Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Kann es sein, dass hier ein bisschen spekuliert wird???

Ein bisschen...

Die Geschichte der legio I liegt im Dunkeln - auch das wurde schon hinreichend thematisiert.

Fraglich ist, ob zum Zeitpunkt der Varusschlacht diese Legion noch den Namen augusta trug.

Sie trug vielmehr den Namen germanica.
Also müßte es nicht LPA sondern LPG heißen?
Ich muß zugeben, daß es nicht genau feststeht, wann dieser Legion der Name germanica verliehen wurde - evt auch nach der Varusschlacht.

Fest steht, daß es in der Geschichte dieser Legion eine wirklich große Lücke gibt - Auflösung?

Oder dieses Mundblech ist sehr alt. Dann wurde es wahrscheinlich weiterveräußert. Oder irgendwer wurde versetzt in eine andere Legion oder die erste Legion wurde in vorchristlicher Zeit aufgelöst (was durchaus wahrscheinlich ist) und die Legionäre auf andere Legionen verteilt. Oder Vexilationen der legio I waren an der Varusschlacht beteiligt (durchaus denkbar). Oder LPA bedeutet vieles aber nicht legio prima augusta, oder, oder...

Erklärungen gibt es viele.
Und ich glaube im Rahmen dieses Themas haben wir wohl alle hinreichend diskutiert.
Ich glaube auch nicht, daß man wild argumentieren muß.
Dieses Mundblech mit den etsprechenden Einritzungen macht Kalkriese als Ort der Varusschlacht weder wahrscheinlicher noch unwahrscheinlicher...
 
Zuletzt bearbeitet:
Tja, diese Inschrift bleibt ein ernstzunehmender Störfaktor für die Varus-Befürworter (also auch für mich). Man muß schon ganz schön wild argumentieren, um das zu erklären.
Vorausgesetzt natürlich, LPA hat wirklich diese Bedeutung, was ja, wie du schreibst, unsicher ist.
Eben. Deshalb muss man auch nicht wild argumentieren.

Bei Kalefeld (Harzhorn-Schlacht) wurde eine Dolabra mit Inschrift LEG IIII
gefunden. Da zweifelt niemand so vehement an, daß die LEG IV vor Ort war
Die Unsicherheit ist ein anderer Grad. Dort haben wir immerhin eine eindeutig der vierten Legion zugeordnetes Stück. Das LPA ist aber alles andere als eindeutig. Wie gesagt, es wäre der einzige Beleg für die Abkürzung einer Legion auf diese Art und Weise. Aber auch in Kalefeld gilt, dass ein Einzelstück allenfalls einen Indizienwert hat und keine Sicherheit bietet.
In Kalkriese scheint jedenfalls eine erste Kohorte unter dem Befehl eines Vibius (der uns leider weiter nicht bekannt ist etwa durch einen Grabstein oder die literarische Überlieferung) anwesend gewesen zu sein. Wir wissen nicht, zu welcher Legion diese Kohorte gehörte. LPA könnte genauso gut ein Eigenname, etwa - nur als Bsp. - {Lucius Porcius Agricola} sein.
 
Zu den möglichen Lesarten der Ritzinschrift des Schwertscheidenmundblechs hatten wir schon häufiger Beiträge.

Hier eine gute Zusammenfassung von Trajan:

Ave Salvus,

Neben dem Versuch, Haltern hoch zu datieren, um die unabweisbare Statistik von Kalkriese ins Wanken zu bringen, spielt das Mundblech eine weitere hoch strapazierte Rolle.

Wie schon reichlich diskutiert, gab es mehrere Legionen I, wobei die legio prima augusta vermutlich im Jahre 19 vor Chr. in Spanien aufgelöst wurde. Zur Zeit der Varus- und Germanicuskriege hieß sie denn wohl legio prima germanica, die Abkürzung also bestenfalls LPG, meist aber LEG I GER geschrieben. Die epigraphische Folgerung ist, und das bezeugt vor allem die auf der Scheide angebrachte Verzierung mit einer in Spanien geprägten Münze aus dem Jahre 19 v.Chr., dass diese Scheide zum Zeitpunkt der Verbringung in Kalkreise rund drei Jahrzehnte alt war. Sie war damit ein uraltes Erbstück und längst nicht mehr an eine Legion gebunden.

