Salve Andreas, eine wirklich schöne Argumentation. Im großen und ganzen möchte ich ihr nicht widersprechen, ich selbst verfechte keinerlei "Ansicht". Ich werde einfach nur ein wenig kriteln.
Andreas schrieb:
Warum sollte das Museum Kalkriese für die Varusschlacht optieren, wenn eine andere wahrscheinlicher wäre?
Mir fällt nur ein ? wenn auch gewichtiger ? Grund ein: weil die Varusschlacht bekannter ist, und man sich so öffentliches Interesse und Fördergelder sichern möchte.
Da kommen noch einige mehr dazu: Etwa das ansehen derjenigen, die damals bestätigten oder "behaupteten" es handele sich um Varus. Deren Reputation würde etwas leiden, sollte die Fachwelt anderes behaupten.
Auch der Tourismus und das in den "Varusschlachtpark" geflossene Geld ist ein Thema.
Dennoch halte ich diesen Grund nicht als Motivation für einen Wissenschaftsbetrug ausreichend.
Keiner spricht von Wissenschaftsbetrug. Damals glaubten fast alle, der Platz sei gefunden und nur wenige kritische Stimmen kamen auf. Aber man kann sich irren.
Umgekehrt ist natürlich auch bei unbekannteren Archäologen und Althistorikern die Motivation da, einen Gegenbeweis zu erbringen, um sich in der Fachwelt einen Namen zu machen - aber auch das halte ich für eine zu geringe Motivation.
Vorsicht mit solchen Formulierungen. Zum einen sind auch renomierte Fachpersonen unter den Kritikern, zum anderen nimmt jeder Akademiker sowas sehr persönlich.
Viele hier im Forum führen die Schlacht an den Brücken als das wahrscheinlichere Ereignis an, das in Kalkriese stattfand und berufen sich dabei auf dendrologische Untersuchungen von Bohlwegen, die in der Nähe aufgefunden wurden. Wenn ich das aber richtig sehe, dann haben die Legionen des Germanicus bei ihren Strafexpeditionen auch Überreste der verloren gegangenen Legionen des Varus gefunden.
Dabei geht es um Zeit - und Geographische Räume. Tacitus verzeichnet nicht all zu viel von derartigen Bautätigkeiten, wenn dies also nur eine weitere Stelle römischer Bohlen wäre, so wäre sie zumindest nicht verzeichnet. Daraus schließen die Vertreter, zu recht oder unrecht, der Brückenschlachtidee, das es keine weiteren gab bzw. es diese jenige welche sein muß. Die Kapitel dazu lesen sic übrigens recht schnell, ich lege sie dir hiermit ans Herz.
Dafür sprächen die Massengräber im Bereich entlang des Wiehengebirges in denen ganz offensichtlich römische Soldaten einige Jahre nach ihrem Tod bestattet wurden.
Dem Museum zufolge sollen die Gebeine, die sowieso unzusammenhängend sind, Spuren davon aufweisen, dass sie mehrere Jahre an der Luft gelegen haben und erst später in diesen Massengräbern verscharrt worden sind. Das spräche also dafür, dass sowohl Varus? Legionen, als auch Germanicus? Legionen hier gewesen sind.
Nicht unbedingt. Es handelt sich bislang nicht um eine wirklich beeindruckende Leichenmenge. Es könnte sich also durchaus auch um eine verspätete Auffindung zu einem späteren Zeitpunkt handeln. Auch andere, derartige Theorien existieren, ich bin aber nicht geneigt sie alle aufzuzählen.
Wichtig auch: es fand sich bislang nichts, auf dem eine der untergegangenen Legionen eindeutig nachgewiesen werden konnte. Die Soldaten der Legionen neigten nicht selten dazu irgendwo ihre Legion, deren Initialen oder die Schutzgötter / Gestalten einzuritzen. Derartiges ist nicht aufgetaucht. Auch ist das Fundgut relativ rar, selbst für ein "aufgeräumtes" Schlachtfeld.
Die Bohlwege wären also, obwohl dendrologisch richtig auf 15/16 datiert, kein Widerspruch zur Varusthese.
Sie sind sehr wohl ein kritisches Element, das zu beachten gilt und die 100%ige Sicherheit, und nur darüber können wir reden, zerstört.
