Zum anderen warum ist man bei der jährlichen wahlen geblieben? Durch die kurzen Legislaturperioden war man gezwungen sehr schnell mit den Gesetzesentwürfen auf das Forum zu kommen, ohne sich lange Gedanken über folgn der Gesetzte machen zu können.
Bei einigen Ämtern war die jährlich Wahl wohl auch notwendig, da sonst der Amtsinhaber daran Pleite gegangen wäre. Als Beispiel könnte man die Ämter der Volkstribunen und er Konsule sehen, welche auch mehrjährig hätten gewählt werden können.
Das andere große Problem hast du ja auch angesprochen. Das Beibehalten der stadtstaatlichen Grundordnung, die denkbar ungeeignet für die Regierung eines Weltreiches war - was ja sehr schön an Sullas Reform zu sehen ist, die ganz auf die Probleme in Rom fokussiert war, das Reich aber vollkommen ausblendete.
Bei den jährlichen Wahlen ist man zum einen wohl geblieben, weil es ein Grundpfeiler der res publica war, und die Römer taten sich immer schwer, irgendetwas zu ändern, Stichwort mos maiorum.
Zum anderen zeigt ja der immer mehr verrechtlichte cursus honorum, dass man da gar keine Spielräume mehr hatte, da wenig Ämter, aber viele, die sie haben wollten. Eine Verlängerung von Amtszeiten hätte sich da gar nicht durchsetzen lassen.
Ich sehe das mit der Annuität nicht so kritisch. Auch der Aussage, dass die stadtstaatliche Grundordnung denkbar ungeeignet für die Regierung eines Weltreichs gewesen sei, kann ich in dieser Schärfe nicht zustimmen. Für mich lagen die Probleme eher anderswo. Aber der Reihe nach:
Was genau soll an den jährlichen Wahlen denn so schlimm gewesen sein, oder, anders gefragt, was wäre besser gewesen, wenn die Konsuln vier oder fünf Jahre amtiert hätten?
Man darf dabei nicht an heutige Zustände in unseren parlamentarischen Parteiendemokratien denken. Heutzutage wären jährliche Parlamentswahlen nichts, da mindestens ein halbes Jahr vor der Wahl wegen des Wahlkampfs nichts mehr geht und nach der Wahl wochen-, wenn nicht monatelang eine neue Regierung gebildet wird. In Rom war das anders, weil Einzelpersonen gewählt wurden. Die neugewählten Magistrate konnten unmittelbar bei Amtsantritt auch tatsächlich loslegen, und da üblicherweise Magistrate nicht direkt wiedergewählt wurden und auch nicht gleich nach einem Amt ins nächste gewählt wurden, mussten sie auch nicht die letzten Monate ihres Amtsjahrs mit dem Wahlkampf für ihre Wiederwahl verbringen. Sie konnten also im Wesentlichen durcharbeiten.
Das mit den Gesetzesentwürfen sehe ich auch nicht so kritisch. Die römischen Gesetze waren - verglichen mit unseren - meist sehr einfach gestrickt und enthielten nur wenige recht allgemein gehaltene und einigermaßen verständliche Bestimmungen. Sie mussten also nicht erst monatelang ausgearbeitet werden. Dass man die Auswirkungen eines Gesetzes sorgfältig durchdenkt, ist heute auch immer weniger der Fall, immer öfter werden Gesetze im Schnellschuss erlassen, weil gerade ein Thema von der Opposition und/oder den Boulevardmedien hochgespielt wird oder rasch auf eine Krise reagiert werden muss. Verglichen mit den Gesetzesungetümen, die heute mitunter binnen weniger Wochen verfasst und durchs Parlament gepeitscht werden und die die Abgeordneten oft selbst nicht einmal lesen, geschweige denn verstehen, waren die römischen Gesetze meist recht banal und die Auswirkungen überschaubar. Umgekehrt, wenn ein Gesetz wirklich durchdacht wird, zieht sich der Gesetzwerdungsprozess oft über Jahre dahin, und am Ende endet der Entwurf entweder in einer Schublade oder wird total verwässert und verkompliziert, weil die Einwände von allerhand Interessensvertretern berücksichtigt werden.
Für längere Amtszeiten spricht normalerweise die Kontinuität, also dass sich Amtsträger gründlich einarbeiten können, dann längere Zeit erfahrene Amtsträger im Amt sind und sich die Regierungspolitik nicht so häufig ändert. Aber wäre das in Rom der Fall gewesen? Zum einen ist zu sagen, dass für manche Ämter kaum bestimmte Kompetenzen erforderlich waren, oft reichte es, über die eigenen Befugnisse Bescheid zu wissen. Ausnahmen waren vor allem der Praetor urbanus und der Praetor peregrinus, die sich mit dem Recht auskennen sollten (aber natürlich auch Mitarbeiter hatten), und die Quaestoren. Gerade die Volkstribunen brauchten kein Spezialwissen. Längere Amtszeiten und das Sammeln von Erfahrungen waren vor allem bei militärischen Kommandos wichtig, aber da wurde erforderlichenfalls oft mit dem Promagistrat abgeholfen. Ein Problem der kurzen Amtszeiten war lange Zeit (3. und 2. Jhdt. v. Chr.), dass Magistrate, deren Tätigkeitsbereich außerhalb Italiens lag (also z. B. Praetoren, die Statthalterschaften übernahmen, oder Konsuln, die Krieg führten), zu Beginn ihres Amtsjahrs einige Zeit mit der Anreise vergeuden mussten. Aber das wurde im 1. Jhdt. v. Chr. dadurch entschärft, dass Provinzen in der Regel von Promagistraten verwaltet wurden und Konsuln kaum noch selbst Krieg führten. Eine kontinuierliche Regierungspolitik war wegen der Kollegialität ohnehin kaum möglich, da sich die Konsuln, wenn sich beide in Rom aufhielten, gegenseitig ins Handwerk pfuschen konnten, und die Volkstribunen arbeiteten auch nicht nur gegen die Konsuln und den Senat, sondern auch gegeneinander. Einen echten Vorteil kann ich in längeren Amtszeiten - unter Beibehaltung des sonstigen römischen Systems - also nicht erkennen.
