten (selten kam ein Kombattant völlig unvorbereitet in Todesgefahr).
dieser summarische Eindruck kann freilich auch aus der Erzählabsicht der Quellen resultieren:
(...) das Geschehen so zu schildern, dass die Erzählung ihren Absichten dient, und das heißt im Allgemeinen, dass sie das Handeln der eigenen Seite rechtfertigt.
Malte Prietzel, Kriegführung im Mittelalter, Paderborn 2006
Malte Prietzel, Krieg im Mittelalter, Darmstadt 2006

weiterhin ist zu fragen, wie es um die geregelten Bahnen bestellt war, wenn man mit Kriegergruppen Differenzen hatte, welchen die "geregelten Bahnen" nicht bekannt oder irrelevant waren! Die mittelalterlichen Ritter (ehemals Panzerreiter) hatten oft genug mit solchen Gegnern zu tun. Ich halte es für eine fromme Mär, dass Ritter Kunibert gegen Ritter Rauschebart in geregelter Bahn focht, aber im heiligen Land gegen einen bösen muselmanischen Sarazenen andere Kampftechniken einsetzte, dann an der polnischen Grenze gegen einen Goldene Horde Kämpen wieder anders usw ;) - realistischer dürfte sein, dass man utilitaristisch stets und überall sämtliche erdenklichen Mittel einsetzte, um zu gewinnen, "Fairness & Ritterlichkeit" im Kampf nichts zählten (ritualisierte Zweikämpfe unter seinesgleichen evtl ausgenommen, d.h. der Gerichtskampf musste nicht tödlich enden)

bzgl der Zahlenverhältnisse in den von @El Quijote zitierten spanischen Quellen: die Erzählungen/Berichte fokussieren sich absichtlich auf den adeligen Rittersmann, dass ein Ritterheer zumeist das 30- 30fache an Fußvolk dabei hatte, wird kaum erwähnt. Laut Prietzel wog ein Panzerreiter/Ritter in der Attacke gut 10-20 Mann Fußvolk auf, sodass die überlieferten Zahlen (Ritter X besiegte in einem Aufwasch 14 Gegner) nicht völlig aus der Luft gegriffen waren; sie mögen hin und wieder besonders in epischen Darstellungen übertrieben sein.
 
Darmstadt als Verlagsort verweist ha auf die WBG und die geben oft - bloß mit meist modernerem Cover - Lizenzexemplare in anderen Verlagen erschienener Bücher heraus. Daher meine Frage.
 
eine Rezension - ich finde sie (die Rezension) etwas zu mäkelig.
Also bei den ersten drei der knapp über sieben ein Viertel Seiten habe ich mich darüber gewundert, was an der Rezension mäkelig sein solle. Ich kenne die Bücher nicht, finde aber die Rezension nicht ausufernd mäkelig, zwei, drei Punkte kritisiert Rogge da an Prietzel, die Kritik hört sich berechtigt an - ob sie wirklich berechtigt ist, vermag ich in Unkenntnis der Bücher nicht beurteilen. Aber der Anlass einer Rezension (sofern es sich nicht um einen freundschaftlichen Gefallen handelt - ergo Werbung) ist ja in der Regel der, dass man ein Defizit feststellt, nicht, dass alles „tutti“ ist.
 
@dekumatland

Deswegen schrieb ich von "militärischen Auseinandersetzungen". Überfiel Ritter Kunibert den Ritter Rauschebart, ging es anders zu, doch die mittelalterliche Kriegsführung unterlag unabweisbaren Sachzwängen, etwa hinsichtlich der Geschwindigkeit oder dem logistischen Fußabdruck eines Heeres.

Nur zwei Beispiele: In 'Warfare in Medieval Europe', Kapitel 4, wird berechnet, dass 1.000 Kombattanten pro Tag 2,5 Tonnen an Nahrungsmitteln verbrauchten (die sie, wie die Autoren zeigen, nicht plünderten, sondern mitführten). In dieser Berechnung ist der Bedarf von Reit- und Tragtieren noch nicht einmal eingepreist. Wurden diese Lebensmittel von Pferden transportiert, konnte ein Heer 30 Kilometer pro Tag zurücklegen, nahm man hingegen Ochsen, war man nur halb so schnell.

