Hochmittelalter - die "teuflische" Gabel

Auf diesem Bild aus dem Lutrell-Psalter fällt mir auf, dass der Klerus auf seiner Seite des Tisches kein Besteck abgekriegt hat. Das hat man dann davon! :D
Sir_Geoffrey_Luttrell_at_table.jpg

Es sei denn, der Mönch links hält vielleicht ... - Nein, ich will's gar nicht wissen!
 
Frugoni übersetzte die Stelle, die du mit „in ihrem Mund ableckte“ übersetztest, mit „kostete sie nur“.
Liggurire ist (ab)lecken. Aber inhaltlich tut sich da nicht viel.

Ich kann kein Latein, aber ...
Wie ich Aussagen dieser Art liebe.

Außerdem ist Bulimie etwas anderes als nur da und dort etwas zu kosten – bei der Bulimie wird ordentlich gegessen und später das Aufgegessene ausgespien. Gut, du hast geschrieben, es wäre eine mit Bulimie verwandte Störung, aber hast nicht gesagt, welche.
Was Petrus Damiani hier 52 Jahre nach dem Ableben der Dame schildert, ist alles völlig überzogen, das kann man alles nicht ernst nehmen. Für die historische Maria Argyropulaina dürfte die ganze Schilderung ziemlich irrelevant sein. Deshalb ist es völlig obsolet und müßig zu mutmaßen, ob Maria an einer Essstörung litt. Die Schilderung erinnert nur daran, weil sie eben nur an den Speisen leckt (ligguriens).

Nicht? Und was ist mit Garum? Kannst du dir vorstellen, irgendetwas mit dieser Soße Übergossenes mit den Händen in den Mund zu führen?
Auch im gabellosen Mittelalter ist man irgendwie mir Saucen und Tunken zurecht gekommen. Was du und ich uns vorstellen können (oder wollen) ist reichlich irrelevant.

Nicht? Beide schrieben doch von der Gabel als eines der Dinge, die man beim Tisch nicht braucht, also Luxus ist/sind.
Du liest wieder nur das, was du lesen willst. Es geht um Zierrat aus Gold und Silver. Der, so Lothar de Segni, mit dem Niedergang des Menschen vergeht. Es geht nicht um die Gabel. Die ist nur Werkzeug.

Außerdem wird in der Übersetzung, auf die Sepiola verwies, nicht vom Tau gesprochen, sondern vom „Regen des Himmels“.
Tradutore tradittore! Der Übersetzer ist ein Verräter am Original. Im Original steht ligurriens und nicht probans und nicht pluviam sondern rorem.

Weil Regen keine Mineralien enthält, ist sein Wasser ganz weich und eignet sich als solches bestens fürs Baden und Waschen.
Das ist so eine ähnliche Scheindiskussion, wie oben über die Essstörung. Es geht darum, dass die Frau ANGEBLICH sich nicht habe mit gewöhnlichem Wasser waschen wollen, sondern dass ihre Sklaven mühsam von überall her Tau herbeischaffen mussten: rorem caeli satagebant undecumque colligere, ex quo sibi laboriosum satis balneum procurarent.

Wie gesagt, es gibt eine andere Übersetzung, in der nicht vom Ablecken die Rede ist, sondern vom Kosten.
Wie gesagt, da steht ligurriens. In der von Sepiola verlinkten Übersetzung, auf die du dich eben noch bezogen hast wegen der Übersetzung rain und der anschließenden Scheindiskussion über Wasserqualitäten (was für die historische Maria vermutliche völlig bedeutungslos war, da die Geschichte vermutlich eine einzige Aneinanderreihung von Erfindungen ist), steht im Übrigen auch licking with her mouth. Zwei Sätze vorher genießt die Übersetzung noch größte Autorität und jetzt plötzlich nicht mehr?! Relevant ist und bleibt einzig und allein, was das lateinische Original schreibt - völlig egal, wohin dich dein Bauchgefühl leitet: ligguriens.

Ja, Weihrauch war und ist ein wertvolles Gut. Aber wenn man hier von Verschwendung spricht, dann müsste das vielmehr für die Kirche gelten, die das Weihrauch in ungeheuren Mengen importiert, um bei ihrem Hokuspokus Eindruck zu schinden. Ich denke, Damiani meinte damit: Weihrauch steht nur der Kirche und ev. noch den Kranken zu, aber nicht einer Frau, selbst wenn diese Ehefrau eines Dux ist.
Petrus Damiani war wahrscheinlich ein ziemlicher Unsympath und du kannst davon ausgehen, dass die ganze Geschichte allenfalls ein Fünkchen Wahrheit enthält und zum großen Teil, wenn nicht vollständig von Petrus erdichtet wurde; was du ihm hier aber unterstellst, steht dort nicht und geht an der Aussageabsicht Petrus’ meilenweit vorbei. Es ist Aufgabe des Historikers, Quellen zu deuten, nicht aber in sie Dinge hineinzulesen, die da - auch zwischen den sprichwörtlichen Zeilen - nicht stehen.
 