Dazu anhängendes Bild des Mundblechs, das vielleicht auch deutlich macht, wie fragwürdig solche wilden Kratzungen sind: Rot ist der Text, Grün die sogenannte Haste, das Zeichen eines Centurio. Blau, das versteckt und aus der Reihe stehende, Paz-L und Violett die in Reihe stehende, aber von Paz ignorierte, II. Die Spanierin Paz war vor allem zur Deutung des LPA herangezogen worden. Und die interpretierte eine undeutliche Kratzung oberhalb des XIIX als weiteres L und somit unter Vernachlässigung des II als X L X, was sie mit X(denarii) LX (60) als ein etwas ungelenkes Preisschild von 60 Denaren interpretierten möchte. Mit dem eigentlich besser lesbaren XIIX konnte oder wollte sie nicht soviel anfangen. Die zur Zeit gehandelte Lesung ist daher: "T.Vibius, aus der Centurie des Tadius, Erste Legion des Augustus, 60 Denare".

Nun gut, die Scheide war mit einiger Sicherheit schon lange in Gebrauch. Man kann drüber philosophieren, wie sie denn nun nach Kalkriese kam. So konnte etwa der neue Besitzer, vielleicht der Sohn des Erwerbers, das alte Graffiti auf dem guten Stück ja nicht radieren, aber er trug am Ende noch ein weiteres Graffiti ein: XIIX, die achtzehnte Legion, wie am Ende der längeren Aufschrift dort recht gut zu lesen ist.

Der Status des Varus war ja nun legatus pro praetore Augusti (wenn auch meist mit legatus Augusti pro praetore zitiert), also der Statthalter des Augustus in Germanien. Somit könnte der neue Besitzer mit der einfachen Verlängerung der veralteten Aufschrift zu LPAXIIX die Kuh vom Blech gebracht haben: Er drückte damit eventuell den besonderen Status der 18.ten Legion aus. Eine mögliche Lesung könnte daher durchaus sein: "(Sohn des) T.Vibius, aus der Centurie des Tadius, 18. Legion des Statthalters des Augustus".

beste Grüße, Trajan.
 
Orte der Varuskatastrophe: der archäologische Führer

demnächst (vorraussichtlich Oktober) erscheint:
Dreyer, Boris "Orte der Varuskatastrophe: der archäologische Führer"
ISBN: 978-3-8062-2956-1
 
Wurden die Knochenfunde in Kalkriese eigentlich mit der Strontiumisotopenanalyse untersucht? Ich habe dazu leider nicht gefunden.
 
danke für die Info. Ich hatte mit der Suchfunktion nach "Strontium" gesucht den Post damit aber nicht gefunden. Das der Erhaltungszustand zu schlecht ist wirklich schade. Es gab erheblich ältere Funde bei denen man die Isotopenanalyse noch anwenden konnte.
 
Knochen an Bäumen

Ich bin mir nicht sicher, bei den vielen Beiträgen, die ich hier schon geschrieben habe, aber ich meine, ich hätte mich mal abschätzig gegenüber Tacitus' Behauptung, dass die Römer nach sechs Jahren noch an die Bäume genagelte Knochen gefunden hätten, geäußert. (Ich konnte einen entsprechenden Beitrag von mir allerdings nicht finden.)

Gestern bin ich diesbezüglich eines Besseren belehrt worden. Ich habe eine hochinteressante Sendung (Ende einer Flucht. Die unbekannten Toten von Junak) über den Eisernen Vorhang an der bulgarisch-griechischen Grenze gesehen. Dort wurde ein Baum gezeigt, die "Knochenbuche", an dem seit den 60er oder 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Knochen eines Grenzverletzers angenagelt waren. Zunächst stand die Annahme im Raum, dass es sich wohl um die Knochen eines deutschen Pärchens handelte, welches zu den zehn DDR-Bürgern gehörte, die an der bulgarisch-griechischen Grenze von den bulgarischen Grenztruppen erschossen wurde, aber das konnte ausgeschlossen werden (das Pärchen, welches von einem bulgarischen Grenzsoldaten mit den Knochen am Baum assoziiert wurde, wurde im Übrigen erst nach dem Übertritt ins griechische Gebiet von bulgarischen Grenztruppen erwischt, ohne Not erschossen und die Leichen zurück nach Bulgarien gebracht, später in die DDR überführt). Zurück zum Thema: Die Knochen, die angeblich von verscharrten bulgarischen Grenzverletzern stammten und von Füchsen ausgebuddelt wurden, sind erst im Zuge der Dreharbeiten von der Buche entfernt worden. Sie haben also vielleicht bis zu 50 Jahre an dem Baum gehangen.
 
