Im Bezug auf Entwicklung des Deutschen Nationalstolzes für die Zeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 unter historischen Gesichtspunkten ist ein Artikel von E. Hobsbawm sehr interessant. 'Mass-producing traditions: Europe, 1870- 1914' in Hobsbawm & Ranger (1983) 'The Invention of Tradition' Cambridge University Press. (Leider, glaube ich, gibt es keine Deutsche Ausgabe des Buches. Keine die ich gefunden habe, aber ich lasse mich gerne korrigieren.)
Hosbawm behauptet, daß die Kleindeutsche Lösung eine historische Legitimierung gegenüber der Großdeutschen Lösung benötigte und im Grunde seine gesamte nationale Tradition auf Bismarck, Wilhelm I, und Sedan basierte. Deswegen sei es wichtig gewesen anhand von Traditionen und Symbolen, die zum Teil neu erfunden und zum Teil mit neuer Bedeutung inverstiert wurden, ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl zu erwecken, welches die Kleindeutsche Lösung legitimierte und die Nation in diesem Sinne erst klassenübergreifend erschuf. Er führt den 'Sedanstag' als Paradebeispiel an, und beschreibt eine Zeremonie wie dieser von Schulklassen begangen wurde, wobei Eichenlaub und Fahnen eine große Rolle spielten. Das Eichenlaub sollte den Sedanstag symbolisch mit einer sorgfältig ausgesuchten Teutonischen Vergangenheit verbinden (man denke an die Schlacht im Teutoburger Wald, vor Allem da es laut Hobsbawm das 'Germanische Gegenstück zu Römischen Lorbeeren' war.). Weiter beschreibt er das Singen der 'Wacht am Rhein' die sich ja direkt auf die damalige Feindschaft mit Frankreich bezieht, was den Blick von möglichen Innerdeutschen Schwierigkeiten ablenkt.
Hosbawm ist der Ansicht, daß diese Traditionen von der Elite erfunden oder umgedeutet wurden, um nationale Einheit und Nationalstolz zu gewähren und zu fördern. Leider erklärt er nicht wirklich wieso in seiner Meinung die Betroffenen der Kleindeutschen Lösung solche erfundenen Traditionen annahmen und sich damit identifizierten. In seinen Argumenten stellt er das Volk, welches sich beteiligte als bar jeder Tätigkeit oder Mitwirkung da, sondern beschreibt eine denkende Elite die einen Bedarf erkannt hat und ihn gedeckt hat. Er meint also, daß der gesellschaftliche Zusammenhalt durch Niedergang der Macht der Kirchen gefährdet war und eine denkende Elite einen Bedarf sah neue Symbole und Rituale zu erfinden um diesen Zusammenhalt zu gewähren.
Meines Erachtens nach ein durchaus lesenswerter Artikel, nur tut sich Hosbawm schwer damit zu erklären warum Nationalstolz ein Massenphänomen war/wurde/ist, wenn er immer wieder darauf pocht, daß es von 'oben herab' (seine Worte) aufgebaut wurde. Zwar bemerkt er , daß durchaus alte Symbole neu gedeutet wurden um das Kaiserreich historisch zu legitimieren, aber er erklärt nur unzureichend wie die Massenanziehungskraft zustande kam.
Um herauszufinden wie neu einige der scheinbar althergebrachten Traditionen und Symbole sind, ist das gesamte Buch sehr interessant, über die von Hobsbawm vorgebrachten Erklärungen und Argumente für die Entstehung des Nationalstolzes in Deutschland, Schottland, Frankreich etc, läßt sich streiten.
Nachtrag: In 'Nationen und Nationalismus' revidiert Hobsbawm sein Argument teilweise und deutet darauf hin, daß es proto-nationalistische Loyalitäten auch vor der Französischen Revolution gegeben haben mag, bleibt aber weitgehend bei seinem Argument, daß Nationen eine Erfindung von Eliten seien, und fasst es im obigen Artikel mit einem Zitat aus der Zeit der Vereinigung Italiens zusammen mit: "Wir haben Italien gemacht, jetzt müssen wir Italiener machen." (Wehe dem der böses bei diesem Zitat denkt
) Will heißen, daß Hobsbawm der Ansicht ist, daß solche proto-nationalen Bindungen erst durch gezielte Anwendung von Symbolen, Ritualen und Traditionen in einem passenden geschichtlichen Kontext dazu führen, daß- in diesem Falle- aus Menschen aus Sizilien/Savoyen etc, zu 'Italienern' werden.