Kaiser WIlhelm II. - Wegbereiter des Nationalsozialismus

Läßt sich problemlos im Netz finden und als Pdf downloaden.

Ansonsten:
1. Erfahrung des verlorenen Krieges als Unterscheidungsmerkmal, das die Radikalisierung erklärt.
2. Eine historisch gewachsene demokratische politische Kultur. die als "Leitplanke" in diesen Gesellschaften die Radikalisierung nur bis zu einem bestimmten Punkt zuließ
3. Generell die Rolle der Weltwirtschaftskrise

Bei gezielten Nachfragen müßte ich es nochmal lesen, um präzise Angaben machen zu können.
 
Ja. Ich finde trotzdem auf den ersten Blick, dass es eher ein Hindernis ist als Unterstützung. Also eher ein Grund, weshalb die älteren Demokratien stabiler waren. Aber ich bin gespannt, was die Literatur ergibt

DAS meint ja der 2. Punkt, den Thane anführte...sein Kommentar war ironisch gemeint....


Eine relativ kompakte Darstellung zur Kontinuitätslinie von wilhelminischer "alter Rechte", über die "neue Rechte" zur NS-Bewegung findet sich bei Eley.

In Fortführung seiner Arbeit zu "Reshaping" greift er den zentralen Gedankengang erneut auf in "Konservative und radikale Nationalisten in Deutschland: Die Schaffung faschistischer Potentiale 1912-1929 (1991, S. 209 ff).
Und formuliert: " Im Verlauf der Radikalisierung von 1912-1920 wurde das alldeutsche Heilmittel - das Ideal eines rassisch bestimmten vereinten Volkes, das zum Kampf gegen innere und äußere Feinde mobilisiert war und die Spaltung von Klassen-, Gruppen-, Partikular- und Konfessionsloyalitäten durch das fanatische Streben nach deutscher Größe vergessen machte - Teil des Diskurses der gesamten Rechten. In den Revolutionsjahren 1918-1920 eskalierte dann nicht nur die Tonart, und Inhalt dieser Vorstellung, sondern sie fanden auch weitere und stärker abgesicherte Verbreitung.
Zu Beginn der 1920er Jahre war daher eine brutalisierte Form des radikalnationalistischen Erbes Allgemeingut der deutschen Rechten, die vom konservativen Flügel der DNVP bis zu den paramilitärischen Formationen und den extrem völkischen Sekten reichte."
Die Vaterlandspartei scheiterte an der Mobilisierung des "Volkes" auf der Basis dieses "Volkskonzepts" aus einer Reihe von Gründen und führte auch nicht zur populistischen Mobilisierung durch die DNVP. (Eley, 1991, S. 245)

Dieses Erbe trat dann erfolgreich erst die NSDAP an und profitierte von den ideologischen Konzepten der wilhelminischen neuen Rechten und der neuen Fähigkeit zur populistischen Mobilisierung, ähnlich wie Mussolini 1922 in Italien.

Thane, das FETT markierte behauptet Eley in seinem Text Konservative und radikale Nationalisten in Deutschland: Die Schaffung faschistischer Potentiale 1912-1928 (in: Eley, Wihelmismus, Nationalismus, Faschismus. Zur historischen Kontinuität in Deutschland, 1991, S. 209-247) so gerade nicht.

Nirgends bringt Eley in diesem Text die Entstehung der NSDAP, ihre Programmatik und Praktik/des Nationalsozialismus in Zusammenhang mit dem Erbe des wilhelminischen radikalen Nationalismus, soweit ich sehe. Eley stellt 'nur' den späteren Erfolg der Nationalsozialisten ab Ende der 1920er Jahre in Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Einbeziehung von Anhängern aus vielen gesellschaftlichen Schichten, zur politischen (Masssen-)Mobilisierung und zur Bildung eines sozialen Blockes mit innerem Zusammenhalt auf der Rechten (Eley, S. 245f.).

Ich meine, es bleibt dabei: Die Gründung/Entwicklung/Programmatik/Ideologie und Praxis der NSDAP, des Nationalsozialismus bis ''Mein Kampf'' und die Herrschafts-Praxis ab 1933 waren nicht vom wilhelminischen radikalen Nationalismus her fundiert oder auch nur wesentlich angeregt worden.

Ansonsten danke für die Nennung drei Punkte aus Bromhead, Political Extremism. Im Netz gibt es abstracts, aber keinen vollständigen Text. Inhaltlich nichts Neues, die Autoren haben einen Ländervergleich gestartet.
 
Zwei Äußerungen, für die „andreassolar“, bisher jeglichen Nachweis schuldig geblieben ist.
Ich werde noch ausführlich auf diese Aspekte eingehen und es erstaunt mich, dass es keinen Widerspruch gibt, bei derartigen radikalen revisionistischen Thesen.

Die Radikalisierung war besonders eine von 'rechts' spätestens, als diverse Bedingungsentwürfe des kommenden Vertrages von Versailles ab April 1919 allmählich in der Presse bekannt wurden, von den konkreten Bedingungen später ganz zu schweigen, die Soldatenräte und ähnlich 'progressive' Einrichtungen verschwanden entsprechend im Laufe des Jahres 1919 weitgehend. Diese Radikalisierung war keinesfalls Ergebnis der Verarmung und des Hungers, wenn auch davon sicher mit stimuliert. Die Kriegs-Niederlage und die Folgen des Vertrages von Versailles, die Besatzung westlicher Gebiete, der Verlust Elssas-Lothringen und die anstehenden weiteren Gebietsabtretungen, diktiert bzw. nach Abstimmungen, die Anfang 1920 bekannt gewordene 'Kriegsverbrecherliste' der Alliierten sorgten beispielsweise für nationalistische Radikalisierung, oder die vermeintlich verräterische Zusammenarbeit von Politikern wie Erzberger mit den Alliierten, sozialistische 'Regierungsexperimente' wie in München mit Eisner etc. etc.

