Zuerst einmal Danke für die Schreibrechte. Wie Ursi bereits erwähnt hat, war mein vorheriger Beitrag hier her verschoben worden. Ich konnte also nicht selbst antworten, weshalb Arne freundlicherweise für mich eine Antwort reingestellt hat.
Albatros schrieb:
Ich würde die Freikorps nicht nur auf die Zeit 18 -20/23 reduzieren. In den Monaten nach der Revolution bildeten sich hunderte von Freiwilligenorganisationen, die meisten bestanden nur kurze Zeit. Interessant sind aber die Freikorps, die längere Zeit bestanden, also z.B. Oberland, Epp, Ehrhardt, Roßbach. Es sind diese Freikorps, die den harten Kern der "Bewegung" bilden, die mal eben 1000km ins Baltikum marschieren, um ihre Kameraden rauszuhauen etc. Es sind diese Freikorps, die einen Tag für die Regierung marschieren und an nächsten gegen sie putschen.
Ich würde hier durchaus von einer Bewegung sprechen: die Freikorps eine nehmen eine Tradition der Befreiungskriege wieder auf, es ist ja kein Zufall, dass die nationalistisch geprägten Kriegsfreiwilligen und Schüler und Studenten das Gros der Mannschaften bilden, also eher bürgerliche Schichten. Diese Entwicklung steht m.E. durchaus im Zusammenhang mit der bürgerlichen Jugendbewegung, die außerhalb des sozialdemokratischen Milieus
existierte. Bisweilen hat man den Eindruck, für die Studenten von 1919/20 waren München und Oberschlesien was Woodstock für die 68er war.
Die eigentlichen Freikorps bestanden allesamt nur relativ kurze Zeit. Getragen wurden sie von patriotischen, eher bürgerlich gesinnten Männern für die das Kriegsende und vor allem sein Ausgang, inklusive der ihm folgenden Veränderungen in Deutschland zu Plötzlich kamen und ihrer Werteordnung teils widersprachen. Nicht alle waren kriegserfahrene Soldaten, etwa aus den Sturmtruppen mit neuer Infanterietaktik, die kurz vor Kriegsende so unglaubliche Erfolge erzielt hatten, sondern ihnen schlossen sich auch viele, noch von der Kriegspropaganda motivierte junge Männer an, die noch nicht im Feuer gestanden hatten. Viele Männer die zu Kriegsende etwa als Offiziersanwärter in der Ausbildung waren hatten genug Motivation die Waffen zu ergreifen, ihnen kam das Kriegsende zu Früh um sich zu beweisen. Das war das Potential welches die Reichswehrführung für den Aufbau der neuen Armee brauchte, es hatte nun die Chance sich in den Freikorps zu bewähren!
Albatros schrieb:
Das Heer ist 1918 nicht zusammengebrochen, auch wenn es deutliche Auflösungserscheinungen zeigte. Wer nach Hause wollte, ging einfach, damit war jeder, der blieb de facto Freiwilliger. Und aus dieses Potential wurde dann einsatzfähige Einheiten verbundener Waffen aufgestellt, ähnlich den "Kampfgruppen", die man bereits an der Front gebildet hatte.
Die personelle Überführung, nicht die organisatorische, des alten Heeres in die Reichswehr passierte größtenteils über die Freikorps. Die Fachleute und Spezialisten, Berufsoffiziere größtenteils, blieben immer beim Heer, die jungen Offiziere und Mannschaften hingegen, zumal die erst im Krieg zu (Reserve-)Offizieren ernannten Kriegsfreiwilligen (es geistert die Zahl von 200.000 herum), fanden sich in Freikorps wieder. Das zeigt m.E. auch der Umstand, dass viele der aktiven Regimenter Freiwilligenverbände bildeten, während mir noch kein Freikorps "Freiwilligen-Reserve-Landsturm-Regiment" begegnet ist.
Man darf dabei auch nicht vergessen, dass der Übergang zum 100.000 Mann-Heer erst 1920 (mit Inkrafttreten des Versailler Vertrags) begonnen wurde. Vorher war das Ziel 200.000 Mann. Die Freikorps dienten also dem Zweck, das Kräftepotential des Heeres zu erhalten, die Grenzen zu schützen und im Innern für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Ein Heer, wo jeder der will von Heute auf Morgen nach hause gehen kann hat aufgehört ein Machtfaktor zu sein. Es mag nicht zusammen gebrochen sein, aber es hat sich selbst aufgelöst. Was zurückblieb waren die Keimzellen der Freikorps. Letztlich meinen wir das Gleiche. Dein Beispiel mit "Freiwilligen-Reserve-Landsturm-Regiment" ist natürlich etwas Überzogen. In der alten Heeresorganisation kam der Landsturm nach aktiven Truppen, Reservetruppen und Landwehr. Der Landsturm wurde (ohne das zu überprüfen) m.W. nicht aktiviert, zumal er als Heimatschutz und letztes Aufgebot organisiert war (~ ähnlich dem Volkssturm im nächsten Weltkrieg), er war auch nicht in Regimentern, sondern maximal in Bataillone gegliedert. Letztlich sehe ich auch hier einen Gleichklang zwischen unseren Ansichten.
