Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Hallo Tela,
ich gehe nicht davon aus, dass bei Kalkriese die Schlacht an den Pontes Longi stattgefunden hat.

[FONT=&quot]Gruß Maelo[/FONT]
 
wenn du Cassius Dio grundsätzlich in Frage stellst, warum plädierst du dann für Kalkriese als den Ort der Varusschlacht? Würde man Dio bei der Schlachtortsuche nicht berücksichtigen, dann würde man im Traum nicht auf den heutigen Teutoburger Wald oder das Wiehengebirge als mutmaßlichen Schlachtort kommen. Denn nur von Dio kommt die Aussage, dass Varus zur Weser gezogen ist und sich die Schlacht zwischen Bergen und Schluchten zugetragen hat. Auch stammt nur von ihm der drei bis viertägige Schlachtverlauf, auf dem sich fast die gesamte Varusforschung beruft.

Tacitus lokalisiert das Kampfgeschehen nahe bei "zwischen Ems und Lippe" (Germanicus war zwischen Ems und Lippe, als er in die Nähe des Schlachtfeldes kam und den Wunsch verspürte, es zu besuchen).
Und einiges spricht auch dafür, wenn man den Tacitus genau liest, dass das Schlachtgeschehen nordöstlich der Ems stattgefunden haben muss. Denn Germanicus schickt Caecina zur Ems zurück, er selbst schifft sich laut Tacitus an der Weser ein, was sehr verwirrend ist, möglicherweise aber auch einfach ein Fehler Tacitus'.
Bei Kalkriese kann man kaum von Bergen und Schluchten reden (was im Übrigen gemeinhin ein Argument der Kalkriesegegner ist, mit Cassius Dio den Ort Kalkriese als Schlachtort zu widerlegen). Aber saltus (Tacitus) wird gemeinhin auch als 'Waldgebirge' übersetzt, was man mit einer bewaldeten Hügelkette sehr wohl in Einklang bringen kann.
Der drei- bis viertägige Schlachtverlauf ist auch ein typisches Argument der Kalkriese als Varusschlacht-Verneiner, die das Fundgebiet dafür für zu klein halten.

Ich wollte mit den Quellenangaben nur deutlich machen, dass nach der Aussage fast aller Überlieferungen nur Sümpfe und Wälder als Ursächlich für die römischen Probleme mit der germanischen Topographie genannt werden. Ich könnte diese Angaben sogar um den Bericht von Tacitus über den Kampf an den Pontes Longi erweitern, welcher als literarischer Vergleich des Tacitus zur Varusschlacht angesehen wird. Auch hier sind nur Sümpfe als widrige Umstände für die Römer angeführt. Im genauen bezeichnen aber immerhin drei weit aussagekräftigere Quellen als Dio, nur Wald und Sumpf als topographischen Hinweis.

Und?


Diese Tatsachen zu negieren und trotzdem zu behaupten, dass dieser Berg von Kalkriese und dieser Wall dem Untergang von drei Legionen geschuldet sind, ist neben vielen weiteren Unstimmigkeiten schon ein wenig abenteuerlich. Zum Mittelandkanal ist noch zu sagen dass dort im Grunde ein mächtiger Grabungsschnitt angelegt wurde, währenddessen man sicherlich Funde dieser gewaltigen Varusschlacht gemacht hätte, wenn sie denn dort gewesen wäre.

Ich finde es immer wieder lustig, wenn Funde und Befunde in Abrede gestellt werden. Was auch immer in Kalkriese stattgefunden hat, es war mit Sicherheit eine große Schlacht, die nach 7 nach Christus zu verorten ist. Nur weil im Moor selbst Funde nicht gemacht oder nicht dokumentiert wurden, hat das doch nicht zur Folge, dass eine über +/- 10 km lange Fundspur von Schwagsdorf bis Huxelort zu negieren ist. Noch einmal: Die Römer mieden den Sumpf (wie auch an dem Auseinanderfächern der Fundspur hinter dem Kalkrieser Berg deutlich wird), es ist doch nur logisch, dass die Funde auf der Marschroute des Hellwegs unter dem Berg sich konzentrieren.
 
Hallo El Quijote,

du scheinst diesen Abschnitt der Tacitustexte nicht genau informiert zu sein, denn Germanicus kehrte nachdem er das Schlachtfeld besucht hatte mit seinem vollständigen Heer zur Ems zurück, um dann mit seiner Flotte zur Weser zu fahren. An der Ems trennte er sich von Caecina, der auf dem Landweg zum Rhein zurückkehren sollte. Auch schreibt Tacitus davon, als er den Ort der Trauer besuchte, dass er zuerst das Lager von drei Legionen erblickte und dann erst das Schlachtfeld. Also umgekehrt als es für Kalkriese gelten könnte. Diese Tacitusstelle taugt nicht um Kalkriese als den Ort der Varusschlacht zu rechtfertigen.

Um dein fragendes „Und“ zu beantworten: Die aussagekräftigen Quellen legen nahe, dass sich der Hinterhalt der Germanen in einem Sumpfgebiet ereignet haben muss, und die Römer in einem Sumpfgebiet eingeschlossen wurden.

Ich stelle keine Funde in Abrede sondern kritisiere wie diese Funde von offizieller Stelle interpretiert werden. Die Römer mieden in Kalkriese den Sumpf weil sie während der Varusschlacht in einem Sumpf niedergemacht wurden.

Gruß Maelo
 
Hallo Brissontin du scheinst meine Ansichten noch zu kennen. Schön.

Bei Kalkriese hat sich weder die Varusschlacht noch die Schlacht an den Pontes Longi ereignet, sondern hier ereignete sich vermutlich die Schlacht am Angrivarierwall.

Germanicus zog nach der Schlacht bei Idistaviso an der Weser, zurück zur Ems. Es spricht nichts dagegen, dass er für diesen Marschweg den bekannten Hellweg bei Kalkriese nutzte.

Aus dem Satz, mit dem Tacitus den Angrivarierwall erwähnt, einen Grenzwall zu machen ist weniger als begründete Spekulation. Die Ansicht dass es sich bei dem Angrivarierwall um eine ehemalige Grenzbefestigung zwischen Cheruskern und Angrivariern handelte, würde voraussetzen, dass sich Germanen zur Zeit der Zeitwende mit dauerhaft angelegten, und dann auch bewachten Grenzlinien voneinander abgrenzten. Dieser Grenzwall oder diese Landwehr wären dann, nach heutigem Forschungsstand, die einzige derartige Abgrenzung die in Germanien zu der Zeit existierte. Sie würde nicht zur damaligen germanischen Territorialstruktur passen.

Aus dieser Textstelle wird deutlich, dass bei dieser Schlacht ein Wall eine große Rolle gespielt hat. Und in Kalkriese gibt es einen derartigen Wall der wahrscheinlich von Germanen während eines Kampfes besetzt war. Diesen offensichtlich erkennbaren Wall hatten die Angrivarier besetzt um Germanicus zu einem Angriff gegen diese Stellung zu verleiten. Die Cherusker haben versucht sich im Wald vor dem Großen Moor, und in diesem, zu verbergen, um dann, wenn die Legionen am Wall kämpften, hervorzustürmen und diese im Rücken zu fassen. Germanicus erkannte jedoch diesen Plan und ging gegen die Angrivarier am Wall und den verborgenen Germanen gleichermaßen vor und trieb sie, dem Fundspektrum nach, fächerartig vor sich her.

