Ob nicht doch dieser Bombenkrieg den Krieg verkürzt hat, kann so einfach nicht widerlegt werden. Wenn ich zeitgenössische Tagebücher lese, gab es doch erhebliche Auswirkungen auf das Transportwesen sowie auf die Moral der Truppen an den Fronten.
Nicht nur nicht widerlegt, sondern es gibt zahlreiche Hinweise.
Die Auswirkungen auf die "Moral" bzw. den Durchhaltewillen sind nur eine Seite. Obwohl hier in anderen posts mehrfach angesprochen und individuell zitiert, ist das praktisch dagegen kaum einzuschätzen, da man über die Entwicklungen "ohne Bombardierungen in diesem Ausmaß" spekulieren müßte.
Man sollte aber die materiellen Auswirkungen nicht übersehen, und die lassen sich wesentlich besser greifen:
- nach der Aussage Speers (Kransberger Protokolle) banden die Luftschlachten 30-40% der jährlichen Produktionskapazität von Geschützen und Munition; dieses bezieht auf die personellen Kapazitäten, hinzu kommen Werkzeugmaschinen, Engpaß-Materialien (zB Aluminium!), Jäger-Produktion, Fahrzeuge, Geräte etc. etc.
- darüber hinaus waren - ich würde das im Millionen-Bereich einschätzen (wobei eben zB auch die Luftwaffenhelfer den Auftakt einer Art "Volkssturm" bildeten, was die Allierten so nicht vorgesehen hatten) - gewaltige personelle Kapazitäten im Bereich der Industrie, Trümmerbeseitigung, Instandsetzung, Löschgruppen, Ordnungskräfte etc. gebunden, die ansonsten für die totale Mobilisierung im deutschen Machtbereich und damit für die kämpfenden Fronten frei geworden wären.
- die Auswirkungen auf die Treibstoffindustrie sowie die Schäden und Stockungen in der übrigen Rüstungsindustrie (Panzer, Flugzeuge, Munition, Geschütze, Elektronik, usw.) sind zusätzlich zu bewerten. Hier geht es nicht um die erzielten Steigerungen 1943 -> 1944, sondern um die Betrachtung von realisierbaren Steigerungen "ohne Bombenkrieg".
- das Deutsche Reich betrieb schließlich - und dabei wurden die KZs und Zwangsarbeiter eingeschlossen - seit 1943 einen gigantischen Aufwand, um Schlüsselindustrien "unter die Erde" zu bringen. Hier ergibt sich eine dramatische Folgewirkung aus den Opfern unter diesen Menschen, die so allierterseits vermutlich nicht gesehen, aber später wahrgenommen wurde (zB Luftbildaufnahmen von DORA-Mittelbau). Im Rahmen dieses totalen Krieges wurden daneben erhebliche Stoffressourcen gebunden; es ist keinesfalls zynisch gemeint, aber der Einsatz dieser Menschen (in der Folge: die Opfer) wäre auch auf anderen Rüstungsgebieten durch das Regime sicher erfolgt - man kann sich hierzu das SS-Wirtschaftssystem betrachten.
Insgesamt wird diese Fesselung der industriellen und personellen Kapazitäten kaum beachtet. Sie ist aber neben die Diskussion über die Moral und den Durchhaltewillen der Bevölkerung und der Wehrmachtsangehörigen zu stellen, wenn man den Bombenkrieg betrachten will. Dazu sind auch individuelle Äußerungen über "Kriegsmüdigkeit" oder Durchhaltewillen kaum brauchbar.
Ich würde schätzen, ausgehend von den Äußerungen Speers, dass hier tatsächlich 30-40% der unmittelbaren und derivativen Kapazitätsbindungen des gesamten industriellen Potentials im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten lagen, die eben keine Panzer oder Flugzeuge produzierten, die dann wieder an der Ostfront oder der Normandie zum Einsatz kommen konnten.
Daher würde ich die Aussage teilen: der Krieg ist wesentlich verkürzt worden. Und dieses würde ich auch schon für die Ressourcenbindung 1943 so sehen, da ab 1942 die Bindungswirkung aufgrund der erwarteten alliierten Luftschläge tatsächlich eintrat: die Speerschen Äußerungen für die Ist-Produktion 1943/44 hatten nämlich einen entsprechenden industriellen Vorlauf, die Diversionswirkung trat wesentlich früher ein, als die Ausstoßzahlen etc. abbilden.