Lise Meitner und das Loch im „Fass“
.
.. die Wandung desselben war schon sehr dünn geworden, was wir in der Rückschau besser wissen als die Akteure am Jahreswechsel 1938 auf 1939.
Denn diese zeigten sich überrascht als sie unerwartet ein kleines Loch in das Innere bohrten.
Als Zurückblickender ist man ebenfalls überrascht wenn man sich den Versuchsaufbau anschaut, mit dem das Kernspaltungsexperiment durchgeführt wurde.
http://www.deutsches-museum.de/sammlungen/meisterwerke/meisterwerke-i/kernspaltungstisch/
Schaut aus, man kann es kaum anders sagen, wie eine Art Bastel-Tisch, und ich würd mal sagen; in gewisser Weise war er das auch.
Das eigentliche Ding ist der kreisrunde 'Gugelhupf' aus Paraffin und Kernbereich rechts oben.
Der Rest ist Peripherie (auch interessant).
http://www.deutsches-museum.de/file.../020_Meisterwerke/010_I/Hahn-Tisch_Skizze.jpg
Im 'Gugelhupf' selbst ist ein Neutronenstrahler platziert.
Sechs Jahre vorher gelang Chadwick mit einer entsprechenden Anordnung von Alphastrahler und Beryllium das Neutron nachzuweisen.
Dieses war bereits prognostiziert. Denn ohne Neutronen sollten die, all bereits bekannten, Protonen der Atomkerne auseinanderstreben.
Das geladene Proton, lässt sich damals bereits nicht nur nachweisen sondern auch messen. Und man versteht wohl auch, dass solche Teilchen schwerlich in einen Atomkern eindringen und diesen gezielt so verändern können, dass er etwas von seinem Geheimnis preisgibt.
Was aber wenn man den Atomkern mit elektrisch neutralen, jedoch Masse behafteten Teilchen beschösse und denselben dergestalt auch treffen und dergestalt also Isotopen, oder gar andere Elemente hervorbringen könnte?
Das Thema ist spannend; in Fachkreisen.
Die Erörterung hat ein langes Vorfeld und ist fachübergreifend. Der Physiker braucht den Chemiker und umgekehrt. Ein solches Gespann entsteht aus der Beziehung Otto Hahn und Lise Meitner.
Die Tochter einer jüdischen Familie in Wien ist hochintelligent und tiefgreifend fasziniert vom Wesen der Physik und überwindet mit bewundernswerter Ausdauer, und auch der Hilfe des Vaters, die zunächst größte Hürde der Zeit: die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts.
Bereits mit 14 hat sie in Wien die, für Mädchen, maximal mögliche Schulzeit, beendet (1892).[1]
Nun, sie wird dennoch, auch mit bewundernswerter Unterstützung ihrer Eltern, ihren Weg gehen, und wird sich wohl auch des Vorbilds von Marie Curie bewusst gewesen sein.
1907 kommt sie nach Berlin, mit einem relativ frisch gebackenen Doktor der Physik (1905),
als zweite Frau überhaupt, der Uni Wien. (Zu der Zeit treibt sich in dieser Stadt ein verlotterter „Künstler“ herum,[2] der später nach ihrem Leben trachten wird.)
Schaut man sich an wer dabei ihre, notgedrungen männlichen, Unterstützer waren, dann findet man nicht nur so große Namen wie Planck und Boltzmann, sondern auch deren tief sitzenden Vorbehalte gegen Frauen. Also die Lise muss auch in Berlin erst mal unentgeltlich schuften und das neugegründete Labor Hahns durch den Hintereingang betreten.
(Dieses ist übrigens eine ehemalige Holzwerkstatt[3], und vielleicht hat das auch ein wenig die Gestalt des berühmten „Hahn-Tisches“ zu tun, der vielleicht besser Straßmann-Meitner-Hahn-Tisch hieße).
Als sie Juli 1938 überstürzt vor dem Wiener Streuner aus Linz, ihr Leben über die Niederlande nach Schweden retten muss, gibt ihr Hahn einen Diamantring seiner verstorbenen Mutter mit auf den Weg, damit sie Grenzposten bestechen könne.
Holländische Physiker-Kollegen helfen ihr.
[4]
Lise Meitner ist zu dieser Zeit insgesamt mit der internationalen Avantgarde ihrer personell überschaubaren Kunst vernetzt.
Über Holland und Dänemark geht es nach Schweden, dort gibt es einen kleinen, jedoch entwürdigenden, Job, aber auch Verwandtschaft.
Der Hahn vermisst sie. Die beiden schreiben einander viel und diskutieren Rätsel der Kernphysik.
Am 19. Dezember 1938 schreibt er an die „Liebe Lise“, dass Straßmann unermüdlich an „Urankörpern“ forsche, und er selbst dies auch tue, soweit er dazu komme. [5]
Es habe sich nun ein sehr überraschende Resultat gezeigt „und vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen“. Der berühmte Satz im Brief.
Weihnachten geht die Lise Meitner mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch spazieren, durch die Schneelandschaft Schwedens.
Man hat sich zu Weihnachten bei der Verwandtschaft getroffen.
Frisch ist ebenfalls Kernphysiker und mittlerweile nach Dänemark geflüchtet.
(Er ist bei Niels Bohr untergekommen, erste Adresse der Zeit.)
Am 29. Dezember schreibt Lise Meitner an Hahn:
„Liebster Otto! … Otto R. [Robert] und ich haben uns sehr die Köpfe zerbrochen.“
Im Januar 1939 werden beide, Tante und Neffe, eine Theorie der Kernspaltung veröffentlichen.
Fast unbemerkt, im Wirbel einer schrecklichen Zeit, bohrt sich eine Fistel durch die Wand des Fasses.
Lise Meitner wird Ansinnen zurückweisen, an der militärischen Nutzung der Kernspaltung mitzuwirken.
[1]
http://terzadecade.it/download/lise_meitner_-_microfisica_inquieta/04 - Ruth Lewin Sime - Lise Meitner A life in Physics (1996).pdf PDF-Seite 9
[2] Brigitte Hamann – Hitlers Wien
[3] Sexl, Hardy - Lise Meitner - S. 43
[4]
http://bnrc.berkeley.edu/Famous-Women-in-Physical-Sciences-and-Engineering/lise-meitner.html
[5] Sexl, Hardy - Lise Meitner – S. 89