Das vermehrte Aufkommen von Ritzinschriften einer ersten Kohorte, vor dem Wall gefunden, ist zusätzlich ein eindeutiges Indiz für diese Konstellation, denn in dem Tacitustext steht eindeutig, dass Germanicus die schwierige Aufgabe den Wall zu erstürmen selbst übernahm. Und das wird er mit den besten Legionären einer Legion gemacht haben. Diese waren in der Regel in der ersten Kohorte, als das Aushängeschild der Legion, zusammengefasst. Ich möchte gerne den bestimmenden Tacitustext zur Schlacht am Angrivarierwall einfügen, damit hier jeder Vergleiche zum Schlachtfeld Kalkriese ziehen kann. Tac.AnnII/19:“ Zuletzt suchten sie sich einen Kampfplatz aus, der vom Fluss und Wald umschlossen war und in dem sich eine schmale sumpfige Fläche befand. Auch um das Waldgebiet zog sich ein tiefer Sumpf, nur eine Seite hatten die Angrivarier durch einen breiten Damm erhöht, der die Grenzlinie zu den Cheruskern bilden sollte. Hier ging das Fußvolk in Stellung. Die Reiterei nahm in den nahe gelegenen Lichtungen Deckung, um den Legionen, sobald sie in den Wald einmarschiert seien, in den Rücken zu fallen. Dem Caesar blieb von diesen Maßnahmen nichts verborgen. Er kannte die Absichten und die Stellungen der Feinde, ob sie nun offen vor Augen lagen oder verborgen waren, und ihre schlauen Berechnungen suchte er in ihr Verderben zu verwandeln. Dem Legaten Seius Tubero übergab er die Reiterei und wies ihm das ebene Feld zu. Das Fußvolk stellte er so zum Kampf auf, dass ein Teil auf ebenen Gelände an den Wald heranrücken und in ihn einmarschieren und der andere den vor ihnen liegenden Erdwall erklimmen sollte. Diese schwierige Aufgabe behielt er sich persönlich vor, alles übrige überließ er den Legaten. Diejenigen, denen das ebene Gelände zugewiesen war, brachen mühelos in den Wald ein; diejenigen jedoch, die den Erdwall zu erstürmen hatten, hatten, wie wenn sie an eine Mauer vorrückten, unter einer schweren Beschießung von der Mauer herab zu leiden. Der Heerführer erkannte, wie ungleich dieser Nahkampf war. Er zog dagegen die Legionen ein wenig zurück und befahl den Schleuderern und Wurfschützen, ihre Geschosse zu werfen und den Feind vom Wall zu vertreiben. Von den Geschützen wurden Speere abgeschossen, und je sichtbarer die Verteidiger waren, mit um so größeren Verlusten wurden sie heruntergeworfen. An der Spitze seiner Prätorianerkohorten eroberte der Caesar den Wall und trat zum Sturmangriff auf den Wald an, wo man Mann gegen Mann rang. Den Feind riegelte im Rücken der Sumpf, die Römer der Fluss oder die Berge ab. Beide Teile mussten unbedingt ihre Stellung behaupten, sie konnten nur auf ihren Mannesmut sich verlassen und nur von einem Sieg Rettung erhoffen.“ Es ist offensichtlich wie diese Beschreibung auf das Gelände in der Kalkrieser Senke passt.

Gruß Maelo
 
Zuletzt bearbeitet:
Geographisch mag es zwar passend klingen, vom Fund eben nicht. Die von dir zitierte Stelle macht nicht klar, warum so große Anteile nichtmilitärischen / nichtkombativen Fundgutes in Kalkriese / unterhalb des Walles aufgedeckt wurde, größere Geldmengen in den Boden kamen oder warum, anstelle dieser Funde, die zu erwartenden Geschoßmengen und -merkmale fehlen.
Die Beschreibung zeigt uns recht gut, dass der Wall von der römischen Artillerie zerschossen wurde, bevor er bestürmt wurde. Zum Vergleich: Jerusalems Mauern wurden ebenfalls vor dem Angriff sturmreif bombardiert, und die Mauern (!) erhielten davon Breschen. Einem schlichten Holz-Erd-Wall geht es da schlechter.
Man vermisst aber sowohl die Anzeichen für die Munition in Kalkriese noch finden sich Hinweise auf die Geräte selbst.
Statt dessen liegen unter dem eingesürzten Teilen des Wall zur römischen Seite hin (!) Maultiere und römische Ausrüstungsgegenstände begraben, die unterlegenen Germanen haben aber nichts hinterlassen.
Dies widerspricht also dem vom Fundbild dem Wall.
 
du scheinst diesen Abschnitt der Tacitustexte nicht genau informiert zu sein, denn Germanicus kehrte nachdem er das Schlachtfeld besucht hatte mit seinem vollständigen Heer zur Ems zurück, um dann mit seiner Flotte zur Weser zu fahren. An der Ems trennte er sich von Caecina, der auf dem Landweg zum Rhein zurückkehren sollte.

Ich werde alt, mein Gedächtnis lässt mich im Stich. Was die Weserstelle aber nicht weniger rätselhaft macht. Was verschweigt Tacitus uns? Wieso ist Germanicus plötzlich an der Weser?! Hat er vielleicht den sich zurückziehenden Arminius verfolgt bzw. versucht ihn zu überraschen? Das spräche für einen Schlachtort zwischen Ems und Weser (Germanicus, zwischen Ems und Lippe besucht das Schlachtfeld, räumt auf, verfolgt Arminius, kehrt um zur Ems, ist plötzlich an der Weser. Aber gut, das sei zugegeben, das ist alles hochspekulativ).
Was bleibt, ist dass die Varusschlacht irgendwo im "näheren" Umkreis der Ems gelegen haben muss (Kalkriese - Ems 50 km). Pontes longi - ich weiß, Du bist da die falsche Adresse - muss demnach zwischen Ems und Rhein gelegen haben, zumindest, wenn Caecina von der Ems den direkten Weg zum Rhein nahm.

Auch schreibt Tacitus davon, als er den Ort der Trauer besuchte, dass er zuerst das Lager von drei Legionen erblickte und dann erst das Schlachtfeld. Also umgekehrt als es für Kalkriese gelten könnte. Diese Tacitusstelle taugt nicht um Kalkriese als den Ort der Varusschlacht zu rechtfertigen.

Nein, das hieße Tacitus falsch zu lesen. Er ist kein Protokollant (zumal bei ihm nämliches gilt, wie bei Cassius Dio: er ist kein Zeitgenosse) des Schalchtfeldbesuches. Als Vertreter der silbernen Latinität ist er Schriftsteller und wie aus der Feder eines Schriftstellers muss Tacitus auch gelesen werden. Er baut das Schlachtgeschehen vor dem inneren Auge seiner Leser auf, erst das Lager als Hinweis auf eine angegriffene, aber noch strukturell intakte Armee, dann die Reste des abschließenden Kampfgeschehens und schließlich die nach der Schlacht angelegten Opferplätze der Germanen. Letztendlich das Aufräumen des Schlachtfeldes durch die Legionen des Germanicus, wobie noch einmal die Höhepunkte des Schlachtgeschehens aus Sicht der Überlebenden rekapituliert werden (der Tod der Legaten (sind alle Legaten gleichzeitig gefallen? Sicher nicht!), die Eroberung der Legionsadler (sind alle Legionsadler gleichzeitig erbeutet worden? Sicher nicht!9) und schließlich der Selbstmord des Verwundeten Feldherren). Das baut alles schön chronologisch und vor allem leserfreundlich aufeinander auf.

Um dein fragendes „Und“ zu beantworten: Die aussagekräftigen Quellen legen nahe, dass sich der Hinterhalt der Germanen in einem Sumpfgebiet ereignet haben muss, und die Römer in einem Sumpfgebiet eingeschlossen wurden.

