Hochmittelalter - die "teuflische" Gabel

Klar hielt Damiani nicht nur die Gabel für völlig überflüssig

Wir sprechen doch gerade von De miseria humane conditionis, das stammt nicht von Petrus Damiani, sondern von Kardinaldiakon Lothar (damals übrigens noch nicht Papst).

Meine Vorfahren hielten noch vor wenigen Generationen die Gabel für überflüssig (das weiß ich noch von meinem Urgroßvater), darum geht es hier aber nicht, sondern darum, ob die Gabel als solche irgendwann als Symbol "teuflischer Verderbtheit" angesehen wurde.

Und dafür fehlen bislang die Quellen.

Auch von Petrus Damiani haben wir bislang nur einen Textschnipsel, der an sich gar nichts besagt, und dazu eine kühne "Schlussfolgerung", die sich aus dem zitierten Text mitnichten ableiten lässt.
 
Zitat aus Wikipedia: Kleine, zwei-, drei- oder vierzinkige Gabeln sind in Europa schon aus römischer Zeit, etwa aus einem Schatzfund in Vienne, bekannt.
Mag ja sein, dass es kleine Gäblein gab, um etwa Oliven aus einer Schale zu picken, aber mit Messer und Gabel aßen die guten alten Römer bestimmt nicht. Lässt sich leicht nachprüfen, wenn du dich hinlegst und versuchst, anständig mit Gabel und Messer zu essen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Lässt sich leicht nachprüfen, wenn du dich hinlegst und versuchst, anständig mit Gabel und Messer zu essen.
...ob die allesamt immer so chique wie Ustinov-Nero oder etliche Asterix-Römer auf bequemen Liegen kandierte Jaguarohrläppchen... ;) ...ob die Legionen einen Riesentross voller Fressliegen mit sich zerrten...

Wie bekannt war beim mächtigen Adel eigentlich, dass sich ein Kirchenfuzzi Respektlosigkeiten über eine byzantinische Prinzessin erlaubt hatte?
 
Zitat aus Wikipedia: Kleine, zwei-, drei- oder vierzinkige Gabeln sind in Europa schon aus römischer Zeit, etwa aus einem Schatzfund in Vienne, bekannt.

Das mag durchaus sein, die Frage ist dann aber auch, ob sie zu dieser Zeit bereits verbreitet waren oder ob es sich dabei eher um ein Kuriosum handelte.
Ein einziger Fund erscheint etwas mager, um a priori auf eine weite Verbreitung und gewohnheitsmäßige Verwendung zu schließen.
 
Wir sprechen doch gerade von De miseria humane conditionis, das stammt nicht von Petrus Damiani, sondern von Kardinaldiakon Lothar (damals übrigens noch nicht Papst).
Sorry, da habe ich die Aussagen der beiden verwechselt. Aber dein Nachsatz gibt mir zu denken: Du meinst, Lothar hat als Papst Innozenz III. anders gedacht als zuvor, als er „nur“ Kardinal war? Wenn ja, gibt es dafür einen Beleg?

Meine Vorfahren hielten noch vor wenigen Generationen die Gabel für überflüssig (das weiß ich noch von meinem Urgroßvater), …
Es wäre trotzdem interessant zu erfahren, warum sie die Gabel für überflüssig hielten.

Auch von Petrus Damiani haben wir bislang nur einen Textschnipsel, der an sich gar nichts besagt, und dazu eine kühne "Schlussfolgerung", die sich aus dem zitierten Text mitnichten ableiten lässt.
Du meinst, sein Urteil über die byzantinischen Prinzessin in Venedig ist nicht authentisch?

Mag ja sein, dass es kleine Gäblein gab, um etwa Oliven aus einer Schale zu picken, aber mit Messer und Gabel aßen die guten alten Römer bestimmt nicht. Lässt sich leicht nachprüfen, wenn du dich hinlegst und versuchst, anständig mit Gabel und Messer zu essen.
Wer sagt denn, dass die Römer mit Messer und Gabel aßen wie wir? Eher schon wird so gewesen sein, wie Damiani es über die byzantinische Prinzessin schreibt: Diener haben alles kleingeschnitten, so dass man die Stücke liegend mit der Gabel picken und zum Mund führen konnte.

