Ideologie, Fred Singer, und der „brownlash“*.
Keine Angst, das wird nicht tagespolitisch, auch wenn es natürlich letztlich, wie Geschichte halt so ist, an die Gegenwart heranreicht. Und nahe an dieser will ich anfangen.
2010 hält
Fred Singer, nunmehr hochbetagt, einen Vortrag im
Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages.
Dies im Rahmen einer FDP-Veranstaltung. [4]
Er legt dar, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gäbe, und wenn doch, so sei dieser eher nützlich. Eeine Bekämpfung des vorgeblichen Klimawandels schade der Wirtschaft und brächte keinen Nutzen.
Das führt zu einer Anfrage des Bundestags an die Bundesregierung.
Diese erklärt die Ansichten des Herrn Singer als irrelevant für die Entscheidungsfindung.[5]
Aber wer ist dieser Mensch, und warum ist er so besonders interessant und herausragend im Sinne des brownlash?
Er tritt ja im Themenzusammenhang permanent auf. Und bemerkenswerter Weise nicht nur hier.
Ob Tabakkonsum, Ozonloch, sauerer Regen, nuklearer Winter oder Anthropozän, stets vertritt er eine krasse Minderheitenansicht gegenüber dem Stand wissenschaftlicher Erkenntnis, sofern diese die Notwendigkeit der Einschränkung menschlichen Verhaltens hervorhebt.
Seit fast 40 Jahren mit großem publizistischen Erfolg und in teilweise hohen Ämtern.
1995 schreibt er einen Artikel für die Washington Post in dem er Folgendes postuliert:
„Die Atmosphäre erwärmt sich nicht – noch hat sie sich in den letzten 16 [sic] Jahren jemals erwärmt, in denen wir erstmals genaue Daten von Wettersatelliten gewannen.“
– Übersetzung durch mich.
Das ist natürlich komprimierte Irreführung.
Denn der Zeitraum von 16 Jahren ist deutlich zu kurz für Betrachtungen der Klimaentwicklung, die damalige Genauigkeit der Satellitendaten ist nicht besser als die der schon vorhanden Methoden, und die verschiedenen Messungen weichen zudem kaum voneinander ab.
Überdies pickt er einen kleinen Zeitraum heraus, gegen dessen Ende der global abkühlende Effekt des Ausbruch des Pinatubo Wirkung zeigt.
[1] Seite 131
Wie unseriös solche kurzfristigen Projektionen sind lässt sich unschwer erkennen.[6]
Warum macht er das, der Fred Singer?
Anne und Paul Ehrlich sind jedenfalls von einer solchen Argumentationsführung derart angepisst (annoyed) [3] Seite 143, dass sie es sich nicht verkneifen auf finanzielle Verbindungen des Fred Singers hinzuweisen:
„Fred Singer has been a paid consultant for ARCO, Exxon Corporation, Shell Oil Company, Sun Oil Company, and Unocal Corboration..“
[1] Seite 37
Beim Thema Nuklearer Winter ist er derart präsent, dass er von Badash [3] auf 21 Seiten zitiert wird, stets im Zusammenhang mit einer Geringschätzung einer Auswirkung eines möglichen Atomkriegs.
Naomi Oreskes sieht diese Haltung, und deren Popularität, im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Kalten Kriegs auf eine gegenwärtig verzerrte Wahrnehmung globaler Gefahren.
[7]
Politisch bedeutend wird Fred Singer unter der Präsidentschaft Reagans, der ihn nach Ablehnung anderer Kandidaten, 1982 beim „Acid Rain Peer Review Panel“ durchdrückt.
[3] Seite 86
Könnte ich ja noch lange weitermachen…
Klar ist indes, wer die „Seiten“ sind und wo die „Ideologie“ haust.
Denn letztere bleibt leider, ebenso wie die menschliche Dummheit, ungebrochen
Und klar erkennbar ist auch, dass Wissenschaft eben keine Ideologie sein kann, weil sie sonst nicht wäre.
* Der Begriff „brownlash“ wurde von Anne und Paul Ehrlich geprägt und bezeichnet die Gegenbewegung zur Ökobewegung [1]
------
[1] Ehrlich, Paul R.; Ehrlich, Anne H. (1996): Betrayal of science and reason. How anti environmental rhetoric threatens our future. Washington, DC: Island Press (Shearwater books).
[2] Oreskes, Naomi; Conway, Erik M. (2010): Merchants of doubt. How a handful of scientists obscured the truth on issues from tobacco smoke to global warming. 1st U.S. ed. New York, NY: Bloomsbury Press.
[3] Badash, Lawrence (2009): A nuclear winter's tale. Science and politics in the 1980s. Cambridge, MA: MIT Press (Transformations).
[4]
http://scienceblogs.de/frischer-wind/2010/09/22/kurz-notiert-fred-singer-zu-gast-im-bundestag/
[5]
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/039/1703917.pdf
[6]
http://www.columbia.edu/~mhs119/Temperature/
[7]
https://www.spektrum.de/news/ein-erbe-des-kalten-kriegs/1153444