Nun gut, und was machst Du mit Florus, der zwar von Sümpfen und Wäldern spricht, die Schlacht aber als einziger in ein Legionslager verlegt?
"Sümpfe und Wälder" ist eine Metapher für das Barbaricum, nicht der Beleg, dass die Römer tatsächlich im "klassische[n] Morast, wo [mit] Varus stecken geblieben" sind. Die von Dir zitierte Strabostelle macht das sehr deutlich, hier wird nicht nur von Germanen sondern auch von Kelten geredet und davon, dass Barbaren dazu neigten ihre Kriege in Wäldern, Sümpfen und Wüsten, also alles unwirtliche Gegenden zu führen.

Die Römer mieden in Kalkriese den Sumpf weil sie während der Varusschlacht in einem Sumpf niedergemacht wurden.
Nein, die Römer mieden den Sumpf, weil Tross und 40 kg Marschgepäck plus Rüstung einfach nicht in den Sumpf passen.
 
Bei Kalkriese hat sich weder die Varusschlacht noch die Schlacht an den Pontes Longi ereignet, sondern hier ereignete sich vermutlich die Schlacht am Angrivarierwall.

Ich schrieb es erst vor wenigen Beiträgen: Der Angrivarierwall war ein Grenzwall, keine wenige hundert Meter lange Einrichtung!


Aus dem Satz, mit dem Tacitus den Angrivarierwall erwähnt, einen Grenzwall zu machen ist weniger als begründete Spekulation. Die Ansicht dass es sich bei dem Angrivarierwall um eine ehemalige Grenzbefestigung zwischen Cheruskern und Angrivariern handelte, würde voraussetzen, dass sich Germanen zur Zeit der Zeitwende mit dauerhaft angelegten, und dann auch bewachten Grenzlinien voneinander abgrenzten. Dieser Grenzwall oder diese Landwehr wären dann, nach heutigem Forschungsstand, die einzige derartige Abgrenzung die in Germanien zu der Zeit existierte. Sie würde nicht zur damaligen germanischen Territorialstruktur passen.

Ich meine, dazu von Timpe mal einen längeren Beitrag gelesen zu haben, in dem dieser weitere Beispiele für solche Grenzmarkierungen nennt.


Germanicus erkannte jedoch diesen Plan und ging gegen die Angrivarier am Wall und den verborgenen Germanen gleichermaßen vor und trieb sie, dem Fundspektrum nach, fächerartig vor sich her.

So, so. Die Römer haben also bei der Verfolgung der Germanen ihr Geld vergraben und verschüttet...

Ich möchte gerne den bestimmenden Tacitustext zur Schlacht am Angrivarierwall einfügen, damit hier jeder Vergleiche zum Schlachtfeld Kalkriese ziehen kann. Tac.AnnII/19:“Zuletzt suchten sie sich einen Kampfplatz aus, der vom Fluss und Wald umschlossen war und in dem sich eine schmale sumpfige Fläche befand.
Weder ist das Dammer Moor schmal, noch gibt es hier einen Fluss. Außerdem ist bei der von Dir zitierten Stelle von der Schlacht von Idistaviso die Rede, die an der Weser stattgefunden hat, die Germanen seien über die Weser geflohen, und schon bereit gewesen sich hinter die Elbe zurück zu ziehen, als sie doch noch mal am Angrivarierwall umkehrten. Sprich: der Angivarierwall ist zwischen Weser und Elbe zu suchen, vermutlich näher zur Weser hin, zumindest impliziert das Tacitus, wenn er als Grund für den erneut aufflammenden Kampfeswillen der Germanen die Errichtung eines Siegesmals beim Kampfplatz Idistaviso nennt.

Auch ist nach wie vor nicht erkennbar, wieso die Römer beim Angrivarierwall ihren Tross mitten ins Kampfgeschehen hätten schicken sollen.
 
... Was die Weserstelle aber nicht weniger rätselhaft macht. Was verschweigt Tacitus uns? Wieso ist Germanicus plötzlich an der Weser?!
Diese Textstelle irritiert mich eigentlich kaum. Tacitus schreibt das alles nur sehr "gerafft" - bis auf die Dinge, auf die es ihm wirklich ankommt (z.B. Parallelität der Kämpfe von Varus und Caecina). Noch deutlicher wird das bei der Beschreibung des Schlachtfelds. Beim ersten Lesen dachte ich, er beschreibt einen einzigen Ort - Lager groß genug für drei Legionen, aber Wälle zu niedrig und Gräben zu flach und dann direkt dabei die Haufen der Gefallenen. Erst nach und nach ist mir klar geworden, dass er bloß in einem Satz drei verschiedene Örtlichkeiten beschreibt.

Genauso ist das imho mit Ems und Weser. Tacitus schreibt, dass Germanicus die Offensive gestartet hat, weil sich die germanische Koalition wieder neu formierte und er den Feind präventiv zersplittern wollte, "damit nicht die ganze Wucht des Krieges auf einmal über ihn hereinbrechen sollte". Deshalb schickte er leichte Abteilungen gegen die Chatten und hetzte Caecina gegen die Brukterer, während er selbst sich mit der Flotte zu seinem Aufmarschpunkt gegen die Cherusker begab. Caecina zog nach seiner Brukterer-Mission zum Landepunkt der Flotte. Dieser Punkt dürfte demnach an der Ems gelegen haben. Von da aus zog das ganze Heer Richtung osten, führte in dem nicht näher definierten Operationsgebiet (das aber durchaus bis an die Weser gereicht haben kann) nicht näher beschriebene Kämpfe, schlug einen Bogen und kehrte zum "Treffpunkt" an der Ems zurück - und kam dabei in die Nähe des Varusschlachtfelds etc. So würde ich das lesen. Dafür spricht, dass sich die Heeresabteilungen danach wieder getrennt haben. Germanicus fuhr mit der Flotte zurück (die noch an der Landestelle gelegen haben dürfte) und Caecina ging zufuß. Tacitus verkürzt das nur, weil es für die Intention seines Berichts unerheblich ist.

MfG
 
Hallo El Quijote,
bitte selber jetzt mal „Butter bei die Fische“ was den Timpe und den germanischen Grenzwall angeht.

Ich lese den Tacitus so wie er geschrieben hat. Er kann aus meiner Perspektive so gewertet werden wie es dort geschrieben steht, Chronologisch erfassbar und in der Darstellung ohne irgendwelche übertriebenen Metaphern oder verschleiernden Topos. Für mich gibt es keine Diskrepanzen in seiner Erklärung die nicht in sich Schlüssig sein könnten. Tacitus war äußerst gut über Germanien, seine Bewohner und der Landschaft informiert. Er wusste wovon und worüber er schrieb. Er gibt seine Quellen sogar an. Weiterhin ist er in seiner Zeit nicht so weit vom Geschehen entfernt wie es scheinen mag. Ich kannte meinen Opa noch, der im ersten Weltkrieg gekämpft hat, und mein Vater hat mir Ereignisse aus seinen Kriegserlebnissen erzählt. Viel weiter war Tacitus auch nicht von den Feldzügen des Germanicus entfernt

Florus hingegen erzählt eine sehr zusammengeraffte und als Gleichnis angelegte Geschichte. Unzweifelhaft haben die Germanen auch die Römerlager auf der rechten Rheinseite angegriffen. Die Schlacht selbst muss sich auch nach Florus in Sümpfen und Wäldern zugetragen haben. Paterculus ist über jeden Zweifel erhaben was seine Beschreibungen angeht, denn er gilt als Zeitzeuge des Geschehens.

Ja, Ja. Wer sonst als die Römer kommen für die Hortfunde der Münzen in Frage. Und diese Römer konnten diese Münzen nur in einem Moment der Abgeschiedenheit vergraben, den es während der Varusschlacht sicher nicht gab. Da es fast ausschließlich nur römische Funde in Kalkriese gibt, muss man von der Tatsache ausgehen, dass auch die Germanen mit römischen Waffen und römischer Ausrüstung gekämpft haben, die sie vor allem in der Varusschlacht erbeutet hatten. So ist im Nachhinein nicht festzustellen, wer seine Ausrüstung verloren hat, Römer oder Germane. Es ist nur die fächerartige Fundstreuung festgestellt worden. Die Hunte fließt nur etwa 10 Kilometer von Kalkriese entfernt, und die Fundstreuung zielt in diese Richtung über mehrere Kilometer.