Diese Sachzwänge führten zu einer gewissen Absehbarkeit der Ereignisse. Ein Heer tauchte nicht aus dem Nichts auf, eine Feldschlacht brach selten unerwartet aus. Hinterhalte bspw. sind in den Quellen immer besonders nennenswerte Ereignisse, und zwar nicht nur, weil sie als unehrenhaft, sondern auch weil sie als ungewöhnlich galten. Das meinte ich mit "geregelten Bahnen".

@El Quijote
Was können wir dieser Quelle entnehmen? Es war möglich, dass einer gegen eine Gruppe von 15 kämpfte. Kämpften sie gleichzeitig gegen ihn oder jeder einzeln? Das können wir der Quelle nicht entnehmen. Wir können angesichts der Überzahl vielleicht davon ausgehen, dass er gegen jeden der 15 einzeln kämpfte bzw. vielleicht sogar nur gegen die drei ersten, und dass die restlichen Kämpfer dann vielleicht gar nicht mehr antraten oder, wenn er gegen alle gleichzeitig kämpfte, die Gegner sich gegenseitig behinderten und er so relativ zu Beginn ein paar Treffer landen konnte, die seine Gegner erschreckten, aber das ist alles Spekulation. Das Verhältnis der Getöteten zu den Lebenden ist jedenfalls hier 1:14.

Du sagst es ja selbst, es geht aus der Quelle nicht hervor, ob El Cid gegen seine Gegner nacheinander oder gleichzeitig kämpfte. Auch schweigt sich die Quelle über vorstellbare Begleitumstände aus. Vielleicht wollten sich die "Männer vom gegnerischen Lager" nicht unterstützen, weil jeder derjenige sein wollte, der den berühmten Mann besiegte. Da wären sie nicht die ersten gewesen. Sir Thomas Kyriell, der Heinrich VI. bewachte, gelang es in der Zweiten Schlacht von St. Albans mehrere berühmte Männer zu besiegen, weil die sich nacheinander auf ihn stürzten, anstatt ihn gemeinsam zu überwältigen. Jeder lancastrianische Ritter beanspruchte den Ruhm der Befreiung des Königs für sich.

Außerdem ist die Glaubwürdigkeit der zitierten Passagen zu überlegen. Zwar gehöre ich zu denen, die selbst fiktive literarische Werke für potentiell brauchbare Quelle halten*, umso mehr natürlich Historiae, Annales und Gestae; andererseits ist John Searle zu folgen, wenn er von "brute facts" schreibt. Damals wie heute sind bestimmte physikalische oder logische Realitäten unabänderlich und erlauben uns daher eine Einschätzung, ob eine zeitgenössische Quelle plausibel ist oder nicht.

Mein Lieblingsbeispiel dafür sind die vielen Illuminationen (bzw. analogen Textstellen), die Schwerter zeigen, die Helm und Schädel spalten, oder einen Rüstung tragenden Mann von der Schulter bis zur Hüfte entzweischlagen. Die experimentelle Archäologie hat bewiesen, dass solche "Waffentaten" physikalisch unmöglich sind. Ich persönlich halte aufgrund der Neigung vieler Quellen, die Taten berühmter Männer zu übertreiben, aber auch wegen meiner eigenen HEMA-Erfahrungen, die von Richard Marsden durchgeführten Experimente für überzeugend, wie schlecht die Chancen eines Kombattanten standen, aus einem Nahkampf mit mehreren Gegnern gleichzeitig lebendig hervorzukommen.

*) Selbst David Bachrach, der gegenüber der Quellentauglichkeit fiktiver Werke sehr kritisch ist und mit der früheren Mediävistik hart ins Gericht geht, sie hätten sich nicht entblödet, jedes Wort in 'Tristan und Isolde' für bare Münze zu nehmen, gibt in Kapitel 1 von 'Warfare in Medieval Europe' zu bedenken:

