Ist die Verwendung des Begriffs "Russen" ein abwertendes Klischee?

Die Teile, die einmal Polen waren, hiessen unter den russischen Zaren Generalgouvernement Weichselland. Und das nicht, weil die Weichsel ein schöner Fluss sei, sondern um das Wort Polen auszulöschen und die Russifizierung dieser Gebiete zu forcieren.



Wieder etwas gelernt, ich dachte Generalgouvernement wäre eine deutsche Erfindung von 1939ff gewesen..
 
Wobei die Bedeutung des Begriffs Generalgouvernement in Rußland eine normale Verwaltungseinheit darstellt und im preußischen Beamtentum ein militärisch unterworfenes Gebiet bezeichnet, das noch nicht eingegliedert ist.

Auch fehlt mir in Bezug auf Polen und die wiederholt als negativ dargestellte vorgetragene Russifizierung die Erwähnung der Tatsache, daß die polnische Teilung durch Rußland, Österreich- Ungarn und Preußen erfolgte, die allesamt ihren ponischen Anteil eingliederten und den Provinzen andere Namen gaben.

Mit der Verallgmeinerung Russen hat die polnische Teilung aber überhaupt nichts zu tun.
 
Nein, das Land hieß unter dem Zaren Russisches Reich, oder in anderen Ländern Russisches Imperium. Rußland war der Teil, wo die hauptsächlich Russen lebten, Polen war der Teil, wo hauptsächlich die Polen lebten, in Finnland die Finnen und der Ukraine die Ukrainer.
Und alle gehörten Sie wie andere Landstriche auch zum Russischen Reich.

Wobei die Bedeutung des Begriffs Generalgouvernement in Rußland eine normale Verwaltungseinheit darstellt ...
Mit der Verallgmeinerung Russen hat die polnische Teilung aber überhaupt nichts zu tun.

Du hast es doch selbst hier reingeworfen. Dem habe ich widersprochen, dass der annektierte russische Teil Polens als polnisch (oder dergleichen) bezeichnet oder von Polen bewohnt sei.
 
Wo ist der Unterschied zu Preußen, Österreich- Ungarns Vorgehen in den polnischen Teilungen zu dem von Rußland?
Und was hat die polnische Teilung mit Vorurteilen gegenüber Rußlands zu tun?


El Quijote
Was daran liegt, dass jede einzelne Nationalität ihre Vertretung im Wiener Parlament hatte. Das zaristische Polen war teilautonom vom Zarenreich. Alles andere wurde subsumiert.


Ist das nicht ein bißchen zu akademisch? Ich meine, daß es Hans Müller aus Hinterbotschen, für den schon die Reise in die nächstgelegene Stadt eine kleine Weltreise darstellte, Parlamentsfragen nicht wirklich interessiert haben. Für ihn war die Nachricht vom Umfallen eines Baumes im Nachbardorf schon die Nachricht schlechthin, die vom tristen Alltag ablenkte.Und die Landbevölkerung stellte im 18./19. Jahrhundert die Masse der Bevökerung.
 
Das 19. Jahrhundert ist nicht mehr Mittelalter. Du hast Russland und Österreich-Ungarn vor dem ersten Weltkrieg miteinander verglichen.
Russland: kein Wahlrecht, bäuerlicher Staat, keine Nationalitätenvertretung, im Prinzip eine klassisch-absolutistische Macht.
Ö-U: Zensuswahlrecht (ähnlich dem preuß. Klassenwahlrecht, aber nicht identisch), infrastrukturell ausgebauter Staat mit Industrie, Schulpflicht, Nationalitätenvertretungen in Wien, konstitutionelle Monarchie.
 
Österreich-Ungarn wurde 1867 konstitionelle Monarche. Die Verwendung der Verallgemeinerung "Russen" wurde aber schon zu Napoleons Zeiten belegt.

Und auch im 19. Jahrhundert.... Frag mal die Groß- oder Urgroßeltern, wenn sie denn vom Dorfe kamen und noch leben, wie deren Jugend war. Da war nix mit groß aus dem Dorf rauskommen- es sei denn, daß man mal in den Ferien zu Verwandten reisen konnte.
Das andere aufgeführte: wie schon geschrieben akademisch richtig, aber für den Ottonormalbürger war Wien und Berlin so weit weg wie fast aus einem fremden Land.
 
