Gründungsmythos "BRD" und USA

Hmmm, Stunden später sehe ich mich zu einer Hinzufügung genötigt:

Es gibt sicher keinen
größeren Mythos der Deutschen

Es gibt nur einen "großen Mythos" der "Deutschen" nach thanepower -
und eine gleichnamige Fernsehserie nach Knopp.
Das wars.
 
Zwei Gedanken wollte ich noch schnell beitragen:

@thanepower:
Eine spannende Frage wäre: Was war der Gründungsmythos von Frankreich VOR dem Sturm auf die Bastille, was der von Italien VOR Romulus und was der der UDSSR VOR der Revolution (welchen der vielen "Bürgerkriege" hattest du denn gemeint?)

@melchior:
Faktisch (!) haben sich BEIDE deutsche Staaten durch die Mauer gleichermaßen voneinander abgeschottet. Den Prozess verdeutlicht diese Karrikatur.
Zeig mir mal alle konkreten Parlamentsanträge in der BRD, die den Abbau der Mauer gefordert haben!
Nicht nur der Errichter trägt bei so etwas Verantwortung, sondern auch der Nicht-Einreisser. Meines Erachtens.

:devil:
 
@ogrim

Bitte erlaube mir Dir verkürzt zu antworten, ansonsten hätten wir eine geschichtsphilosophische Diskussion, die den Rahmen eines Forums einfach mal sprengen würde.

Worauf konnten sich die Bürger der späteren BRD einigen? Christentum, ja bestimmt, insbesonder in den katholischen Gegenden. In der protestantischen Kirche sah das schon ganz anders aus.

Konservatismus, mit Sicherheit. Der NS war nicht konservativ. Also back to the roots, in die Zeit davor. Weimar, ungeliebt, behaftet mit dem Ruch der Anerkenntnis der Kriegsniederlage, des VV, der Inflation, der Reparationen, der innenpolitischen Unruhe.

Das NS-System war absolut diskreditiert. Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Mauthausen, die Shoa etc. und die Euthanasie konnte nur verdrängt und "vergessen" werden.

Damit hätten wir aus meiner bescheidenen Sicht den "Gründungsmythos" der BRD.

Konservativ, christlich, in möglichst katholischer Prägung und "vergessen" ("Schwamm drüber") sowie die Wiederherstellung einer, wenn auch teilnationalen, Souveränität.

So richtig haben diesen "Mythos" bzw. "Gründungsideologie" die westlichen Siegermächte bis zu letzt (1989) auch nicht vergessen. Keine Atomwaffen für die BW, aber Atomwaffen in der BRD.

Zu Deiner Karikatur, in Bezug auf die Mauer. Die DDR wäre ein Land ohne Volk geworden, klingt platt, aber die Mauer war nun einmal ein konstituierendes Element für die Existenz der DDR, sowie die GSSD, die noch mehr.

Sorry wegen der Kürze.


M.
 
Damit hätten wir aus meiner bescheidenen Sicht den "Gründungsmythos" der BRD.

Wenn man diesen viel-scheckigen Konsens als Gründungs"mythos" bezeichnen möchte, dann würde er die Situation in Trizonesien bzw. BRD treffen: ein Kunstprodukt und Provisorium für die vorerst verlorene "Ein"-Staatlichkeit, und mit wenigen, eigentlich unbedeutenden Anknüpfungspunkten an die 1933 untergegangene Republik (die wohl eher als Versager, denn als Vorbild für die neue Demokratie dastand).

Aus der eigenen bundesrepublikanischen Erfahrung würde ich eher meinen: konturlos, ohne Gründungsmythos bzw. eher einem Gründungsdogma der strikten Westbindung, mit den Westmächten und insbesondere der USA bis zum Vietnam-Krieg als Vorbilder (ähnlich wie die DDR: "von der SU lernen heißt siegen lernen").
 
(...)

Worauf konnten sich die Bürger der späteren BRD einigen? Christentum, ja bestimmt, insbesonder in den katholischen Gegenden. In der protestantischen Kirche sah das schon ganz anders aus.

Konservatismus, mit Sicherheit. Der NS war nicht konservativ. Also back to the roots, in die Zeit davor. Weimar, ungeliebt, behaftet mit dem Ruch der Anerkenntnis der Kriegsniederlage, des VV, der Inflation, der Reparationen, der innenpolitischen Unruhe.