In den Grenzgebieten zu Polen etwa, wo in den entstehenden Schutztruppen viele Leute kämpften die ihre Heimat verteidigten oder auch politisch andere Schwerpunkte setzten, kämpfte man Seite an Seite mit den Freikorps. Warum mache ich diese Trennung überhaupt? Ich erlaube mir alle anderen Gründe auszublenden als einen: Die innere Ausrichtung! Die Freikorps, als Horte deutschnationaler Gesinnung sorgten schon selbst dafür dass unsichere Kandidaten wie Sozialdemokraten und glühende Demokraten nicht lange unter ihren Fahnen blieben oder sich anpassten! Genau wie die Freikorps der Befreiungskriege (mit nicht völlig deckungsgleicher Gesinnung wie jene Freikorps über 100 Jahre später), repräsentierten ihre Mitglieder weitgehend eine gleiche politische Ausrichtung, nationale Begeisterung und eine soziale Heimat. Die Freikorps waren von einer unbedingten, gegenseitigen Kameradschaft geprägt, die fast schon an das Motto der literarischen Musketiere erinnert. Darum marschieren sie mal eben gerade ins Baltikum um ihre Kameraden heraus zu hauen. Kameradschaft ersetzte die fehlende politische und private Perspektive. Darum auch ihr oft brutales Verhalten gegenüber feindlichen Kämpfern, vor allem wenn auch dieser ein Deutscher ist! Auf die Verachtung all jener die in der Dolchstoßlegende angeklagt werden habe ich bereits früher hingewiesen.
Die Freikorps waren alles Andere als eine zielgerichtete, politische Bewegung, aber sie sahen in sich selbst die Keimzelle eines sich erneuernden Deutschlands, die die Schmach von Versailles und der Revolution abwaschen würden. Dieses neue Deutschland würde seinen Platz als Großmacht in Europa wieder einnehmen, mit einer erneuerten, von nationalem Geist erfüllten starken Armee. So sehr viele Freikorpskämpfer auch den Gewohnheiten des Kaiserreiches auch nachhingen, so sah ihre Masse die Monarchie als gescheitert an. Gerade die Flucht Kaiser Wilhelms in die Niederlande hat sie verbittert und die alten Brücken morsch gemacht die in die monarchistische Richtung führten.
Klingt das nicht alles nach Faschismus? Warum versuche ich zuerst einen Unterschied zwischen Faschismus und Freikoprs herauszuarbeiten, wenn ich jetzt doch die gleiche Schublade öffne? Der Faschismus ist eine politische, zielgerichtete Ideologie mit klaren Zielen. In den Freikorps fand sich eine Geisteshaltung die dieser Ideologie nahe steht, aber es gibt Unterschiede. Ganz wichtig ist hier, dass der Faschismus sich selbst erfand, in genau dieser Phase, als die Freikorps ihre Hochblüte hatten.
Kurzfristig kämpften die Freikorps für die ‚innere Ruhe’ in Deutschland und die Sicherung der Grenzen. Beides möglichst mit einer erneuerten, starken Armee. Als der Frieden von Versailles diesen letzten Punkt verhinderte, begann die Freikorpsbewegung zu straucheln. Dass es auch anders hätte passieren können zeigt das Beispiel der Türkei um die gleiche Zeit, wo ähnlich national gesinnte Männer unter Mustafa Kemal die Bedingungen der Verträge mit der Entente gewaltsam revidierten. Freilich ist klar das die Entente eine solche Entwicklung in Europa nicht hingenommen hätte, aber die Freikorpskämpfer mochten davon träumen. Die Reichswehrführung sah in den Freikorps die Keimzellen der neuen Reichswehr: Erprobte Soldaten, Einsatzfreudig, National gesinnt, Innenpolitisch gefestigt und letztlich unpolitisch!
Unpolitisch? Wie das denn, hat nicht alles was ich bisher gesagt habe einen politischen Hintergrund? Natürlich hat es das, aber dazu bedarf es weiterer Ausführungen in einem weiteren Post.
Die Schlüsselworte für die spätere Bedeutung der Freikorps sind meiner Ansicht nach ‚Unpolitisch’, National und ‚Woodstock’. Mein Post ist bereits lang genug damit wieder gemeckert wird. Ich werde mir also Zeit lassen.