Kürzlich habe ich in einem populärwissenschaftlichen Buch von S. Fischer Fabian geschmökert.
Ich stieß darin auf folgende Textpassage (hinsichtlich der Varusschlacht):

" Der Prähistoriker Kurt Tackenberg von der Universität Münster nimmt sogar an, daß die Gruben noch existieren, welche die Reste der den Götter geopferten Gefangenen aufgenommen hatten. Derartige Opferschächte, vollgepackt mit den Knochen von Tieren und Menschen, hat man an den verschiedensten Orten in Deutschland und Skandinavien ausgegraben."
(S. Fischer Fabian: Die Ersten Deutschen, Über das rätselhafte Volk der Germanen, 11. Auflage 2011, Bastei Lübbe)

Hm, da fallen mir ja schon die Knochengruben mit menschlichen und tierischen Knochen in Kalkriese ein. Und der Tacitus berichtet ja auch von solchen Gruben (Opfergruben bzw. Martergruben). Und die Knochen dieser Gruben in Kalkriese weisen nunmal entsprechende Verletzungen auf.
Die Gruben in Kalkriese werden natürlich in erster Linie mit der Bestattungsaktion des Germanicus in Verbindung gebracht. Aber könnten das vieleicht auch solche (Opfer-, Marter-) Gruben sein, wie Tacitus sie für das Schlachtfeld erwähnt? Grundsätzlich könnte das doch möglich sein, oder?
Ich weiß, jetzt kann man den Hinweis geben, daß die Knochen in Kalkriese erst mindesten zwei Jahre an der Oberfläche lagen. Aber vieleicht hatte dies auch "kultische" Gründe - ein einfacher und immer wieder gerne genommener Erklärungsansatz.:D

Aber da ist ja auch die "Auskleidung" der Gruben in Kalkriese. Haben sich die Römer die Mühe gemacht? Und wenn ja warum? Und haben wir die Frage schon in diesem Endlosthread diskutiert? Ich weiß nicht. Und wenn ja bitte ich um Verzeihung. Aber man verliert die Übersicht.

Grundsätzlich kann man eine derartige Frage aber wohl stellen, oder?
 
Kürzlich habe ich in einem populärwissenschaftlichen Buch von S. Fischer Fabian geschmökert.
Ich stieß darin auf folgende Textpassage (hinsichtlich der Varusschlacht):

" Der Prähistoriker Kurt Tackenberg von der Universität Münster nimmt sogar an, daß die Gruben noch existieren, welche die Reste der den Götter geopferten Gefangenen aufgenommen hatten. Derartige Opferschächte, vollgepackt mit den Knochen von Tieren und Menschen, hat man an den verschiedensten Orten in Deutschland und Skandinavien ausgegraben."
(S. Fischer Fabian: Die Ersten Deutschen, Über das rätselhafte Volk der Germanen, 11. Auflage 2011, Bastei Lübbe)

Hm, da fallen mir ja schon die Knochengruben mit menschlichen und tierischen Knochen in Kalkriese ein. Und der Tacitus berichtet ja auch von solchen Gruben (Opfergruben bzw. Martergruben). Und die Knochen dieser Gruben in Kalkriese weisen nunmal entsprechende Verletzungen auf.
Die Gruben in Kalkriese werden natürlich in erster Linie mit der Bestattungsaktion des Germanicus in Verbindung gebracht. Aber könnten das vieleicht auch solche (Opfer-, Marter-) Gruben sein, wie Tacitus sie für das Schlachtfeld erwähnt? Grundsätzlich könnte das doch möglich sein, oder?
Ich weiß, jetzt kann man den Hinweis geben, daß die Knochen in Kalkriese erst mindesten zwei Jahre an der Oberfläche lagen. Aber vieleicht hatte dies auch "kultische" Gründe - ein einfacher und immer wieder gerne genommener Erklärungsansatz.:D

Aber da ist ja auch die "Auskleidung" der Gruben in Kalkriese. Haben sich die Römer die Mühe gemacht? Und wenn ja warum? Und haben wir die Frage schon in diesem Endlosthread diskutiert? Ich weiß nicht. Und wenn ja bitte ich um Verzeihung. Aber man verliert die Übersicht.

Grundsätzlich kann man eine derartige Frage aber wohl stellen, oder?


Interessanter Gedankengang. Bei diesen anderen Opferschächten wäre es hilfreich, festzustellen, ob dort auch die Knochen erst nach einer längeren Dauer dort bestattet worden wären.

