Advocatus Diabolus vermutet, dass 1939 die europäische Aussenpolitik zwischen den Koordinaten der militärich angetriebenen Machtpolitik, dem Völkerrecht und der inoffiziellen Akzeptanz von revanchistischen Anspüchen hin und her irrte. Und die einzelenn Akteure teilweise selber nicht genau wußten, welche Motivation erade die dominante Strömung im Rahmen der Außenpolitik darstellte.
In diesem verwirrenden Intrigenspiel kämpften einerseits Länder um ihren Platz an der Sonne und um Areale, die ihnen - subjektive vermutet - zustehen sollten und andererseist die "Kriegsgewinnler", die die instabile WW1-Nachkriegsordnung mit ihren teilweise willkürlichen Grenzziehungen verteidigten.
"Für Danzig sterben"? bringt dann auch den Zwiespalt über die Legitimität und die Legalität der Grenzziehungen der Gewinnler deutlich zum Ausdruck.
In diesem Zweifel drückt sich die Frage aus, ob beispielsweise die Franzosen, bereit sein sollen, Grenzziehungen zu verteidigen, die nach dem WW1 durch die Macht der Bajonette zustande gekommen sind und nicht auf der Einsicht der beteiligten Länder oder Ethnien basierten.
Man war sich der Künstlichkeit der geschaffenen nationalen Gebilde durchaus in Europa auf allen Ebenen des politischen Systems im klaren. Eine Einsicht, die natürlich auch den rationalen Kern des Appeasement-Programms eines Chamberlain berührte (er war durchaus kein weltfremder Spinner, wie er gerne dargestellt wird, der zwar die Intensität des aggressiven Moments der hitlerschen Außenpolitik unterschätzt hat, aber ihn nicht unterschätzt hat).
Und revanchistische Positionen zu vertreten, die auf den Gewinn von Gebieten abzielte, die bis zum Ende des WW1 zu den Kriegsverliererern gehörten, eine politische Position, die vermutlich eine sehr breite Akzeptanz in allen Ländern gefunden hat. Und Deutschland und Russland waren keine Ausnahem von der Regel.
Es war Stalin, der in seiner Rede vom 05.05.1941 im Kreml diese Stimmung in Europa seh deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Hitler war stark, solange er sich auf der Basis "legitimer" revisionistischer Gebietsansprüche bewegt hat. Er wußte um die "moralische" Zustimmung des eigenen Volkes und vermutlich auch um die passive Duldung durch andere Regierungen (der entscheidende Hebel für den Erfolg von München 1938).
Mit dieser Formulierung zielte er wohl auch indirekt auf seine revisionistische Position ab, die im wesentlichen auf die Rückforderung von Gebieten abzielte, die während des Zarenreichs bis ca. 1917 zum zaristischen Russland gehörten. Seinen Zuhörern war vermutlich nicht klar, dass er damit eine "staatsmännische" Rechtfertigung des geheimen Zusatzprotokolls von 1939 geliefert hat.
Mit dieser Argumentation liefert er aber auch gleichzeitig den eigentlichen Schlüssel für das Verständnis der Kooperation zwischen ihm und Hitler. Die "gemeinsame" revisionistische Sichtweise der Habenichtse, Deutschland, Russland (und auch Italien + Japan natürlich) überlagert die eigentlich als "Todfeindschaft" angelegte Konfliktlinie zwischen dem Kommunismus und dem Faschismus.
Eine Sichtweise, die zumindest Stalin sehr leicht gefallen ist, da er Außenpolitik unter machtstrategischen, durch ein machiavellistisches bzw. bismarksches Weltbild geprägt, betrieben hat. Und nicht auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus, den er nicht zuletzt, als Hohepriester, so auslegte wie es im passte.
Was will der Advokatus Diabolus damit sagen. Wir neigen heute immer gerne dazu, das geheime Zusatzabkommen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu interpretieren. Das hält der Advokatus für unhistorisch. Für Stalin waren die Verluste an staatlicher Souveränität nach dem WW1 der Ausgangspunkt für seine expansionistische Politik und nicht die Frage, der Teilung der Hemnissphären im Rahmen des späteren Kalten Krieg.
Da kam ihm der andere "Halunke" wie gerufen und sie machten ihren "Deal". Neudeutsch würden wir es als "Win-Win"-Position bezeichnen und keiner der beiden wird auch nur die Spur eines schlechten Gewissens verspürt haben. Sie fühlten sich beide, vor dem Hintergrund der Grenzen von vor dem WW1, völlig im Recht.
Wie legitim, vor dem Hintergrund des Völkerrechts diese Position war, kann ich nicht bewerten, die Engländer zumindest waren "not amused" und dieser Punkt belastete das Verhältnis zwischen der SU und GB mehr oder minder ausgeprägt während des gesamten WW2.
Dass sie bei ihrem revisionistischem Treiben sich eher wie Zauberlehrlinge aufführten, auf diesen Punkt hatte Silesia bereits hingewiesen, liegt in der ausgesprochen dilletantischen Sichtweise von Außenpolitik dieser - im eigentlichen Sinne des Wortes - Provinzpotentaten und führte eher als "unbeabsichtiger" Unfall zur Auslösung des WW2. :devil:
Jedes Volk bekommt, so behauptet der Volksmund, den Herrscher, den es verdient. Hitler hatte das Deutsche Volk 1939 sicherlich nicht verdient und das russische auch keinen Stalin.