Back to topic: Der Spruch: "Die Russen kommen" war sogar mal positiv belegt. Nämlich 1813. Blüchers Schlesische Armee, die Napoleon mächtig einheizte, hatte mehr "Russen" als ""Preußen" in ihren Reihen. Ich rede gar nicht von der ethnischen Zusammensetzung der Soldaten, sondern von der offiziellen Zugehörigkeit der Regimenter zum Zaren oder zu Friedrich Wilhelm.
 
Zuletzt bearbeitet:
Einmal ganz frisch aus dem Nähkästchen geplaudert:
Gestern mal wieder mit einer Bekannten in Rußland telefoniert. Das Ereignis des Tages war der Besuch einer 10. Klasse aus Seelow an ihrer Universität, wo Studenten für Deutsch/Englisch Lehramt Rede und Antwort stehen durften (mußten? ).
Das Fazit war, daß von der ganzen Klasse ersteinmal rund 1/3 der Schüler in Rußland ankam, obwohl die ganze Klasse an diesem Projekt teilnehmen sollte. Die anderen 2/3 fuhren in der großen Masse nicht aufgrund fehlender finanzieller Mittel, sondern sinngemäß aus Angst vor Gewalt während der Reise, "zur Mafia und Alkoholikern laß ich mein Kind doch nicht fahren" usw. usf. .
Interessante Einblicke in das verhaftete Denken boten dann auch die Fragen der 10. Klässler wie:
Stimmt das, das hier soviel getrunken wird? Wieviele Menschen werden hier jedes Jahr ermordet? Warum sind die Menschen hier nicht so dick wie in Deutschland?
Positiv war, daß die russischen Studenten schon Erfahrungen mit Deutschen und ihrer Sicht hatten und die Deutschen feststellten: Das sozialle Gefälle ist zwar wesentlich größer als in zu Hause und auch das Problem Armut allerorten ersichtlich, aber im Grunde genommen hat man doch dieselben Vorlieben für Musik, Lebenstil und Pizza.

Das 2. Beispiel: Vor einigen Tagen nach längerer Zeit mal wieder eine Bekannte getroffen (hab halt beruflich viel mit Frauen zu tun :D ) Nach kurzem wie gehts, wie stehts die Frage, wo ich zur Zeit in der Welt herumfahre. Ich antworte: Zur Zeit viel in Rußland. War da letztes Jahr allein fast 2 Monate. Sie darauf: Um Himmels willen. Und da fährst du allein hin? Da würde ich nie hinfahren, viel zu gefährlich... .
Typisches Vorurteilsdenken eben.

@Silesia: Schön, daß du auch hier mitliest. Ich möchte einmal vorwegnehmen, daß ich deine sachlich und fachlich fundierte Art sehr schätze. Muß sein, damit meine Frage, die ich dir jetzt stellen möchte, keinen negativen Zungenschlag bekommt, denn so ist sie nicht gemeint.
Zur Recherche über die MIG 15 stolperte ich unlängst über das Hamburger Abendblatt aus dem Jahre 1953. (eher nebensächlich- jetzt wirds hauptsächlich. ;))
Dort schrieb man den von Nationalisten geprägten und später von den Nationalsozialisten übernommenen Begriff "Sowjetrußland", wie es damals bei vielen Menschen im Denken und Bewußtsein noch verwurzelt war.
Soweit, sogut. Nun zur Frage:
Du als sehr gebildeter Mensch verwendest bei deinen Postings zum Thema WK2 auch die Bezeichnung "Russe". Wie du in deinem Posting oben angemerkt hast, können Verallgemeinerungen mal positiver Natur oder negativer sein. Aber warum gebrauchst auch du die alte Bezeichnung "Russe, welche für die Zeit der UDSSR oder auch Sowjetunion zweifelsfrei politisch gefärbt ist?
 
Dass Problem ist, dass sich die Sowjet-Union nicht als Nationalstaat im herkömmlichen Sinne verstand. Sie selbst verstand sich als ein internationales Gebilde, ein Vorposten der Weltrevolution. Bis 1944 war die "Internationale" Nationalhymne. [...]
Tatsächlich finden sich unter den führenden Bolschwisten in den 20er und 30er Jahren verhältismäßig viele Nichtrussen. Vor allem Juden und Kaukasier saßen an Schlüsselstellen. Daneben gab es auch Polen und Balten an führender Stelle, das ist umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass Polen und das Baltikum außerhalb des damaligen, bolschewistischen Machtbereichs lagen. [...]

