Konfession, Antisemitismus und NS

Das stimmt, hier hatte ich mich zu undeutlich ausgedrückt. Die NSDAP war ja eine viel zu junge Partei, um schon 1932 eine ähnliche Fülle von "Vorfeldorganisationen" aufgebaut zu haben wie die Arbeiterbewegung und die deutschen Katholiken. Der Anspruch der Partei war aber ebenfalls "ganzheitlich". Man erwartete von den Parteimitgliedern ein erhebliches persönliches Engagement, und falls man in einem anders orientierten Milieu lebte, war ein Bruch fast unvermeidlich, wenn man NSDAP-Mitglied wurde.

Natürlich konnte der einzelne Wähler heimlich, still und leise seine Stimme einer solchen Partei geben - und das muss ja ganz offenkundig recht häufig geschehen sein - aber die Anhängerschaft einer Milieupartei war eben schwerer zu erreichen als Wähler, die beispielsweise ohnehin zwischen DVP, DNVP und einer Interessensvertretung wie dem Bauernbund oder der Wirtschaftspartei geschwankt hatten und sich vorwiegend als protestantische, bürgerliche Patrioten ansahen. Mit der Stärke antisemitischer Vorurteile muss das nicht unbedingt verbunden gewesen sein, jedenfalls nicht zwangsläufig. Sepiola und Shinigami haben ja schon mehrmals darauf hingewiesen, dass man die NSDAP durchaus auch trotz und nicht bloß wegen ihres vulgären Antisemitismus wählen konnte.
 
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Und ich bestreite auch nicht, dass es einzelne Bezirke gab, wo die eindeutige Zuordnung Konfession und NSDAP bzw. Zentrum/DVP nicht möglich ist.

Es geht hier nicht darum, dass NSDAP in einzelnen Bezirken mal schwächer und mal stärker war, entscheidende Frage ist vielmehr, warum diese Partei bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 einen solchen Stimmenzuwachs erzielen konnte – hier wird eine Erklärung dazu geliefert (Abschnitt Reichstagswahl Juli 1932):

Während Zentrum und BVP leichte Gewinne erzielten, wurden die protestantischen bürgerlichen Mittelparteien fast völlig aufgerieben. Auch die DNVP musste erneut – diesmal leichtere – Verluste hinnehmen. Überragender Wahlsieger wurde erwartungsgemäß die NSDAP. Weil sie wohl allen Parteien, außer KPD und Zentrum, in unterschiedlichem Umfang Wähler abspenstig machte, konnte sie ihren Anteil an Stimmen (13,7 Millionen = 37,3 Prozent) und Mandaten (230) mehr als verdoppeln.

Die protestantischen Wähler schwenkten also zur NSDAP um. Warum gerade sie, ist hier die Frage? Warum konnte das Zentrum ihre Wähler halten, die protestantischen bürgerlichen Parteien aber nicht? Selbstverständlich war diese Wählerwanderung nicht die einzige Ursache für die folgende Katastrophe, denn auch das Zentrum hat sich dann im März 1933 nicht mit Ruhm bekleckert. Und die Uneinigkeit zwischen SPD und KPD hat auch eine Rolle gespielt, denn statt sich auf NSDAP als Gegner zu konzentrieren, bekämpften sie sich gegenseitig. etc.

Der verlinkte Text gibt nicht nur eine Erklärung an:
1. die NSDAP profitierte davon, dass sie unverbraucht war. Sie hatte nie in Regierungsverantwortung unpopuläre Entscheidungen gefällt oder mitgetragen oder geduldet
2. sie betrieb den modernsten Wahlkampf, nur in den USA gab es Vergleichbares, und sie verfügte mit der SA über die schlagkräftigste und skrupelloseste paramilitärische Organisation.
3. Sie profitierte von Erstwählern
4. Sie räumte vor allem im Mittelstand, unter Selbstständigen, Angestellten, Beamten, Landwirten, Handwerkern ab, im Kleinbürgertum, in der Studentenschaft, unter Akademikern
5. Die NSDAP konnte anscheinend sehr stark unter Erstwählern punkten. Die Nazis hatten wie kaum eine andere Partei um jugendliche Wähler geworben
6. Die NSDAP vereinigte unter ihren Wählern extrem unterschiedliche soziale Milieus. Sie hatte Arbeitslose und Aristokraten, Handwerker und Hochfinanz, Adel und Geldadel unter ihren Wählern.

7. Die NSDAP hatte damit das Zeug zu einer echten Volkspartei.

Die Protestantischen Wähler schwenkten also zur NSDAP um. Warum gerade sie?

Es ist zutreffend, dass die NSDAP in protestantischen Gegenden erfolgreicher war, als in katholischen, wo sie in der Regel schwächer abschnitt. In Nord- und Ostdeutschland war die Partei stärker, als in Süd- und Westdeutschland.

Es haben aber nicht bloß Katholiken die Nazis gewählt.

Wikipedia Dennoch gab es reichsweit und gerade auch in Süddeutschland nicht wenige katholische Regionen, in denen die NSDAP Ergebnisse-teils erheblich- über dem Reichsdurchschnitt lagen.

In dem Artikel führen die Autoren das relativ erfolgreiche Abschneiden katholischer Parteien, dass durch die zunehmende Radikalisierung-es war während des Wahlkampfs mehrfach zu Schießereien und Massakern gekommen- katholische Milieus wieder enger zusammenrückten.
Der relative Erfolg katholischer Parteien erklärt sich dadurch, dass die zunehmende Radikalisierung katholische Milieus wieder zusammenrücken ließ, der Erosionsprozess des politischen Katholizismus der letzten Jahre gestoppt und leicht umgekehrt wurde.

Die protestantischen Arbeiter oder Landarbeiter haben im Großen und Ganzen weiterhin SPD oder KPD gewählt. Es waren vor allem Mittelständler, Selbstständige, Landwirte, die NSDAP wählten. Bei den Reichstagswahlen im Juni und November 1932 verlor die SPD leicht an die NSDAP und stärker an die KPD. Im November 1932 konnten SPD und KPD im Wesentlichen ihr Ergebnis halten, währen die Nazis 4,2 % verloren.

Reichstagswahl Juli 1932 – Wikipedia
 
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Die stärksten Zustimmungswerte innerhalb Bayern hatte die NSDAP nicht in Franken sondern im linksrheinischen Bayern, einer Region mit starker konfessioneller Durchmischung, die man kaum als stramm protestantisch bezeichnen kann.

Die Pfalz war mehrheitlich protestantisch, Franken dagegen mehrheitlich katholisch. (Das waren nicht nur "Inseln", der Regierungsbezirk Unterfranken kam auf fast 80% Katholikenanteil.)


https://www.historisches-lexikon-ba...44533_bilder_value_1_konfessionsstruktur1.jpg
 
Es haben aber nicht bloß Katholiken die Nazis gewählt.
He? o_O

In dem Artikel führen die Autoren das relativ erfolgreiche Abschneiden katholischer Parteien, dass durch die zunehmende Radikalisierung-es war während des Wahlkampfs mehrfach zu Schießereien und Massakern gekommen- katholische Milieus wieder enger zusammenrückten.
Und warum haben die gleichen Gründe (Schießereien und Massakern während des Wahlkampfes) nicht zum Zusammenrücken des protestantischen Milieus geführt?

Die Pfalz war mehrheitlich protestantisch, Franken dagegen mehrheitlich katholisch. (Das waren nicht nur "Inseln", der Regierungsbezirk Unterfranken kam auf fast 80% Katholikenanteil.)

https://www.historisches-lexikon-ba...44533_bilder_value_1_konfessionsstruktur1.jpg
Du zeigst hier die Verhältnisse im Jahr 1939, aber nicht die im Jahr 1925 oder 1933, die für unsere Diskussion wichtiger sind.

Laut https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Konfessionsstruktur_(19./20._Jahrhundert) verlor die evangelische Seite zwischen 1933 und 1939 fast eine halbe Million Mitglieder (von 2,2 Millionen auf 1,75 Millionen), während die katholische Seite „nur“ 220 Tausend bei weitaus größerem Bestand verlor (von 5,37 Millionen auf 5,15 Millionen).

Dass bedeutet, dass die Evangelischen in den ersten 6 Jahren des III. Reiches in größerer Zahl ihre Kirchen verlassen haben als die Katholiken. Sie sind konfessionslos geworden und es ist anzunehmen, dass sie zur NSDAP gegangen sind. Weil sie deren Ideologie gut oder besser fanden als ihre bisherige?
 