Ich befürchte, Fischer-Fabian verweist auf keine weitere Literatur zu dem Thema. Irgendwo im Bücherregal habe ich vermutlich den auch noch stehen. Fischer-Fabian hat m. W. das Buch noch vor den Ausgrabungen in kalkriese geschrieben, also die Knochengruben in Kalkriese waren ihm noch nicht bekannt. Das Buch ist vermutlich aus den 70er oder frühen 80er Jahren.

EDIT:
Zu dem Thema könnte diese Publikation weiterhelfen: Kurt Tackenberg: Stand und Aufgaben der Untersuchungen zur Varusschlacht. In: H. Kesting (Hrsg.), Arminius und die Varusschlacht (1961) 51–60

Publikationen von Prof. Dr. Kurt Tackenberg — Universität Bonn
 
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Ich befürchte, Fischer-Fabian verweist auf keine weitere Literatur zu dem Thema. Irgendwo im Bücherregal habe ich vermutlich den auch noch stehen. Fischer-Fabian hat m. W. das Buch noch vor den Ausgrabungen in kalkriese geschrieben, also die Knochengruben in Kalkriese waren ihm noch nicht bekannt. Das Buch ist vermutlich aus den 70er oder frühen 80er Jahren.

Manchmal erscheint einem das Buch wie aus den 70ern. Aber lt. Verlag datiert die erste Auflage aus dem Jahr 2003. Die elfte Auflage aus 2011. Die Ausgrabungen und Funde aus Kalkriese erwähnt er in diesem Buch ausdrücklich - und auch Kalkriese als mutmaslichen Ort der Varusschlacht. Das Literaturverzeichnis des Buches ist allerdings wirklich eher alt. Das von dir erwähnte Werk von Tackenberg wird ausdrücklich erwähnt. Ich denke, daß die Knochengruben dem Herrn Fischer-Fabian noch nicht bekannt waren.

Ich weiß allerdings nicht, ob dies irgendetwas an der grundsätzlichen Frage ändert. Also könnten diese Gruben in Kalkriese germanische Opfergruben sein oder nicht?:grübel:
 
Zuletzt bearbeitet:
salvus
Ich weiß allerdings nicht, ob dies irgendetwas an der grundsätzlichen Frage ändert.
Also könnten diese Gruben in Kalkriese germanische Opfergruben sein oder nicht?

@salvus Genau das ist die Frage.

1.Sind es Opfer- oder Bestattungsgruben?

2.Wer hat und wann wurde geopfert oder begraben?

3.Wer verkleidete die Gruben mit Kalksteinplatten? Römer oder Germanen?

4.Gibt es Irgendwo archäologisch nachgewiesene Pendants?

Was zu diskutieren wäre.

Schönen Abend

MfG Suebe65
 
@salvus Genau das ist die Frage.

1.Sind es Opfer- oder Bestattungsgruben?

2.Wer hat und wann wurde geopfert oder begraben?

3.Wer verkleidete die Gruben mit Kalksteinplatten? Römer oder Germanen?

4.Gibt es Irgendwo archäologisch nachgewiesene Pendants?

Was zu diskutieren wäre.

Schönen Abend

MfG Suebe65

zu 1: Das ist ja meine Frage!
zu 2: Die Germanen haben geopfert. Aber wann haben sie begraben?
zu 3: Interessant:
Wenn die Gruben in Kalkriese mit der Bestattungsaktion des Germanicus gleichzusetzen sind, dann stellen sich diverse Fragen:
Die Römer legten einen tumulus an - keine Gruben.
Der tumulus wurde lt. Tacitus zerstört. Ist wohl auch nicht mehr nachzuweisen. Wenn die Römer bei dieser Bestattungsaktion Gruben anlegten, warum haben sie diese (ich verweise auf die Situation - sie befanden sich auf dem Schlachtfeld) mit Kalkstein ausgelegt?

zu 4: Keine Ahnung. In dem mir vorliegenden Buch wird dies nicht näher erläutert.

Nebenbei:

Selbst wenn die Gruben in Kalkriese "Opfergruben" wären, so wäre dies natürlich kein Beweis oder Hinweis darauf, daß Kalkriese nicht der Ort der Varusschlacht wäre, bzw ist. Den diese Gruben werden ausdrücklich für den Ort der Varusschlacht bei Tacitus erwähnt!
 