Dass sich die Beschreibung des Tacitus über die Schlacht am Angrivarierwall mit dem Ort in der Niewedder Senke deckt, ist schon ein schwerwiegendes Indiz für diese Theorie, und die Fundsituation widerspricht dieser Schlacht nicht in dem Maße wie hier behauptet wird. Tacitus schreibt von dem heftigen Kampf der an dem Wall stattgefunden haben soll, und das Ausgrabungsergebnis ergibt einen Wall der während einer heftigen Kampfsituation eingestürzt ist. Sollten die Römer die Germanen mit Pfeilen und Geschoßbolzen von dem Wall heruntergeschossen haben, dann konnten die Fehlschüsse nach der Schlacht wieder aufgelesen werden, denn sie steckten noch sichtbar im Boden.

Die Germanen waren nach der Schlacht von Idistaviso für die Römer besiegt und sie errichteten ein Siegesdenkmal aus den erbeuteten Waffen. Es war aus römischer Sichtweise alles erledigt was zu erledigen war. Also zogen sie zurück zur Ems als sie wiederum vom letzten Aufgebot der Germanen attackiert wurden.

Was Germanicus an der Weser wollte, möchte ich auch noch erklären. Germanicus wollte den Feldzug für das nächste Jahr planen und verschaffte sich an der Weser Ortskenntnis über die geographische Situation in diesem Gebiet, und wie er diese in seine zuküftige Schlachtstrategie einbauen könnte.


Gruß Maelo
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin zwar nicht der traurige Ritter, aber auf einiges kann ich auch antworten oder es klar stellen.

Ich lese den Tacitus so wie er geschrieben hat. Er kann aus meiner Perspektive so gewertet werden wie es dort geschrieben steht, Chronologisch erfassbar und in der Darstellung ohne irgendwelche übertriebenen Metaphern oder verschleiernden Topos. Für mich gibt es keine Diskrepanzen in seiner Erklärung die nicht in sich Schlüssig sein könnten.
Dann stehtst du mit dieser unkritischen Lesart allen Fachleuten gegenüber.
Beispiele: R. Nickel, Lexikon der antiken Literatur
Aber der Gegenstand des Tacitus ist größer: es geht ihm um die Beurteilung des Prinzipats als Staatsform (...). Es ist ein grundsätzliches Nein, das die Erkenntnis des Unvermeidlichen nur noch bitterer macht. Aber dieses Nein wird nicht ausgesprochen, der Leser soll es der Darstellung entnehmen. Tacitus drängt ihn dazu mit allen Mitteln indirekter Beeinflußung: Auswahl des Tatsachenmaterials, Gruppierung und Kontrastierung, vor allem aber durch jene Kunst der Andeutung in malam partem, deren unerreichbarer Meister er ist. (...) Uneinvorgenommen im Sinn historischer Objektivität konnte und wollte er nicht sein (...). Er schreibt als Stadtrömer und Senator (...).
Weiter ist auch das unmittelbare Ziel, das Tacitus als Geschichtsschreiber verfolgt, geeignet, die Geschehnisse tendenziell zu tönen (...).
A. Mehl fasst Tacitus' Arbeit in "Römische Geschichtsschreibung" zusammen:
Wie keine zweite Geschichtsdarstellung aus römischer Feder ist die des Tacitus mit Handlungsumschwüngen, Blindheit der Handelnden und weiteren genustypischen Eigenheiten Tragödie in Prosa. Wer in T.s Geschichtswerken vor allem oder gar ausschließlich nach historischer Wahrheit als Ergebnis nachvollziehbarer QUellenforschung sucht, der läßt sich auf ein nur bedingt lohnendes Unterfangen ein.
Tacitus war äußerst gut über Germanien, seine Bewohner und der Landschaft informiert. Er wusste wovon und worüber er schrieb. Er gibt seine Quellen sogar an.
Das jemand Quellen angibt, heißt nicht, dass er damit "gut" informiert ist, sondern lediglich sich informiert hat. Wenn ich, um bei modernern Beispiele zu bleiben, Galileo Mystery angebe, bin ich sicher informiert, aber gut ist etwas anderes.
Um konkret zu werden:

E. Norden sagt über die Germania des Tacitus, sie sei von völkerkundlichen "Wandermotiven" übersät.
Kißel schreibt: "Mit seiner Darstellung des einfachen und kraftvollen Naturvolkes, das er immer wieder der römischen Kulturnation gegenüberstellt, will Tacitus vielmehr die tiefgreifende Dekadenz der eigenen Gesellschaft entlarven (...)." und M.W. Schulz "Der Römer Tacitus beschreibt uns seine Germanen als Römer aus römischer Sicht. (...) Dazu gehören jede Menge von Barbarenklischees(...)."

Weiterhin ist er in seiner Zeit nicht so weit vom Geschehen entfernt wie es scheinen mag. Ich kannte meinen Opa noch, der im ersten Weltkrieg gekämpft hat, und mein Vater hat mir Ereignisse aus seinen Kriegserlebnissen erzählt. Viel weiter war Tacitus auch nicht von den Feldzügen des Germanicus entfernt
So konnte dein Großvater dir also sicherlich wertvolle und passende Details vom Bau der Bagdad Bahn oder vom Verlauf der Front in der Türkei berichten?
Davon mal abgesehen, dass auch deine direkten Ahnen dir keine Erlebnisse berichten konnten, die sie nicht selbst erlebt hatten ohne Verfälschungen einzubringen (die sog. 3. Hand, Hörensagen usw.), ist das 20. Jh. bereits mit einer Vielzahl von Informationsspeichern und -transportmitteln gesegnet, welche die Antike nicht kennt. Ob also in Germanien im Osten wirklich noch Germanenstämme in den Bäumen lebten, konnte der Berichtende dem Tacitus leider nicht mit Photographie nachweisen.
Die in die Bäume geschleuderten Leichen im Frontverlauf des 1. Weltkrieges finden wir dafür abgelichtet und bestätigt (wobei auch hier die Frage nach gestellten Bildern nicht zu verachten ist).

Florus hingegen erzählt eine sehr zusammengeraffte und als Gleichnis angelegte Geschichte. Unzweifelhaft haben die Germanen auch die Römerlager auf der rechten Rheinseite angegriffen. Die Schlacht selbst muss sich auch nach Florus in Sümpfen und Wäldern zugetragen haben. Paterculus ist über jeden Zweifel erhaben was seine Beschreibungen angeht, denn er gilt als Zeitzeuge des Geschehens.
SO unkritisch gegenüber antiken Quellen äußern sich wirklich Wenige. Ich spare mir hier exemplarische Zitate und verweise auf die Bewertung des Tacitus. Andere Autoren sind nicht identisch mit dessen Einschätzung, aber ähnlich kritisch sind sie trotzdem zu beleuchten.

Ja, Ja. Wer sonst als die Römer kommen für die Hortfunde der Münzen in Frage. Und diese Römer konnten diese Münzen nur in einem Moment der Abgeschiedenheit vergraben, den es während der Varusschlacht sicher nicht gab.
Das ist falsch. Egal nach welcher Darstellung man geht, immer wieder liest man von Pausen. Sei es der Selbstmord des Feldherren, sei es der Ausbruchsversuch der Kavallerie, die Flucht des Standartenträgers in den Sumpf, der Aufbau eines Lagers... Varus' Männer hatten nach den Darstellungen immer wieder Verschnaufpausen.
Davon abgesehen hätte ein permanentes Bedrängen ALLEN römischen Personals vor Ort eine wenigstens gleich große Zahl an Germanen gefordert, die pausenlos über einen längeren Zeitraum hinweg im Kampf geständen hätten. Die Vorstellung also, dass die Römer tagelang zu jedem Zeitpunkt in direktem visuellen Kontakt zu Germanen standen ist extrem klischeebehaftet und nicht realisierbar.