Die Pfalz war mehrheitlich protestantisch, Franken dagegen mehrheitlich katholisch. (Das waren nicht nur "Inseln", der Regierungsbezirk Unterfranken kam auf fast 80% Katholikenanteil.)

Das die Pfalz mehrheitlich protestantisch war, mag stimmen, allerdings mit einem relativ hohen Katholikenanteil innerhalb der Bevölkerung, der jedenfalls höher gewesen sein wird als der Anteil der Katholiken in anderen ländlichen Regionen, wie Brandenburg, Mecklenburg oder Nordhessen.
Schaut man sich allerdings die Wahlen von 1932 an, stellt man fest, dass die konfessionell durchmischte Pfalz teilweise sehr viel deutlicher NSDAP-affin wählte, als einige ur-protestantische Territorien:

Im Novmber 1932 holte die NSDAP in der bayerischen Pfalz 42,5%, im mehr oder weniger vollständig protestantischen Mecklenburg dagegen nur 37%. Bei dieeser Wahl übertraf der Anteil der NSDAP in der Pfalz sogar denjenigen in Ostpreußen und lag mit den NSDAP-Ergebnissen in Ostbrandenburg, Niederschlesien, und Pommern ungefähr gleichauf.

Wenn die Roll der Konfession der Wähler tatsächlich so stark gewesen wäre, wie @Dion das gerne sehen möchte, wäre ja zu erwarten, dass gemischtkonfessionelle, Gebiete, wenn auch mit protestantischer Mehrheit aber relativ hohem Katholiken-Anteil deutlich weniger stark gewählt haben müssten, als meehr oder minder rein protstantische Gebiete. Im Hinblick auf die Pfalz trifft das anscheinend nicht zu.

Was Franken angeht habe ich auf die Schnelle gestern keine genauen Zahlen gefunden, was die Konfession angeht.
Die von dir verlinkte Karte zeigt die Verhältnisse in den einzelnen Landkreisen und Städten, berücksichtigt allerdings die Einwohnerzahl nicht im Detail, während ein etwa zwei Drittel der größeren Städdte der Region in den protestantischen Gebieten lagen.
Von dem her hatte ich für die Region eine protestantische Mehrheit vorausgesetzt.

In jedem Fall, wäre hinsichtlich des Konfessions-Argumentes auf das gleiche Muster hinzuweisen wie im Bezug auf die Pfalz.
In Franken, mit jedenfalls recht hohem Katholikenanteil holte die NSDAP im November 1932 36,4% im angrenzenden Thüringen, wo es bis auf Region Eichsfeld keine größeren Sammlungen von Katholiken gab, holte sie 37,1% im eher ländlischen, mehr oder minder vollständig protestantischen Wahlkreis Potsdam I 34%, im vollständig Protestantischen Mecklenburg 37%, im bis auf das Ermland vollständig protestantischen Ostpreußen 39,7%.

Das sind alles recht vergleichbare Ergebnisse, die bei einer katholischen Bevölkerungsmehrheit in Franken oder auch nur bei einer konfessionellen Durchmischung mit einer relativ großen katholischen Minderheit, im Grunde genommen nicht sein dürfte, wäre die Konfession der überagende Faktor bei einer Wahlentscheidung für die Nazis gewesen oder die Katholiken gegen den Nationalsozialismus resistent gewesen.

In Altbayern und Teeilen des Rheinlands mag es vielleicht in Teilen diesen Eindruck vermitteln, aber in mindestens 4 Regionen geht es nicht auf:

Baden: überwiegend katholisch, aber mit höher Zustimmung für die NSDAP als das benachbarte Würtemberg mit wesentlich größerem Protestantenanteil

Würtemberg: Jedenfalls ziemlich großer Protestanten-Anteil in der Bevölkerung, aber mit teilweise niedrigeren NSDAP-Wahlergebnissen, als im benachbarten erzkatholischen Wahlkreis Oberbayern-Schwaben

Pfalz: Leichte protestantische Bevölkerungsmehrheit, aber mit einer stärkeren Zustimmung zur NSDAP als einige Wahlkreise in denen es praktisch keine Katholiken gab.

Franken: Ggf. sogar katholische Bevölkerungsmehrheit, jedenfalls aber großer katholischer Bevölkerungsanteil, aber vergleichbare NSDAP-Wahlergebnisse, wie in einigen mehr oder minder vollständig protestantischen Regionen.
 
Laut https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Konfessionsstruktur_(19./20._Jahrhundert) verlor die evangelische Seite zwischen 1933 und 1939 fast eine halbe Million Mitglieder (von 2,2 Millionen auf 1,75 Millionen), während die katholische Seite „nur“ 220 Tausend bei weitaus größerem Bestand verlor (von 5,37 Millionen auf 5,15 Millionen).

Dass bedeutet, dass die Evangelischen in den ersten 6 Jahren des III. Reiches in größerer Zahl ihre Kirchen verlassen haben als die Katholiken. Sie sind konfessionslos geworden und es ist anzunehmen, dass sie zur NSDAP gegangen sind. Weil sie deren Ideologie gut oder besser fanden als ihre bisherige?

Voreiliger Schluss würde ich meinen.
Die Mitgliderzahl der Konfessionen wurde ja nicht nur durch direkte Austritte aus der jeweiligen Kirche beeinflusst, sondern auch durch das Versterben alter Mitglieder und dadurch, wie viele Kinder nachkamen, die entsprechend getauft wurden.

Da spielen dann aber auch ganz andere Dinge eine Rolle.

Erstmal die Geburtenraten. Die sind auf dem Land bekanntlich in der Tendenz höher, als in den Städten und da die Protestanten in Bayern einen überproportional großen Anteil der städtischen Bevölkerung stellten, mag ein geringerer Mitgliederschwund bei den Katholiken auch einfach mit höheren Geburtentaren in den ländlichen Millieus zu tun gehabt haben, die einen Teil des Mitgliederschwunds durch Austritte auffangen konnten, wenn die kinderreichen Familien der katholischen Kirche verbunden blieben und ihren Nachwuschs konsequent taufen ließen.

Dann war Skepsis gegenüber den Kirchen ja durchaus kein reines Nazi-Phänomen, sondern etwas, was durchaus auch in den Arbeitermillieus verbreitet war.
Wenn auf die Taufe von Kindern verzichtet wurde und die Kirchen dann auf Grund von Sterbefällen an Mitglidern einbüßten, konnte das auch mit laizistischen Überzeugungen der Eltern zu tun haben, sofern diese aus dem Millieu der Sozialdemokratie oder der Kommunisten kamen, was vor allem die städtischen Arbeiterschichten, also ebenfalls in überproportionalem Maß die Protestanten betroffen haben wird.

Kommt ggf. noch das Phänomen der Frontkämpfer-Generation hinzu.
Wer in der zweiten Hälfte des 1. Weltkriegs als Heranwachsender mit 16 oder 17 Jahren von der Schulbank an die Front rekrutiert wurde, der war als die Nazis an die Macht kamen 31 bis 32 Jahre alt und ggf. noch nicht dazu gekommen eine Familie zu gründen.
Denke dir jemanden aus dem Jahrgang 1900, der irgendwann 1916 oder 1917 mit 16-17 Jahren eingezogen wird und bis November 1918 im Krieg ist, nach der Demobilisierung erst im Frühjar 1919 ins Zivilleben zurückkehrt.
Wenn man ihn direkt von der Schulbank geholt hat, hatte er vor dem Krieg keine Zeit irgendwo eine Lehre abzuschließen und dann kam nach dem Ende des Krieges die erste Periode der wirtschaftlichen Instabilität und 1923 mit der Hyperinflation die schlagartige Entwertung aller Ersparnisse.
Vielleicht gelang es unserem fiktiven jungen Mann in den mittleren 1920er beruflich irgendwo fuß zu fassen, aber wer wird bis zur Wirtschaftskrise 1929 kaum die Möglichkeit gehabt haben, größere Ersparnisse aufzubauen und bei Eintritt der Wirtschaftskrise und der Massenentlassungen selbst wenn nicht betroffen, eine angedachte Familiengründung möglicherweise deswegen noch um ein paar Jahre aufgeschoben haben.

Dann fand diese Familiengründung möglicherweise in der frühen NS-Zeit und jemand der wirklich jeden Mist von der Westfront über die spanische Grippe, die Hyperinflation und die Wirtschaftskrise ab Ende der 1920er Jahre mitgemacht hat, hatte möglicherweise noch ganz andere, weniger ideologisch motivierte Gründe sich von religiösen Anschauungen zu trennen und auch die eigenen Kinder nicht mehr in diesem Sinne zu erziehen.


