Das Theater ist eine Kunstform sui generis. Ihm haftet ohnehin eine gewisse Künstlichkeit an. Man geht nicht ins Theater, um der visuellen Wiedererweckung einer vergangenen Epoche beizuwohnen, sondern des Schauspiels wegen, der Dramaturgie, letztlich der literarischen Qualität des gespielten Stücks.
Der Historienfilm indes will Einblicke in die Vergangenheit ermöglichen, sie erlebbar machen. Natürlich ist dies in der Praxis immer mit Abstrichen in puncto Realitätstreue verbunden (das muss sogar so sein, umso weiter man in der Vergangenheit zurückgeht und desto spärlicher die Quellen ausfallen).
Dass man keine vollkommene Realitätstreue gewährleisten
kann, befreit in meinen Augen aber nicht davon, zumindest ein Höchstmaß anzustreben. Denn wenn nicht, wenn ein geringeres Maß genügt, stellt sich doch zwangsläufig die Frage, warum man nicht die Darstellung der fraglichen Epoche komplett dem eigenen Gusto unterordnen sollte. Arminius mit Leopard-Panzern im Teutoburger Wald – wann?
Ich verstehe den Sinn der Frage, ob es geschichtsverfälschend wäre, eine Linkshänderin von einer Rechtshänderin spielen zu lassen. Doch die Linkshändigkeit einer historischen Persönlichkeit ist eher kein identitätsstiftendes Merkmal, was man indes bei ihrer Hautfarbe wird bejahen müssen – zumal wenn man es aus politischen Gründen für notwendig hält, Anne Boleyn von einer Schwarzen spielen zu lassen.
Niemand behaupte, es wäre anders. Denn niemals wird es ein 'Der Untergang'-Remake mit Denzel Washington in der Hauptrolle geben, und niemals wird man Emmeline Pankhurst von einem Mann spielen lassen. Das sollte man auch nicht. (Was Cleopatra angeht: Da sie als Ptolemäerin gerade keiner der wichtigsten Ethnien in Ägypten angehörte, wird man mit Fug und Recht behaupten können, dass es für ein Biopic über sie von einiger Wichtigkeit wäre, sie nicht als Afrikanerin darzustellen.)
Whitewashing war ein Unding. Das politisch korrekte Blackwashing ist es auch. Abgesehen davon, dass man ohne guten Grund eine geschichtsverfälschende Darstellung vornimmt, um Teilen des Publikums zu gefallen, und ohne konkreten Nutzen den Verschwörungstheorien der radikalen Rechten in die Hände spielt, dass die "weiße Kultur" ausgetilgt werden solle, geht mir die Doppelmoral auf den Keks.
Denn es
ist kulturelle Vereinnahmung, eine historische Persönlichkeit verfälschend so darzustellen, wie es die eigenen kulturellen Normen erfordern. Und den Befürwortern dieses Unsinns fällt regelmäßig nichts Besseres ein, als auf kulturelle Aneignung in vergangenen Filmen zu verweisen. Tolle Rechtfertigung!
Dumm ist es zudem. Warum sollte sich z.B. die britische Gesellschaft, nach Meinung der Streiter für die soziale Gerechtigkeit, mit ihrer rassistischen Vergangenheit auseinandersetzen, wenn es eine solche offenbar doch gar nicht gab, da doch eine Schwarze bereits 1533 Königin von England werden konnte?
Wenn die Studio-Bosse meinen, dass es an historischen Stoffen über nicht-weiße Persönlichkeiten mangele (und das tut es!), sollten sie endlich die immensen kulturellen Schätze heben, die sie – die uns belehren wollen – doch bisher meist geflissentlich ignoriert haben. Warum überhaupt? Taugen die resoluten Königinnen Madagaskars nicht für ein veritables 'Game of Thrones'? Warum gibt es kein Hollywood-Epos über das Leben Ibn Sinas? Keinen Blockbuster über Babur Chan?
Und jetzt kommt's: Die Wahrheit ist doch, dass sich Hollywood mehrheitlich für andere Kulturen und deren Perspektive überhaupt nicht interessiert. Dass die meisten Studios kreativ bankrott sind. Sie gehen lediglich den Weg des geringsten Widerstands und produzieren die Filme, die sie immer schon produziert haben, bloß dass man jetzt ethnische Minderheiten castet, um die Kritik zum Verstummen zu bringen, man biete nicht-weißen Schauspielern nicht genügend Repräsentation.
Das ist eine Alibi-Veranstaltung, nicht anders, als wenn Exxon eine Spendengala für den Klimaschutz abhielte. Und was wird im Übrigen damit ausgesagt, wenn nicht: Schiebt euch eure Ranavalona sonst wohin, liebe Afrikaner, die interessiert uns Weiße nicht! Seid dankbar, dass wir euch auf unsere eigenen Sockel heben? Es ist diese Verlogenheit, die mich so sehr aufregt. Zumal wenn diesen Heuchlern, die noch vor zehn Jahren in 'Gods of Egypt' altägyptische Götter von kalkweißen Schotten und Skandinaviern spielen ließen, nichts Besseres einfällt, als ihren Kritikern Rassismus vorzuwerfen.