Was ist Wahrheit? (Pontius Pilatus)
AVE - Ich bin neu hier, da ich gerade erst für einige Zeit aus dem Geisterreich auf die Erde zurückgekehrt bin. Daher muß ich mich erst eingewöhnen; besonders diese neuartigen Schreib- und Rechentafeln machen mir noch gewisse Schwierigkeiten, beim Mercurius!
:engel:
Und um es gleich zu sagen: Ich glaube nicht an Kalkriese! Soweit ich mich noch erinnern kann nach zweitausend Jahren bin ich nämlich woanders gefallen damals, - und ich habe schließlich unter Varus gedient!
Mein Bruder hat einen Gedenkstein für mich machen lassen, war sicher ziemlich teuer, und da steht völlig richtig: Gefallen im Krieg (bellum) des Varus! Und eben nicht: ...in der Schlacht (clades) des Varus!
Wie ich mit Bedauern feststellen mußte, gibt es immer noch Kriege und Schlachten. Aber ich kann euch dadurch etwas beispielhaft erklären: Woran würdet ihr denken, wenn ihr lesen würdet:
"Gefallen in Napoleons Schlacht!?" Ich vermute: "Hmmm, - wird wohl Waterloo gemeint sein, vielleicht auch Austerlitz oder so?"
Und wie sähe es aus bei: "Gefallen in Napoleons K r i e g!? Ich nehme an, ungefähr so: "Wird wohl der Rußlandfeldzug gemeint sein; oder sonst, naja, irgendwo irgendwann eben, der Napoleon hat ja ziemlich lange in ganz Europa Krieg geführt!"
Das ist schon ein Unterschied, nicht wahr? Auch wenn Varus kein Kaiser, sondern nur Statthalter und General war und nicht in ganz Europa sondern nur in Germanien Krieg führte.
Mein Bruderherz war übrigens auch Soldat, in Vetera, deswegen wurde der Stein ja dort aufgestellt, und nicht bei uns zu Hause in Italia. Er wußte was passiert war, und Latein konnte er auch, er kannte den Unterschied zwischen bellum und clades! Ergo ließ er auf den Stein schreiben, was er wußte: daß Varus nämlich einen Krieg in Germanien geführt hat! Einen Krieg wohlgemerkt, - nicht nur eine einzelne Schlacht!
So ein Krieg dauert immer eine gewisse Zeit, und meistens gibt es dabei mehrere Kämpfe, bzw. Schlachten. Mein Bruder wußte aber nicht, in welcher und wo ich den Tod fand, sonst hätte er gewiß schreiben lassen: in der Schlacht, und höchstwahrscheinlich auch in welcher, bzw. wo die stattfand!
Sagt selber, was ist plausibler: daß ein großes Heer, drei Legionen, 3/5 der gesamten Besatzungsmacht rechts des Rheins, in einem längeren Krieg aufgerieben wird, - oder in einer einzigen Schlacht?
Und noch ein letztes dazu: hätte es tatsächlich nur solch eine einzige "Varusschlacht" gegeben, - dann hätte mein Bruder, wie alle Soldaten in Vetera das natürlich gewußt. Was wiederum erst recht ein Grund gewesen wäre, Schlacht schreiben zu lassen, und nicht Krieg!
Einige werden mich nun hämisch fragen wollen, warum denn dann die römischen Autoren allesamt, wenn auch in unterschiedlichen Versionen von nur einer Schlacht schrieben? Wobei einer, Cassisu Dio - übrigens der Einzige der unmißverständlich die von topoi nur so triefende Gruselgeschichte vom tagelangen Untergang im düsteren Wald kolportierte -, zugleich recht deutlich mit dem Zaunpfahl winkte: daß er nämlich seinen Quellen aus den Senatsarchiven keineswegs traute. Mit anderen Worten, er schrieb, woran er selber nicht wirklich glaubte!
In den üblichen "Textquellen zur Varusschlacht" etc. wird das regelmäßig unterschlagen, und auch der große Mommsen, für den Dio der einzig wahre Jacob war, ja der alle anderen Autoren völlig ignorierte und sogar gehässig schmähte, schwieg darüber vornehm!