Die reine Veränderung der Mitgliderzahlen sagt uns nichts, wie viele direkt ausgetreten sind und inwieweit die Veränderungen auf demographische Veränderungen zurückgehen.
Zumal 6 Jahre eine durchaus nicht unerhebliche Zeitspanne sind.
Wäre das innerhalb von 1 oder 2 Jahren passiert wäre die Annahme die Verluste mehr oder minder vollständig auf Ausritte zurückzuführen plausibel, aber über einenn Zeitraum von 6 Jahren können da durchaus demographische Effekte mit eine Rolle gespielt haben.

Auch bei den tatsächlichen Austritten, wäre nicht unbedingt darauf zu schließen, dass diese eine besondere Zustimmung für den Nationalsozialismus zum Ausdruck brächten.
Denkbar wäre nämlich auch ein Austritt aus Protest, wenn sich lokale Würdenträger oder Gemeinden der jeweiligen Kirchen zu sehr an das Regime anbiederten.


Wie passt deine Annahme, dass in den Austritten besondere Zustimmung zum Nationalsozialismus zum Ausdruck käme eigentlich zu deinem bisherigen Standpunkt, dass der Protestantismus mit dem Nationalsozialismus ideologisch eng verwandt und im Grunde kompatibel gwesen sei?
Wenn sich das so ohne weiteres mit einander vereinbaren ließ, hätte für die Protestanten ja gar keine Notwendigkeit bestanden die evangelischen Landeskirchen zu verlassen, um dem NS-Regime offen Zustimmung zollen zu können.
 
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He? o_O

Ein Verschreiber meinerseits, es muss natürlich heißen "es haben nicht nur Protestanten die NSDAP gewählt.

Und warum haben die gleichen Gründe (Schießereien und Massakern während des Wahlkampfes) nicht zum Zusammenrücken des protestantischen Milieus geführt?


Das (eine) "protestantische Milieu" gab es doch gar nicht. Das protestantische Lager n Deutschland ist sehr heterogen. Die EK war in gut zwei Dutzend Landeskirchen zersplittert, und daneben gab es noch mal ein gutes Dutzend Freikirchen. Es gab Reformierte, Lutheraner, Pietisten, Methodisten, Presbyterianer, Stundenbrüder, dies sich sowohl theologisch wie auch nach ihrem soziologischen Profil sehr stark voneinander unterschieden.

Es mochte protestantische Arbeiter, Landarbeiter, Handwerker, Selbstständige u. a. geben, die "protestantischen Wähler" sind aber ein Konstrukt.

Verschiedene Diskutanten haben schon darauf hingewiesen: Es gab in der politischen Parteienlandschaft der Weimarer Republik eben keine protestantische Volkspartei wie das Zentrum oder die BVP katholische Volksparteien waren. Es gab keine Partei des politischen Protestantismus, die Wählerstimmen aus soziologisch sehr unterschiedlichen Milieus vereinigen konnte.

Es gab nichts, aber auch gar nichts, was protestantische Unternehmer und protestantische Arbeiter oder Landarbeiter miteinander verband. Die protestantischen Großagrarier und protestantischen Tagelöhner hatten nicht die gleichen Interessen. Die protestantischen Arbeiter, Bauern, Angestellten wählten Parteien, in denen sie ihre Interessen am ehesten gewahrt sahen, und sie wählten liberale, konservative Parteien, wählten Sozialdemokraten und Kommunisten oder eben die NSDAP.

Im Grunde sind die "protestantischen Wähler" oder "protestantischen Milieus" ein Konstrukt. Die deutschen Protestanten waren kein monolithischer Block, sondern bestanden aus sehr unterschiedlichen Gruppierungen, aus sehr unterschiedlichen soziologischen Milieus mit sehr unterschiedlichen Interessen.

Politisch gab es "die protestantischen Wähler" eigentlich gar nicht. Was es gab, das waren protestantische Arbeiter, Landarbeiter, Angestellte, Selbstständige oder Kaufleute. Diese aber wählten in der Regel nicht nach konfessionellen Kriterien, sondern sie gaben ihre Stimme Parteien, in denen sie ihre sozialen Interessen am ehesten gewahrt sahen.

Es gab aber keine "protestantische" Volkspartei, die sozial extrem heterogene protestantische Milieus über soziale Grenzen hinweg vereinigen konnte.
 
Schaut man sich allerdings die Wahlen von 1932 an, stellt man fest, dass die konfessionell durchmischte Pfalz teilweise sehr viel deutlicher NSDAP-affin wählte, als einige ur-protestantische Territorien:

Im Novmber 1932 holte die NSDAP in der bayerischen Pfalz 42,5%, im mehr oder weniger vollständig protestantischen Mecklenburg dagegen nur 37%. Bei dieeser Wahl übertraf der Anteil der NSDAP in der Pfalz sogar denjenigen in Ostpreußen und lag mit den NSDAP-Ergebnissen in Ostbrandenburg, Niederschlesien, und Pommern ungefähr gleichauf.

Die niedrigeren Stimmenanteile der NSDAP in Mecklenburg-Schwerin gegenüber der Pfalz lagen vor allem daran, dass Mecklenburg-Schwerin eine Hochburg der DNVP war, die im November 1932 hier 16,9% erreichte (reichsweit 8,3%, in der Pfalz 1,8%). Zusammen hatten NSDAP und DNVP in Mecklenburg-Schwerin deutlich über 50%.

Ansonsten zeigt sich hier das übliche Bild, dass die protestantischen oder überkonfessionellen bürgerlichen demokratischen Parteien völlig marginalisiert waren. Die DStP kam in Mecklenburg-Schwerin nur auf 0,5%, 1919 kam sie als DDP noch auf 29,5%

In der Pfalz kamen dagegen Zentrum und BVP zusammen noch auf über 20%.

Für Ostpreußen gilt ebenso, dass es eine Hochburg der DNVP war und NSDAP und DNVP zusammen über 50% gekommen sind. Ostpreußen kann aber auch nicht rein protestantisch gewesen sein, da das Zentrum hier immerhin auch noch auf 7,5% kam.

Reichstagswahlen 1919-1933 - Mecklenburg-Schwerin (wahlen-in-deutschland.de)

Reichstagswahlen 1918-1933 - Regierungsbezirk Pfalz (wahlen-in-deutschland.de)

Reichstagswahlen 1919-1933 - Ostpreußen (wahlen-in-deutschland.de)


Wenn die Roll der Konfession der Wähler tatsächlich so stark gewesen wäre, wie @Dion das gerne sehen möchte, wäre ja zu erwarten, dass gemischtkonfessionelle, Gebiete, wenn auch mit protestantischer Mehrheit aber relativ hohem Katholiken-Anteil deutlich weniger stark gewählt haben müssten, als meehr oder minder rein protstantische Gebiete. Im Hinblick auf die Pfalz trifft das anscheinend nicht zu.

Die Konfession ist nicht der einzige Faktor, der die Wahl beeinflusst hat und man findet auf Wahlkreisebene sicher immer Ausnahmen, die aus irgendwelchen Gründen abweichende Resultate zeigen, wobei man diese Ausnahmen eben auch genau analysieren muss und nicht nur den Stimmenanteil der NSDAP vergleichen kann.

Insgesamt ist es aber nun mal eine Tatsache, die sich nicht weg diskutieren lässt, dass die Konfession einen großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen hatte und es lässt sich auch nicht wegdiskutieren, dass die protestantischen bzw. überkonfessionellen bürgerlichen demokratischen Parteien gegen Ende der Weimarer Republik nur noch Splittergruppen waren. Bei der Wahl zur Nationalversammlung kamen die DDP und die DVP zusammen noch auf 22,9%, im November 1932 nur noch auf 2,9%. Die katholische BVP kam schon allein auf mehr Stimmen (3,1%).
 
Insgesamt ist es aber nun mal eine Tatsache, die sich nicht weg diskutieren lässt, dass die Konfession einen großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen hatte und es lässt sich auch nicht wegdiskutieren, (...)
Das wäre vermutlich ein Thema für einen eigenen Faden (?)