Die Annahme, dass die flachen Gruben von Kalkriese 'Martergruben' wären, scheint mir etwas weit hergeholt. Die Interpretation der scrobes als 'Martergruben' ergibt sich hauptsächlich aus dem Kontext und dem nebenstehenden patibula captivis, die man sich in etwa als Marterpfähle vorzustellen hat. Die scrobes sind also wohl tatsächlich als 'Martergruben' zu verstehen. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir hier schon auf die Interpretation des Übersetzers Walther Sontheimer rekurrieren, nicht auf Tacitus selbst.
Ich kenne keine germanische Martergrube und weiß auch nichts von solchen Befunden, nirgendwo (aber ob ich davon was weiß oder nicht, sagt nichts darüber aus, ob solche archäologisch nachgewiesen wurden oder nicht). Aber wenn ich mir eine Martergrube vorstellen sollte, dann würde ich doch eher etwas tieferes annehmen, nichts, wo man "einfach" rausspazieren könnte*. Vor allem würde ich aber auch Pfostenlöcher in einer solchen Grube erwarten, als Spuren etwa von Pfählungen.


*Ich bitte darum, aus diesem Nachsatz keine eigene Diskussion anzuzetteln; er ist weder verharmlosend gemeint noch geht er auf einen naives Gedanken zurück, dass die gefangenen Soldaten die Möglichkeit gehabt hätten a) noch zu laufen und b) unbemerkt zu entfliehen. Ich sage das nur vorsorglich, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass manche Leute sich in Kalkriese-Diskussionen auf solche Aussagen stürzen und sie bis ins unkenntlich verdrehen.
 
Wenn die Gruben in Kalkriese mit der Bestattungsaktion des Germanicus gleichzusetzen sind, dann stellen sich diverse Fragen:
Die Römer legten einen tumulus an - keine Gruben.

Die Römer legten einen Tumulus an. Ob sie außer diesem Tumulus noch Gruben angelegt haben, weiß man nicht.

Wenn die Römer a) einen einzigen Tumulus für alle Knochen gebaut haben und b) auf germanische Gruben gestoßen sind, die mit römischen Knochen gefüllt waren, müssen sie die Knochen aus den Gruben in den Tumulus geschafft haben.
Die heute vorhandenen Gruben können also nicht die Gruben gewesen sein, auf die die Römer gestoßen sind.
 
Manchmal erscheint einem das Buch wie aus den 70ern. Aber lt. Verlag datiert die erste Auflage aus dem Jahr 2003. Die elfte Auflage aus 2011. Die Ausgrabungen und Funde aus Kalkriese erwähnt er in diesem Buch ausdrücklich - und auch Kalkriese als mutmaslichen Ort der Varusschlacht. Das Literaturverzeichnis des Buches ist allerdings wirklich eher alt. Das von dir erwähnte Werk von Tackenberg wird ausdrücklich erwähnt. Ich denke, daß die Knochengruben dem Herrn Fischer-Fabian noch nicht bekannt waren.

Ich habe eine Taschenbuchausgabe aus dem Knaur Verlage. Dies ist die 13. Auflage 1993. Vollständige Taschenbuchausgabe 1978. Copyright von 1975. Laut Wiki S. Fischer-Fabian ? Wikipedia ist das Buch von 1973 (was natürlich nicht spätere Nachbearbeitungen ausschließt).


Ich weiß allerdings nicht, ob dies irgendetwas an der grundsätzlichen Frage ändert. Also könnten diese Gruben in Kalkriese germanische Opfergruben sein oder nicht?:grübel:

Grundsätzlich könnten sie germanische Opfergruben gewesen sein. Opfergruben verstanden in dem Sinne, dass die Knochen der Geopferten dort deponiert worden sind. El Q hat oben überzeugend dargelegt, dass die in Kalkriese ausgegrabenen Gruben keine Martergruben gewesen sind.



Die Römer legten einen Tumulus an. Ob sie außer diesem Tumulus noch Gruben angelegt haben, weiß man nicht.

Wenn die Römer a) einen einzigen Tumulus für alle Knochen gebaut haben und b) auf germanische Gruben gestoßen sind, die mit römischen Knochen gefüllt waren, müssen sie die Knochen aus den Gruben in den Tumulus geschafft haben.
Die heute vorhandenen Gruben können also nicht die Gruben gewesen sein, auf die die Römer gestoßen sind.

Ds sind aber schon zwei "Wenns" enthalten:winke:

Also nix genaues weiß man nicht..
 
Also das mit den "Martergruben" halte auch ich für ausgeschlossen. Aber so steht es in meiner Übersetzung der Tacitus Annalen - ich bin der lateinischen Sprache nicht mächtig und vieleicht kann man über die Übersetzung streiten.