Da es fast ausschließlich nur römische Funde in Kalkriese gibt, muss man von der Tatsache ausgehen, dass auch die Germanen mit römischen Waffen und römischer Ausrüstung gekämpft haben, die sie vor allem in der Varusschlacht erbeutet hatten.
Das ist eine mögliche Erklärung, aber keineswegs die einzige. So wird von den Germanen gerne auch behauptet, dass sie wenig Eisen verarbeiteten in ihren Waffen. Bleibt vor allem vergängliches Material. Das erklärt die absolute Fundarmut nicht, diese wird aber auch nicht durch eine massive "Romanisierung" der Ausrüstung vollends aufgeklärt. Denn irgendetwas müßte sich trotzdem auftun lassen.

So ist im Nachhinein nicht festzustellen, wer seine Ausrüstung verloren hat, Römer oder Germane. Es ist nur die fächerartige Fundstreuung festgestellt worden. Die Hunte fließt nur etwa 10 Kilometer von Kalkriese entfernt, und die Fundstreuung zielt in diese Richtung über mehrere Kilometer.
Wären da nicht Gegenstände, die für Germanen, zumal für Germanen im Gefecht keinen Sinn machen oder eben eindeutig auf römische Besitzer hinweisen.
Von den "zivilen" Gegenständen über die Maultiere bis hin zu den Münzansammlungen.

Dass sich die Beschreibung des Tacitus über die Schlacht am Angrivarierwall mit dem Ort in der Niewedder Senke deckt, ist schon ein schwerwiegendes Indiz für diese Theorie, und die Fundsituation widerspricht dieser Schlacht nicht in dem Maße wie hier behauptet wird. Tacitus schreibt von dem heftigen Kampf der an dem Wall stattgefunden haben soll, und das Ausgrabungsergebnis ergibt einen Wall der während einer heftigen Kampfsituation eingestürzt ist. Sollten die Römer die Germanen mit Pfeilen und Geschoßbolzen von dem Wall heruntergeschossen haben, dann konnten die Fehlschüsse nach der Schlacht wieder aufgelesen werden, denn sie steckten noch sichtbar im Boden.
Bitte verdrehe es nicht wie du brauchst. Wenn du Tacitus geographische Beschreibungen 100 Jahre nach der Schlacht für detailliert und genau hälst (bitte schreibe doch mal die geographischen Schilderungen deines Großvaters über die Schlachten an denen er teilgenommen hat nieder) kannst du wohl kaum davon ausgehen, dass die Geschosse von Scorpionen, Ballisten, Manuballisten und Schleuderern "sichtbar" im Boden steckten. Die Belagerung von Masada brachte noch nach Jahren der Ausgrabung immer neue Geschosse zum Vorschein, und dabei handelte es sich um ein felsiges Plateau, welches nach der Eroberung beräumt worden war. Sollten die Römer am Wall wirklich die Artillerie eingesetzt haben wie es Tacitus beschreibt (und entweder glaubt man ihm nun wie du sagst alles oder man liest kritisch), dann müßte sich von diesem offensichtlich heftigen Beschuß auch eine Spur finden lassen. Dies ist nicht der Fall. Gerade an den Stellen, an denen der Wall einstürzte müßten sich Geschoßspuren finden, denn die "römische" Seite des Walles liegt ja unten, also die Seite, in denen Bolzen und Pfeile stecken müßten, im Erdreich unterhalb des Walles dürfte man Steingeschosse finden.
Das dies nicht der Fall ist, paßt nicht zur Beschreibung.
Fehlschüsse, die über das Ziel hinaus gingen und nach denen sicher nicht langwierig gesucht wurde, die also im "Berg" zu finden sein müßten, gibt es m.W. bislang ebenfalls nicht.
Warum die Römer ihr Geld dann noch vor der Schlacht veruddelt haben sollen und nach der Schlacht nicht wieder abholten konntest du bislang nicht an der Quelle und auch nicht in der Logik nachweisen.

Die Germanen waren nach der Schlacht von Idistaviso für die Römer besiegt und sie errichteten ein Siegesdenkmal aus den erbeuteten Waffen. Es war aus römischer Sichtweise alles erledigt was zu erledigen war. Also zogen sie zurück zur Ems als sie wiederum vom letzten Aufgebot der Germanen attackiert wurden.
Ob sie wirklich so dachten, oder ob Tacitus da mehr hineinliest als wirklich vorging ist eben wieder eine Frage der Quellenkritik. Das errichten von Siegesmonumenten nach einer gewonnen Schlacht deutet in der Antike nicht per se auf den Glauben eines "Gesamtsieges" hin. Tropaion nennt man so ein Denkmal, und ist Tradition seit den Kämpfen der Hopliten.
 
Jetzt bin ich aber überrascht. Und dann glaubt ihm jeder die geographischen Angaben ? Was, wenn sich alle Chronisten (bis auf Dio) auf eine Quelle berufen, die vielleicht fehlerbehaftet war ? Chronisten schreiben ja gerne voneinander ab. Dann ist vielleicht doch Dio der Glaubwürdigste ? Nur mal so als Bemerkung.
 
Hallo Tib. Gabinus, hallo Silli,

bevor ich missverstanden werde. Ich glaube dem Tacitus bei seiner Beschreibung der Germanicusfeldzüge, der Darstellung des chronologischen Ablaufes und seinen Ortsangaben. Über seine politischen und individuellen Ansichten gegenüber dem Tiberius als Kaiser und anderen Persönlichkeiten möchte und kann ich nicht urteilen. Mir geht es einzig darum, auch durch zu Hilfennahme der Quellen, den Ort der Varusschlacht zu lokalisieren. Dabei sind Paterculus als Zeitzeuge, und Tacitus etwa 90 Jahre später, wegen ihrer ausgezeichneten Kenntnis der germanischen Landschaft und ihrer Einwohner, die zuverlässigsten Gewährsmänner, zumal sich Tacitus aus den Senatsprotokollen, anderen Quellen, und nicht vollständig verblasstem Wissen über das Geschehen informieren konnte (Deswegen auch das Beispiel von meinem Opa).

Die Sache ist die: Strabo (Zeitzeuge) schreibt nicht speziell über die Varusschlacht, sondern sagt, dass Wälder und Sümpfe die Schwierigkeit darstellt Germanien zu erobern. Paterculus (Zeitzeuge) schreibt speziell zur Varusschlacht, dass die Varuslegionen eingeschlossen in Sümpfen und Wäldern ihr Schicksal erleiden. Tacitus schreibt etwa 90 bis 100 Jahre nach der Varusschlacht davon, dass Caecina über das sumpfige Gelände und den trügerischen Moorboden Brücken und Dämme anlegen musste, um das Schlachtfeld zu erreichen, und Florus schreibt etwa zeitgleich mit Tacitus von dem grausamen Gemetzel in den Sümpfen und Wäldern, und von dem Standartenführer der sich im blutigen Sumpf verbirgt.

Und dann schreibt erst weitere 100 Jahre später Cassius Dio seinen Bericht über die Varusschlacht. Das wäre so, um bei dem Beispiel mit meinem Opa zu bleiben, als wenn ich innerhalb meines Bekanntenkreises Erkundigungen über die Schlacht von Waterloo einholen wollte. Mir könnte keiner etwas erzählen von jemandem der einen kannte, der einen kannte.