Ich habe Zweifel daran, dass der oben zitierte Teilsatz für sich genommen eine unumstößliche Tatsache aussagt. Denn im Kontext der Diskussion hier (Protestanten = genuin dezidierte NSDAP-Wähler) müsste man erwarten, dass nach 1945 bei Wahlen die fremdenfeindlichen und latent antisemitischen Parteien in protestantischen Regionen große Erfolge hätten einfahren müssen, aber tatsächlich kamen solche Gebilde wie NPD und die Republikaner nie in nennenswerte Höhen. Da hat dann entweder der naziaffine Protestantismus nach 45 eine deutliche Kehrtwende hingelegt, oder die vermeintliche Schlussfolgerung aus den Wahlstatistiken ist nicht stichhaltig (siehe Beitrag von @silesia )

Rein theoretisch könnte man auch statistisch "beweisen", dass die Konfessionen in der Zeit von 1918 bis 1945 die vegetarische Ernährungsweise abgelehnt hatten... die Anzahl der Vegetarier unter Katholiken, Protestanten, Nazis, Kulturgrößen in diesem Zeitraum war verschwindend gering. ;)
 
Die niedrigeren Stimmenanteile der NSDAP in Mecklenburg-Schwerin gegenüber der Pfalz lagen vor allem daran, dass Mecklenburg-Schwerin eine Hochburg der DNVP war, die im November 1932 hier 16,9% erreichte (reichsweit 8,3%, in der Pfalz 1,8%). Zusammen hatten NSDAP und DNVP in Mecklenburg-Schwerin deutlich über 50%.

Natürlich war Mecklenburg eine DNVP-Hochburg.
Inwiefern tat das nun aber dem Umstand abbruch, dass es um eine rein protestantische Region handelte, in der das Wahlergebnis der NSDAP deutlich geringer ausfiel, als in der konfessionell stark gemischten Pfalz?

Natürlich waren Teile der DNVP antisemtisch eingestellt, und undemokratisch, aber die DNVP war eben nicht Hitler und war eben nicht der Nationalsozialismus, zumal im Verlauf der Diskussion bereits aufgezeigt wurde, dass auch die BVP in Bayern in gewissen Dosen antisemitische Interessen vertrat und im Hinblick auf die Vorgeschichte des Hitlerputsches und die Rolle der Herren v. Knilling und v. Kahr könnte man auch ein sehr großes Fragezeichen daran machen, ob sich die BVP und ihre Exponenten immer so unbedingt verfassungstreu verhielten.

Insofern weiß ich nicht, inwiefern dieser Einwand meinen Einlassungen widerspricht.

Die Zustimmung für die NSDAP war in einigen gemischtkonfessionellen Gebieten höher als in einigen rein protestantischen und dass dürfte nicht sein, wenn die Konfession der entscheidende Faktor und Protestanten grundsätzlich anfälliger gewesen wären.
Punkt.

Das geringere Zustimmungswerte für die NSDAP nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Wähler besonders republiktreu gewesen wären, geschenkt.
Das das nicht bedeutete, dass sie den Antisemitismus strikt abgelehnt und keine Parteien gewählt hätten, die ebenfalls antisemitische Tendenzen vertraten, ebenfalls geschenkt, brauchen wir nicht drüber zu diskutieren.

Ist aber für die Frage ob der Protestantismus für die Tendenz zur Bereitschaft den Nationalsozialismus zu akzeptieren entscheidend war, völlig belanglos.

Für Ostpreußen gilt ebenso, dass es eine Hochburg der DNVP war und NSDAP und DNVP zusammen über 50% gekommen sind.

Das mag sein, nur, wie gesagt, wer DNVP wählte, war sicherlicher alles andere als ein verfassungstreuer Musterdemokrat, aber er zollte eben auch nicht Hitler und dem Nationalsozialismus seine Zustimmung.

Natürlich spielte im historischen Verlauf die Kooperation der DNVP mit den Nazis eine gewisse Rolle dafür eine Regierung Hitler für Hindenburg akzeptabel zu machen, indes war das nicht unbedingt vorweg zu nehmen, weswegen es wenig sinnvoll ist (sowohl Hugenberg, als auch Hitler hatten sich dem ja zunächst verweigert) einfach kurzerhand die Stimmen der NSDAP und der DNVP aufzuadieren, die Wähler der DNVP waren keine Demokraten, aber sie waren auch keine "Quasi-Nazis", die man ohne weiteres einfach den Anhang Hitlers zurechnen könnte.

Ostpreußen kann aber auch nicht rein protestantisch gewesen sein, da das Zentrum hier immerhin auch noch auf 7,5% kam.
Wie gesagt gab es das Territorium des historischen Bistums Ermland, grob gesagt die Regionen um Elbig, bzw. südlich davon, die Region um Allenstein weiter südlich und der Korridor, der die beiden Räume verbindet.

Das es hier eine größere Anzahl an Katholiken gab, bzw. diese Region katholisch dominiert war, liegt daran, dass die Region um Elbing und das Bistum Ermland nicht zum historischen Herzogtum Preußen gehörte sondern im Gefolge der Außeinandersetzungen des Deutschordensstaates mit Polen-Litauen als Teil des "königlichen" Preußens an Polen-Litauen ging.
Das Ermland kam mit der 1, Polnischen Teilung an Ostpreußen, die Gegend um Elbing zunächst zum historischen Westpreußen und dann in Folge des Versailler Vertrags als Restbestand der alten Provinz Westpreußen zusammen mit einem Teil des Kreieses Marienwerder, der Im Gefolge der Volksabstimmung 1920 ebenfalls beim deutschen Reich verblieb, zur provinz Ostpreußen.

Durch diese Geschichte Bedingt, hatten das Ermland und die Region um Elbing die Reformation nicht mitgmacht, bzw. gehörten während der Reformationszeit zum katholischen Polen, so dass das Luthertum in Elbing und im Ermland nur geringfügig fußfassen konnte.

Das waren allerdings die einzigen Regionen Ostpreußens mit nennenswertem Katholikenanteil und der wird auf die ganze Provinz Ostpreußen gerechnet vielleicht 10% der Bevölkerung ausgemacht haben, was von den 30-40% Katholiken, die die Pfalz hatte, ziemlich weit entfernt ist, trotzdem in Teilen eben deutlich niedrigere NSDAP-Ergebnisse als in der Pfalz.

wobei man diese Ausnahmen eben auch genau analysieren muss
Ich denke wir sind hier mittlerweile bei ein paar vielen Fällen, um das einfach als "Ausnahmen" abzutun. Wir reden hier nicht von einem Ergebnis, dass aus der Reihe tanzt.

Wir reden von der gemischtkonfessionellen Pfalz, die stärker NSDAP wählte als das erzprotestantische Mecklenburg und noch eine Hand voll anderer Provinzen in denen die Bevölkerung wesentlich deutlicher protestantisch war, wir reden über Franken, bei dem wir bisher nicht geklärt haben ob nun überwiegend katholisch, oder nur mit starkem Katholikenanteil, der sicherlich jedenfalls irgendwo um die 40% oder höher gelegen haben wird, dass vergleichbar stark NSDAP-Wählte wie Provinzen mit einem Katholikenanteil von, höchstens 10-15%.
Wir reden über das deutlich katholische Baden, dass deutlich NSDAP-Affiner war, als das benachbare Würtemberg mit seiner deutlich stärker gemischten Bevölkerung und wir reden über Würtemberg, dass mit seinem erheblich größeren Protestantenanteil weniger stark NSDAP wählte, als der benachbarte Erzkatholische Wahlkreis Oberbayern-Schwaben.

Das ist nicht ein einziger Ausreißer, dass ist eine ganze Reihe von Provinzen, bei der die Gleichung nicht aufgeht.
Wohlbemerkt, dass sind alles exemplarisch Provinzen die relativ stark landwirtschaftlich geprägt waren und wo die Bindung der protestantischen Millieus an die SPD und die KPD lediglich eine Untergeordnete Rolle spielte.

Über Berlin, den Wahlkreis Potsdam II der Teile Berlins noch mit umfasste Hamburg und Teile Sachsens, die fest in protestantischer Hand waren wo die Protestanten von den Arbeitermillieus aufgefangen wurden, und unterdurchschnittlich NSDAP gewählt wurde, haben wir noch gar nicht gesprochen, ebenso wenig über die Wahlkreise im Westen, auf die das Ruhrgebiet aufgeteilt war, und die trotz gemischter Konfession den Nazis geringere Stimmanteile einbrachten, als einige überwiegend katholische Gebiete.

An der Feststellung, dass das überwiegend Protestanten die NSDAP wählten ist nicht zu rütteln, aber die Vorstellung dass der Protestantismus selbst hierbei ausschlaggebend und ein bestimmendes Kriterium gewesen sei, wie @Dion das darstellt, ist nicht zu halten, es sei denn natürlich, man möchte die Hälfte der Wahlkreise und ihre Ergebnisse zu "regionalen Ausnahmen" erklären.
Wenn man allerdings bald so oft Ausnahmen reklamiern muss, wie die Regel zutrifft, sollte man sich sie Frage stellen, ob die Regel was taugt.