Zur Zeit wird ja auch durchaus über kultische Handlungen auf dem Schlachtfeld in Kalkriese diskutiert. Und liest man den Tacitus, so ist dies nicht auszuschliessen. Es gibt auch Interpretationsmodelle für die Fundverteilung in Kalkriese, die auf die Schaffung eines sakrosankten Ortes deuten (vergl. Von Carnapp- Borheim 1999). Allerdings fehlen hierfür auch wohl eindeutige archäologische Hinweise.

Nachdem ich heute noch ein wenig in diverser Literatur nachgelesen habe, erscheint mir für die Knochengruben in Kalkriese die Germanicus Erklärung nach wie vor am logischsten. Obgleich ich mir keinen Reim darauf machen kann, warum man die Gruben mit Kalkstein ausgekleidet hat.
Eine Ansprache dieser Gruben als Opfergruben ist durchaus möglich und diskutierenswert. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum die Knochen bzw. diese Gruben erst nach mindestens zwei Jahren angelegt wurden. Darauf finde ich keine plausible Antwort.
 
Also das mit den "Martergruben" halte auch ich für ausgeschlossen. Aber so steht es in meiner Übersetzung der Tacitus Annalen - ich bin der lateinischen Sprache nicht mächtig und vieleicht kann man über die Übersetzung streiten.

Also damit wir uns nicht missverstehen: Die Übersetzung 'Martergruben' von Sontheimer ist bereits eine Textinterpretation. (Letztendlich ist jede Form der Übersetzung bereits eine Interpretation). Im Prinzip sind die scrobes nur Gruben. Die Martergruben werden daraus durch den Kontext. Insofern werfe ich Sontheimer die 'Martergruben' nicht vor sondern halte sie durchaus für die angemessene Interpretation.

Soviel zu Tacitus.
Nun zum Kalkrieser Befund: Die hier vorgefundenen Knochengruben können nicht als Tacitus' "Martergruben" angesprochen werden
1.) weil die Knochen über Jahre auf der Erdoberfläche lagen
2.) weil sie viel zu wenig eingetieft sind, als dass es irgendeinen Sinn ergäbe, sie als Martergruben anzulegen.

Es gibt auch Interpretationsmodelle für die Fundverteilung in Kalkriese, die auf die Schaffung eines sakrosankten Ortes deuten (vergl. Von Carnapp-Bornheim 1999). Allerdings fehlen hierfür auch wohl eindeutige archäologische Hinweise.
Carnap-Bornheim hat das damals aufgrund der Fundverteilung geglaubt. Die meisten Funde befinden sich ja im unmittelbaren Wallvorfeld. Mittlerweile hat man aber auch Funde nach Fundarten kartiert und hat dabei festgestellt, dass bestimmte Dinge fast immer in umittelbarer Nähe zueinander gefunden wurden. Dies lässt darauf schließen, dass nach der Schlacht die Beute vor dem Abtransport nach Sachgruppen sortiert wurde, womöglich um sie gerecht aufzuteilen. So fand man beispielsweise ein zusammengefaltetes Schildrandblech weiter entfernt, es ist offensichtlich beim Abtransport verloren gegange, direkt am Wall - und nur dort - aber jede Menge Fragmente des Schildrandbeschlags, vermutlich eben solche Blechteile, die beim Zusammenfalten zu spröde waren und abbrachen. Das kennen wir ja auch aus unserem Alltag, wenn wir Bleche biegen wollen: Manchmal brechen sie dann.

Nachdem ich heute noch ein wenig in diverser Literatur nachgelesen habe, erscheint mir für die Knochengruben in Kalkriese die Germanicus Erklärung nach wie vor am logischsten. Obgleich ich mir keinen Reim darauf machen kann, warum man die Gruben mit Kalkstein ausgekleidet hat.

Wenn sie tatsächlich ausgekleidet wurden, dann vielleicht um nachrutschendes Erdmaterial zu vermeiden.
 
Nun zum Kalkrieser Befund: Die hier vorgefundenen Knochengruben können nicht als Tacitus' "Martergruben" angesprochen werden
1.) weil die Knochen über Jahre auf der Erdoberfläche lagen
2.) weil sie viel zu wenig eingetieft sind, als dass es irgendeinen Sinn ergäbe, sie als Martergruben anzulegen.
zwar stimme ich dir zu, aber dennoch ist zu fragen: was wissen wir über "Martergruben", um sie eindeutig als solche erkennen zu können?
 
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