Wir beobachten fast überall, daß bei Kontakt die sich unterlegen fühlenden Völker Gewohnheiten und Sprache der ihrer Meinung nach überlegenen annehmen. Das wird auch konkret in o.g. Buch berichtet, daß die Ful stets eine Oberschicht gebildet haben, mit lokalen Bewohnern als ihr Gefolge, die sich dann selbst bemüht haben sich zu fulanisieren, statt umgekehrt.
In der Sprachwissenschaft spricht man von Strata (
stratum, 'Ebene', 'Schicht'). Man unterscheidet zwischen
- Substrat
- Superstrat
- Adstrat
Was bedeutet das konkret? Nehmen wir das von Erich angeführte Bsp. der Franken. Diese übernahmen als Teil einer ethnisch basierten militärischen Funktionselite die Macht am Niederrhein, als das römische Reich zusammenbrach.
Von dort aus eroberten sie erst Nord- und Westgallien, dann auch Südgallieen bzw. die frühere Narbonensis.
Sprachlich passierte folgendes: Die militärische Elite sprach neben Latein auch einen westgermanischen Dialekt. Die kirchliche und administrative Elite sprach Spätlatein. In den flämischen Reichsteilen wurde das Lateinische durch das Westgermanische verdrängt, rund um die Île de France aber übernahmen die Franken mit der Zeit das spätlateinische/frühfranzösische Idiom. Ein schöner Beleg dafür sind die Straßburger Eide, volkssprachliche Eide in Altfranzösisch und Althochdeutsch. Der Westfränkische König schwor auf deutsch, der ostfränkische König auf französisch. Die westfränkischen Krieger schworen auf französisch, die ostfränkischen Krieger auf deutsch (woran man sieht, dass man von den jewieligen Königen etwas mehr erwartete, als von den Kriegern, da die Könige in der jeweils für sie fremden(?) Sprache schworen, die Krieger aber in der jeweils eigenen Sprache.
In dieser Zeit sind ins Französische ein paar germanische Begriffe eingegangen. Weil die Franken die romanischsprachige Bevölkerungsmehrheit beherrschten, spricht man von
Superstrat. Die Sprache der Herrschaftselite ging verloren, nur einige wenige Worte blieben erhalten.
Ein weiteres Superstrat
könnte sein (das ist eine These von mir, die ich hier im Forum vor einigen Jahren mal diskutiert habe, die ich aber mangels detaillierter Fachkenntnis der französischen und niederländisch-flämischen Sprachgeschichte wirklich nur als These, nicht mehr präsentiere), dass sowohl im Französischen, als auch im Niederländischen -l- in der Folge Vokal-l-(Konsonant) regelmäßig verloren geht.
altum > haute
castellum > château
alberenjena > aubergine
delphin > dauphin
albergue > auberge
alt > oud
behalten > behouden
Wir brauchen das hier nicht zu diskutieren, wir haben das an anderer Stelle schon getan, wenn's dazu Meinungen gibt:
Der Verlust des enklit. /l/ im Frz. & Ndl. - Parallelentw. o. Sprachbundphänomen?
Das Deutsche ist seit dem Mittelalter voll von französischen Verben.Aber es hat deswegen keine französische Herrrschaft im Mittalter über das ostfränkische oder später deutsche Reich gegeben. Frankreich war einfach um 1200 die kulturelle Referenz schlechtin und deshalb wurden viele französische Worte - darunter witzigerweise auch Germanismen - ins Deutsche übernommen. Man spricht hier von (Kultur)
Adstrat.
Ein Superstrat ist es auch, wenn ein Engländer vom Schweinefleisch auf dem Teller
pork sagt, zum Schwein im Stall aber
pig. Das vom lateinischen
porcus abgeleitete
pork ist mit den Normannen nach England gekommen und die Nutzung von
pig und
pork spiegelt ganz gut die Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnisse im 11. - 13. Jhdt. wieder, als die frankreichzentrierte anglonormannische Elite normannisch bzw. französisch sprach. Englisch ist daher viel stärker mit Latinismen/Franco-Gallizismen durchsetzt, als deutsch.
Ein
Substrat ist es hingegen, wenn die Sprache der unterlegenen Völker verloren geht und nur vereinzelte Worte oder grammatische Strukturen erhalten bleiben. Hier sind viele lateinamerikanische und karibische Sprachen betroffen, vor allem karibische Sprachen. Die großen Indianersprachen haben ja bis heute überlebt. Aber
Orkan/Hurrican,
Mais,
Batata* und
Kanu sind Worte aus Sprachen, die schon lange verloren gegangen und durch das Spanische ersetzt worden sind.
Der Unterschied zwischen Adstrat auf der einen und Sub- und Superstrat auf der anderen Seite ist, dass die Adstratsprache erhalten bleibt, wohingegen die Sub- oder Superstratsprache verschwindet. Die Grenzen sind daher fließend.
Was Sub- und Superstrat anbelangt, so hat manchmal die Demographie das letzte Wort, manchmal aber auch das Prestige, was einer Sprache zugemessen wird.
*Dieses Wort für die in der Karibik bekannten Süßkartoffel ist später auf die Kartoffel übertragen worden und lebt daher in vielen Sprachen nicht nur als Süßkartoffel sondern auch als Kartoffel fort.