Ich meine, es bleibt dabei: Die Gründung/Entwicklung/Programmatik/Ideologie und Praxis der NSDAP, des Nationalsozialismus bis ''Mein Kampf'' und die Herrschafts-Praxis ab 1933 waren nicht vom wilhelminischen radikalen Nationalismus her fundiert oder auch nur wesentlich angeregt worden.

Generell:
1. Es macht einen starken Unterschied, den Einfluss von KW II. auf Hitler oder die NS-Bewegung für unwahrscheinlich zu halten oder den Einfluß einer spezifischen preußischen militaristischen Kultur im allgemeinen zu leugnen. Im ersten Fall dürfte eine Kongruenz zum allgemeinen Narrativ vorhanden sein. Im zweiten Fall sehe ich mehr – eigentlich fast nur - Autoren, die diesen Einfluß als gegeben ansehen. Und Dir – andreassolar – deutlich widersprechen. Zumal Du den Kunstgriff benutzt, das Nichtvorhandensein einer Kontinuität von KW II. zu Hitler unangemessen zu generalisieren und daraus auf ein Nichtvorhandensein der Tradierung von wilhelminischen Nationalismus, Antisemitismus und völkischer Ideen zu schließen.

2. Es ist zudem interessant, dass Du – im Rahmen der Diskussion über die Politisierung von Hitler – weitgehend der Frage ausgewichen bist, wie denn die Prozesse der politischen Sozialisation verlaufen sein sollen. Plötzlich, ohne dass es von Dir auch nur ansatzweise mit entsprechenden Belegen unterlegt worden ist, ist es eine Tatsache, dass sich die Ideologie der NS-Bewegung bis 1923 auskristallisiert wurde.

Da verlaufen angeblich „spontane“ Radikalisierungsprozesse, obwohl die systematische Radikalisierung durch die Alldeutsche Ideologie aus seinem Umfeld wesentlich plausibler ist.

Gerade das Jahr 1919 bietet in Bayern und München genug Anschauungsmaterial, dass der radikale Antisemitismus verbreitet wie aus dem Nichts entstehen kann - wenn die äußeren und inneren Umstände entsprechend sind.

http://www.geschichtsforum.de/thema/wie-wurde-hitler-antisemit.53811/page-2

Obige Ausschnitte legt dann die Sichtweise offen. Es war, so andreassolar, eine „spontane“ Radikalisierung. Und behauptet damit, dass es keine Radikalisierung im Rahmen der Kriegszieldebatte durch die Alldeutschen bzw. Vaterlandspartei bereits vorher gab, es gab angeblich keine sich zuspitzenden Gegensätze zwischen einer quasi Militärdiktatur einer 3. OHL und ihrem „Totalen Krieg“ und den Bedürfnissen der Heimatfront. Diese Aspekte werden noch ausführlicher dargestellt, da andreassolar sie aus welchen Gründen auch immer, ausblendet.

3. Zudem erklärst Du, dass Hitler keinen Beeinflussungsprozessen durch „Alldeutsche Ideologie“ unterlag. Die Beweisführung konzentrierte sich dabei auf eine nichtvorhandene Quellenlage. Obwohl Dir mindestens eine Dissertation (vgl. Kandl bei Hamann zitiert) genannt wurde, dass Hitler im Rahmen seiner „Monologe“ die „Phrasen“ der entsprechenden alldeutschen Medien aus seiner Jugendzeit fast „authentisch“ wiederholt hat. Insofern eine politische Sozialisation aus dieser Zeit über eine empirische Inhaltsanalyse belegt worden sind.

Dass es andere Autoren gibt, die nicht Deiner Meinung sind, und von einer alldeutschen "politischen Prägung" ausgehen, soll noch dargestellt werden.

Kandl, Eleonore (1963): Hitlers Österreichbild. Wien: Dissertation.
 
Ansonsten danke für die Nennung drei Punkte aus Bromhead, Political Extremism. Im Netz gibt es abstracts, aber keinen vollständigen Text. Inhaltlich nichts Neues, die Autoren haben einen Ländervergleich gestartet.

Ist schon klar. Du kennst es nicht, dennoch "inhaltlich nichts Neues", weil ist ja "nur"ein Ländervergleich. Dass dabei eine Reihe von renomierten - auch Wirtschafts- Wissenschaftlern - wie z.B. Eichengreen - beteiligt worden sind, die einen bis dahin nicht vorhandenen Datensatz aufgebaut und ausgewertet haben, naja "Nichts Neues".

Ich spare mir es, zu kommentieren.
 
Man sollte auch noch erwähnen, dass Wilhelm II. anti-asiatisch eingestellt war. Ich glaube, er fürchtete, "der Osten" könne "den Westen" irgendwann überholen und übernehmen. Wahrscheinlich hätte ich also nichts unter ihm zu lachen gehabt...
 
Teil 1:
Ich meine, es bleibt dabei: Die Gründung/Entwicklung/Programmatik/Ideologie und Praxis der NSDAP, des Nationalsozialismus bis ''Mein Kampf'' und die Herrschafts-Praxis ab 1933 waren nicht vom wilhelminischen radikalen Nationalismus her fundiert oder auch nur wesentlich angeregt worden.

Mein Widerspruch kam deutlich! und hier der Versuch einer Antwort.

Das Ausformulieren von „Mein Kampf“ als das Ergebnis der politischen Sozialisation von Hitler, so die gängige Sicht der meisten Historiker. Und umfaßt dabei die zentralen Stationen seines Lebens bis 1923.