Das NS-System war absolut diskreditiert. Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Mauthausen, die Shoa etc. und die Euthanasie konnte nur verdrängt und "vergessen" werden.

Damit hätten wir aus meiner bescheidenen Sicht den "Gründungsmythos" der BRD.

(...)

M.

Der traditionelle deutsche Konservatismus war allerdings dezidiert antidemokratisch, antiwestlich und wähnte die deutsche 'Kultur' der westlichen 'Zivilisation' überlegen. Insofern mußte er sich nach 1945 gründlich neu erfinden, um in der politischen Realität einer parlamentarischen Demokratie im Bündnis mit den Westmächten anzukommen.

Es half natürlich das Feindbild des östlichen Kommunismus, und erweitert um die Abgrenzung vom Nationalsozialismus/Faschismus konnten auch Liberale und Sozialdemokraten sich auf einen Antitotalitarismus einigen, der in meiner Einschätzung der ideologische Grundkonsens, wenn auch nicht der Gründungsmythos, der BRD der 50er und 60er Jahre war.
 
Der traditionelle deutsche Konservatismus war allerdings dezidiert antidemokratisch, antiwestlich und wähnte die deutsche 'Kultur' der westlichen 'Zivilisation' überlegen. Insofern mußte er sich nach 1945 gründlich neu erfinden, um in der politischen Realität einer parlamentarischen Demokratie im Bündnis mit den Westmächten anzukommen.

...

@michaell

Da hast Du recht, darüber hat T. Mann ja auch eines seiner schlechtesten Bücher geschrieben, allerdings in Bezug auf I. WK.

Natürlich mußte sich der "rheinische" Konservativismus nach 1945 gründlich neu erfinden und Adenauer verkörperte diese Neuerfindung. Verwurzelt im Kaiserreich, die WR unbeschadet überstanden, dabei nicht mit dem "Ruch der Novemberverrecher" behaftet, im NS nicht diskreditiert, katholisch und vorallem westorientiert. Wenn das nicht die idealtypische Verkörperung des Gründungsmythos ist? ;)

@silesia

"... Aus der eigenen bundesrepublikanischen Erfahrung würde ich eher meinen: konturlos..."

Da kann ich nicht mitreden, weil meine bundesrepublikanische Erfahrung erst 21 Jahre alt ist. Aber guter Hinweis, dann käme noch der Mythos der Wiederveinigung hinzu.

M.
 
Die Deutschen brauchen keinen Mythos, denn sie können sogar Wunder geltend machen, nicht nur das Wirtschaftswunder, sondern auch das "Wunder von Bern" 1954, als die deutsche Equipe die ungarische Traumelf mit 3:2 besiegte. neben Adenauer und Erhard gehören auch Fritz Walther, Helmut Rahn und Sepp Herberger zum Bewusstsein einer neuen deutschen Identität.
Für mich ist das (angebliche) "Wirtschaftswunder" der Gründungsmythos der BRD, ausgehend von der "Stunde Null"
Stunde Null ? Wikipedia
Wie der Phönix aus der Asche ist die BRD aus dem "Nichts" nach dem vorangegangen "Zusammenbruch" des Nazi-Reichs emporgestiegen, wirtschaftlich prosperierend und durch und durch demokratisch. Die Nazis samt Verbrechen und Ideologie hatten sich in Luft aufrgelöst und gehörten einer dunklen Vorzeit an, an die man sich, wenn überhaupt, nur noch schemenhaft erinnern konnte.
 
@michaell

Da hast Du recht, darüber hat T. Mann ja auch eines seiner schlechtesten Bücher geschrieben, allerdings in Bezug auf I. WK.

Natürlich mußte sich der "rheinische" Konservativismus nach 1945 gründlich neu erfinden und Adenauer verkörperte diese Neuerfindung. Verwurzelt im Kaiserreich, die WR unbeschadet überstanden, dabei nicht mit dem "Ruch der Novemberverrecher" behaftet, im NS nicht diskreditiert, katholisch und vorallem westorientiert. Wenn das nicht die idealtypische Verkörperung des Gründungsmythos ist? ;)

Adenauer war natürlich ein Glücksfall für die junge BRD, da sein Konservatismus - rheinisch, katholisch, westlich - sich als an die neuen Verhältnisse und Konstellationen im kalten Krieg anschlußfähig erwies, anders als es der traditionelle, preußische, argrarische gewesen wäre. Dem war allerdings durch die Bodenreform in der SBZ schon gleich nach dem Krieg die soziale Basis entzogen worden. Mit Junkern und Herrenreitern in der Regierung wäre die Bonner Republik wohl nicht im Westen angekommen.
 