Insgesamt ist es aber nun mal eine Tatsache, die sich nicht weg diskutieren lässt, dass die Konfession einen großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen hatte
Eine durch was belegte Tatsache?

Das viele Protestanten auf Grund des Umstands, dass sie Protestanten waren die NSDAP gewählt hätten, ist durch nichts belegt.
Sie waren millieuspezifisch vielleicht etwas freier das zu tun, als die Katholiken, mehr aber auch nicht.
Auch die Bindewirkung von Zentrum und BVP war war begrenzt.

In Bayern waren 70% der Bevölkerung Katholiken, bei den Wahlen 1932, kam die BVP in ganz Bayern aber nur auf knapp unter 30%.
Heißt weniger als die Hälfte der katholischen Wähler hat die prominenteste Partei gewählt, die explizit die Interessen des politischen Katholizismus vertrat, selbst wenn die alle nach konfessionellen Geschichtspunkten entschieden hätten, was unwahrscheinlich ist.
Zudem war die NSDAP keine protestantische Millieupartei, die in vergleichbarem Maße den Protestantismus ansprechen konnte, wie Zentrum und BVP das mit dem Katholizismus tun konnten.

Die Konfession und die damit verbundenen Strukturen hinderten vielleicht daran sich offen zu einer bestimmten Partei zu bekennen und dass mag im Hinblick auf die Katholiken in größerem Maße zugetroffen haben, als auf die Protestanten.
Das aber für den Großteil der Wähler die Konfession eine sehr starke Tendenz vorgegeben hätte, was gewählt wurde, sehe ich nicht, dafür sind die Ergebnisse von Zentrum und BVP als dezidiert katholische Interessenparteien zu schwach gewesen.
 
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Natürlich war Mecklenburg eine DNVP-Hochburg.
Inwiefern tat das nun aber dem Umstand abbruch, dass es um eine rein protestantische Region handelte, in der das Wahlergebnis der NSDAP deutlich geringer ausfiel, als in der konfessionell stark gemischten Pfalz?

Weil eben erklärt, warum die NSDAP dort nicht so stark abschnitt, wie man hätte erwarten können, wobei sie dort immer noch stärker reichsweit abschnitt. Die Wahl im November 1932 kann dort auch eine gewisse Anomalie gewesen sein, denn bei der Wahl im Juli holte die NSDAP in Mecklenburg-Schwerin noch etwa 10% mehr und hatte damit einen höheren Stimmenanteil als in der Pfalz und bei der Wahl im März 33 hatte sie auch wieder in Mecklenburg-Schwerin einen höheren Stimmenanteil. Aber auch bei der Wahl im November 32 stimmten in Mecklenburg-Schwerin immerhin fast zwei Drittel der Wähler für republikfeindliche Parteien, wenn man die Stimmen der KPD noch mit dazu rechnet.

Die einzige verbliebene Partei, die überhaupt noch irgendeinen Rückhalt in der Bevölkerung hatte, war die SPD.

DStP und DVP waren nur noch Splitterparteien.

Das katholische Zentrum erhielt im protestantischen Mecklenburg-Schwerin einen fast doppelt so hohen Stimmanteil wie die überkonfessionelle DStP (0,9 vs 0,5%). Das zeigt doch schon, wie marginalisiert die überkonfessionellen demokratischen bürgerlichen Parteien waren.

Das waren allerdings die einzigen Regionen Ostpreußens mit nennenswertem Katholikenanteil und der wird auf die ganze Provinz Ostpreußen gerechnet vielleicht 10% der Bevölkerung ausgemacht haben, was von den 30-40% Katholiken, die die Pfalz hatte, ziemlich weit entfernt ist, trotzdem in Teilen eben deutlich niedrigere NSDAP-Ergebnisse als in der Pfalz.

Wenn es in Ostpreußen tatsächlich nur 10% Katholiken gab, müssen diese ja zu 75% das Zentrum gewählt haben, damit dieses auf 7,5% kommen konnte. Das scheint ja jetzt doch wieder auf einen erheblichen Einfluss der Konfession auf die Wahlentscheidung zu sprechen.

Wir reden über das deutlich katholische Baden, dass deutlich NSDAP-Affiner war, als das benachbare Würtemberg mit seiner deutlich stärker gemischten Bevölkerung und wir reden über Würtemberg, dass mit seinem erheblich größeren Protestantenanteil weniger stark NSDAP wählte, als der benachbarte Erzkatholische Wahlkreis Oberbayern-Schwaben.

In Württemberg gab es den Württembergischer Bauern- und Weingärtnerbund, der im November 1932 8% errang und der Christlich-Soziale Volksdienst, eine Abspaltung der DNVP, die später in der NSDAP aufging, der 4% bekam.

Wir haben hier also regionale Besonderheiten, die das relativ schlechte Abschneiden der NSDAP erklärt.

Eine durch was belegte Tatsache?

Das viele Protestanten auf Grund des Umstands, dass sie Protestanten waren die NSDAP gewählt hätten, ist durch nichts belegt.
Sie waren millieuspezifisch vielleicht etwas freier das zu tun, als die Katholiken, mehr aber auch nicht.
Auch die Bindewirkung von Zentrum und BVP war war begrenzt.

Zudem war die NSDAP keine protestantische Millieupartei, die in vergleichbarem Maße den Protestantismus ansprechen konnte, wie Zentrum und BVP das mit dem Katholizismus tun konnten.

Es war eben offensichtlich das Problem, dass im protestantischen Bereich keine dem Zentrum vergleichbare Milieupartei gab.

Außer dem Zentrum gab es eben nur die sozialistischen Parteien und die DNVP, die gegen Ende der Weimarer Republik noch einen größeren Teil ihrer Stimmen gegenüber der NSDAP behaupten konnten, von regionalen Besonderheiten wie in Württemberg mal abgesehen.

Das demokratische bürgerliche Lager existierte im protestantischen Bereich praktisch nicht mehr. Die linksliberale DStP und die nationalliberale DVP waren nur noch Splitterparteien. Die liberalen Parteien waren offensichtlich nicht in der Lage eine mit dem Zentrum auch nur annährend vergleichbare Bindungswirkung zu erreichen.

Das sozialistische und das konservativ-reaktionäre Milieu waren offensichtlich wesentlich widerstandsfähiger gegenüber dem Nationalsozialismus als das liberale Milieu.
 
Laut https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Konfessionsstruktur_(19./20._Jahrhundert) verlor die evangelische Seite zwischen 1933 und 1939 fast eine halbe Million Mitglieder (von 2,2 Millionen auf 1,75 Millionen), während die katholische Seite „nur“ 220 Tausend bei weitaus größerem Bestand verlor (von 5,37 Millionen auf 5,15 Millionen).

Dass bedeutet, dass die Evangelischen in den ersten 6 Jahren des III. Reiches in größerer Zahl ihre Kirchen verlassen haben als die Katholiken. Sie sind konfessionslos geworden und es ist anzunehmen, dass sie zur NSDAP gegangen sind. Weil sie deren Ideologie gut oder besser fanden als ihre bisherige?

Nein, das ist alles Kokolores.
Auch bei Statistiken muss man manchmal bis zum Ende lesen.


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Ich habe Zweifel daran, dass der oben zitierte Teilsatz für sich genommen eine unumstößliche Tatsache aussagt. Denn im Kontext der Diskussion hier (Protestanten = genuin dezidierte NSDAP-Wähler) müsste man erwarten, dass nach 1945 bei Wahlen die fremdenfeindlichen und latent antisemitischen Parteien in protestantischen Regionen große Erfolge hätten einfahren müssen, aber tatsächlich kamen solche Gebilde wie NPD und die Republikaner nie in nennenswerte Höhen. Da hat dann entweder der naziaffine Protestantismus nach 45 eine deutliche Kehrtwende hingelegt, oder die vermeintliche Schlussfolgerung aus den Wahlstatistiken ist nicht stichhaltig (siehe Beitrag von @silesia )

Meine Aussage war ja folgende:

Insgesamt ist es aber nun mal eine Tatsache, die sich nicht weg diskutieren lässt, dass die Konfession einen großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen hatte

Das bezieht sich erst einmal generell auf das Wahlverhalten während der Weimarer Republik. Der höhere Stimmenanteil der NSDAP unter protestantischen Wählern ist nur ein Aspekt davon. Es ist vor allem auch nicht meine Aussage, dass die Protestanten notwendigerweise antisemitischer oder fremdenfeindlicher gewesen sind.