Allerdings zentrale Konzepte der politischen Sozialisation (vgl. Wasburn u.a.) sind nicht einheitlich ausformuliert. Wie beispielsweise die Persistenz als Generationserfahrung und Offenheit der Entwicklung durch lebenszyklische Erfahrungen. Veränderung der Identität als Ergebnis neuer Rollen durch gravierende neue Anforderungen im Zuge des Lebenszyklus. Eine systematische Einordnung der politischen Sozialisation von Hitler in die gängigen Sozialisationstheorien wäre interessant, aber soll hier nicht geleistet werden

Die politische Sozialisation kann somit, folgt man beispielsweise Kershaw, als zunehmenden Prozess der Steigerung der Komplexität und der Intensität von Einstellungen bzw. Werten begriffen werden (vgl. dazu Kershaw). Im Falle von Hitler kommt die Formulierung zentraler Inhalte seiner nationalistisch, völkischen Ideologie mit dem Fertigstellung an seinen Arbeiten zum 2. Teil von „Mein Kampf“ zu einem vorläufigen Abschluss.

Dieser Prozess der politischen Sozialisation wird durch die zentralen Autoren etwas wie folgt rekonstruiert.:

„Seine ersten politischen Eindrücke erfuhr er in Linz“ Schreibt Longerich im Prolog über einen „Niemand“. (Longerich, 2017). Und verortet die politische Orientierung von Hitler entsprechend der politischen Einstellung im Vaterhaus. Und das war, wie dominant in Linz, deutschnational geprägt. Die „Linzer Tagespost“, das Sprachrohr dieser politischen Strömung, wurde von Hitler intensiv, so seine eigenen Aussagen, seit frühester Jugend intensiv gelesen. Im Linz wurde, auch begrüßt durch die Linzer Tagespost intensiv „germanisches“ bzw. völkisches“ Brauchtum gefeiert bzw. auch gefördert.

Ab ca. 1911 wurden die „Alldeutschen“ zunehmend in Linz in das deutschnationale Lager in Linz integriert und gewannen an Bedeutung, ohne allerdings durch einen radikalen Antisemitismus besonders aufzufallen.

Die Frage der Bewertung des Antisemitismus in Linz ist widersprüchlich. Für die Phase seiner Schulzeit – so Longerich - davon auszugehen, dass er bis ca. 15 Jahre keine nennenswerten antisemitischen Vorurteile hatte. Durch einen Lehrer, Poetsch, jedoch stark die Sensibilität gegenüber dem „nationalen Ehrgefühl“ der Deutschen verstärkt wurde. In diesem Sinne referiert Longerich Hitler, der schreibt, dass er in der Phase der Linzer Realschule zum fanatischen Deutschnationalen geworden sei.

Dieser These widerspricht Zentner, der mit Kubizek auf die antisemitische Haltung der Lehrerschaft hinweist und ausführt, dass Hitler „Die Fliegenden Blätter“ gelesen hat, die Antisemitismus-Publikation der Alldeutschen Vereinigung.

Es ist somit durchaus wahrscheinlich und für die damalige Zeit absolut nicht ungewöhnlich, dass Hitler bereits während der Übersiedelung nach Wien die „typischen Sichten“ bzw. die typischen Vorurteile gegenüber „Juden“ hatte, die für das deutschnationale / alldeutsche Milieu in dieser Phase in Österreich vorhanden war. (Hitler, S. 106)

In einer Reihe von Punkten erfolgte eine zusätzliche Form der Politisierung. In der Zeit des Wiener Aufenthalts wirkte Hitler vertraut mit der Arbeit des „Reichsrats“, den Hitler u.a. während eines gemeinsamen Besuchs gegenüber Kubizek zynisch kommentierte und die Distanz gegenüber dem Vielvölkerstatt und seinen demokratischen Institutionen deutlich macht. Und folgt man dem Eindruck von Kubizek, dann war Hitler ein regelmäßiger Gast dort gewesen. (Jones S. 79ff).

Beispielsweise Longerich folgend: Das führt uns zur Frage, welche politischen Ansichten Hitler wohl in Wien vertrat. Und Longerich bezieht sich auf „Mein Kampf“, in dem Hitler sich als Anhänger Schönerers und den Alldeutschen beschreibt. Longerich hält sich Aussage für glaubwürdig, da sie die konsequente und radikalisierte politische Entwicklung aus dem Linzer deutschnationalen Milieu bedeutet. Ähnlich bei Kershaw, Hamann, Pölking oder Ulrich .

Und damit steht Georg von Schönerer, Vorsitzender der Alldeutschen im Reichsrat, im Zentrum des weiteren Interesses und Jones formuliert: „from whom Hitler was to learn many lessons“ (Jones, S. 86), und sieht ähnlich wie andere Autoren einen direkten Beeinflussungsprozess auf Hitler.

In der Wiener Zeit lernte er den Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger kennen, der durch Schönerer in seinem Antisemtismus beeinflußt worden ist. Und er schätzte ihn sehr hoch als „den gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten.“ (Hitler, S. 59). Und diese beiden Politiker aus seiner Wiener Phase benennt Hitler explizit als seine „Wiener Lehrmeister“ (Zentner, S. 187) Das betrifft zum einen ideologische Positionen, rhetorische Ansprache und Argumentation, aber auch Formen der symbolischen Politik wie der „Heil-Gruß“, den „Führerkult“ oder das Hakenkreuz (Guido v. List und seine „Armanenschaft“) etc.

Gleichzeitig, so Zentner, griff Hitler vermehrt zum „Deutschen Volksblatt“, das sich durch einen scharfen antisemitischen Kurs auszeichnete (Kehrsaw, S. 62/63) und so Stufen einer latent wirkenden Autoradikalisierung markieren. „Adolf ….developed during this period an ever-growing sense of rebellion“ (Jones, S. 92) und dozierte gegenüber Kubizek aus einer stark germanophilen, nationalistischen Sicht über die Rettung der Deutschen in Österreich.

