Historisierende Blockbuster und wie Geschichte im Mainstream gelesen wird

Am Sonntagabend habe ich auf Arte eine beeindruckende Dokumentation über den italienischen Regisseur Sergio Leone gesehen. Er hat das Genre Western revolutioniert, obwohl Hollywood alles tat, um eben das zu verhindern. Seine Filme waren meistens sehr lang, was für die Verleiher nicht mochten, und Kürzungen verlangten. Und wenn das geschah, floppten die Filme. In Amerika wohlgemerkt, nicht in Europa, wo die Filme in voller Länge zu sehen waren. Der Erfolg seiner Filme in Europa bewirkte dann ein Umdenken in Amerika: Man hat nicht mehr gekürzt und Erfolg stellte sich auch dort ein. Man kann sagen, Sergio Leone hat den Amerikanern beigebracht, wie man „richtige“ Western dreht. ;)

Wen es interessiert: Die Sendung gibt es auch in der Arte-Mediathek: https://www.arte.tv/de/videos/070794-000-A/sergio-leone-spiel-mir-das-lied-von-amerika/
 
Neulich habe ich eine DVD gekauft: Lebensborn (1960/61, Regisseur Werner Klingler). Erst gestern habe ich den Film, der nach einem Tatsachenbericht gedreht wurde, auch gesehen und für mediokre befunden: Typischer 1950er Jahre Setting, hölzerne Dialoge. Es gibt aber auch gute, glaubwürdige Szenen. Harry Meyen, später mit Romy Schneider verheiratet, der als Mediziner den technischen Chef des einen Lebensbornheims spielte, war gut, wie auch Joachim Hansen, der die Hauptrolle eines Luftwaffen-Ritterkreuzträgers spielte, den es auf abenteuerliche Weise nach Lebensborn verschlug, in dem sonst fast nur SS-Männer als Besamer vorgesehen waren. Die jungen Frauen (darunter Marisa Mell) blieben blass, obwohl sich die Handlung fast nur um diese BDM-Mädels drehte, von denen einige klare Vorstellungen hatten, was sie erwartete und dies auch bejahten, andere aber eher blauäugig dahingekommen waren und sich dann weigerten, ihre Pflicht zu erfüllen, etc.

Erstaunt hat mich vor allem das: FSK-Prüfung (DE): 04.01.1961, 24259, ab 18 Jahre / feiertagsfrei. Und das, obwohl es in dem Film nicht einmal einen nackten Busen zu sehen war, geschweige denn etwas anderes Unzüchtiges. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man mit dieser Einstufung verhindern wollte, dass mehr Menschen von dieser absurden, aber in Wirklichkeit umgesetzten Idee der Nazi, eine neue „nordische“ Rasse zu züchten, erfuhren.

PS: Ich hoffe, dieser Beitrag passt hier – ich habe nichts Passenderes gefunden und einen neunen Faden nur dafür nicht eröffnen wollte.
 
Es ging bei der Einstufung eher um das Thema Fortpflanzung, dass Kindern gegenüber nicht angesprochen werden durfte.
 
Kindheit endet gesetzlich nach 14 Jahren. Es bestand also die Möglichkeit, den Film ab 16 Jahren freizugeben. Dass das nicht geschah, deutet auf andere Kriterien, die eine Rolle spielten.
 
Falls die Begründung interessiert; bei der FSK kann man die Freigabebegründung von Filmen erfragen, die vor 2003 erschienen sind (neuere Filme werden regulär in der Datenbank gelistet).
 
Ich habe noch im Juni eine Anfrage in Bezug auf den Film „Lebensborn“ bei der FSK gestellt und mittlerweile eine telefonische Auskunft erhalten. Die Gründe für die Indizierung wurden mir in dieser Reihenfolge genannt:

1. Der Film wurde nur für Erwachsene freigegeben, weil das Thema „Lebensborn“ im Jahr 1960/61 nicht allgemein bekannt war und man die Jugend damit nicht konfrontieren wollte.

2. Schamgefühle der weiblichen Jugend würden verletzt werden, wenn sie erführten, dass BDM-Mädels nur zum Zwecke der Kinderzeugung in diesem Haus untergebracht waren und sie die Kinder mit ihnen völlig fremden Männern auch zeugten und gebaren.

