Die neue Welt des Nationalismus
Vielleicht gelingt es mir meinen (ergänzenden!) Blickwinkel noch etwas deutlicher zu machen.
Relativ kleine, übersichtliche Berufsarmeen lassen sich prinzipiell recht schnell modernisieren. Ein Offizierskorps, das von einem entsprechend professionellen Geist beseelt ist, wird sich auch immer direkt mit Neuerungen und Modernisierungen befassen, auch wenn ihr Staat ihnen diese Mittel vorenthalten sollte (Siehe Reichswehr). Bei Massenheeren sieht es anders aus. In ihren Reihen dienen zwangsläufig mehr eher „durchschnittliche Offiziere“ ohne den Kadergedanken, der etwa in der Reichswehr anzutreffen war. Alle Veränderungen und Vorgänge verlaufen dort langsamer, um nicht unterschiedliche Entwicklungen innerhalb der Streitkräfte Vorschub zu leisten und die Konformität der Truppen zu wahren. Allein die Aufstellung der Massenheere und ihre Planung war etwas grundlegend Neues in ihrer gewaltigen Dimension. Man musste sich fragen wie man diese Truppenmassen überhaupt sinnvoll einsetzen sollte. Schon die logistischen Veränderungen waren enorm und jede Umstellung stellte die Logistiker wieder vor neue, bislang ungekannte Herausforderungen. Es sollte der erste Krieg mit weitgehend durchlaufenden Frontlinien zwischen den Gegnern werden…. Schon dieses Feld bedurfte besonderer Aufmerksamkeit aller Planungs- & Ausbildungsstellen! Kurz gesagt setzten alle Seiten in der Vorkriegszeit mehr auf Masse, denn auf Klasse. Dies ist ein grundlegendes Paradigma für alle weiter führenden Überlegungen – und ein Handicap für jede Professionalität.
Einige von Bdain erwähnte Episoden unterstreichen doch, dass nicht nur im deutschen Heer republikanisch/konstitutionelle Strömungen potentiell für manche Regierung gefährlich werden konnten. Es ist für uns Heutige die „institutionelle Gewaltenteilung“ so sehr selbstverständlich, dass die Armee als innenpolitischer Faktor unterschätzt wird. Dass dies nicht der Fall sein sollte sieht man an aktuellen Beispielen, nicht nur in Ägypten… Die Militarisierung der Gesellschaft brachte das alte System des innenpolitischen Machterhalts und Gleichgewichts in ein zumindest gefühltes Ungleichgewicht. Es war nun nicht mehr so, dass eine gesellschaftliche Elite durch überschaubare Maßnahmen und Mittel im Zweifel auch gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung handeln konnte. Man kann dieser Militarisierung der Gesellschaften Europas nicht absprechen, auch einen egalisierenden Einfluss über die gesellschaftlichen Schichten hinweg gehabt zu haben. Etwas, worauf sich sowohl der faschistische Mythos der „Volksgemeinschaft“, als auch der sozialistische „Bauern- & Soldatenräte“ (bei den frühen Bolschewiken) und der ursprüngliche Ansatz der deutschen Bundeswehr des „Bürgers in Uniform“ berufen. All diese „Ideologien“ zielen auf (wenigstens zweckgebundene) Überwindung sozialer Unterschiede eines Staates ab. Damit fassen wir auch wieder die Grundgedanken der (französischen) Revolution, die dann weiter zum damals neuen „Konzept des Nationalismus“ weitergesponnen werden können… Doch zurück:
Das Offizierskorps hatte schon immer die jeweilige Regierungsform eines Landes ebenso loyal gegenüber zu sein, wie den außenpolitischen Interessen ihres Landes. Das dazu auch soziale Prozesse und Verwerfungen in die Armeen hineinspielen ist nur zu verständlich, ebenso daraus resultierende Kompromisse in den Streitkräften.
Das hatte auch direkte Rückwirkungen auf die Taktik: Die Linienformationen des Absolutismus waren nicht allein zur Steigerung der Feuerkraft geeignet, sie ermöglichten es auch den Offizieren ihre Truppe direkt zu kontrollieren. Desertation wurde damit erschwert. Aus dem gleichen Grunde wollten auch die Vorkriegsoffiziere des 1.WK gerne ihre Truppe gerne wieder so führen, das sie jede Abweichung leicht erkennen und einschreiten konnten. Das war in Kolonne leichter als in Schützenketten! Gerade die Änderungen dieser Taktik trugen doch letztlich dazu bei, dass sich das Unteroffizierskorps in seiner Bedeutung wandeln sollte: Nicht länger Gehilfen und Ausführende ihrer Offiziere, wurde nun bald von ihnen eigenständige, auch taktische Entscheidungen eingefordert. Gerade die Ausprägung des Unteroffizierskorps in der Wehrmacht des 2.WK gilt doch als eine Ursache für ihre taktische Flexibilität. Aber wenn es in der kaiserliche Armee schon „Ängste“ gab, die Truppe sei nicht mehr gut (politisch) in der Hand zu haben, wenn nicht länger genügend adelige Offiziere zur Verfügung ständen… Wie viel „adeligen Kontrollverlust“ hätte es dann bedeutet, das nichtadelige Unteroffizierskorps entsprechend einbinden zu wollen? Man sollte diese Betrachtungsweise auch nicht nur auf Monarchien beschränken: Auch in den Republiken fürchteten die Machthaber die Einflüsse innenpolitischer Gegner in der Armee und damit Machtverlust. Das ist allen Eliten zu allen Zeiten gleich geblieben. Wo deutsche Fürsten also „Revolution“ wittern mochten, steckte in Frankreich die Erfahrung mit der „Pariser Kommune“ in den Knochen.