Es wird bereits während der Zeit in Wien der enorme und weit gespannten Bücherkonsum von Hitler betont. U.a. hatte er ein starkes Interesse an der nordischen Götterwelt und deren Sagen. Ähnlich hatte Hitler bis in die Zeit der Reichskanzlei regelmäßig Karl May gelesen. Das ist m.E. insofern bedeutsam als die Heroisierung, Verrat und Hinterlist, Freund- und Feindbilder auch literarisch angelegt waren und seine Wertvorstellungen mit geprägt haben.

Vor diesem Hintergrund kann man m.E. noch besser verstehen, wie stark der von Hindenburg und Ludendorff Mythos bzw. die politische Lüge des „Dolchstoßes“ ihn zusätzlich den Sozialdemokraten bzw. den „Marxisten“ entfremdet hatte, da sie im Kern seine „heroischen“ Vorstellungen zu verletzen schienen. Unabhängig davon, dass das eigene Opfer der Soldatenzeit durch die Niederlage sinnlos geworden war.

Zentner weist zudem darauf hin, (Zentner, FN 39, S. 187), dass Hitler eine Vielzahl an Broschüren gelesen hatte, u.a. mit hoher Wahrscheinlichkeit die Hefte von Lanz v. Liebenfels. In den Heften beschäftigt sich Liebenfels mit der „blau-blonden Rasse“, die arische Rasse, die der „Götter Meisterwerk“ sein sollen. Dieser Rasse ist die „Dunkelrasse“ kontrastiert, die das Werk der arischen Rasse destruieren will. In diesem Sinne fordert v. Liebenfels: „Blonde rüstet zur Wiedereroberung der Welt! (zitiert in Zentner, S. 187).

Es wird dabei vielfach betont, dass Hitler sich einen sehr selektiven Lesestil angewöhnt hatte. „Wie in Wien diente Hitlers Lektüre nicht der Aufklärung oder dem Studium, sondern der Bestätigung der eigenen Vorurteile. (Kershaw, S. 69). Dieses betonen Hartmann u.a. in ihrem Kommentar zu „Mein Kampf“ ebenso (S. 20)

Dennoch ist auch einzuschränken, dass Hitler in Wien, in einer der antijüdischsten Städte Europas (Kershaw, S. 62), kein extremer Antisemit war. (Zentner, S. 46) und Kershaw schreibt, dass es keine verläßliche zeitgenössische Bestätigung für einen über das normale Maß hinausgehenden, also „paranoiden Antisemitismus“ gab (Kershaw, S. 61-65). Ähnlich Ulrich der schreibt:“by no means did he have a closed world view or strict anti-Semitic convictions…Hitler - was anything but a finished product by the end of his Vienna years.“ (Ulrich, 2. The Vienna Years)

Und Kershaw faßt m.E. die Quellenlage und einen plausiblen Narrativ dahingehend zusammen: „Gemäß dieser Argumentation hat er erst später den inneren Haß als geschlossene Weltanschauung rational, so wie er es verstand, gefaßt, die Weltanschauung, die mit dem Antisemitismus als Kern in den frühen zwanziger Jahren feste Gestalt annahm.“ (Kershaw, S. 65) „Aber es waren zusammengelesene Bruchstücke, mit denen er 1913 Wien verließ…..Erst in Deutschland ordneten sich all diese Stücke …in eine Weltanschauung ..“ (Pölking, in Anlehnung an Hamann, S. 44)

Vor diesem Hintergrund kann man den aktuellen Kenntnisstand in der Literatur – nach wie vor - noch zutreffend bereits mit Zentner festhalten: „Nichts jedoch spricht dagegen, dass sich die Grundkategorien seines Denkens während des fünfeinhalbjährigen Wien-Aufenthalts fixierten ….“ (Zentner, S. 19 und identisch Zehnpfennig, S. 31).
 
Zuletzt bearbeitet:
Teil 2:
Und so führen Hartmann u.a. in ihrem Kommentar zu „Mein Kampf" die Argumentation - Plöckinger folgend - fort: „Daß es andere Stationen und Ereignisse gab, die Hitler wohl noch entscheidender prägten…Dieses betrifft ganz besonders seine Zeit in München nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, wo sein eigentlicher politischer Weg begann.“ (Hartmann u.a., S. 32)

Die Zeit als Soldat war wohl ein gravierendes Erlebnis, dass allerdings in „Mein Kampf“ eine erstaunlich geringe Beachtung findet und so schreibt Zehnpfennig: „Außer dem Kriegserlebnis hat wohl nichts Hitlers Innenleben so tief berührt, wie die Jahre in Wien. Doch das Kriegserlebnis befestigte nur, was sich in der Wiener Zeit gedanklich gebildet hatte.“ (Zehnpfennig, S. 24) Auch wenn die Stilisierung von Hitler (vgl. Hartmann, kritische Sicht S. 30ff ) darin zum Ausdruck kommt, dennoch scheint es unter sozialisationstheoretischen Annahmen, die eine lebenszyklische und generationsspezifische rollenorientierte „Prägung“ annimmt, durchaus plausibel.

Als man erkannte, dass der Krieg verloren war, erreichte die von Alldeutschen entfachte antisemitische Hysterie ihren Siedepunkt.“ (Kershaw, S.81). Diesen systematischen und gewollten Einfluß, der durch einen militanten Antibolschewismus ergänzt wurde, bildet dann die Phase, die den Übergang zwischen einer passiven nach innen gerichteten Radikalisierung und einer aktiven, expressiven nach außen gerichteten Radikalisierung markiert.