Weiterhin schrieb Dio von seinem Alterssitz in Bithynien aus, also am Bosporus. Für ihn war das Germanien an einer ganz anderen Ecke der Welt, von dem er offensichtlich nur klischeehafte Vorstellungen hatte. Die Clades Variana Beschreibung von Cassius Dio gilt als die detaillierteste Darstellung, aber wenn man sich genauer betrachtet was er schreibt, dann erkennt man, dass er überhaupt nichts von den anderen Quellen übernimmt sondern seiner Phantasie freien Lauf lässt. Wie schon bemerkt, nicht eine Silbe über Sumpf oder Moor, obwohl dieser Umstand für andere Autoren schlachtentscheidend war. Nichts von Numonius Vala, der mit seinen Reitereinheiten zum Rhein desertierte. Nichts von den Lagerpräfekten Eggius und Ceionius, die ihre Lager einerseits tapfer verteidigten, und andererseits feige den Feind übergaben. Nichts von dem Kopf des Varus der nach Marborod gesandt wurde. Keine genauen Details, nur Klischees. Er schrieb so wie er sich Germanien vorstellte, andauernder Regen, übergroße Bäume, Berge und Schluchten, dazu noch ein dreitägiger Marsch mit einem unfähigen Heerführer und niederträchtigen Gegnern, zusätzlich noch andere widrige Umstände, und schon war sein Bericht der Varusschlacht fertig.

Diesem offensichtlich nicht wahrheitsgemäßen Varusschlachtbericht wurde in der Vergangenheit bei nahezu allen Lokalisierungsversuchen fast bedingungslos gefolgt, und ihm, gegenüber Tacitus und anderen Autoren, den Vorzug gegeben. Nur wegen Dio heißt der Osning heute Teutoburger Wald, nur wegen ihm steht dort ein Hermannsdenkmal. Würde man jedoch den Bericht des Dio bei einem Lokalisierungsversuch der Varusschlacht ausschließen, dann müsste der Ort der Varusschlacht, nach der verbliebenen Quellenlage, in der Nähe des Rheins, in einem ausgedehnten Sumpfgebiet stattgefunden haben.

Um nicht noch einmal missverstanden zu werden, ich lehne Cassius Dio nicht grundsätzlich als Geschichtsquelle ab, jedoch ist für mich speziell sein Bericht der Varusschlacht, an den Haaren herbeigezogen. Cassius Dio ist derjenige der in dieser Hinsicht die meiste Verwirrung gestiftet hat.

Gruß Maelo
 
Würde man jedoch den Bericht des Dio bei einem Lokalisierungsversuch der Varusschlacht ausschließen, dann müsste der Ort der Varusschlacht, nach der verbliebenen Quellenlage, in der Nähe des Rheins, in einem ausgedehnten Sumpfgebiet stattgefunden haben.

Warum ausgerechnet in der Nähe des Rheins? Gibts woanders keine Sümpfe?

Und Rheinnähe passt nicht zum Bericht des Tacitus, der doch davon spricht, dass Germanicus im Gebiet zwischen Ems und Lippe das Verlangen ereilte das nahe Schlachtfeld zu besuchen. Gebiete am Rhein können da doch nicht wirklich mit gemeint sein?
 
Nochmal Tib.

Hätte bei Kalkriese die Varusschlacht stattgefunden, dann hätten die Römer sicherlich gleichfalls versucht, die Germanen von dem Wall herunter zu schießen. Auch für dieses Szenario konnte bei Kalkriese kein Nachweis gefunden werden, obwohl die Römer ungezielter geschossen hätten, denn sie waren ja schließlich bedrängt. Nach Tacitus Beschreibung von der Schlacht am Angrivarierwall, zog Germanicus seine Einheiten ein wenig vom Wall weg, um dann gezielt die Germanen vom Wall herunter zu schießen. Die Schussdistanz wird sicherlich nicht weit gewesen sein, ich schätze mal 20-30 Meter. Auf dieser Entfernung schießt ein geübter Schütze nicht viele Meter vorbei.

Klar gab es Kampfpausen, aber ein Münzhort in relativer Nähe zum Wall, während der Varusschlacht angelegt scheint absolut unglaubhaft zu sein. Diese Münzhorte wurden entweder vor einer Schlacht, in einem unbeobachteten Augenblick angelegt, oder nach einer Schlacht, als das Schlachtfeld geplündert wurde. Niemals an diesen Orten während der Varusschlacht.

Sage mir bitte einen anderen schlüssigen Grund warum das Fundspektrum in Kalkriese nur römische Fundstücke beinhaltet. Sich damit herauszureden, dass die Germanen nur mit Holzwaffen gekämpft haben sollen, ist abwegig. Mindestens zwei der Toten in den Knochengruben hatten einen sauber gespalteten Schädel (In der derzeitigen Ausstellung zu besichtigen). Ich kann mir nicht vorstellen, dass man derartige Kerben mit einem Holzschwert oder mit einer Waffe aus minderwertigem Metall hinkriegt. In diesem Zusammenhang ist auch zu fragen ob diese Skelette aus diesen Knochengruben tatsächlich getötete Legionäre waren. Denn die hatten ja in der Regel einen Helm auf dem Kopf, der diese Verletzungen vermeiden sollte.

Gruß Maelo
 
bevor ich missverstanden werde. Ich glaube dem Tacitus bei seiner Beschreibung der Germanicusfeldzüge, der Darstellung des chronologischen Ablaufes und seinen Ortsangaben. Über seine politischen und individuellen Ansichten gegenüber dem Tiberius als Kaiser und anderen Persönlichkeiten möchte und kann ich nicht urteilen.
Ich habe dich nicht falsch verstanden, aber du hast nicht vollständig die Kritikpunkte zu Tacitus gelesen. Es ist eben nicht nur seine politische Einstellung die färbt.
Gerne noch einmal Mehls Fazit:
Wie keine zweite Geschichtsdarstellung aus römischer Feder ist die des Tacitus mit Handlungsumschwüngen, Blindheit der Handelnden und weiteren genustypischen Eigenheiten Tragödie in Prosa. Wer in T.s Geschichtswerken vor allem oder gar ausschließlich nach historischer Wahrheit als Ergebnis nachvollziehbarer QUellenforschung sucht, der läßt sich auf ein nur bedingt lohnendes Unterfangen ein.
Die wichtigsten Passagen in dieser wichtigen Passage habe ich nochmal hervorgehoben.
Tacitus war, soweit wir wissen, niemals in Germanien. Die Schilderungen der Varusschlacht in seiner Zeit sind bestenfalls in Berichten im, zu diesem Zeitpunkt sicher mehr als einmal beschädigten und bereinigten Archiv des Kaisers zu finden, zu dem er aufgrund seiner Kaiserkritischen Haltung sicher auch keinen unbegrenzten Zugang hatte.
Dafür:
Nahezu jeder römische Schriftsteller benutzt Elemente der schönen Literatur, darunter Topoi. Und zu den Barbarenklischees gehört nunmal auch die Schilderung ihrer feindlichen Lebensumwelt.
Das kann man nicht einfach beiseite wischen wenn es einem paßt, nur um es dann an anderer Stelle wieder zuzulassen.



Mir geht es einzig darum, auch durch zu Hilfennahme der Quellen, den Ort der Varusschlacht zu lokalisieren.
Die historische Forschung hat sich knapp 200 Jahre nach dieser Methode damit auseinandergesetzt und damit nur eine unglaublich große Zahl an Varusschlachtfeldern produziert. Ich denke nicht, dass es mit anderen Schlachtfeldern die weit weniger Funde versprechen besser funktioniert.

