Herder übertrieb halt ein wenig
In welchem Kontext genau hat er das eigentlich geschrieben?
Bei Herder wäre ja möglicherweise die Biographie dahingehend zu beachten, dass er aus Ostpreußen kam und sich auch eine Zeit lang in Riga aufgehalten hatte.
Deswegen wäre da doch interessant zu wissen, ob er den Teil mit der Vernachlässigung der deutschen Sprache beim Adel auf die Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich oder auf die Verhältnisse beim deutschsprachigen Adel in Osteuropa bezog.
Letzteres wäre durchaus dadurch erklärbar dass Deutsch im Baltikum (dazu zähle ich hier auch Ostpreußen) nicht unbedingt die wichtigste Verkehrssprache war, weil die Bediensteten auf den Adelsgütern mitunter gar keine deutschen Muttersprachler waren, so dass für Teile des deutschbaltischen Adels, was die Organisation und den Verkehr mit den Leuten vor Ort angeht, Deutsch nicht unbedingt wichtiger war, als Polnisch/Masurisch die litauischen oder lettischen Dialekte, je nachdem, wo sie sich aufhielten.
Gerade für den deutschsprachigen Adel in den russischen Ostseegouvernements, wird Französisch, wenn das Russische nicht beherrscht wurde, auch sehr wichtig für die Kommunikation mit amtlichen Stellen gewesen sein und um sich mit den Standesgenossen innerhalb des Zarenreiches verständigen zu können.
In diesem Kontext konnte es für Teile des deutschsprachigen Adels in Osteuropa durchaus Sinn machen das Französische mehr zu pflegen, als das Deutsche. Im Heiligen Römischen Reich halte ich das aber für fraglich.
„Für die B i l d u n g s p o l i t i k des absolutistischen Staates war eine hochentwickelte besondere Sprachfähigkeit derjenigen Gruppen kennzeichnend, die Machtausübung praktisch realisierten oder an ihr dienend teilhatten, also Sprachbildung zum Zweck der S o z i a l d i s z i p l i n i e r u n g und der S o z i a l d i s t a n z i e r u n g gegenüber den ungebildeten und politisch einflußlosen unteren Schichten (Gessinger 1980,5).
Nur waren weite Teile des deutschen Sprachraums im 18. Jahrhundert ja durchaus nicht unbedingt absolutistisch geprägt (man denke z.B. an die nach wie vor freien Städte, die sich erhalten hatten) und ob man da überall von einer umfassenden Bildungspolitik sprechen kann, ist dann auch noch mal die Frage.
Es gibt natürlich eine Bildungspolitik im Bezug auf die bestehenden oder neu entstehenden Universitäten, aber die ist durchaus nicht breitenwirksam. Ein Studium war ja durchaus nicht unbedingt etwas, dass zum adligen Leben dazu gehörte.
Wenn eine Karriere in der Verwaltung oder der Justiz angepeilt wurde, sicherlich in zunehmendem Maße, wenn das Intersse eher in Richtung des Militärs oder andere Bereiche ging, dürfte ein Studium eher untypisch gewesen sein
Und das Schulwesen ist im 18. Jahrhundert noch nicht raumgreifend und vor allem in weiten Teilen noch in der Hand der Kirchen, auf deren Umgang damit die Fürssten nur begrenzt Einfluss hatten (im Protstantischen Bereich sicherlich mehr, als im Katholischen).
Die Epoche des Absolutismus war in der Geschichte des mündlichen öffentlichen Sprachverhaltens die Epoche der höfischen Conversation, die damals keineswegs als „konventionelles, oberflächliches und unverbindliches Geplauder [...]
Das mag ja auf den Hochadel und die Zustände im Frankreich zutreffen, wo man mit dem bürokratischen Apparat relativ weit war.
Das war aber im Heiligen Römischen Reich in dieser Form noch nicht gegeben.
Da es hier am bürokratischen Apparat und an bürgerlichen Beamten fehlte, die diverse Aufgaben regeln konnten, musste dass aber im Reich abgesehen vielleicht von den freien Städten, noch weitgehend vom Adel betrieben werden.
Das bedeutet, öffentliche Kommunikation und öffentliches Auftreten des Adels war häufig eo ipso Interaktion mit dem Volk, was die Nutzung der französischen Sprache oder eine Kommunikationskultur, die auf eine Beschränkung auf Andeutungen hinausgelaufen wäre, überhaupt nicht zuließ.
Hinzu kommt, dass ein Großteil des Adels im Heiligen Römischen Reich, im Besonderen des Niederadels im 18. Jahrhundert natürlich noch weitgehend landsässig ist. Wodurch sich so viel Gelegenheit zum Verkehr mit Standesgenossen, außer viellecht mit den direkten Gutsnachbarn überhaupt nicht ergab.
Schon daraus müsste sich eigentlich ergeben, dass jedenfalls in Großteil des Adels und im Besonderen der Niederadel (sofern man die französischsprachigen Teile des Reiches ausklammert) den größten Teil der Zeit über in den entssprechenden deutschen Dialekten kommuniziert haben wird.
Weil er noch in weiten Teilen landsässig war und weil er zum Teil öffentliche Aufgaben zu übernehen hatte, wie z.B. in Ostelbien die Rechtssprechung im Rahmen der Patrimonialgerichtbarkeit, die die Verwendung der deutschen Sprache bei öffentlichen oder halb öffentlichen Auftritten schlicht erforderte.