In diesem Sinne kann man Linz und Wien eher als politische Inkubationszeit einer Person in der Adoleszenz – unfertig, emotional, unausgeglichen, aufbrausend, radikal, begreifen und die Phase nach 1918 als Agitator in der Reichswehr als „coming out“. Der zentrale Unterschied zwischen der Wiener Zeit und der Zeit in München nach 1918, so Kershaw, ist, dass Hitler die Vorurteile, seine Phobien und sonstigen Aversionen in Wien noch in keinen systematischen Zusammenhang gebracht hatte, die als „systematisches Weltbild“ bzw. Ideologie hätte gelten können.

Der zentrale und wichtige qualitative Unterschied zu Wien ergibt sich durch die ersten systematischen Schulungen im Rahmen seiner Tätigkeit als „Reichswehr-Agitator“. Und erst in dieser Phase „macht er den Schritt zu einer ausgereiften Ideologie.“ (Kershaw, S. 82). „In der Armee nahm Hitlers Weltbild schließlich Gestalt an.“ (Kershaw, S. 85)

Und somit erscheint es erst nach 1920 als wahrscheinlich, dass die losen Enden seiner politischen Urteile so zusammengebunden wurden, dass er den Antisemitismus auf den Antibolschewismus bezog und diese beiden Aspekte in seiner „Ideologie“ integrierte. Und vollzieht damit nach, welche zentralen Inhalte der politischen Indoktrination durch die Führung der Reichswehr im Kampf gegen die Revolution bereitgestellt haben, wie bei Plöckinger beschrieben. Diesen Aspekt hat andreassolar gut im Forum herausgearbeitet.

Pölking – in Anlehnung an Weber - fasst den Prozess wohl zutreffend zusammen: „Die programmatischen Ideen, die Hitler aus dem Sortiment, das ihm im Verlauf des Propagandakurses [in den Räumen der Museumsgesellschaft], präsentiert wurde, als Bausteine für die Errichtung seines eigenen Ideengebäudes herausklaubt und sich endgültig zu eigen macht, finden sich schon vor dem ersten Weltkrieg in vielen Ländern Europas. Sozialdarwinismus, biologischer Antisemitismus, Eugenik und Elitethorien wurden in unterschiedlichen Mischungen von politischen Gruppen und Parteien angeboten. Hitler ist mit ihnen durch die Lektüre von Traktaten und Kleinschriften schon in Wien in Berührung gekommen.“ (Pölking, S. 103)

Dieses macht die Einordnung von Wirsching ebenfalls deutlich. „Allerdings leistet der Kommentar noch etwas anderes, zumindest ebenso Wichtiges: Er macht nämlich transparent, welche Topoi Hitler aufnimmt, die schon lange vor ihm und ohne ihn im völkischen Milieu existierten und gleichsam Allgemeingut geworden waren.“ (vgl. Wirsching)

Dieses illustriert Gregor an einem Text von Bernhardi über den zukünftigen Krieg und schlussfolgert:

So weit, so bekannt – mit dem bedeutsamen Unterschied, dass dieser Satz nicht aus "Mein Kampf" stammt, sondern aus Friedrich von Bernhardis "Deutschland und der nächste Krieg" aus dem Jahr 1911.[5] Betrachtet man die sprachliche Nähe von "Mein Kampf" zu Texten wie diesem – und damit die Einbettung von Hitlers Buch in einen, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vorherrschenden Diskurs – und dazu die große Anzahl intertextueller Referenzen zu anderen Werken der Jahrzehnte vor seinem Erscheinen, so lässt sich ermessen, wie weitgehend sich unser Ansatz beim Nachdenken über die Rolle des Buches in der Geschichte Nazideutschlands im Laufe einer Generation verändert hat.“(vgl. Gregor)

Derartige Hinweise verweisen auf den Einfluss der nationalistischen und völkischen Vordenker aus dem Kaiserreich, das gesondert kurz dargestellt werden soll. Auch weil die Wurzeln so deutlich in Frage gestellt worden sind.

Gregor, Neil (2015): "Mein Kampf“ lesen, 70 Jahre später. In: APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 65 (43-45), S. 2–8.
Hamann, Brigitte (1996): Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators.: Piper.
Hartmann, Christian; Vordermayer, Thomas; Plöckinger, Othmar; Töppel, Roman; Raim, Edith et al. (2016): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. München, Berlin: Institut für Zeitgeschichte.
Hitler, Adolf (1933): Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. München: Eher Verlag
Jones, J. Sydney (1983): Hitler in Vienna, 1907-1913. Clues to the future. London: Blond & Briggs.
Kershaw, Ian (2009): Hitler. 1889 - 1945. München: Pantheon.
Longerich, Peter (2017): Hitler. Biographie. Erste Auflage. München: Pantheon.
Plöckinger, Othmar (2013): Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Militär, 1918-1920. Paderborn, München: Schöningh.
Pölking, Hermann (2017): Wer war Hitler. Ansichten und Berichte von Zeitgenossen. Berlin: be.bra verlag.
Ullrich, Volker (2013): Adolf Hitler. Biographie, Bd. 1. Die Jahre des Aufstiegs 1889 - 1939. 2 Bände. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Wasburn, Philo C.; Adkins Covert, Tawnya J. (2017): Making Citizens. Political Socialization Research and Beyond. Cham: Springer International Publishing.
Wirsching, Andreas (2015): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition des Instituts für Zeitgeschichte. In: APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 65 (43-45), S. 8–15.
Weber, Thomas (2012): Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit. Berlin: List
Weber, Thomas (2016): Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde. Vom unpolitischen Soldaten zum Autor von "Mein Kampf". [Berlin]: Propyläen.
Zehnpfennig, Barbara (2011): Adolf Hitler: Mein Kampf. Weltanschauung und Programm - Studienkommentar. München: Fink
Zentner, Christian (2009): Adolf Hitlers Mein Kampf. Eine kommentierte Auswahl. 20. Auflage. München: List Verlag.
 