Die Revolution war eine Idee des Bürgertums. Keine Wunder das Letten, Juden, Polen überrepräsentiert waren.
 
Die Revolution war eine Idee des Bürgertums. Keine Wunder das Letten, Juden, Polen überrepräsentiert waren.

Sind alle Letten, Juden und Polen Bürgertum? :grübel:
Erfolgreiche Revolutionen werden immer von Personen oberhalb des 3. Standes geführt und abgeschlossen.
 
Nicht-Russen hatten im Zarenreich eine Art natürliche Nähe zur Opposition. Sicher spielen auch kulturelle Aspekte eine Rolle. Ein Letten, Polen usw fanden sicher leicht Zugang zu marxistischen Schriften und Parteien als beispielsweise Jakuten oder Kasachen, bei denen Lesen und Schreiben im vorrevolutionärer Zeit ziemlich unverbreitet war.
 
Interessant ist, dass die Russen in ihrer Eigenwahrnehmung seit jeher zwei Bezeichnungen führen:
russkij = betr. Volkstum, Sprache, Kultur
rossijskij = betr. staatliche Organisation und Institutionen

Da zitiere ich mich doch glatt selbst:
Man muss einfach zwischen Staats- und Volkszugehörigkeit differenzieren. Und auch zu Sowjetzeiten waren Russen, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, das staatstragende Volk.
Betreffend das Zitat möchte ich anmerken, dass obwohl zu Sowjetszeiten die Russen
das staatstragende Volk waren (im Betracht auf ihre hohen Leistungen in Wissenschaft,
Wirtschaft, Bildung usw), eine Erkennung dieser Tatsache in der SU wohl unmöglich gewesen wäre und wurde als "Russischen Chauvinismus" angesehen.

Erstaunlich finde ich, dass sich dieses Vorgehen wiederum in der Russischen Föderation (im Russisch: Rossijskaja
Federatzija) wiederholt, wo solche Erkennung sofort als "Russischen Faschismus" abgestuft wird - eine beleidigende Bezeichnung die unter der russischen Bevölkerung nur starke Empörung
hervorruft. Auch in staatlichen Ansprachen wird das Wort "Russe" (also Russkij, pl. Russkie)
stets betonend vermieden (und das obwohl der Anteil der Russen 85% beträgt) und statdessen
die neutrale Form "Rossijane" (gemeint: Russlands Bewohner) verwendet.
 
Sämtliche Bewohner südlich von Moskau bis zum Schwarzen Meer und Kaspischen Meer waren tatarischer Herkunft (Kosaken zwischen Wolga und Don). Und der Mongolensturm nach Europa wie auch die der Hunnen und später der Osmanen ist ausreichend über die Jahrhunderte dokumentiert worden und im Gedächtnis.
Das ist aber durchhaus falsch beurteilt. Im Südrussland leben dieselben Russen wie
auch im Nordrussland. Das betrifft auch die Behauptung, die Kosaken seien tatarischer
Herkunft. Ich stamme von Kuban-Kosaken ab, die sich Ende des 18. Jarhunderts von
Don nach Kuban (ein Fluß noch südlicher von Don) umgesiedielt waren. Es gibt keine
kulturellen und ethnnischen Spuren die auf tatarische bzw mongolische Herkunft der
Kosaken zurückgehen könnten. In meiner Kindheit war ich mit manchen Tataren befreundet, doch für sie waren wir Russen und das wir etwas zusammen mit dem Tatarentum haben, war für sie ganz unvorstellbar.

Es stimmt zwar, dass die Kosaken an den südlichen Grenzen Russlands lebten, man muß
jedoch im Auge behalten, dass diese Gebiete ausgedehnt und fast unbesiedelt waren.
Zudem führten die Kosaken stetige Kriege gegen Tataren und Türken. Nich vergessen,
dass das Kosakentum von anfangs an christlich geprägt war und dass die Kirche jede
Ehe zwischen Christen und Muslims bzw Heiden ausdrücklich verboten hatte.
 