Es geht bei Petrus Daminiani und bei d3m späteren Innozenz wohl nicht um Geschirr und Besteck, sondern darum, dass das Zeug aus Gold und Silber ist.
Also Innozenz schriebt auch: Was gibt es Eitleres, als den Tisch zu schmücken mit verzierten Tüchern …

Das deutet darauf, dass er alles für überflüssig hielt, was nicht unbedingt notwendig war - und das ist Tand.
 
...ob die allesamt immer so chique wie Ustinov-Nero oder etliche Asterix-Römer auf bequemen Liegen kandierte Jaguarohrläppchen... ;) ...ob die Legionen einen Riesentross voller Fressliegen mit sich zerrten...
Zumindest in Life of Brian waren es gefüllte Jaguarohrläppchen, offenbar rübergeschifft von geschäftstüchtigen Inkas.

Das mag durchaus sein, die Frage ist dann aber auch, ob sie zu dieser Zeit bereits verbreitet waren oder ob es sich dabei eher um ein Kuriosum handelte.
Es geht um das Essen im Sitzen mit Messer und Gabel, und nicht um die Erfindung der Gabel.

Wer sagt denn, dass die Römer mit Messer und Gabel aßen wie wir? Eher schon wird so gewesen sein, wie Damiani es über die byzantinische Prinzessin schreibt: Diener haben alles kleingeschnitten, so dass man die Stücke liegend mit der Gabel picken und zum Mund führen konnte.
Du meinst also, dass die Gabel per se als Teufelszeug gegolten habe?
 
Im von @Sepiola verlinkten Blog, bzw. dem Kommentar dort, werden sie erwähnt, die Satiren des Sextus Amarcius – Wikipedia :
Tönt ähnlich wie bei Damiani:
De diversis luxurie illecebris (Über die Verlockungen des Luxus)

Nec tu tyriacae labes deterrima pennae,
Tu quae blandiciis divesricoloribus omne
Evum hominum, pueros, iuvenesque senesque, triunca
Fuscinula rapiens patulo detrudis Averno
Luxuries, aberis;


Kurz: Der Luxus stößt die Menschen jeglichen Alters mit seiner dreizackigen Gabel in den Averno (Hölle)

Sehe ich nicht als Verteufelung der Essgabel, sondern des Luxus. Auch wenn die Essgabel ein luxuriöses Accessoire war, ist es kaum sie, die hier gemeint ist. Um Menschen in die Hölle zu stoßen braucht es größeres Gerät, wie z.B. eine Heu-/Mistgabel. Immerhin wird diese hier relativ früh (11.Jh.) im Zusammenhang mit der Hölle erwähnt.
Wenn schon, hätte man angesichts solcher Äußerungen gänzlich auf Luxus verzichten müssen, nicht nur auf die Essgabel.
 
Sorry, da habe ich die Aussagen der beiden verwechselt. Aber dein Nachsatz gibt mir zu denken: Du meinst, Lothar hat als Papst Innozenz III. anders gedacht als zuvor, als er „nur“ Kardinal war? Wenn ja, gibt es dafür einen Beleg?

Das soll wahrscheinlich ein Witz sein?


Bei der Recherche zu meinem Roman, der immer noch nicht fertig ist, bin ich auf folgendes Zitat gestoßen (Chiara Frugoni: "Das Mittelalter auf der Nase"):

Der Klerus hielt die Gabel für ein Instrument verweichlichter Sitten und teuflischer Verderbtheit. Der hl. Petrus Damiani empfand nicht das geringste Mitleid mit der armen byzantinischen Prinzessin Theodora*, Gemahlin des Dogen Domenico Selvo, die mit der Gabel aß, sich miterlesenen Kostbarkeiten umgab und versuchte, die rauen Sitten des Abendlandes zu verfeinern: „Sie fasste die Speisen nicht mit den Händen an, sondern ließ sich das Essen von Eunuchen in kleinste Stücke schneiden. Diese führte sie dann mit Hilfe goldener, aus zwei Zinken bestehender Gabel zu Munde und kostete sie nur.“