Auch muß man bedenken, dass die Darstellung des Tacitus, auf die sich wieder mal so viel stützt, ehr als ein halbes Jahrhundert später geschah, über die Authenzität kann also wieder nur spekuliert werden und örtliche Verbindung sind fast auszuschließen, da schmilzen Wochenmärsche zu Tagesreisen.
Eines der größten Probleme der Varuslokalisation ist eben die Literaturauswertung. Daran kann man sehr viel passende Argumentationen rekonstruieren.
Weitere Argumente für die Varusschlacht: Die bisher im Schlachtgebiet gefundenen Münzen sind alle vor 9 n. Christus geprägt worden, keine später. Dies ist zwar kein Beweis dagegen, dass die Münzen von Soldaten des Germanicus stammen, aber schon ein gutes Indiz für Varus.
Münzen sind immer ein mehr als schlechter Datierungsanhalt, auch wenn es auf den ersten Blick anders wirkt. Was man aus ihnen schließen kann: es kann nicht vorher in den Boden gekommen sein, also sind die Funde über und um die Münzen herum def. nach Varus zu datieren.
Dann wurde mit dem Grassodenwall argumentiert: Das Maultierskelett konnte als im Herbst verschieden bestimmt werden. Ein Argument für Varus, da die Schlacht auf dem Weg ins Winterlager stattfand.
Und einiges dagegen. Wo ist die Ausrüstung, wieso nur ein Maultier, wo es doch sehr viel mehr sein müßten...
Die meisten römischen Gegenstände wurden unterhalb des Walls zu Sumpfseite hin gefunden, nur wenige oberhalb zur ?Berg?seite. Warum sollten die römischen Soldaten unterhalb des Walls gekämpft haben, wenn sie selber den Wall angelegt haben? Warum sollten sie den Heimvorteil aufgeben? Also auch das spricht für Varus.
In der Tat.
Die Römer waren eine Armee die in Feldschlachten überlegen war. Sie hatten schweres Marschgepäck und sollten deshalb tunlichst Sümpfe meiden. Diese Stelle bot also den Germanen, der Umgebung, die kein Marschgepäck und keine Schwere Rüstung trugen einen strategischen Vorteil. Die Germanen waren es auch, die eine Feldschlacht vermeiden mussten.
Die Ereignisse, die zur Brückenschlacht führten sind besonderer Natur, insofern kann man sie passend "formulieren".
Die bisherigen Fundorte ziehen sich entlang des Wiehengebirges über eine Strecke von 29 km und verstreuen sich im Westen. Sie lassen also auf ein heilloses Durcheinander schließen und darauf, dass die römischen Truppen sich auf der Flucht befanden und nicht mehr in der Lage waren sich zu sammeln. Das spricht im Übrigen auch dafür, dass das Offizierkorps (ist das eigentlich ein Anachronismus? Vermutlich ja...) als Autorität nicht mehr da war (weil tot) oder nicht mehr funktionierte. Auch das würde m.E. für Varus und gegen Germanicus sprechen.
"Offizierkorps" paßt in der Tat nicht ganz. Der Stab war vermutlich tot oder von der Truppe getrennt, die Centurionen deckten ihren fliehenden Männern den Rücken, waren tot, oder mitten drin und nicht mehr in der Lage etwas zu ordnen, wenn es denn Varus war.
Die weite Verteilung ist ein gutes, aber kein eindeutiges Argument. Gründe gibt es auch hier einige, die alle nicht so wirklich toll klingen, die eindeutige Sicherheit aber ins wanken bringen. Bspw. die ohnehin große Gebietsverteilgung einer Schlacht, das Fluchtverhalten der Germanen auch in den anderen bedeutenden Schlachten, der Charakter des Einzugsweges usw. usf.
Wie gesagt, damit will ich nicht für oder gegen Kalkriese sprechen, ich möchte nur auf begründete Zweifel hinweisen, ohne selbst zu spekulieren, wo es denn nun sein soll.
Nochmal an der Stelle lege ich das neueste Büchlein zum Thema ans Herz. Kostet auch unter 10 Euro, von daher eine erschwingliche Leistung.