Adenauer war natürlich ein Glücksfall für die junge BRD, da sein Konservatismus - rheinisch, katholisch, westlich - sich als an die neuen Verhältnisse und Konstellationen im kalten Krieg anschlußfähig erwies, anders als es der traditionelle, preußische, argrarische gewesen wäre. Dem war allerdings durch die Bodenreform in der SBZ schon gleich nach dem Krieg die soziale Basis entzogen worden. Mit Junkern und Herrenreitern in der Regierung wäre die Bonner Republik wohl nicht im Westen angekommen.

@michaell

d'accord. Adenauer war ein Glücksfall für die junge BRD.

Die soziale Basis des alten preußischen agrarisch geprägten Konservatismus war ja komplett perdu. Schlesien, Ostpreußen, die ganze SBZ, einfach weg. Preußen ab 1947 aufgelöst. Da war eine "Neuerfindung" mehr als nötig. Aber diese "Neuerfindung" ist ja mehr als geglückt. Insoweit sehe ich das schon als Gründungsmythos - rheinisch, katholisch, westorientiert und wichtig im Blick auf die Westmächte, insbesondere der USA, antikommunistisch und mit Blick auf die seinerzeitige jüngste Vergangenheit, etwas "Vergessenskultur", die erst in den 1960/70' Jahren aufbrach. War doch eine historische Erfolgsstory.

Dann die Wiedervereinigung, gleichsam ein "Heimfall", die 4+2 Gespräche waren doch eher auch 5 +1 Gespräche.

Da gibt es Gründungsmythen auf deutlich "dünnerem Eis".

M. :winke:
 
Mit dem Begriff 'Mythos' würde ich hier dennoch nicht operieren. Die Entscheidung für die Westintegration war einfach zu pragmatisch, um mythentauglich zu sein. Sich mit den USA zu verbünden und unter deren atomaren Schild zu stellen bot unter allen Optionen die beste, einem als aggressiv-expansorisch wahrgenommenen Sowjetkommunismus zu begegnen und zugleich in absehbarer Zeit wieder ein vielleicht nicht geliebtes, aber respektiertes und gleichberechtigtes Mitglied der Völkergemeinschaft zu werden.

Man arrangierte sich mit den Notwendigkeiten. Adenauer war ein Politiker, der dies glaubwürdig verkörpern konnte, weil er die Westorientierung auch biographisch und habituell verbürgte. Diesen Deutschen konnte man sich in Paris, London oder Washington eigentlich nicht unter einer Pickelhaube vorstellen.

Aber wie hätte aus einem pragmatischen Arrangement ein Mythos konstruiert werden können? Zudem war die Option für die Westintegration auch eigentlich zunächst offener, als dies in der Rückschau erscheint. Adenauer wurde nur mit einer Stimme Mehrheit zum Kanzler gewählt, und bei den Bundestagswahlen 1949 lagen CDU/CSU und SPD noch fast gleichauf. Die SPD strebte aber damals noch eine unbewaffnete Neutralität zwischen den Blöcken an. Nachträglich kann man die historische Entwicklung zu einer großen Erzählung über Deutschlands 'langen Weg nach Westen' ausbauen. Das pragmatische Provisorium BRD brauchte dies aber nicht zum Mythos zu überhöhen. Es reichte, dass es erst mal funktionierte.
 
Mit dem Begriff 'Mythos' würde ich hier dennoch nicht operieren.

Da schließe ich mich erneut an. Der Hinweis auf den Pragmatismus ist sehr schlüssig!

Noch ein anderer Aspekt, der bislang nicht bei der Identitätsbildung erwähnt wurde: der deutsche Nachkriegs-Kriegsfilm im Kontext des Kalten Krieges, der Westintegration, der Wiederbewaffnung, des Wirtschaftswunders.