Es ist ja auch schon darauf hingewiesen worden, dass im protestantischen Spektrum eine dem Zentrum vergleichbare Milieupartei fehlte; die es vielleicht auch in der Form nicht geben konnte, da sich das katholische Milieu auch ein Stück weit durch die Minderheitenposition im Deutschen Reich und eine gewisse Skepsis gegenüber dem Staat definierte, wobei sicher auch die Erinnerung an den Kulturkampf noch eine Rolle spielte.

In der Nachkriegszeit ist es dann gelungen mit CDU und CSU einen großen Teil der bürgerlichen Wähler einzubinden und wenig Spielraum für radikale Parteien zu lassen, zumindest bis zur Gründung der AfD. Die Union ist in diesem Sinne eben ein konfessionsübergreifendes Zentrum.

Aus diesem aber auch aus vielen anderen Gründen hatten und haben wir in der Bundesrepublik eine völlig andere politische Landschaft und andere Bedingungen. Vor allem im Osten Deutschlands zeigt sich aber in jüngerer Zeit, dass es durchaus kein Naturgesetz ist, dass unsere Volksparteien weiter erfolgreich so viele Wähler einbinden können.

Und ja, der Protestantismus hat sich deutlich gewandelt, wie die Gesellschaft insgesamt, aber nach meinem subjektiven Eindruck auch darüber hinaus. Zumindest die evangelischen Landeskirchen neigen nach meinem Eindruck heute tendenziell eher linken Positionen zu. Das war in der Weimarer Republik noch ganz anders.

Rein theoretisch könnte man auch statistisch "beweisen", dass die Konfessionen in der Zeit von 1918 bis 1945 die vegetarische Ernährungsweise abgelehnt hatten... die Anzahl der Vegetarier unter Katholiken, Protestanten, Nazis, Kulturgrößen in diesem Zeitraum war verschwindend gering. ;)

Es gab aber wohl keine Korrelation zwischen einer vegetarischen Ernährungsweise und einer bestimmten Konfession, jedenfalls ist mir nichts davon bekannt, sondern es gab damals generell nur wenige Vegetarier.

Und ja, eine Korrelation beweist keine Kausalität.

Aber wenn wir mal die Korrelation zwischen Konfession und Wahlverhalten betrachten gibt es ja folgende Möglichkeiten:

1. Die Konfession beeinflusst das Wahlverhalten

2. Das Wahlverhalten beeinflusst die Konfession

3. Die Korrelation beruht auf Zufall

4. Sowohl das Wahlverhalten als auch die Konfession werden durch andere Variablen beeinflusst.

Die zweite Möglichkeit kann man wohl ausschließen. Die wenigsten Wähler wechseln ihre Konfession, weil sie ihr Wahlverhalten ändern. Am ehesten kam es sicher noch vor, dass Wähler der KPD oder SPD konfessionslos wurden.

Ich glaube auch nicht, dass die Korrelation auf Zufall beruht, dafür ist sie einfach zu eindeutig.

Bleibt also die Beeinflussung sowohl des Wahlverhaltens als auch der Konfession durch weitere Variablen. Auch das kann imho die Korrelation allenfalls zu einem Teil erklären.
 
Insgesamt ist es aber nun mal eine Tatsache, die sich nicht weg diskutieren lässt, dass die Konfession einen großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen hatte und es lässt sich auch nicht wegdiskutieren,
Das bezieht sich erst einmal generell auf das Wahlverhalten während der Weimarer Republik.
Auch mit dieser zeitlichen Eingrenzung vermag mich deine Aussage nicht zu überzeugen.

Denn:
1. Die Wähler in der Weimarer Republik waren im Kaiserreich sozialisiert. Wenn die Aussage inklusive zeitlicher Eingrenzung zutreffen würde, müsste sich vor 1918 ein auffallender Trend der protestantischen Bevölkerung zu völkisch-nationalistischen und antisemitischen Gruppen zeigen: weder der Bäderantisemitismus, noch der Alpenverein (wo man zur Kaiserzeit schon einen Ariernachweis benötigte) waren protestantisch dominiert, auch die germanophilen Spinnergrüppchen nicht.
Ergo: "die Protestanten" hätten erst 1918 und anschließend nach 45 eine Kehrtwende gemacht haben müssen, was wenig wahrscheinlich wirkt, denn es setzt voraus, dass diese Bevölkerungsgruppe ein geschlossen homogenes organisiertes Gruppenverhalten hätte haben müssen.

2. Aus welchem Grund sollte plötzlich ab 1918 die Konfession signifikant starke Auswirkung einzig auf das Wahlverhalten haben und nicht auf z.B. Vorlieben in Sachen Konsumverhalten, kulturellen Geschmack etc.? Diese Ausschließlichkeit des Einflusses der Konfession auf Wahlverhalten und sonst nichts, wirkt unplausibel.
 
Wenn die Aussage inklusive zeitlicher Eingrenzung zutreffen würde, müsste sich vor 1918 ein auffallender Trend der protestantischen Bevölkerung zu völkisch-nationalistischen und antisemitischen Gruppen zeigen

Du argumentierst völlig an dem vorbei, was @Nikias geschrieben hat. So weit ich sehe, hat Nikias gar nicht behauptet, dass die protestantische Bevölkerung zu völkisch-antisemitischem Wahlverhalten geneigt hat, sondern schlicht auf das unbestreitbare Faktum hingewiesen, dass die Konfession einen großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen hatte.

2. Aus welchem Grund sollte plötzlich ab 1918 die Konfession signifikant starke Auswirkung einzig auf das Wahlverhalten haben und nicht auf z.B. Vorlieben in Sachen Konsumverhalten, kulturellen Geschmack etc.? Diese Ausschließlichkeit des Einflusses der Konfession auf Wahlverhalten und sonst nichts, wirkt unplausibel.
Ich sehe auch nicht, wo behauptet worden sein soll, die Konfession habe sich
a) "plötzlich ab 1918" auf das Wahlverhalten ausgewirkt
b) sich ausschließlich auf das Wahlverhalten ausgewirkt

Das Zentrum gab es bekanntlich schon vor 1918, und seine Wähler rekrutierten sich schon vor 1918 fast ausschließlich aus dem katholischen Bevölkerungsanteil.
 
Die Wahl im November 1932 kann dort auch eine gewisse Anomalie gewesen sein, denn bei der Wahl im Juli holte die NSDAP in Mecklenburg-Schwerin noch etwa 10% mehr und hatte damit einen höheren Stimmenanteil als in der Pfalz

Bei der Wahl im Juli 32 holte die NSDAP in Mecklenburg 44,8% und in der Pfalz 43,7%.

Auch dieses Ergebnis hätte es so nicht geben dürfen, wenn der Protestantismus ein entscheidender Faktor gewesen wäre.
Wäre der Protestantismus ausschlaggebender Faktor für die Wahlentscheidung für die NSDAP gewesen, müsste die Regel gelten, je höher der Protestantenanteil einer Region, desto höher das NSDAP-Wahlergebnis.

In diesem Fall dürfte eine mehr oder minder vollständig protestantische Provinz wie Mecklenburg vom Wahlergebnis nicht nahezu gleichauf mit der Pfalz liegen, in der sicherlich meehr als ein Drittel der Bevölkerung katholisch war.

Im Übrigen, mit dem gleichen Recht mit dem du hier reklamierst die Wahl im November 1932 sei eine Ausnahme gewesen, könnte ich reklamieren, dass eher diejenige im Juli Ausnahmecharakter hatte, eine vergleichbare Zustimmung hatte die NSDAP weder in Mecklenburg, noch reichsweit jemals gehabt, so lange die Wahlen frei waren.
Die Pfalz hingegen hat im November 1932 ihr NSDAP-Wahlergebnis vom Juli mehr oder minder mit lediglich geringen Abstrichen bestätigt und zwar trotz starker katholischer Bevölkerungsteile weit über dem Reichsdurchschnitt.

Im Übrigen musst du dich auch gar nicht an Mecklenburg hochziehen, ich hatte dir eine ganze Anzahl anderer Wahlkreise genannt, die einen weit größeren Protestantenanteil aufwiesen als die Pfalz weniger stark NSDAP wählten.

Der Wahlkreis Potsadam I (Nordwest-Brandenburg ohne Berlin) war ebenfalls eine mehr oder minder vollständig protestantische Region und brachte der NSDAP bei den Wahlen im Juli 1932 38,1% und im November 34,1% der Wählerstimmen ein.