3. Männergespräche untereinander (allesamt Soldaten) wären in Bezug auf die Sexualität vulgär, was man der Jugend nicht zumuten wollte.

Es gab noch einen vierten, minderen Grund, aber ich kann meine eigenen Notizen leider nicht mehr entziffern. Ich kann es auch nicht aus dem Gedächtnis zitieren, weil das schon einige Wochen her ist. Dazu muss ich sagen, dass mich der Anruf der Dame von der FSK völlig unvorbereitet und nicht zu Hause erwischt hat; ich hatte z.B. keine richtige Schreibunterlage.

Auf meine Frage, warum sie mir das Schriftstück nicht einscanne und gegen Bezahlung per E-Mail mitteile, wofür ich gebeten habe, bekam ich zu Antwort: Die Begründung sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Auch heute, nach mehr als 60 Jahren nicht. Und anders als bei der staatlichen Prüfstelle für jugendgefährdende Medien, wo nach ein paar Jahrzehnten die alten indizierten Filme überprüft und meistens vom Index genommen werden, geschieht das bei der FSK nicht: Das einmal gefällte Urteil gilt ewig, es sei denn, der Produzent stellt den Antrag, den Streifen erneut zu prüfen. Was natürlich wieder Geld kostet.

Wenn ich mir die genannten Gründe ansehe, dann sind nur die ersten beiden Punkte relevant: Das Thema „Lebensborn“ sollte weiter unter dem Teppich bleiben, die Punkte 3 und 4 wurden mMn nur zur Absicherung hinzugefügt.
 
Kindheit endet gesetzlich nach 14 Jahren. Es bestand also die Möglichkeit, den Film ab 16 Jahren freizugeben. Dass das nicht geschah, deutet auf andere Kriterien, die eine Rolle spielten.

Es waren damals halt andere Zeiten und andere Moralvorstellungen.

Die aus heutiger Sicht völlig harmlose Komödie aus dem Jahr 1960 "The Appartement" von Billy Wilder mit Jack Lemmon und Shirley MacLaine in den Hauptrollen hat eine FSK-Freigabe von 16 Jahren.

"Some Like It Hot" (Manche mögen's heiß, 1959) mit Marilyn Monroe, Jack Lemmon und Tony Curtis wurde ursprünglich sogar mit FSK 18 eingestuft, heute FSK 16.

Das Appartement – Wikipedia
Manche mögen’s heiß – Wikipedia

In keinem dieser Filme ist eine nackte Brust zu sehen, soweit ich mich erinnere.
 
Ich dachte es deutlich gemacht zu haben, dass in diesem Film mMn nicht die Sexualität als Solche die Ursache für die Indizierung war, sondern das Thema Lebensborn.
 
"Some Like It Hot" (Manche mögen's heiß, 1959) mit Marilyn Monroe, Jack Lemmon und Tony Curtis wurde ursprünglich sogar mit FSK 18 eingestuft, heute FSK 16.
Oh Mist, ich muss mir sofort die Augen auswaschen gehen, den habe ich schon als Grundschüler gesehen.vermutlich im gemeinsamen Vornittagsprogramm auf ARD und ZDF bevor Birne Helmut die Kabelbüchse der Pandora öffnete.
 
Ich dachte es deutlich gemacht zu haben, dass in diesem Film mMn nicht die Sexualität als Solche die Ursache für die Indizierung war, sondern das Thema Lebensborn.
Wie soll man denn mit einer FSK-18-Freigabe verhindern, dass das Thema "Lebensborn" publik wird? Alle ab 18 durften den Film ja trotzdem sehen. (Nebenbei bezweifle ich ohnehin, dass das Thema "Lebensborn" geeignet war, gerade die Jugendlichen in Scharen in die Kinos zu locken. Wild kopuliert wurde im Film ja anscheinend nicht, und was hatte er sonst für ein jugendliches Publikum zu bieten?) Hätte man das Thema "Lebensborn" vertuschen wollen, hätte man den Film komplett aus dem Verkehr ziehen müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe noch im Juni eine Anfrage in Bezug auf den Film „Lebensborn“ bei der FSK gestellt und mittlerweile eine telefonische Auskunft erhalten.
Danke für die Mühe.
Die Gründe für die Indizierung wurden mir in dieser Reihenfolge genannt:

1. Der Film wurde nur für Erwachsene freigegeben, weil das Thema „Lebensborn“ im Jahr 1960/61 nicht allgemein bekannt war und man die Jugend damit nicht konfrontieren wollte.