Dazu gibt es einen interessanten Aufsatz in der neuen Ausgabe des JoMH (Januar 2012, S. 159-191), Lockenour, Jay: Black and White Memories of War - Victimization and Violence in West German War Films of the 1950s.

Lockenour untersucht 25 bekannte deutsche Filme über die Kriegsereignisse, Drittes Reich und Widerstand, ua.
Die Letzte Brücke
Canaris
08/15
Des Teufels General
Es geschah am 20. Juli
Der Stern von Afrika
Haie und kleine Fische
U47 - Kapitänleutnant Prien
Hunde, wollt ihr ewig leben
Dir Brücke
Strafbataillon 999
Nacht fiel über Gotenhafen
Fabrik der Offiziere usw.

Sein Schluss: es gab keinen unbedingten Pazifismus, die Filme hatten einen beachtlichen Einfluss auf die öffentliche Erinnerung des Weltkrieges, es werden deutsche Soldaten als als ehrenhaft porträtiert (und gegen die Ausnahmen des Regimes gestellt), sie machten die Wiederbewaffnung "denkbar", entgegen den dargestellten Opferschicksalen dieser Soldaten. Lockenour spricht von der Stützung einer "spezifisch westdeutschen Identität", mit einem "pantheon of myths and memories". Die Vorstellung der "guten Deutschen" als Widerständler bzw. Standhaltende des Krieges (nicht unbedingt als Widerstand gegen das Regime zu verstehen, sondern auch als "Widerstand" gegen die Kriegsleiden) hätte die "backstory" der wirtschaftlichen Prosperität dieser Dekade gezeichnet.

Erstaunlich, dass ein solcher Beitrag von der Universität Pennsylvania kommt. Lockenour hat zu deutschen Offizieren in der Nachkriegszeit publiziert, und schreibt derzeit an einer Ludendorff-Biographie.

P.S. der Band bringt einen zweiten Aufsatz zur Filmindustrie, die Verbindung zwischen dem Aufstieg der amerikanischen Filmindustrie bis Hollywood und dem Amerikanisch-Spanischen Krieg von 1898/99: Hooper, Candice: The War that made Hollywood - How the Spanish-American War saved the U.S. Film Industry, S. 69-98. ...auch ein Beitrag zu Mythen und Identitäten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Noch ein anderer Aspekt, der bislang nicht bei der Identitätsbildung erwähnt wurde: der deutsche Nachkriegs-Kriegsfilm im Kontext des Kalten Krieges, der Westintegration, der Wiederbewaffnung, des Wirtschaftswunders.

Der Hinweis auf den Film ist sehr interessant. Ich war tatsächlich in einer früheren Fassung meines letzten Postings auf eine Reihe von neueren Filmproduktionen eingegangen, die kollektiv erlebte Ereignisse der bundesrepublikanischen Geschichte in einer Weise aufgearbeitet haben, die deutlich mythisierenden Charakter hat: Die Berliner Luftbrücke, das 'Wunder von Bern', das 'Wunder von Lengede', die Hamburger Sturmflut 1962, der Mauerfall 1989.

Dies hatte es meiner Erinnerung nach vor 1989 kaum oder gar nicht gegeben. Filme, die sich mit jüngster Nachkriegsgeschichte beschäftigten, drehten sich entweder um individuelle Einzelschicksale vor zeitgeschichtlichem Hintergrund (z.B. Fassbinders 'Die Sehnsucht der Veronika Voß') oder waren dezidiert politische Filme zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten (etwa zum Komplex des RAF-Terrorismus wie 'Deutschland im Herbst' und 'Stammheim').

Seit allerdings die Bonner Republik tatsächlich Geschichte wurde und die BRD 1990 endgültig den Charakter des Provisoriums ablegte, scheint es ein verstärktes Bedürfnis zu geben, Ereignisse der bundesdeutschen Geschichte zu Erzählungen auszuformen, die kollektive Identität im Sinne eines "So waren wir!" anbieten.
 
Wenn wir auf die Filme abstellen, könnte man den post-1989ern ein "so waren wir" abgewinnen, den post-1950ern ein "so wollen wir künftig sein"?

Abseits der Filme: Wie spiegelt sich das dann zB in der Unterhaltungsmusik, der deutschen Musik der 1950er und 1960er? Heile Welt, Exotik, Heimat, Wohlstand, Kopien, europäische Orientierung?
 
Zurück
Oben