Dabei sind Paterculus als Zeitzeuge, und Tacitus etwa 90 Jahre später, wegen ihrer ausgezeichneten Kenntnis der germanischen Landschaft und ihrer Einwohner, die zuverlässigsten Gewährsmänner, zumal sich Tacitus aus den Senatsprotokollen, anderen Quellen, und nicht vollständig verblasstem Wissen über das Geschehen informieren konnte (Deswegen auch das Beispiel von meinem Opa).
Das ist idealisiertes Wunschdenken. Wenn sich derlei Wissen derart massiv halten würde, hätte die Situation bereits zur Varusschlachtzeit anders ausgesehen, da die Niederlagen gegen Kimbern und Teutonen, die große Bedrohung durch Ariovist, die Lolliusniederlage und nicht zuletzt Marbods aufstreben wesentlich leuchtendere Beispiele in der Außenpolitik gewesen wären.
Paterculus (Zeitzeuge) schreibt speziell zur Varusschlacht, dass die Varuslegionen eingeschlossen in Sümpfen und Wäldern ihr Schicksal erleiden
Tja, und schaut man sich den Ort an, so ist zumindest ein guter Teil dieser möglichen Teilstrecke der Varusschlacht Sumpf.

Was deine Einwände gegen Cassius Dio angeht kann ich dir und will ich dir nicht widersprechen. Wie gesagt ist Quellenkritik bei allen Quellen auch einzusetzen. Daraus folgt i.d.R. dass man geographischen Detailbeschreibungen nicht unbedingten Glauben schenken sollte.

Weiterhin schrieb Dio von seinem Alterssitz in Bithynien aus, also am Bosporus. Für ihn war das Germanien an einer ganz anderen Ecke der Welt, von dem er offensichtlich nur klischeehafte Vorstellungen hatte.
Kein Einwand, nur gilt das eben auch für den guten Tacitus. Zwar ist Rom keine asiatische Provinz, aber immer noch weit genug entfernt von den "Sümpfen und Wäldern" Germaniens, um eine verklärte Vision dieses Landes zu haben.

Um nicht noch einmal missverstanden zu werden, ich lehne Cassius Dio nicht grundsätzlich als Geschichtsquelle ab, jedoch ist für mich speziell sein Bericht der Varusschlacht, an den Haaren herbeigezogen. Cassius Dio ist derjenige der in dieser Hinsicht die meiste Verwirrung gestiftet hat.
Ich verstehe dich nicht falsch, ich empfinde nur deine kritische Sicht auf Cassius Dio in Relation zu deiner unkritischen Sicht auf die übrigen Autoren als unangebracht.

Hätte bei Kalkriese die Varusschlacht stattgefunden, dann hätten die Römer sicherlich gleichfalls versucht, die Germanen von dem Wall herunter zu schießen.
Dabei gehst du davon aus, dass sie das Gerät, Personal, Zeit, Koordination und die Möglichkeit hatten dieses zu tun. Auch findet sich in den Quellen davon kein Wort.
Der Feldeinsatz von Artillerie ist und bleibt besonders, auch beim Angrivarierwall ist er NICHT das Mittel erster Wahl sondern der Wahl der Besinnung nachdem ein wohlgeordnetes und gehorchendes Heer von den Wallverteidigern abgewiesen wurde. Der Szenarioentwurf aus Kalkriese gibt keines dieser notwendigen Elemente her.
Es ist somit wieder eine wunschgemäßige Unterstellung, oder sagen wir deiner eigenen Logik folgende Behauptung.

Auch für dieses Szenario konnte bei Kalkriese kein Nachweis gefunden werden, obwohl die Römer ungezielter geschossen hätten, denn sie waren ja schließlich bedrängt.
Merkst du nicht, wie du es dir zurecht legst? Sie sind also nicht zu bedrängt, um überhaupt mit der Heranführung und Aufstellung der Geschütze zu beginnen, aber um zu Zielen reicht es dann nicht mehr?

Nach Tacitus Beschreibung von der Schlacht am Angrivarierwall, zog Germanicus seine Einheiten ein wenig vom Wall weg, um dann gezielt die Germanen vom Wall herunter zu schießen. Die Schussdistanz wird sicherlich nicht weit gewesen sein, ich schätze mal 20-30 Meter. Auf dieser Entfernung schießt ein geübter Schütze nicht viele Meter vorbei.
Wir hatten genug Diskussionen um die Reichweite römischer Artillerie. Allein der Beschuß von Masada auf STEINMAUERN macht deutlich, dass du extrem untertreibst.

Klar gab es Kampfpausen, aber ein Münzhort in relativer Nähe zum Wall, während der Varusschlacht angelegt scheint absolut unglaubhaft zu sein. Diese Münzhorte wurden entweder vor einer Schlacht, in einem unbeobachteten Augenblick angelegt, oder nach einer Schlacht, als das Schlachtfeld geplündert wurde. Niemals an diesen Orten während der Varusschlacht.
Verstehe, Soldaten in höchster Bedrängnis werden also nicht in einem möglichen Chaos oder einer Verschnaufpause zwischen Hetzjagden ihr Hab und Gut verbergen oder dem Zugriff der Feinde entziehen, aber erfolgreiche römische Soldaten vergraben ihr Geld direkt vor dem Wall des Feindes während des Angriffes oder nach dem Sieg...

Sage mir bitte einen anderen schlüssigen Grund warum das Fundspektrum in Kalkriese nur römische Fundstücke beinhaltet.
Warum sollte ich das? In keinem Szenario, ob Varus, Caecina oder Germanicus macht der Mangel einen Sinn, das habe ich bereits mehrfach betont. Es bleibt ein Rätsel.

Sich damit herauszureden, dass die Germanen nur mit Holzwaffen gekämpft haben sollen, ist abwegig.
Wieso herausreden? Und ich habe auch nicht von Holzwaffen gesprochen, sondern sagte:
So wird von den Germanen gerne auch behauptet, dass sie wenig Eisen verarbeiteten in ihren Waffen. Bleibt vor allem vergängliches Material.
Mindestens zwei der Toten in den Knochengruben hatten einen sauber gespalteten Schädel (In der derzeitigen Ausstellung zu besichtigen). Ich kann mir nicht vorstellen, dass man derartige Kerben mit einem Holzschwert oder mit einer Waffe aus minderwertigem Metall hinkriegt.
Bitte keine Polemik. Ich habe zu keinem Zeitpunkt diese Behauptung aufgestellt noch sprach ich explizit von "Holzschwertern". Welche Waffe diese Spaltung verursacht hat, läßt sich vielleicht den Fundberichten entnehmen. Falls nicht, so läßt sich, unabhängig vom übrigen Fundbild eine ganze Reihe von Szenarien entwerfen, die uns alle nicht weiter führen als zu weiteren Spekulationen über den Verbleib germanischer Waffen.


In diesem Zusammenhang ist auch zu fragen ob diese Skelette aus diesen Knochengruben tatsächlich getötete Legionäre waren. Denn die hatten ja in der Regel einen Helm auf dem Kopf, der diese Verletzungen vermeiden sollte.
Wenn sie die Helme nicht bereits abgenommen hatten. Freiwillig oder unter Zwang. Und wie gesagt, bislang spricht auch genug dafür, das selbst vom Troß noch Personen vor Ort waren...
Diese Nebenkriegsschauplätze führen also alle ins Nichts.
 
@ Tib. Gabinius

Plinius der Ältere war 38 Jahre nach der Varusschlacht in Germanien stationiert. Er hat gegen die Germanen selbst gekämpft. Später hat er über die Kriege in Germanien die bella Germaniae geschrieben, die 20 Bücher umfasste.
Tacitus war ein Freund von Plinius des Jüngeren. Es würde mich jetzt sehr wundern, wenn Tacitus über diese Beziehung nicht das Werk von Plinius d. Ä. gelesen hätte. Zumindest hat er weitere Werke des älteren Plinius studiert. Hätte Tacitus nun wissentlich Unwahrheiten geschrieben, wäre dies zumindest seinem Freund aufgefallen.
Auch ist für mich nicht nachvollziehbar:
- warum das Senats-bzw. Militärarchiv hinsichtlich der spätaugustäischen bzw. der frühtiberischen Zeit hätte gesäubert werden sollen
- warum ein Konsul sowie späterer Prokonsul keinen Einblick hätte erhalten sollen.