Der Zusammenhang wäre auch hier nützlich; es geht nicht nur um das Essen:

Der Doge von Venedig hatte eine Bürgerin der Stadt Konstantinopel zur Frau. Sie lebte tatsächlich so verzärtelt, so luxuriös, und streichelte sich mit Annehmlichkeiten nicht nur abergläubisch, sondern auch, ich möchte sagen, verkünstelt, dass sie es für unter ihrer Würde hielt, sich mit gewöhnlichem Wasser zu waschen. Stattdessen waren ihre Diener vollauf beschäftigt, von überall her Tautropfen zu sammeln, um ihr ein mit viel Mühe verbundenes Bad zu bereiten. Auch berührte sie ihre Speisen nicht mit den Händen, sondern das Essen wurde von ihren Eunuchen in kleinste Stückchen zerschnippelt, die sie alsbald mit gewissen goldenen und zweizinkigen Gäbelchen an den Mund hielt und ableckte. Außerdem duftete ihr Schlafzimmer dermaßen nach allen Arten von Räucherwerk und Gewürzen, dass es schon nach Schande riecht, wenn wir das erzählen und es der Hörer vielleicht nicht glaubt.

Der komplette Brief auf Englisch und Latein:
A letter from Peter Damian (1059-60) — Epistolae
 
Dux Venetiarum Constantinopolitanae urbis civem habebat uxorem.
Dann war wohl mit »Prinzessin« Dogaressa gemeint.

Ich fasse mal zusammen (bitte korrigiert mich, wenn nötig): Die Eingangsfrage ist jedenfalls beantwortet: in Byzanz war die Gabel als Essbesteck nicht verpönt. Im Westen hatte man das Letzte Abendmahl nicht mit Essgabeln dargestellt, weil diese noch nicht verbreitet waren.
Ob diese Sitte aus dem Osten nicht übernommen wurde, weil man sich von der Ostkirche distanzieren wollte, kann heute nicht beantwortet werden. Die Kritik des Papstes an einer byzantinischen Dogaressa, weil sie sich mit einer Gabel füttern ließ, lässt sich nicht unbedingt als Kritik an der Gabel auslegen, auch wenn eingeräumt werden muss, dem Papst habe auch die teure Ausführung des Fütterungsgeräts missfallen, zumal er sie erwähnte. Diese Kritik aber als generelle Verteufelung der Tafelgabel zu sehen, ist derart spekulativ, dass sie nicht als seriöse Erklärung dienen kann, warum im Westen die Verwendung der Essgabel noch für Jahrhunderte ausblieb.
 
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Es scheint also nicht so klar zu sein wer nun die Gabel zum Essen nach Europa brachte.
Klar zu sein scheint allerdings, die Gabel zum Essen stammt wohl aus dem byzantinische Reich (von 395 – 1453).
Hauptstadt Konstantinopel/Istanbul. Im Wesentlichen umfasst dieses Reich die heutigen Länder Griechenland, Bulgarien und Türkei.

Zwei Frauen gelten als die Bringer nach Europa:

· Theodora Anna Doukaina Selvo, gebürtige Theodora Anna Doukaina (1058 – 1083, Alter 25 Jahre) oder
· Maria Argyropoulina, auch Maria Argyra, Enkelin des Kaisers Romanos II. (938 – 963). Das Geburtsjahr der Maria ist unbekannt, bekannt ist nur das Jahr ihres Todes 1007.