Beide Ergebnisse deutlich unter denen der gemischtkonfessionellen Pfalz.

Auch Thürigen, wo es kaum Katholiken gab (außer eben im Eichsfeld, aber das ist ähnlich wie das Ermland in Ostpreußen lediglich eine kleine konfessionelle Insel gewesen), wählte im Juli knapp schwächer NSDAP als die Pfalz, im November 1932 deutlich weniger stark.

Noch ein Ergebnis, dass nicht ins Bild passt.

Der Wahlkreis Weser-Ems, in dem es um Osnabrück und im Emsland einige Katholiken gab wählte im Juli 1932 die NSDAP mit einem Ergebnis von 38,4 %, während die Nazis im mehr oder minder vollständig Protestantischen Wahlkreis Potsdam I lediglich 38,1 % holte.


Aber wählen wir vielleicht nochmal einen anderen Ansatz als den Vergleich einzelner Wahlergebnisse, der vielleicht etwas willkürlich erscheinen mag:

Die Protestanten machten im Jahr 1925 ca 64,12% der Bevölkerung Deutschlands aus, die Katholiken 32,35% bis 1933 sank der Anteil der Protestanten auf 62,66%, der Anteil der Katholiken auf 32,46% die restlichen Punkten entfielen auf Juden und Konfessionslose.

Über den Daumen waren also etwa 1/3 der deutschen Wahlberechtigten Katholiken und die NSDAP holte reichsweit im Juli 1932 37,1% der Stimmen und im November 1932 33,1% der Stimmen.

Wenn wir annehmen dass Protestanten auf Grund ihres Protestantismus anfälliger für die Tendenz waren NSDAP zu wählen müsste mit fallendem Katholikenanteil in den Provinzen, wenn die Anzahl der Katholiken 1/3 der Bevölkerung deutlich unterschritt die Zustimmungswerte der NSDAP deutlich über den Reichsdurchschnitt hinausgeklettert sein, in Provinzen mit einem Katholikenanteil von einem Drittel oder mehr müsste sich der Zustimmungswert für die NSDAP im Reichsdurchschnitt oder darunter befunden haben.

Im Juli lag der Reichsdurchschnitt bei 37,1% bei potentiell einem Drittel katholischer Wähler.
Folgende Wahlkreise weichen deutlich von der Regel ab:

- Hamburg (nahezu vollständig Protstantisch, aber lediglich 33% NSDAP)
- Potsdam I zwar 38,1% Zustimmung für die NSDAP, aber so gut wie keine Katholiken in der Bevölkerung, wäre die Annahme zutreffend müsste das Wahlergebnis der NSDAP deutlich höher ausgefallen sein, als lediglich einen Prozentpunkt über dem Reichsdurchschnitt.
- Potsdam II mehr oder minder vollständig protestantisch 33% NSDAP
- Berlin ebenfalls nahezu vollständig protstantisch, 33,4% NSDAP
- Leipzig 36,1% NSDAP aber so gut wie keine Katholiken.
- Pfalz ein Drittel oder mehr der Bevölkerung katholisch, mit 43,7% für die NSDAP deutlich über dem Reichsdurchschnitt.
- Baden trotz katholischer Bevölkerungsmehrheit mit 36,9% nahezu im Reichsdurchschnitt der NSDAP.
- Frankren trotz eines Katholikenanteils der sicherlich jedenfalls deutlich über einem Drittel der Bevölkerung lag mehr Zustimmung für die NSDAP als im Reichsdurchschnitt.

Das sind alleine bei der Wahl im Juli 1932 nicht weniger als 8 Wahlkreise, die von der Annahme deutlich abweichen.
Kleinere Abweichungen habe ich unberücksichtigt gelassen und mir jetzt auch nicht die Mühe gemacht die genauen konfessionellen Verhältnisse etwa in Würtemberg, Weser-Ems, Westfalen-Süd oder Düsseldorf-Ost heraus zu suchen, auch möglich, dass da noch deutliche Abweichungen von der Regel zu finden wären, wenn man die genauen Zahlen ermittelt.

Schauen wir uns die Wahl im November an:

Der Reichsdurchschitt der NSDAP lag bei 33,1%. Deutliche auf den ersten Blick absehbare Abweichungen zeigten wie gehabt:

- Hamburg
- Potsdam I
- Potsdam II
- Berlin
- Leipzig
- Pfalz
- Baden
- Franken

Neue auf den ersten Blick erkennbare Abweichungen:

- Dresden-Bauzen 33,9% NSDAP, damit nahezu im Reichsdurchschnitt, aber deutlich unter einem Drittel Katholiken in der Bevölkerung.
- Merseburg 34,5% NSDAP aber ebenfalls nahezu vollständig protestantische Bevölkerung.

Kleinere Abweichungen:

- Mecklenburg das mit 37% NSDAP zwar 4 Punkte über dem Reichsdurchschitt liegt, bei einer nahezu vollständig protestantischen Bevölkerung wäre allerdings eine höhere Abweichung, sicherlich über 40% zu erwarten gewesen.

Sonstige Kadidaten für kleinere Abweichungen, die ich nicht näher überprüft habe:

Weser-Ems, Westfalen-Süd, Düsseldorf-Ost, Würtemberg, wo ich mir auch hier nicht die Mühe gemacht habe die konfessionellen Verhältnisse genauer zu überprüfen.

Das sind in diesem Wahlgang 10 ins Auge fallende nicht zur Regel passende Ergebnisse eine ins Auge fallende Abweichung im kleineren Rahmen und einige Kandidaten für mögliche weitere Abweichungen.

Das sind bei 2 Wahlgängen also nicht weniger als 18 Wahlkreisergebnisse, die so überhaupt nicht ins Bild passen.
Und das lässt sich nicht mehr als Ausnahme wegverhandeln.

Aber auch bei der Wahl im November 32 stimmten in Mecklenburg-Schwerin immerhin fast zwei Drittel der Wähler für republikfeindliche Parteien, wenn man die Stimmen der KPD noch mit dazu rechnet.

Ich sage es nochmal: Ich habe nie behauptet, dort wäre republiktreu gewählt worden und ich habe auch nie behauptet, die Protestanten wären im Schnitt Republiktreuer gewesen, als die Katholiken, dass sind völlig andere Fragen.
Wir waren bei der Frage, ob sich aus dem Protstantismus eine höhere Akzeptanz für Antisemitismus und am Ende für den Nationalsozialismus herleiten lässt.

Akzeptanz für ein gewisses Maß an Antisemitismus lässt sich an Zustimmung für die DNVP, die das vertrat ebenso in einem gewissen Maße voraussetzen wie im Fall der BVP (das Thema wurde weiter vorne angsprochen), Akzeptanz für das nationalsozialistische Vernichtungsprogramm oder Zustimmung für den NS oder Hitler lassen sich daraus nicht ableiten und aus Zustimmungswerten für die KPD schon überhaupt nicht.
 
das unbestreitbare Faktum hingewiesen, dass die Konfession einen großen Einfluss auf die Wahlentscheidungen hatte.
Welchen denn? Worin zeigt sich das Faktum?
Und wenn ja, hat "die Konfession" nur diesen einen Einfluss und womöglich zeitlich begrenzt? (Vor 1918 und gar vor 1871 gab es kaum Wahlmöglichkeiten, da schlummerte der Einfluss offenbar im Dornröschenschlaf)
 
Wir waren bei der Frage, ob sich aus dem Protstantismus eine höhere Akzeptanz für Antisemitismus und am Ende für den Nationalsozialismus herleiten lässt.
Richtig: in diesem Kontext waren seit mehreren Seiten die verschiedenen Wahlergebnisse der Weimarer Zeit diskutiert worden.
Und wenn man die Behauptung (ich glaube, sie stammt von Dion?), dass die Wahlergebnisse der Weimarer Zeit explizit ein protestantisches Faible für die Nazis nachweisen würden, ernst nimmt, stellen sich ein paar Fragen (was ich zuvor gemacht hatte) - aber ich erinnere nochmal an den Beitrag zur Statistik von @silesia

Wenn jetzt unabhängig vom obigen Kontext ganz allgemein als Faktum dargestellt wird, dass die Konfession großen Einfluss auf das Wahlverhalten habe, und das speziell bezogen auf die Weimarer Republik (so verstehe ich @Nikias ) dann lässt mich auch das zweifeln, meine Gründe oder besser Überlegungen hatte ich genannt.
 