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Toller Beitrag! Vielleicht habe ich es nur überlesen, aber wann hat sich der extreme Antisemitismus gebildet? Soweit ich es deinem Beitrag entnehmen kann, war er in den Wiener Jahren zwar antisemitisch geprägt, aber in dem Maße der Alldeutschen. Wann kam die "Weiterentwicklung"? In München?
 
So sieht es aus. Und betrifft dabei u.a. ja auch die anderen Aspekte, vor allem den militanten "Antibolschewismus" und dazu gehört auch die zunehmend zentralere Idee des "Lebensraums".

Aber dazu waren die neuen rechtsextremen Netzwerke notwendig, die München zu dem Zeitpunkt optimal bereitstellte.

Und im Kern steht da sicherlich das Netzwerk rund um die Thulegesellschaft.

Auf diesen Aspekt soll im nächsten Beitrag noch ausführlich eingegangen werden. Und vertieft damit die Beiträge zur Radikalisierung in der Weimarer Republik, die bereits in einem anderen Thread vorliegen.
 
So sieht es aus. Und betrifft dabei u.a. ja auch die anderen Aspekte, vor allem den militanten "Antibolschewismus" und dazu gehört auch die zunehmend zentralere Idee des "Lebensraums".

Aber dazu waren die neuen rechtsextremen Netzwerke notwendig, die München zu dem Zeitpunkt optimal bereitstellte.

Und im Kern steht da sicherlich das Netzwerk rund um die Thulegesellschaft.

Auf diesen Aspekt soll im nächsten Beitrag noch ausführlich eingegangen werden. Und vertieft damit die Beiträge zur Radikalisierung in der Weimarer Republik, die bereits in einem anderen Thread vorliegen.

Danke. Mich würde vor allem dann die Quellen dieser Prägung Hitlers interessieren.
 
Toller Beitrag! Vielleicht habe ich es nur überlesen, aber wann hat sich der extreme Antisemitismus gebildet? Soweit ich es deinem Beitrag entnehmen kann, war er in den Wiener Jahren zwar antisemitisch geprägt, aber in dem Maße der Alldeutschen. Wann kam die "Weiterentwicklung"? In München?

In "Mein Kampf" erwähnt Hitler namentlich den Wiener Bürgermeister Karl Lueger und Georg von Schönerer, beide waren radikale Antisemiten, und hatten Einfluss auf das was Hitler sein "granitenes Fundament" nannte.

Ein genaues Datum, wann Hitlers Antisemitismus sich zu in einen exterminatorischen Antisemitismus entwickelte, wird man schwer ausmachen können, aber als er "Mein Kampf" verfasste, hatte er zweifellos bereits exterminatorische Phantasien, wenn er schreibt, dass Deutschland nicht den Krieg verloren hätte, wenn man nur diese "hebräischen Volksverderber" so unter Giftgas gehalten hätte wie die Frontsoldaten.
Nach eigenen Angaben erblindete er Oktober 1918 zeitweise als Folge einer Vergiftung durch eine britische Gasgranate. Das Kriegserlebnis, und die Erfahrung von Tod und Leid im 1. Weltkrieg trug nicht nur bei Hitler sehr stark zur Radikalisierung des politischen Lebens bei.

Wenn man auch schwer ein genaues Datum zwischen 1914 und 1923 ausmachen kann, dann doch zumindest die Daten des Kriegserlebnis 1914-18, die Erfahrung der Niederlage und des Versailler Vertrages 1919, und die Anfänge als Agitator und Redner in Münchner Bierkellern von 1919-1923, in der sich das nach eigenen Angaben sein "granitenes Fundament" verfestigte und sein Antisemitismus immer mehr exterminatorische Züge annahm.
 
Krieg, Inflation, Weltwirtschaftskrise.

Antisemitismus geht auch ohne konkrete Beschleuniger. In Nord- und Mittelhessen lebten vor dem Krieg verhältnismäßig viele Juden, mehr als im Durchschnitt im ganzen Reichsgebiet lebten. In Städten wie Kassel gibt es wieder jüdische Gemeinden, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kamen einige Juden ins Land, die werden aber größtenteils nicht als solche wahrgenommen, gelten als Russen, obwohl viele einen deutschen Pass haben, aber es gibt ganze Landstriche, etliche Dörfer, in denen seit über 70-80 Jahren kein Jude mehr lebt. Ein paar Friedhöfe, ein paar Gräber, das ist alles, was von einer langen Tradition übrig geblieben ist. Die Juden sind verschwunden, der Antisemitismus nicht.

Der Antisemitismus kommt heute subtiler daher, denn er ist offiziell geächtet, es will keiner mehr Antisemit sein, und mancher Antisemit weiß gar nicht, dass er einer ist. Manche sind sogar wirklich betroffen, wenn sie damit konfrontiert werden.
 
Vielen Dank, Thane. Die ideologischen, weltanschaulichen Vorprägungen, Sozialisationen wurden und werden von mir nicht in Frage gestellt. Sie haben nur nicht die überragende Bedeutung für die konkrete Entstehung/Ausformung/Organisation und 'Performance' sowie Erfolg der NSDAP.

Entsprechend größeres Gewicht haben z.B. Rosenberg und Eckardt nicht nur bei mir, überschätzt wird die Thule-Gesellschaft im konkreten Einfluss auf Hitler.