Gut, es steht nicht direkt auf derselben Seite, dennoch halte ich es für unseriös, besonders Laien so die Bildung eines eigenen Urteils zu erschweren. Im Prinzip handelt es sich um Manipulation, und unter Wissenschaft verstehe ich etwas anderes!
Aber zurück zum warum. Ich will es euch sagen: dem göttlichen Augustus in Rom paßte etwas nicht an diesem verlorenen Krieg. Von wegen "Ganz Germanien habe ich befriedet!" etc. etc. Er stand quasi als Großmaul da, er der Gott (ein schöner Gott war der)! Und Leute die immer noch innerlich Republikaner waren und sich heimlich drüber ins Fäustchen lachten dürfte es in Rom derer noch viele gegeben haben!
:gathering:
An der Tatsache selbst war nun leider nichts mehr zu verheimlichen, zu Viele wußten davon, Varus war nunmal tot und seine Legionen gab´s auch nicht mehr. Aber wenigstens konnte man das Ganze etwas abmildern. Mit einer Propagandageschichte: Ungunst der Götter, böse germanische Hinterlist, mieses Wetter, matschige Wälder, triefnasse Schilde (Blödsinn, als hätten wir damals bei Regen jedesmal die Schlacht abgeblasen, die Dinger waren aus in heißem Öl getränkten Hartholz, mit Leder bezogen und immer schön eingefettet, die konnte man tagelang ins Wasser legen ohne daß was passierte).
Und natürlich noch ein naiver unfähiger General! Hauptsächlich der war schuld. Augustus konnte schließlich nicht wissen, daß der solch eine Niete sein würde, - bei den Referenzen?
So sieht´s schon besser aus, einfach nur Pech das Ganze! Und, wonach klingt das höchst verdächtig? Na klar, - nach dummer Ausrede natürlich!
Und genau d i e hatten die Hofschreiber im Archiv gefälligst aktenkundig zu machen. Für die Nachwelt, - also auch für euch! Cassius Dio ahnte das auch, als er in den Akten blätterte, siehe oben. Womöglich wußte er es sogar ganz genau. Ich gehe ferner davon aus, daß auch Paterculus, an sich eine ehrliche Soldatenhaut, bereits dazu verdonnert wurde im Sinne des Princeps zu schreiben, wenn ihm seine weitere Karriere und sein Leben lieb waren.
Erlaubt mir zum Schluß noch ein Beispiel aus eurer Zeit, ungefähr jedenfalls, aus dem hoffentlich letzten Krieg der Germanen unter dem letzten Imperator Athaulf Itlerius.
Wenn Jener doch noch irgendwie mit einem blauen Auge aus seinem Krieg herausgekommen wäre; etwa durch einen Sonderfrieden im Westen, Stalinius Legionen gerade noch an der germanischen Grenze gestoppt. Was hätte dann wohl in den Archiven über den verlorenen Rußlandfeldzug gestanden? Die Wahrheit, eine wie schon von Napoleon nicht zu besiegende russische Armee?
Sicher nicht, wohl eher so etwas: Verhängnis, hinterlistige russische Falle, Stalingrad als Wendepunkt, die feigen rumänischen und italischen Auxiliares sind einfach weggelaufen, der unfähige General Paulus, der russische Winter. Sonst hätte der größte Feldherr aller Zeiten natürlich gewonnen! Genau wie Augustus.
:motz:
Ein allerletztes Wort noch zu Kalkriese, ich werde später noch mehr drüber scheiben. Wer immer dort und wann gegeneinander kämpfte, vielleicht sogar Römer gegen Römer, ein Blick auf die Karten mit den eingezeichneten Fundstellen sagt mir als erfahrener römischer Soldat: verloren haben dort die hinter den Erdwällen!
:fechtduell:
Und einmal angenommen, die Bücher des Cassius wären bis heute verschollen und keiner hätte sie gelesen. Dann würden auch die Herrschaften dort ihre Funde gänzlich anders interpretieren, dessen bin ich so sicher wie einst Sokrates seiner Sache vor den Athenern.