Ich stamme von Kuban-Kosaken ab, die sich Ende des 18. Jarhunderts von
Don nach Kuban (ein Fluß noch südlicher von Don) umgesiedielt waren.

Bist Du sicher ? Stammen die Kuban-Kosaken aus Don-Gebiet?
Ich habe viel mal gehort und gelesen, dass sie einfach die Saporoger-Kosaken sind, die in XVIII Jhdt. von Katharina die Grosse nach Kuban vertrieben wurden, um mit den kaukasischen Volker zu kampfen.
Der beruhmte ukrainische Kunstler, Ostap Kindratchuk (
YouTube - Ukranian Bard in Krakow Pt 1 )
sagte, dass er die selben Volks-Lieder bei Kuban-Kosaken gehort hat, wie diese, die er selber als ein "Saporogec" singt.
 
Die am Schwarzen Meer lebenden Kosaken sind ursprünglich Saporoger-Kosaken, der Kuban Gebiet wurde jedoch großenteils von den Don-Kosaken begesiedelt. Der Krieg zwischen den Kuban-Kosaken und den Tscherkessen brach erst anfang der 19. Jahrhunders aus, die Voraussetzungen dafür waren der unentwickelte Zustand der tscherkessischen Landwirtschaft, was sie zu zahlreichen Raubzügen zwang.
 
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Das ist aber durchhaus falsch beurteilt. Im Südrussland leben dieselben Russen wie
auch im Nordrussland.

Der Begriff "Rus" ist bis heute nicht geklärt, welchen Ursprungs dieser hat.
Die südlichen Rus-Gebiete der Kiewer bzw. Wladimirer Rus wurden systematisch ab dem 12. Jahrhundert von Turkstämmigen überfallen. Die Rus-Bewohner zogen sich schrittweise nach Norden und Nordosten zurück (Gründung von Moskau). Südlich von Moskau war viele Jahrhunderte nichts russisches. Im 16. Jahrhundert eroberte Iwan der Schreckliche das Khanat Astrachan am Kaspischen Meer und das Krim-Khanat mit tatarischen Hilfs-Truppen.
 
Die Teile, die einmal Polen waren, hiessen unter den russischen Zaren Generalgouvernement Weichselland. Und das nicht, weil die Weichsel ein schöner Fluss sei, sondern um das Wort Polen auszulöschen und die Russifizierung dieser Gebiete zu forcieren.
Finnland war unter der zaristischen Zeit autonomes Großfürstentum.
Lehrstuhl Geschichte Osteuropas der Humboldt-Universität zu Berlin
Ein wenig falsch, Polen hieß im Russischen Reich "Царство Польское" - Königreich Polen übersetzt.

Zwischen 15 und 19 Liter reiner Alkohol pro Kopf/Jahr in Russland (schätzt die WHO) stehen 10 Liter reiner Alkohol pro Kopf/Jahr in Deutschland gegenüber. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch auch deshalb erhöht, weil niedrigprozentiger Alkohol (insbesondere Bier) den russischen Alltag erobert hat. Zu Sowjetzeiten war es weitestgehend hochprozentiger Alkohol, der den männlichen Alltag bestimmte. Frauen können heute bei niedrigprozentigere Sorten einsteigen, was sie zu Sowjetzeiten nicht hatten und nach spätestens zwei Gläsern Schnaps am Abend aufhörten.

Wer die 15-19 Liter pro Kopf in Russland pro Jahr nicht glaubt, weil in den offiziellen Statistiken eine Zahl unter 10 Litern stehe, muss berücksichtigen, dass in Russland Selbstgebrannter und Schmuggelalkohol nicht in diese Statistik einfliessen. Und der selbstgebrannte Alkohol hat eine sehr lange folkloristische und intensive Tradition in Russland.
Während Russland in der offiziellen Liste moderat da steht, gehen Experten von 15-19 Liter pro Kopf aus.
Nun ja, damit hat die Diskussion das Niveau von Verhetzung-Artikeln wie "Die Russen trinken
sich zum Tod" erreicht. Der durchschnittliche Russe hat nix besseres zu tun als hocken und
Alkohol in ungeheuren Mengen konsumieren, sein Frau geht erst nach zwei Gläsern Vodka
ins Bett. Das alles hat wiederum eine "sehr lange folkloristische und intensive Tradition".
 
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