2. Schamgefühle der weiblichen Jugend würden verletzt werden, wenn sie erführten, dass BDM-Mädels nur zum Zwecke der Kinderzeugung in diesem Haus untergebracht waren und sie die Kinder mit ihnen völlig fremden Männern auch zeugten und gebaren.

3. Männergespräche untereinander (allesamt Soldaten) wären in Bezug auf die Sexualität vulgär, was man der Jugend nicht zumuten wollte.
Ich musste gerade herzlich lachen, weil ich bei dieser "Begründung" an den neuesten Aufreger im Haushalt meines Bruders denken musste. Mensch, wie sich die Zeiten ändern! Heute gehören Butt Plugs und Urophagie zum Lehrstoff der dritten Klasse – und warum auch nicht, schließlich teilen die Blagen auf dem Pausenhof Videos aus dem Darknet, da bereitet man sie lieber vor …! Kein Wunder, dass sich die älteren Semester manchmal abgehängt fühlen …
 
Wie soll man denn mit einer FSK-18-Freigabe verhindern, dass das Thema "Lebensborn" publik wird?
Um den Film ganz zu verbieten, fehlten die Voraussetzungen. Aber mit FSK-18 konnte man verhindern, dass die Jugend von Machenschaften der Nazis erfuhr, die weitgehend Geheimhaltung unterlagen. Das Ziel des Lebensborns war: Züchtung des zukünftigen Adels der arischen Rasse. Dazu wurden auch arisch aussehende Kinder in eroberten Ländern geraubt und ins Lebensbornheime gebracht. Das war in Deutschland der 1950er/60er der Öffentlichkeit nicht bekannt. Eine solche Raub-Szene in einem polnischen Dorf wird gleich am Anfang des Films gezeigt. Ich denke, dass gerade diese Szene für die FSK-18 Einstufung sorgte.
 
Um den Film ganz zu verbieten, fehlten die Voraussetzungen. Aber mit FSK-18 konnte man verhindern, dass die Jugend von Machenschaften der Nazis erfuhr, die weitgehend Geheimhaltung unterlagen.
Das ist doch etwas verschwörungserzählerisch.
Einer der Drehbuchautoren Berthold Will hatte bereits 1958 in der Revue, einer der auflagenstärksten Zeitschriften damals, einen Fortsetzungsroman zum Lebensborn veröffentlicht, vermutlich geht das Drehbuch auf diesen Roman zurück.
Der Film wurde u.a. im Spiegel rezensiert, also von "Geheimhaltung" und dergleichen kann keine Rede sein.
 
Der Film wurde u.a. im Spiegel rezensiert, also von "Geheimhaltung" und dergleichen kann keine Rede sein.
Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt: Ich meinte, dass das Projekt Lebensborn bzw. ein Teil davon in der Nazizeit einer Geheimhaltung unterlag. Damals war zwar bekannt, dass die Lebensbornheime der Aufnahme von ledigen Müttern mit ihren Kindern dienten, aber dass sie auch gezielt geraubte Kinder beherbergten, wusste die Öffentlichkeit nicht. Konsequenterweise hat das Personal der Heime am Ende des Krieges alle Unterlagen über diese Kinder vernichtet, was die Suche nach ihren wahren Eltern fast unmöglich machte.
 
Um den Film ganz zu verbieten, fehlten die Voraussetzungen. Aber mit FSK-18 konnte man verhindern, dass die Jugend von Machenschaften der Nazis erfuhr...

Wer glaubt denn sowas im Ernst?

Dazu hätte man ja außerdem a) verhindern müssen, dass z. B. ein Achtzehnjähriger einem Siebzehnjährigen erzählt, was er im Kino gesehen hat. Und vor allem b) verhindern müssen, dass der Siebzehnjährige ein Jahr später achtzehn wird sich den Film selber ansieht.
 
Ah, @Sepiola, wenn du so argumentierst, also diese Altersbeschrämungen als wirkungslos ansiehst, dann müsstest du dich auch fragen, warum es bis heute diese Art von Freigaben gibt.
 
Es geht doch nicht darum, dass X Y nichts von der Handlung erzählt, sondern dass nicht alle Altersgruppen uneingeschränkt Zugriff zu Gewalt- und Sexszenen haben.
 
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