Ich finde 5. Jhdt. n. Chr. 4./3. Jhdt. v. Chr. würde mich auch sehr wundern.

Oder vielleicht noch später:

"Ein Mosaik in Privatbesitz, das hier abschließend angesprochen wird, ist in der Forschung als Fälschung erkannt worden. Es befindet sich seit 2003 im Weinmuseum Château de Boudry in der Schweiz, soll nach der Homepage des Museums in die Spätantike datieren und aus dem östlichen Mittelmeerraum (Levante) stammen."

Der ungefegte Boden – eine ganz spezielle Art von Mosaik
 
Was Petrus Damiani hier 52 Jahre nach dem Ableben der Dame schildert, ist alles völlig überzogen, das kann man alles nicht ernst nehmen.
Wenn dem so ist, dann können wir diese Diskussion* auch beenden. Immerhin hat sie uns eine Erkenntnis gebracht, nämlich dass es ganz wenige mittelalterliche Quellen gibt, die Gabel überhaupt erwähnen oder bildlich darstellen.

* Ich habe sie angefangen, weil ich mir das oben erwähnte Buch besorgt habe, dessen Untertitel lautet: Brillen, Bücher, Bankgeschäfte und andere Erfindungen des Mittelalters. Das ist schon was anderes als Kriege und Fehden der Adligen, die bevorzugten Themen der sonstigen Bücher über das Mittelalter.

Die Autorin Chiara Frugoni, erst im April dieses Jahres gestorben (deswegen kam ich überhaupt auf sie und ihre Werke), war überdies eine anerkannte Historikerin, mit Spezialgebiet Mittelalter und Kirche. Und es ist natürlich schade, dass wir in diesem Fall keine deutschen Übersetzungen aus dem Latein haben und man sich dann mit Latein-Englisch-Deutsch oder Latein-Italienisch-Deutsch behelfen muss – jetzt abgesehen davon, dass mancher in diesem Forum in der Lage ist, ein Wort oder einen ganzen Satz zu übersetzen und manchmal Spitzen auf jene abzufeuern, die das nicht können. ;)
 
Und es ist natürlich schade, dass wir in diesem Fall keine deutschen Übersetzungen aus dem Latein haben und man sich dann mit Latein-Englisch-Deutsch oder Latein-Italienisch-Deutsch behelfen muss – jetzt abgesehen davon, dass mancher in diesem Forum in der Lage ist, ein Wort oder einen ganzen Satz zu übersetzen und manchmal Spitzen auf jene abzufeuern, die das nicht können. ;)
@Dion über die Bedeutung des Verbs ligurrire ((be)lecken, von etwas naschen) gibt es eigentlich nicht viele Zweifel, man kann sich in etlichen latein-deutschen Wörterbüchern informieren.
Allerdings hat ligurrire laut Pons Wörterbuch zusätzlich die übertragene Bedeutung "auf etwas lüstern sein". Gut möglich, dass Damiani dieses doppeldeutig verwendbare Verb absichtlich verwendet hat, er kannte sich ja recht gut mit allerlei Sünden aus, man denke an sein Gomorrha-Buch...
 
Wenn dem so ist, dann können wir diese Diskussion* auch beenden.
Das können wir aus anderen Gründen. Der Umstand, dass eine Quelle in Bezug auf ihre ereignishistorischen Schilderungen unglaubwürdig ist, macht sie nicht in allen Belangen wertlos.

Ich habe sie angefangen, weil ich mir das oben erwähnte Buch besorgt habe, dessen Untertitel lautet: Brillen, Bücher, Bankgeschäfte und andere Erfindungen des Mittelalters. Das ist schon was anderes als Kriege und Fehden der Adligen, die bevorzugten Themen der sonstigen Bücher über das Mittelalter.
das ist auch prinzipiell interessant.