"Nevertheless, despite the danger of accepting the stories in entertainment literature at face value, it is not necessary or desirable simply to discard these numerous texts when attempting to answer questions about the nature of medieval warfare. Rather, they can be understood as reflecting important aspects of contemporary mores, beliefs, and also equipment and technology […]. In order to be effective, stories must be comprehensible to their audiences. This requirement for comprehensibility entailed that authors of entertainment literature were constrained […] to present their stories within a framework that was familiar to their audiences. Even when undertaking extraordinary actions, heroes still had to bear arms and travel in ways that an audience recognized."
Aus dieser Stelle mag man ersehen, dass es eben nicht normal war, dass man die Gegner erschlug, denn sonst würde das nicht extra betont.
Das dürfte aber vor allem medizinische Gründe haben. Wenige Verletzungen bzw. Verwundungen sind sofort tödlich. Der menschliche Körper ist von verblüffender Resilienz. Um ein uns heute verständliches und gleichzeitig eindrückliches Beispiel zu nehmen: Nur etwa 10% aller Kopfschüsse sind sofort tödlich, und "nur" 45% führen überhaupt zum Tod. Auf mittelalterlichen Schlachtfeldern starb man vor allem durch Blutverlust, in Zeiträumen von ein paar Minuten bis (wenn man Pech hatte) wenigen Stunden.
Und dann noch mal eine richtige Schlacht
Hier kann ich Dir nicht ganz folgen. Geht es Dir um die Dauer der Schlacht? Wenn ja – ich habe nicht in Abrede gestellt, dass Schlachten jener Zeit sehr lange dauern konnten, in Extremfällen sogar einen ganzen Tag. Aber es war eben nicht die Norm. Was man meines Erachtens bereits daran sieht, dass es in den Quellen stets besonders hervorgehoben wird, wenn eine Schlacht mehrere Stunden dauerte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ihr müsst bedenken, dass bei Adligen eher das Ziel war, sie wegen des Lösegelds gefangen zu nehmen. Auch in anderen Zeiten kam das manchmal vor, wenn jemand, z.B. um ein Exempel zu statuieren, gefangen werden sollte, derjenige aber ein begabter Fechter war.

Was die ehrbare Kampfesweise angeht, gibt es Statistiken der Archäologen zu Tiefschlägen. Kurz gesagt änderte sich das über die Zeit und mit der Region.

Bei John Talbot wäre zu prüfen, ob das Geburtsdatum korrekt ist. Zudem hatte er trotz anderer Vorlieben sicher eine ritterliche Ausbildung.
 
Ihr müsst bedenken, dass bei Adligen eher das Ziel war, sie wegen des Lösegelds gefangen zu nehmen. Auch in anderen Zeiten kam das manchmal vor, wenn jemand, z.B. um ein Exempel zu statuieren, gefangen werden sollte, derjenige aber ein begabter Fechter war.
Richtig, aber auch dies lässt sich aus dem Kontext häufig erschließen. Die Schweizer Reisläufer z.B. nahmen grundsätzlich keine Gefangenen. Selbst Adlige ignorierten die Standesgepflogenheiten manchmal. In mehreren Schlachten der Rosenkriege etwa ging es grundsätzlich darum, die Adelsopposition zu vernichten. In Northampton gab Richard Neville, Graf von Warwick, seinem Heer den ausdrücklichen Befehl, gegnerische Adelige zu töten und die Gemeinen zu verschonen.
Bei John Talbot wäre zu prüfen, ob das Geburtsdatum korrekt ist.
Soweit ich weiß, ist es korrekt. Shrewsbury wurde laut der Immatrikulation in den Order of the Garter am 12. Dezember 1448 geboren.
Zudem hatte er trotz anderer Vorlieben sicher eine ritterliche Ausbildung.
Zweifellos, allerdings ist die Art und Weise, wie Botoner ihn beschreibt, manchmal eine Chiffre für körperliche oder charakterliche Unzulänglichkeiten (aus damaliger Sicht). Nach dem spätmittelalterlichen Ideal der "Franchise" sollte ein Edelmann ohnehin die Künste schätzen, es war nicht notwendigerweise ein Gegensatz, künstlerisch begabt und ein guter Kämpfer zu sein. Wenn Botoner den Grafen als jemanden beschreibt, der quasi trotz seiner eher künstlerischen Veranlagung ein guter Kämpfer ist, kann das schon eine gewisse Bedeutung haben. Als Junge war er jedenfalls kein zweiter Rambo.
 
Ich behaupte ja nicht, dass es überall vorkam. Aber es erklärt das Vorkommen des Standhaltens einzelner Krieger gegen mehrere.

Das Mittelalter ist zudem nicht für große Befehlsdisziplin berühmt und auch ein Zeitalter der Widersprüche.
 
Das Mittelalter ist zudem nicht für große Befehlsdisziplin berühmt und auch ein Zeitalter der Widersprüche.
Zu Unrecht. Wenn gewünscht, kann ich weitere Abschnitte aus 'Warfare in Medieval Europe' heraussuchen, aber den Autoren zufolge waren Übung, Taktik und Disziplin durchaus auf mittelalterlichen Schlachtfeldern zuhause.
 
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