Zum Punkt mit der stadtstaatlichen Grundordnung:
Optimal war die römische republikanische Verfassung für die Verwaltung eines Weltreichs natürlich nicht. Das Hauptproblem sehe ich allerdings nicht im stadtstaatlichen Charakter der Verfassung, sondern darin, dass die Provinzverwaltung aktiven Politikern übertragen wurde, die einerseits während ihrer Amtszeit in ihrer Provinz keiner Kontrolle unterlagen, andererseits ihre Statthalterschaft für ihre weitere Karriere zu nutzen versuchten, indem sie sich bereicherten oder auf eigene Faust Kriege führten.
Ein weiteres Problem war die mangelnde Fähigkeit mancher Feldherrn, aber das ließ sich in der Republik kaum vermeiden. In der Kaiserzeit konnten die Kaiser nach eigenem Gutdünken fähige Personen auswählen, aber in der Republik musste nun einmal eines der republikanischen Organe entscheiden, und somit war die Auswahl der Feldherrn immer Teil des politischen Machtspiels, sodass die Stärkung der eigenen Partei wichtiger war als die Befähigung.
Zwei Hauptprobleme der späten Republik lagen für mich in der Unausgegorenheit der Verfassung und der mangelnden Kontrolle.
- Die römische Verfassung war nicht aus einem Stück geschaffen worden, sondern im Laufe von Jahrhunderten entstanden, indem immer wieder neue Ämter geschaffen und Kompetenzen geändert wurden, was zu allerhand Ecken und Kanten und inneren Widersprüchen führte, die wiederum zu Konflikten führten. Z. B. waren die Kompetenzen des Senats und der verschiedenen Volksversammlungen zueinander nicht klar abgegrenzt. Die Volkstribunen passten mit ihren weitreichenden Blockademöglichkeiten nicht so wirklich ins System. Die Kompetenzen der verschiedenen Magistrate waren nicht genau festgelegt und überschnitten sich teilweise. Nicht vergessen darf man natürlich auch die Manipulierbarkeit des gesamten Systems im Namen der Religion, indem z. B. Priester bestimmte Beschlüsse oder sogar Wahlen für ungültig erklären konnten, wenn sie gegen religiöse Vorschriften verstießen oder die Götter ihren Unwillen bekundet hätten, was besonders problematisch war, weil die Priester meist selbst Politiker waren.
- Es gab keine echte Kontrolle der Magistrate und der Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften und Versammlungen. Es gab z. B. keine Verfassungsgerichtsbarkeit, die klären konnte, wer wofür zuständig war und ob Gesetze/Beschlüsse gültig zustandegekommen waren. Stattdessen entschieden Macht und politischer Einfluss. Amtsinhaber konnten nicht ihres Amts enthoben werden (außer mit dem Kunstgriff, dass ihre Wahl gegen religiöse Vorschriften verstoßen hätte); belangt werden konnten sie erst nach ihrer Amtszeit. Der Bürger konnte sich kaum gegen Willkür von oben wehren. Er konnte sich allenfalls an die Volkstribunen wenden oder an die Volksversammlung appellieren, aber die Volkstribunen waren auch Politiker, die ihre eigenen Interessen verfolgten, also kein Ersatz für eine ordentliche Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit. Gegen illegales Handeln des Senats oder eines Magistrats gab es keinen echten Schutz und auch keine echten Sanktionen. Provinzstatthalter unterlagen während ihrer Amtszeit keiner Kontrolle, erst recht nicht konnten die Provinzbewohner sich gegen sie schützen, und auch nach Ende der Statthalterschaft waren sie auf die Unterstützung einflussreicher Römer angewiesen, wenn sie ehemalige Statthalter belangen wollten. Bezeichnend für das System war auch, dass die Besetzung der Gerichte zwischen Rittern und Senatoren umstritten war, weil es eben keine unabhängigen Gerichte gab, sondern Gerichte Mittel des politischen Kampfes waren und Entscheidungen davon abhingen, wer im Gericht dominierte und wie das Gericht politisch zum Angeklagten stand.
- Beide Punkte zusammen bewirkten, dass es kein geordnetes Verfassungsleben gab, sondern Politik hauptsächlich in Form von Machtkämpfen ausgetragen wurde. Wer was beschließen konnte, wer sich was erlauben konnte, ob jemand wenigstens nach seiner Amtszeit belangt wurde, all das hing vor allem davon ab, wer gerade welchen Einfluss und welche mächtigen Unterstützer hatte. Das führte umgekehrt dazu, dass es für Politiker wichtig wurde, ihre eigene Stellung auszubauen, z. B. durch einflussreiche Verbündete, Klienten und Armeen, um in der Innenpolitik Druck ausüben zu können und somit mehr Einfluss zu erlangen und sich im Idealfall unangreifbar zu machen. Paradebeispiel dafür ist Caesar, der schon deswegen putschen musste, weil er ansonsten voraussichtlich nach Ende seines Promagistrats von seinen Gegnern in Rom abgeurteilt worden wäre. Oder, andersherum gesehen: Wenn ein Politiker eine Verurteilung durch seine Gegner vermeiden wollte, war es günstig, schon während seines Amts - notfalls per Machtmissbrauchs, der im Erfolgsfall ohnehin nicht geahndet wurde - entsprechend vorzusorgen.