Die Autorin Chiara Frugoni, [...]war überdies eine anerkannte Historikerin, mit Spezialgebiet Mittelalter und Kirche.
Das hat auch niemand bestritten.

dass mancher in diesem Forum in der Lage ist, ein Wort oder einen ganzen Satz zu übersetzen und manchmal Spitzen auf jene abzufeuern, die das nicht können. ;)
Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn jemand kein Latein kann. Schlimm ist, wenn Leute die kein Latein können, sagen "ich kann zwar kein Latein, aber mein Bauchgefühl...."

Zwischen der Übersetzung von Frugoni "kosten" und "lecken" besteht kein riesiger Unterschied. Die Prinzessin leckte die Nahrungsmittel ab, d.h. sie kostete sie, ohne sie zu verzehren. (Wie gesagt, vermutlich unhistorisch, was Petrus Damiani da berichtet.)
 
@Armer Konrad gibt es irgendwo einen Kommentar zu der Illustration, der eindeutig von Essgabeln spricht? @Mashenka und ich zweifeln gerade hin und her, ob das "Pieks-" oder "Greif"instrumente sind. Die Handhaltung der rechten Gestalt, die das Greif/Pieksding zum Mund führt, ist irgendwie unverständlich. Die Person links im Bild schneidet mit einem Messer, was sie mit dem Greif/Pieksding festhält (was fast wie heutiger Besteckgebrauch wirkt)

Ich habe den Hinweis aus meinen "persönlichen Mittelalter-Notizen" welche ich ohne Quellenangaben zusammen gestellt habe.
Gefunden habe ich dennoch eine Bemerkung, die sich auf die Verwendung der Essgabel im "De universo" bezieht. Unter dem Suchbegriff "Byzantine Cutlery Maria Parani eJournals" findest Du ein Arbeit (PDF) von Maria Parani über byzantinisches Essbesteck. Auf der Seite 156 wird die Illustration der Gabel im "De universo" erwähnt.

Es handelt sich um eine zweizinkige Gabel. Im Übrigen verwendete man zum Aufspiessen von Fleischstücken im Mittelalter gelegentlich den Pfriem, eine Art Ahle oder Zahnstocher. Der Pfriem ist nicht nur aus llustrationen von Handschriften sondern verschiedentlich als Ausgrabungs-Fund bekannt. Man hat also auch im Mittelalter wenn zwar bevorzugt aber doch nicht ausschliesslich nur mit Messer, Löffel und Händen gegessen.
 
Zuletzt bearbeitet:
oder aber das pdf vom PC irgendwo im Internet erneut hochladen. Ich glaube, wir haben hier im Geschichtsforum nur die Option eigene Bilder vom PC oder Handy hochzuladen, aber keine anderen Dateien wie pdfs oder Textdokumente.
Die Datei ist zu gross zum Hochladen. Ansonsten kann man hier schon auch PDFs einfügen.
Der Link ist hier
Βυζαντινά μαχαιροπίρουνα: μία επισκόπηση|Δελτίον της Χριστιανικής Αρχαιολογικής Εταιρείας
danach links auf "PDF English" klicken. (Der Rest ist griechisch).
auf dem PDF auf Seite 156
 
Zuletzt bearbeitet:
Frugoni und Parani verweisen auf den Hortus Deliciarum – Wikipedia .
Es gibt darin eine Illustration eines Esstisches mit Gabeln und oben zwei Geräte, die Pinzetten ähnlich sind. Den lateinischen Text dazu verstehe ich nicht.
gabel.JPG

Eine weitere Illustration unter dem Titel Angeli detrudunt impios in infernum (Die Engel werfen die Gottlosen in die Hölle), zeigt Engel, die eine Gabel (Ofen-/Schlackengabel?) benutzen.
Gabeln als Engelswerkzeug oder notwendiges Utensil, wenn es um die Hitze der Hölle ging?
angelis.PNG

Aus: Hortus deliciarum : Herrad, of Landsberg, Abbess of Hohenburg, approximately 1130-1195 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
 
Bei meiner Alpenüberquerung im Sommer 2021 habe ich auch eine Ausstellung in der Burg Taufers (Südtirol) besucht, in der die Geschichte europäischer Esskultur gezeigt wurde. Auf einer der vielen Tafeln stand, dass der König Ludwig XIV. die Benutzung der Gabel an seinem Hof verbot, obwohl sie an anderen Höfen längst etabliert war; die (spanische) Mode! zwang sowohl die Herren als auch die Damen dazu: Die ab Mitte des 16. Jhdt. eingeführten Korsetts und die Halskrausen, auch als Mühlsteinkrause genannt, verhinderten, sich über den Teller zu beugen.
 
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