Plötzlich, ohne dass es von Dir auch nur ansatzweise mit entsprechenden Belegen unterlegt worden ist, ist es eine Tatsache, dass sich die Ideologie der NS-Bewegung bis 1923 auskristallisiert wurde.
Meiner Meinung nach helfen substanzielle Kenntnisse von Quellen, Quellen-Edition, Quellen-Bänden.

Beispielsweise:
  • Jäckel (Hrsg.), Adolf Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen : 1905 - 1924 (1981). Enthält auch zahlreiche zeitgenössische Berichte (Polizei/Wehrmacht etc.) über H.s Auftritte und inhaltliche Zusammenfassungen dazu. Daneben sind auch Durchschläge, Abschriften und Entwürfe seiner Reden abgedruckt.
  • Benz, Politik in Bayern 1919-1933. Berichte des württembergischen Gesandten Moser v. Filseck (1971).

Oder die Auswertung der Abel-Collection über die 'Alten Kämpfer' in
  • Rohkrämer, Die fatale Attraktion des Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, in: Brockhaus (Hg.), Attraktion der NS-Bewegung, 2014, S. 79-94.

Ermöglicht einen guten Einblick in Motive des Partei-Beitrittes einer kleinen Anzahl 'Alter Kämpfer' (rund 600 'Biogramme'). Die Vision einer 'harmonischen Volksgemeinschaft' war bei knapp 32% für den Beitritt entscheidend, extremer Nationalismus bei 22,5 %, der Hitler-Kult zählte bei 18% entscheidend, der scharfe Antisemitismus bei 8,5 %, ein 'schwächerer' Antisemitismus bei 5,1%. 'Nordische Rasse' 1,5%, Germanenkult und Blut-und-Boden-Ideologie bei zusammen 4,3%.

Bestätigend zur Bedeutung der Idee der 'Volksgemeinschaft' in der politischen Landschaft der Weimarer Republik führt Michael Wildt in Volksgemeinschaft und Führererwartung in der Weimarer Republik (in: Brockhaus (Hg.), Attraktion der NS-Bewegung, S. 175-193, hier S. 181f.; zur Führererwartung ab S. 187, wo Wildt ebenfalls auf die Abel Collection Bezug nimmt bei der Frage der großen Attraktivität des Führer-Mythos) aus:

Es ist also durchaus nachzuvollziehen, warum in just dem Moment, in dem in Deutschland zum ersten mal eine demokratische, republikanische Verfassung in Kraft trat und das Volk zum Souverän wurde, 'Volk', 'Volksgemeinschaft', 'Führer' zu beherrschenden Vokabeln aufstiegen. 'Nichts', so Hans-Ulrich Wehler, 'unterstreicht mithin die Existenz der deutschen Marktklassengesellschaft mit ihren tiefen Antagonismen und fatalen Konjunkturfluktuationen eindringlicher als der Siegeszug diese Chimäre der 'Volksgemeinschaft' mit ihrer Verheißung einer spannungsfreien Nation, in der jeder seinen angemessenen, anerkannten Platz finden werde'. Nahezu alles Parteien der Weimarer Republik propagierten die Volksgemeinschaft als politischen Programm - allerdings mit ganz unterschiedlichen Ausdeutungen.

Peter Longerich schreibt in der genannten Publikation S. 115ff. Zur Attraktivität der NSDAP als Kern eines rechtsextremen Milieus in der Weimarer Republik und thematisiert drei wichtige nationalsozialistische Erlebniswelten - Alltag der SA, Attraktion der Hitler-Reden für das damalige Publikum, Partei-Aktivitäten auf örtlicher Ebene - als psychosoziale Dimension des Phänomens 'Nationalsozialismus', die ebenfalls wesentlich zum Erfolg beitrugen.

Weiterhin ergänzend:
  • Dorothy von Moltke, Ein Leben in Deutschland 1907-1934. Briefe aus Kreisau und Berlin, 1999.

Für die Zeit ab 1931:
  • Bajohr/Strupp, Fremde Blicke auf das 'Dritte Reich'. Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933- 1945. 2011

  • Dreyfus, Geheime Depeschen aus Berlin : der französische Botschafter François-Poncet und der Nationalsozialismus, 2018. (François-Poncet war 1931-1938 Botschafter in Berlin)

François-Poncet schreibt in der Depesche vom 16. März 1933 (S. 80f.) u.a.

Anstatt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, haben die Hitleranhänger angesichts der Wahlergebnisse vom 5. März aber vor allem zum Angriff auf die Regierungen der Länder geblasen. [...]
Sie haben sie verjagt. Sie haben an ihrer Stelle eigene Leute eingesetzt. Gleich beim ersten Ansturm fiel das System wie ein Kartenhaus in sich zusammen, und das ist nicht weiter verwunderlich, denkt man daran, wie sang- und klanglos 1918 schon das Kaiserreich unterging.

Und S. 82 (16. März 1933):
Wenn die Nazis sich rühmen, sie hätten eine Revolution vollbracht, ist das keine Übertreibung. Die Flut, die alle Deiche durchbrochen hat, ist revolutionär. Sie folgt keinem vorbestimmten Lauf. Niemand kann sie vorhersehen.

Bedeutsame Beobachtungen, meine ich,

Ebenso, dass François-Poncet wie andere Diplomaten (Bajohr/Strupp, Fremde Blicke auf das...) mehrfach den 'bolschewistischen' Auftritt der NSDAP erwähnen lange vor der Verständigung zwischen NS-Regime und dem Regime in Moskau, und auch noch nach dem 'Röhm-Putsch'; nicht nur, dass François-Poncet in der Depesche vom 30. März 1933 (S. 90f) davon spricht, dass H.s Diktatur der von Stalin und Mussolini in nichts nachsteht.