Wenn es in Ostpreußen tatsächlich nur 10% Katholiken gab, müssen diese ja zu 75% das Zentrum gewählt haben, damit dieses auf 7,5% kommen konnte. Das scheint ja jetzt doch wieder auf einen erheblichen Einfluss der Konfession auf die Wahlentscheidung zu sprechen.

Das Ermland war eine konfessionelle Insel, da machte bei der Randständigkeit der Katholiken in der Provinz eine deutlich höhere Zustimmung zur katholischen Interessenpartei als im Reichsdurchschnitt Sinn.

De facto machten die Katholiken in etwa 1/3 der Bevölkerung aus:

Demografie / Länder – Weimarer Republik

Zentrum/BVP holten im November 1932 15% der Stimmen, im Juli 15,7%, bei den Reichstagwahlen 1930 14,8%, Bei den Reichstagswahlen 1928 15,1%.

Heißt die Wählerkilentel von Zentrum und BVP war zwar relativ treu und anscheinend recht stark gebunden allerdings wählten selbst wenn man annimmt, dass diese Parteien keine protestantischen Wähler hatten, weniger als die hälfte der Katholiken reichsweit diese Parteien.
Das es keine oder kaum protestantische Wähler gab, ist für das Zentrum plausibel, insofern die BVP neben katholischen aber auch spezifisch bayerische Regionalinterssen vertrat, die durchaus auch Protestanten in Bayern ansprechen konnten, würde ich im Falle der BVP meine Hand nicht dafür ins Feuer legen.

Aber selbst wenn, wir annehmen würden, dass irgendwas zwischen einem Drittel und der Hälfte der Katholiken Zentrum und BVP wählten, sagt uns das noch nichts über die Beweggründe der Wahl, die nicht zwangsläufig religiöser Natur gewesen sein müssen, denn der Katholizismus war ja nicht das einzige Thema dieser Parteien, auch beim Zentrum nicht.
Das Zentrum/BVP standen für eine konservative Politik, weitgehend (wenn wir mal vergessen, was bei Teilen der BVP 1923 und im Vorfeld dessen lief), auf dem Boden von Republik und Verfassung. Das vertrat sonst allenfalls die DVP, die aber eher eine Elitenpartei war und mit ihrem eher protestantischen Profil für die Katholiken eher wenig attraktiv gewesen sein dürften und darüber hinaus zwischen 1924 und 1928 noch die DNVP, die danach aber wieder auf republikfeindlichen Kurs ging.

Was die Zentrumswähler betrifft, wissen wir nicht, wie viele Katholiken das Zentrum wählten, weil es dezidiert katholische Interessen bespielte oder weil sie einfach eine konservative Politik ohne stark evangelischen Einschlag und ohne die Sonderinteressen der Agrarier im Osten und ohne oder jedenfalls mit vergleichsweise wenig Antisemitismus haben wollten.

Zentrum und BVP als die Parteien, die dezidiert religiöse Interessen vertraten, banden ca. 15% der Bevölkerung. das war nicht sonderlich viel.
Und wenn wir annehmen, dass die regionalen Bayerischen Sonderinterssen und das Modell einer konservativen Politik auf dem Boden der Verfassung, dass 1932 sonst nur noch die DVP vertat für einige Prozentpunkte verantwortlich sind, dann banden religiöse Interessen hier vielleicht noch 10% der Wähler und 1/3 der katholischen Wähler.
Hätte es analog eine schichtübergreifende protstantsiche Interessenpartei gegeben, die auf dem Boden der Republik gestanden und 1/3 der protestantischen Wähler gebunden hätte, hätte die Weimarer Republik wahrscheinlich überlebt.
Stattdessen gab es eben zwei protestantisch angehauchte Klientelparteien, die aber vor allem die Interessen der Oberschichten vertraten und von denen die DNVP zwischen Akzeptanz und Ablehnung der Republik hin und her schwankte.

Das die Konfession aber eine bsondere Mobilisierungswirkung gehabt hätte, sehe ich nicht.
Die beiden katholischen Intressenparteien mobilisierten 15% der Wähler und sicherlich nicht alle davon mit rein religiösen Argumenten, eine Millieuübergreifende protestantsiche Interessenpartei gab es nicht.
DVP und DNVP waren ihrem Profil nach zwar protestantisch spielten aber die Interessen der protestantsichen Gutsbesitzer und Industriellen gegen diejenigen der protestantischen Arbeiter und des protestantischen Agrarproletariats aus, eine dezidiert protestantische Programmatik mit der sich mobilisieren ließ, hatten sie eigentlich nicht.
Die NSDAP hatte eine solche schon überhaupt nicht.

Ich würde die Mobilisationswirkung der Kofessionen nach wie vor als gering einstufen. Nichtsdesto weniger hätte die Republik wohl überleben können, wenn es eine protestantische Partei auf dem Boden der Republik gegeben, hätte, die im ähnlichen Maße wie BVP/Zentrum Wähler hätte binden können.
Das liegt aber nicht an der überagenden Bindewirkung, sondern daran, dass die demokratiefeindlichen Parteien 1932 zwar eine Mehrheit errgangen, diese aber ziemlich dünn war:

NSDAP, KPD und DNVP erziehlten zusammen:

- 1930 38,4 %
- 1932 (1) 57,5 %
- 1932 (2) 57,3 %

der Stimmen.

Eine republiktreue protestantische Intreressenpartei, die in der Lage gewsen wäre vielleicht 10-15% der auf die NSDAP, KPD und DNVP entfallenden protstantischen Wähler zu binden, hätte also möglicherweise zur Rettung der Demokratie ausgereicht.
Von dem her eher geringes Mobilisierungspotential, möglicherweise aber durchaus entscheidend für den weiteren Verlauf der Geschichte.

Wir haben hier also regionale Besonderheiten, die das relativ schlechte Abschneiden der NSDAP erklärt.[...]

Nun wie gesagt, ich komme bei den beiden Wahlen 1932 auf nicht weniger als 18 Wahlkresiergebnisse, die von der Regel ziemlich deutlich abweichen das sind ein paar viele um einzig auf regionale Besonderheiten abzustellen.

Im Übrigen, wenn man mit regionalen Besonderheiten argumentiert, müsste man das bei allen Wahlkreisergenissen berücksichtigen, nicht nur bei denjenigen, die der eigenen Argumentation nicht in den Kram passen.

Ich könnte z.B. dagegenhalten und Behaupten, dass die von Deutschland abgeschnittene Insellage (Ostpreußen), die schlechte wirtschaftliche Situation, die Angst vor möglichen polnischen Versuchen der Grenzrevision, die agrarischen Monostrukturen und der Zollkrieg mit Polen sonderfaktoren sind, die die NSDAP-Wahlergebnisse in Ostpreußen, Pommern, und Ostbrandenburg-Grenzmark (Wahlkreis Frankfurt-Oder) künstlich nach oben getrieben haben und man das nicht einfach auf den Protestantismus schieben kann.

Es war eben offensichtlich das Problem, dass im protestantischen Bereich keine dem Zentrum vergleichbare Milieupartei gab.

Einverstanden.

Das sozialistische und das konservativ-reaktionäre Milieu waren offensichtlich wesentlich widerstandsfähiger gegenüber dem Nationalsozialismus als das liberale Milieu.

Eigentlich nicht, würde ich meinen.
Die Hochburgen der DNVP in Ostpreußen und Pommern waren die Provinzen, die die Nazis als erstes übernahmen.
Bei der Reichstagswahl 1928 holte die DNVP in Ostpreußen mit 31,3% und in Pommern mit 41,6% die Mehrheiten
Bei der Wahl 1930 gewann die NSDAP in Ostpreußen mit 22,5 und die DNVP in Pommern nur noch mit 24,8%.

Reichsweit halbierte die DNVP im selben Zeitraum ihr Wahlergebnis, von 14,3% 1928 auf auf 7% 1930.

Auch die DVP, die man sicherlich als konservative Partei, mit einigen liberalen Einschlägen betrachten kann verlor in diesem Zeitraum 4,2%, die CNBL als Spaltprodukt der DNVP legte um 1,3% auf 3,2% zu.

Die Nazis legten bei dieser Wahl um 15% zu.

Das konservativ-reaktionäre Millieu, wie du es nennst, war nicht stabiler, es war nur insgesamt vor 1930 deutlich größer und verlor bereits vor dem Erdrutschsieg der Nazis im Juli 1932 einen Großteil seiner Wähler an die Nazis, inklusive der einstigen DNVP-Hochburg Ostpreußen, während die DNVP in Pommern über ein Drittel ihrer Wähler verlor und zwar zum überwiegenden Teil ebenfalls an die Nazis.
 
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