Das man damals überrascht war das eine der Frauen mit einer Gabel das Essen einnahm, verstehe ich ja noch.
Das aber Vertreter der katholischen Kirche so vehement sich gegen diese Neuerung stemmten, ist ja nun gar nicht zu verstehen. Oder doch?
Selbst der Begründer des Protestantismus Martin Luther stemmte sich gegen eine Gabel zum Einnehmen des Essens.
„Erst Anfang des 18. Jahrhunderts setzte sich die Gabel zunächst in Adelskreisen zunehmend durch und wurde ein Symbol des Vornehmen und des Luxus“. (Tischetikette: Die Geschichte der Gabel - Essen - Gesellschaft - Planet Wissen (planet-wissen.de)
 
Das man damals überrascht war das eine der Frauen mit einer Gabel das Essen einnahm, verstehe ich ja noch.
Das aber Vertreter der katholischen Kirche so vehement sich gegen diese Neuerung stemmten, ist ja nun gar nicht zu verstehen. Oder doch?
Da wird doch im 11. Jh. (!) nirgendwo die noch ungewohnte und darum auffällige Gabel verteufelt, sondern klerikerseits geklittert: die für den Tod der byzantinischen Prinzessin und kurz darauf ihren Ehemann, den Sohn des mächtigen Dogen von Venedig*), verantwortliche Pest-Epidemie wird ausgeblendet und stattdessen wird die Strafe Gottes für luxuriösen Tand (aufwändige Tischdeko, goldene Bestecke, Geschirre, verfeinerte Tischsitten etc) zur Ursache erklärt.

Ob diese quasi Moralpredigt den Dogen oder seine Nachfolger, oder die ottonischen Kaiser, die byzantinischen Kaiser, die mitmischenden "Markgrafen" in Italien und andere Mächtige sonderlich beeindruckt hatte, weiß ich nicht, würde es aber bezweifeln. Ihr Verfasser hatte zwar eine beachtliche klerikale Karriere, aber seine vom Papst gelobten "moralpredigenden" Schriften wurden teilweise geheim**) gehalten. Schwer zu sagen, wie verbreitet und wirkmächtig seine Karriere war: nur innerkirchlich oder auch politisch?

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*) die Seemacht positionierte sich geschickt bündnispolitisch zwischen dem ottonischen Kaiserreich und Byzanz
**) seine Verdammung der Päderastie unter Klerikern im 11.Jh. wurde vom Papst gelobt, ihre Verbreitung aber unterdrückt; sie beweist, dass die heutigen Kirchenskandale sozusagen eine lange Tradition haben...
 
Theophanu und 100 Jahre später Theodora, Tochter Konstantins X und Frau des venezianischen Dogen Domenico Selvo waren wohl tatsächlich die Ersten, welche die Essgabel nach West- / Mitteleuropa brachten. Aus der Zeit (ungefähr) des Petrus Damiani gibt es auch eine bildliche Darstellung: eine Miniatur aus dem Codex legum Langobardorum (11. Jahrhundert), worauf der Langobardenkönig Rohtari an einem Tisch mit einer Gabel zu sehen ist.

Im wesentlichen hat sich die Gabel als Essbesteck offenbar tatsächlich erst im ausgehenden Mittelalter durchgesetzt, fand aber im 14. Jahrhundert in Italien in einigen Oberschichtskreisen Verwendung. Wer dort etwas auf sich hielt, trug eine kleine Schachtel, Cadena genannt, bei sich, wenn er zum Essen in das Haus eines Adligen oder reichen Kaufmanns eingeladen wurde. Darin befanden sich die eigene Gabel und der eigene Löffel, wobei es sich möglichst um extravagante Modelle handeln sollte, welche wie ein Statussymbol vorgeführt wurden. Diese Mode brachte Katharina von Medici mit nach Frankreich, als sie 1533 den Dauphin und späteren König Heinrich II heiratete.

Wenn die Kirche etwas gegen die Verwendung der Essgabel aufgrund der Gabel als Symbols des Teufels und nicht etwa lediglich als verweflichen Luxus beim Tafeln gehabt hätte, hätte sie wohl auch gegen die Verwendung der Gabel als Werkzeug Einwände gehabt. Ich weiss jetzt allerdings nicht, ab wann der Gebrauch der Heugabel oder der Mistgabel nachgewiesen ist.

Deutlich illurstriert wird die Verwendung der Essgabel in einer Handschrift von Hrabanus Maurus' "De Universo".

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