Parallel schreibt Dorothy von Moltke meiner Erinnerung nach 1931/1932 in einem Brief, Göring habe 3 Jahre bei Stalin gelernt [war offenkundig mehr im übertragenen Sinne gemeint]. Im Brief vom 5.3.1933 notiert von Moltke, ein Mr. Mowrer, Berliner Korrespondent der 'Chicago Daily News', sage,
[...] in Deutschland seien die Dinge noch viel ärger. Erstens haben die Nazis von Mussolini und Stalin gelernt, [...]

Ansonsten weiterhin:
  • Schmidt, Sturm, Livi (Hrsg.), Wegbereiter des Nationalsozialismus. Personen, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933. 2015.

Thane, Deine aufwendigen Antworten mit einem Schwerpunkt Tradition und Herkunft von H.s Antisemitismus aus der Vorkriegszeit tragen m.E. zu wenig zum Verständnis bei für die Phase in München 1919-1922/1923, dem Erfolg der NSDAP/Hitlers/der nationalsozialistischen Bewegung & ihrer sozialen Praxis, noch können sie die vielschichtige, widersprüchliche Realität der nationalsozialistischen Machtausübung ab 1933 in ihrer Dynamik & Mobilisierung, ihrem Aktivismus, ihrer radikalen Zielorientierung usw. daraus ausreichend 'begründen'/'verständlich machen'.
 
Rohkrämer bezieht sich auf die Abel-Collection, diese wiederum auf nicht repräsentative Aussagen nach der Machtergreifung. Daneben (neben der zeitlichen Problematik) ist die personelle Struktur der Abel-Collection abweichend vom "NS-Durchschnitt", bezieht sich maßgeblich auf die Generation der "victory-watcher", die als Kampfakteure des NS in der persönlichen Wahrnehmung des Kaiserreich-Milieus nur über die Kriegsjahre verfügen. Soziologisch wäre es auch zweifelhaft, die Gruppe der "Schläger" gleichzusetzen mit sämtlichen NS-Unterstützern oder auch nur den wählenden Sympathisanten.

Schließlich führt sogar Rohkrämer resümmierend aus:

"Erst in der Krise hatte der Nationalsozialismus die Chance, zur stärksten politischen Kraft zu werden, aber die Krise erklärt nicht die Entscheidung für den Nationalsozialismus. Nur auf dem Hintergrund einer nationalistischen und militaristischen Tradition –deren Ursprünge bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen, die sich jedoch durch Weltkrieg, Niederlage und Nachkriegskonflikten radikalisiert hat, vor allem auch in der Gewaltbereitschaft gegen alles angeblich »Undeutsche« und »Gemeinschaftsschädliche« –ist zu verstehen, warum die NSDAP 1932 zur stärksten politischen Partei und Hitler zum größten Hoffnungsträger aufstiegen."

(Rohkrämer, von Dir zitiert)

Um diesen Bezug zur "Volksgemeinschaft" zwischen NS und Kaiserreich wiederum zu verstehen, verweist der weiter zitierte Wildt auf die Entwicklung im Kaiserreich, deren Zuspitzung und Eskalation im Kriegsausbruch 1914 und in der weiteren Volksmobilisierung für die Kriegsführung zu sehen sei:

"Ihre Hochkonjunktur verdankte die »Volksgemeinschaft« zweifellos dem Ersten Weltkrieg. Hans-Ulrich Wehler resümiert, dass schon im Kaiserreich der Begriff allmählich an die Stelle der »Volksnation« getreten sei und wie dieser das Manko besessen habe, »verfassungsindifferent«, das heißt, von sich aus keine Gewähr für die Verbindung mit liberalen Freiheits-und demokratischen Gleichheitsrechten zu bieten.

Der Satz Wilhelms II. zu Beginn des Weltkriegs, dass er von nun an keine Parteien, sondern nur noch Deutsche kenne, drückte sowohl die Absicht aus, die gesamte Bevölkerung für den Krieg zu mobilisieren, als auch das Bedürfnis nach Vereinnahmung und Einbindung in das große Ganze. Das »Zusammenstehen mit der Volksgemeinschaft in Not und Tod« sei das Gebot der Stunde, formulierte der Sozialdemokrat und spätere preußische Wissenschaftsminister Konrad Haenisch 1916.

Der »Geist von 1914« wurde zur Formel für die geeinte Volksgemeinschaft, die über Parteien und Klassen hinweg in der Einheit und Geschlossenheit eine Stärke erblickte, mit der sie jedem Feind zu trotzen glaubte. Die Forderung nach der Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze und die Apotheose des deutschen Volkes, das einen Kreuzzug für die Menschheit zu führen habe, als Verkörperung des Hegelschen »Weltgeistes«, verbanden Gemeinschaftsvorstellung mit Anmaßung und Hybris."


(Wildt, wie von Dir zitiert)


Beide Autoren liegen damit nach meiner Wahrnehmung auf den großen Erklärungslinien, die thanepower vorgestellt hat. Daher kann ich auch wenig mit Qualifikationen wie "überragende Bedeutung" anfangen. Was soll das sein, wie ist das gemeint, was soll "überragend" darstellen?

Hier geht es meiner Ansicht nach - in einer logischen Qualität - um "notwendige Bedingungen" einer geschichtlichen Entwicklung, zu denen in den 20ern "hinreichende Bedingungen" hinzu getreten sind, um in der bekannten Entwicklung zu eskalieren.

Diese Position wird mW in keiner wissenschaftlichen Publikation bestritten.
 
Sehr interessante Beiträge. Ich kann mich aber nur wiederholen, dass man eventuell die Diskussion trennen sollte. Über die Entwicklung von Hitlers politischer Position, zum einen die Kontinuität und Kausalität zwischen Kaiserreich und NS Diktatur, die Person Wilhelm II., etc.
 
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