"Industrieerzeugnisse" wurden wie definiert und um welche handelte es sich? Sind das Erzeugnisse für den privaten Endverbraucher (Löffel, Töpfe, Uhren, Druckerzeugnisse, Stoffe, Kleider) oder Investitionsgüter (Schienen, Lokomotiven, Drehbänke, Fräsmaschinen, Stahl- und Walzwerke, oder etwas in der Art) oder militärische Erzeugnisse?
Das wird alles von industriell geförderten Rohstoffen, bis zum Produkt für den staatlichen oder privaten Endverbraucher betreffen.
Russland, bzw. Russisch-Polen war ein nicht unbedeutender Abnehmer von so ziemlich allem, was die oberschlesische Industrie so erzeugte.
Kohlenförderung für die Energieversorgung, Roheisen und Halberzeugnisse für die Weiterverarbeitung auf der russischen Seite der Grenze, fertige Produkte und militärische Erzeugnisse dürften da auch drunter gefallen sein.
Militärgüter waren auch dabei, in Russland wusste man die Krupp'schen Geschütze durchaus zu schätzen und kaufte immer wieder nicht ganz unbedeutende Chargen an.
Wie kam es, dass die Steigerung der "russischen Tarife auf deutsche Industrieerzeugnisse um sagenhaften 500%" nur zu einem Exporteinbruch von 1/3 führte?
Wahrscheinlich dadurch, dass sie in Teilen des Landes, nämlich vor allem Russisch-Polen praktisch alternativlos waren, jedenfalls dann, wenn man nicht beim Erzfeind Österreich einkaufen wollte, oder exorbitante Preise für überlange Überlandtransporte berappen wollte.
Verkehrstechnisch, war der Norden und Nodrwesten Russisch-Polens, was den Außenhandel angeht, ja vor allem auf die Weichsel und auf Umschlag in Danzig verwiesen, der nächste größere natürliche Transportweg für den Südwesten der Provinz waren die Oder und der Hafen von Stettin, sofern man benötigte Güter nicht aus den Gebieten direkt hinter der deutschen oder der österreichischen Grenze beziehen konnte.
Die ersten größeren und für größere Gütermengen auch tatsächlich leistungsfähigeren Häfen, von Russisch Polen aus gesehen, die nicht in deutscher oder österreichischer Hand waren, wären Odessa oder Riga gewesen und das hätte mitunter lange Strecken auf der Eisenbahn vorausgesetzt, die, zumal in Russland nicht besonders gut ausgebaut, wesentlich höhere Frachtkosten fabrizierte.
Wahrscheinlich dürfte es jedenfalls in den Polnischen Bezirken, oder jedenfalls in den westlichen Bezirken Polens nach wie vor günstiger gewesen sein Güter direkt aus den Grenzregionen (Oberschlesien) oder über die natürlichen Wasserwege (Weichsel/Oder) und damit über Danzig oder Stettin kommen zu lassen und dann allenfalls noch eine kurze Strecke auf die Eisenbahn zu setzen, als sie über die Ostsee- oder Schwarzmeer-Gouvernements (Riga/Odessa) ins land zu holen und dann erstmal quer durch das Imperium kurven zu lassen.
Das hätte neben den Kosten durch die Eisenbahn auch mehr Schiffskilometer vorrausgesetzt, wenn man die Waren aus Westeuropa bezog.
Wäre außerdem die Frage zu stellen, ob in Sachen der Zölle auch alle Güter(klassen) tendenziell gleich behandelt wurden, oder ob bei Rohstoffen und Halberzeugnissen die Tarife deutlich niedriger blieben, was mindestens in Polen Sinn ergeben hätte, weil die bereits einigermaßen entwickelte polnische Industrie innerhalb Russlands auf Kohleimporte zur Aufrechterhaltung der Produktion und des Transportsystems (Lokomotiven/Dampfschiffe) angewiesen war. (Was der Hauptgrund für das Gerangel um Oberschlesien nach dem 1. Weltkrig ist).
Ein wenig Kohlförderung gab es in Russisch-Polen zwar, in einigen Gruben um Sosnowiec heru (grenzte direkt an das deutsche Oberschlesien), und wenn ich recht informiert bin, hatte man auch im Bereich Wolhynien bereits Kohlevorkommen entdeckt, war aber wohl nicht in der Lage, diese in wirklich großem Stil auszubeuten und damit reichte, was in Polen gefördert wurde zur Energieversorgung nicht hin.
Förderung im größeren Stil im Donbass hatte zwar begonnen, aber da hätten wahrscheinlich wieder die Transportkosten, zumal für Massengüter in keinem Verhältnis zu einander gestanden, wenn man auch einfach aus Oberschlesien oder aber aus anderen Exportländern (England) importieren, dafür aber über deutsches Gebiet musste.
Auf von der russischen Regierung selbst georderte Güter, wie die Kruppschen'Geschütze wird man keine Zollaufschläge verlangt haben.
Bei den Eisenbahnen weiß ich im Bezug auf Russland nicht, wie viele davon in privater und wie viele in staatlicher Hand waren und dementsprechend, ob hier die Zölle grundsätzlich stiegen, oder ob das teilweise durch Staatsaufträge egalisiert werden konnte.
@Turgot hatte die Produktion von Eisenbahnbedarf im Ruhrgebiet angesprochen, die im Zuge der Zollpolitik Russlands, im Hinblick auf ihren russischen Absatz einbrach, wäre aber die Frage, trifft das auch für Oberschlesien (wegen der skizzierten Problemlage der polnischen Gebiete) in diesem Maße zu?
Im Bezug auf den sinkenden deutschen Export nach Russland wird man auch in Erwägung ziehen müssen, dass das möglicherweise nur zum Teil durch die Zollpolitik hervorgerufen war.
In Russland war man bemüht die eigene Industrie zu fördern, was bedeutete, dass man Staatsaufträge, wo immer es ging natürlich zunehmend an die eigenen Firmen vergab, so dass mit dem Aufkommen der russischen Industrie einfach die lukrativen Regierungsaufträge, vor allem im Militär und Eisenbahnwesen zurückgegangen sein dürften.
Gleichzeitig geht es in 1880er Jahren noch einmal richtig mit dem Imperialismus los und auf einmal gibt es gerade im Bereich der Infrastruktur (Eisenbahnen u.ä.) lukrative Projekte für den Aufbau der kolonialen Infrastruktur in Afrika und Asien.
Auch Nachfrage von anderer Seite (Osmanisches Reich/China/Japan) im Besonderen im Bereich Bedarf für Infrastruktur und Transportwesen, so wie Militärgüter, könnten möglicherweise auch russische Aufträge einfach ein Stück weit verdrängt haben.