Pariser Kommune ? Wikipedia
Ich möchte also feststellen, dass die mangelhafte Anpassung des Militärs an die neuen taktischen & technischen Herausforderungen der Zeit auch an soziale- und machtpolitische Fragen gekoppelt sind & waren.
Dann die bereits schon genannten finanziellen Einflüsse, wo immer das letzte Wort bei der Entscheidung zur Einführung von neuen Waffensystemen fällt. Es reicht ja auch nicht neue Doktrinen und Waffen „einzuführen“, es braucht ja auch Zeit diese Veränderungen praktisch durchzuführen: In Ausbildung und Fortbildung der Offiziere und Mannschaften in ausreichender Tiefe um die Einheitlichkeit der Truppen garantieren zu können. Nichts ist schlimmer als wenn innerhalb einer Armee unterschiedliche Sprache gesprochen wird, wenn es um Befehle geht – Diese Nivellierung braucht seine Zeit. Nur in Kriegszeiten komprimiert die schnelle „Auslese“ bei ausreichender Dauer solche Prozesse. Auch braucht man sich dann nur noch wenige Gedanken über innenpolitische Loyalitäten zu machen, solange es nicht zu katastrophalen militärisch/politischen Schlappen kommt. Die Kriegszeit, in denen die preußische Armee des 19.Jht. seine Erfolge durch technische und taktische Wandlungsfähigkeit erfolgreich bestand, ist auch eine Erklärung für diesen forcierten Prozess. Vereinfacht gesagt gewannen die Preußen ihre ersten Kriege [nicht nur]durch ihre moderne Infanteriebewaffnung etwa gegen Dänen und Österreich. Gegen Frankreich stach diese Karte nicht aufgrund der hervorragenden Ausbildung und überlegenen Bewaffnung der Franzosen: Hier bot die gerade reformierte und überlegene Artillerie den entscheidenden Rückhalt. Dabei hatte die preußische Artillerie 1866 gegen die Österreicher nicht immer gut ausgesehen… Im Verlaufe des Frankreichkrieges bekam die Führung seine Truppen so gut in den Griff, beflügelt durch gemeinsame Erfolge, dass man sich auch traute in erheblichem Umfang auf Schützenkettentaktik zurückzugreifen: Also eine Folge der Erfahrung der Truppe, des Vertrauens der Führung in diese (auch vor dem Hintergrund der überlegenen französischen Infanteriebewaffnung)!
Ich denke die stärksten Beharrungskräfte innerhalb einer Armee sind politische Rücksichten auf Loyalitäten und Finanzen, sowie Selbstgefälligkeit: Die preußische Armee hatte sich nach dem Schock der Revolutionen im 19.Jht. allen Anforderungen als gewachsen gezeigt. Danach handelte man teils nach dem Motto: „Never change a running system“, war zu oft Getriebener von Neuerungen als dessen Vorreiter. Frankreich musste sein Militär nach der Niederlage 1871 überdenken, der ständige Gedanke an Rache motivierte diese Nation immer am Puls der Zeit zu bleiben – Ebenso die Reichswehr nach dem verlorenen 1.WK. Hatte sich nicht Preußen auch zu lange nach den Befreiungskriegen auf dem vergangenen Ruhm ausgeruht? Mit fatalen Folgen nicht nur innenpolitisch in Form der Landwehr während der Revolution 1848/49, sondern auch in den Mängeln während ihrer Einsätze in Deutschland infolge der Revolution (Baden, etc.). Man sollte auch nicht vergessen, dass sich der spätere Kaiser Wilhelm I. in jener Zeit seine militärischen Sporen „verdiente“, als er preußische Interventionstruppen gegen revolutionäre Truppen anführte. Er erhielt den Spitznamen „Kartätschenprinz“. Die Aufstellung der Massenheere an sich war bereits eine große organisatorische Leistung der modernen Nationen.
Wir wollen ihn nicht haben den Herrn Kartätschenprinz - Volksliederarchiv
@Bdaian: Mit all diesen Aussagen will ich deine Ausführungen nur ergänzen und z.T. vertiefen. Ganz sicher traten alle Armeen 1914 mit unzulänglichen taktischen Konzepten in einen Krieg ein, der in seiner Art alle Vorstellungen darüber sprengen sollte. Es fehlte nicht an entsprechend weitsichtigen Köpfen*, doch „Gründe“, wie die von mir angesprochenen verhinderten entweder dass sie überhaupt zur Kenntnis genommen wurden, oder verwässerten ihre Umsetzung bis zur Unkenntlichkeit. Auch die leitenden Offiziere und Politiker waren zu sehr Kinder ihrer Zeit um alleine „Profis & Visionäre“ sein zu können. Ich denke gerade König/Kaiser Wilhelm I. ist hierfür ein sehr gutes Beispiel mit seiner Biographie.
* Ich verweise auf die ersten Kapitel zu „Vom Einzelschuss zur Feuerwalze…“