Tacitus hat die Provinz Asia als Statthalter verwaltet. Das war die vornehmste Provinz, mit deren Verwaltung man als Prokonsul betraut werden konnte. Würde ein Imperator einem Mann solch ein wichtiges Amt anvertrauen, ihm aber den Studium von 90 Jahre alte Akten verweigern?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich freue mich, dass du dich mit der Biographie des Tacitus wie des Plinius beschäftigt hast.
Direkt daneben befindet sich i.d.R. ein Absatz, der sich zu den Werken der jeweiligen Personen äußert. Einige Auszüge die eine Einschätzung zu Tacitus Ansichten und Haltung geben, habe ich in den oben stehenden Texten zitiert. Diese machen durchaus klar, warum der Kaiser Trajan auch in den Retundanten-Prozessen Tacitus zu schätzen wußte, was aber keineswegs gleich bedeuten muß, dass man ihm grenzenloses Vertrauen schenkte oder sich nicht der Haltung des Tacitus zum Kaisertum bewußt war.
Tacitus selbst ist es übrigens, der einen höchsten Grad an Geheimhaltung vom Staat und vom Kaiser fordert. (ann 1,6
Weitere Beispiele:
Augustus habe Volk, Soldaten und Senatoren korrumpiert und seiner Alleinherrschaft allgemeine Akzeptanz verschafft.

In einem bis dahin in der Geschichtsschreibung noch nicht gekannten Ausmaß unterwirft Tacitus Personen und Handlungen moralischen Maßstäben(...).

Mehl kommt zum Schluß, dass Tacitus sein Werk über die Zeit Nervas und Trajans daher zwei mal verschob, da er sich bewußt wurde, dass die "Freiheit" unter diesen Kaisern lediglich eine "Schöhnheitsreparatur" der alten Zustände war.
Deutliches Indiz dafür ist u.a. die intensive Beschäftigung mit den Fehlern der früheren Kaiser. Keiner, weder Augustus, noch Tiberius noch der Tacitus scheinbar halbwegs zugetane Domitian kamen ohne fett davon. Das ist mit Sicherheit Trajan nicht entgangen.
Was den Informationsgehalt der kaiserlichen Nähe angeht kommt Mehl zum treffenden Schluß:
"Wenn Tacitus für sein Wissen über das RR von der neuen Lage profitierte, dann (...) durch seine sich daraus ergebende Teilhabe am Informationsfluß innerhalb des engsten Machtzirkels. Das betraf erstens fast nur die Gegenwart und die nächste Zukunft und war zweitens als Bestandteil monarchischen Regierens im Prinzip gerade nicht neu und daher nicht anders als zu Domitians Zeiten auch schon. Für die Vergangenheit hätte Tacitus nur aus dem Zugang zu den Archiven Vorteil ziehen können; das aber war und ist in Meinungsfreiheit nun wahrlich nicht inbegriffen, abgesehen davon, daß Archivarbeit - im Gegensatz zum Aufstöbern entlegener Literatur für einen Exkurs - in der Antike nicht als eine konsequent zu verfolgende Aufgabe des Geschichtsschreibers angesehen worden ist.

Tacitus selbst spricht in dem Zusammenhang über die fehlende Information zu Beginn seiner Historien, inscitia rei publicae, die für ihn durch die Taten des Augustus einsetzen und die er selbst nicht für beendet erklärt, auch nicht zu "seinen" Zeiten.

Was nun die Archive angeht, so wissen wir von wenigstens einem wenn nicht mehreren großen Bränden in der Stadt Rom, die zumindest auch einen Teil des Archivs in Mitleidenschaft gezogen haben. Auch darauf wollte ich hinaus, auch wenn du dich nur auf die "Reinigung" stürzt. Was diese angeht, so wäre es nicht wenig verwunderlich, wenn die Kaiser und ihre direkten Nachfolger bemüht gewesen sind, bestimmte Dinge aus den Archiven raus zu halten. Tacitus selbst schildert immer wieder Fälle und Vorgänge, die Kaiser bemüht sind, geheim zu halten und darum auch vor verschiedensten Aktionen nicht zurückschrecken.
So bspw. im Fall der Ermordnung des Agrippa Postumus, Tac. Ann. 1,6.
Warum also sollten sie also verfälschen, säubern, verschließen? Weil allgemeine Informationsfreiheit kein verbrieftes recht war und auch nicht wurde, schon gar nicht nach den claudisch-iulischen Kaisern. Wie gesagt, das ist Tacitus bewußt (s.o.). Weil die Informationen im Archiv z.T. sicher auch sensible Informationen enthielten, welche die eigene Thronfolge betrafen. Weil der Kaiser schlicht nicht jedem Zugang gab und weil schlicht nicht jeder antike Autor es als nötig erachtete, für jedes Thema die Archive zu durchwühlen.

Zum Schluß noch einmal zu Plinius d.Ä.
Ich gehe davon aus, dass Tacitus dessen Arbeiten kannte, genauso wie manch anderes Werk. Wie ich in den vorhergehenden Postings bereits ausführte und gerne wiederhole spielt dies bei der Darstellung Germanien und der Germanen in Tacitus Werk aber keine Rolle. Diese sind nunmal angefüllt mit Klischees über die Barbaren, greifen auch die wildesten Geschichten aus und verfolgen nicht das Ziel eine möglichst wahrhaftige Nacherzählung anderer Berichte zu bieten, sondern die moralistischen Ziele des Tacitus zu erfüllen. Das dabei die Germanen faule aber kampflustige Wilde in lebensfeindlichem Land werden wird als Kontrast zum freundlichen und zivilisierten Rom gerne aufgebaut und aufgebauscht. Das sich dieses Bild in den Historien und Annalen mit dem politischen Zielen verbindet führt zu einem vielleicht weniger deutlichen, aber weiterhin präsenten Merkmal literarischen Schaffens. Das meinte eben oben angeführtes Zitat um die "Tragödie" des Tacitus.

Eine persönliche Anmerkung: ich diskutiere gerne über Prospopgraphie, möchte aber bitten, dann auch die Einführungen und Standartwerke zu den jeweiligen Personen wenigstens zu beachten. Das abtippen aus Standartwerken werde ich jetzt wieder etwas einschränken (schon allein wegen des Copyright).
 
Tib. Gabinius schrieb:
Was nun die Archive angeht, so wissen wir von wenigstens einem wenn nicht mehreren großen Bränden in der Stadt Rom, die zumindest auch einen Teil des Archivs in Mitleidenschaft gezogen haben. Auch darauf wollte ich hinaus, auch wenn du dich nur auf die "Reinigung" stürzt.
Korrekt, den Verlust von Archivmaterial durch Katastrophen habe ich übersehen.

Natürlich hatte Tacitus mit seiner "Germania" bestimmte Ansichten verfolgt. Das ist ja auch unstrittig. Nur haben wir im Werbezeitalter ganz passabel gelernt, Manipulation und apellative Elemente weitgehend auszublenden und können die freiwillig oder unfreiwillig gelieferten Fakten heraus filtern. Seine Werke sind von Generationen von Lateinschülern und Historikern seziert worden und jedes Wort auf der Goldwaage gewogen. Wir sind ja nicht Schliemann und benutzen die Germania wie den Baedeker.

Ansonsten Danke für die Infos - und wieder was gelernt (wäre mir auch ein grüner Stern wert gewesen, wenn ich nicht schon vor kurzem entsprechend bewertet hätte)
:)
 
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