Ja, aber Österreich-Ungarn war auch nicht aus Jux und Tollerei bereit, über die Abtretung der italienischsprachigen Teile Tirols zu verhandeln, und schon gar nicht wollte es diese etwa eintauschen oder verkaufen, sondern weil es mit dem Rücken schon ziemlich zur Wand stand. Die Frage eines (freien und fairen) Referendums stellte sich da wohl ohnehin nicht, da Italien jedenfalls auf der Abtretung bestanden hätte.
Nun, verhandelt haben sie aber eben trotzdem darüber.
Ich würde ja meinen, das zu den Rechten eines Staatsbürgers in der Regel auch staatliche Protektion gegenüber den Anmaßungen auswärtiger Mächte gehört, die der Staat seinen Bürgern schuldig ist. Denn anderenfalls sind die Bürgerrechte und politischen Freiheiten ja nichtig, da sie dem Bürger durch den Staat durch Exklusion auf dem Weg der Abtretung von Gebieten ohne Zustimmung der Bevölkerung, ohne weiteres entzogen werden können.
Wären die verbrieften Rechte der österreichischen Staatsbürger in Welschtirol und am Isonzo irgendetwas wert gewesen, hätte sich jede Verhandlung über eine Abtretung ohne die Bevölkerung im Rahmen eines Referendums darüber zu befrafen von vorn herein verbeten, weil dass den Verpflichtungen des Staates gegenüber seinen Bürgern widersprochen hätte.
Eine Meinungsumfrage ist mir dazu auch nicht bekannt, aber wirklich gut funktionierte das Zusammenleben zumindest in Tirol nicht. Dauerhaftes Konfliktthema war z. B. die Universität Innsbruck und die Frage, ob dort auch auf Italienisch gelehrt und geprüft werden durfte. Heraus kamen typisch österreichische Lösungen, die weder Fisch noch Fleisch waren. Die italienische Intelligenz hätte aber ohnehin eine echt italienische Universität bevorzugt.
Das die Lösung nicht zufriedenstellend war, ist das Eine. Daraus musste aber durchaus nicht zwangsläufig bei einer Bevölkerungsmehrheit das Ausscheiden als unvermeidlicher politischer Wunsch resultieren. Die Problematik einer Universität hätte sich auch auf anderem Wege lösen lassen und dürfte darüber hinaus ohnehin eher Aufhänger einer Minderheit gewesen sein, immerhin ist das ein Anliegen, das vorwiegend die Intelligenz direkt betrifft, die eben unter den gegebenen Umständen einigermaßen gute Möglichkeiten hatte sich gehör zu verschaffen.
Wie groß mag der Anteil der italienischen Intelligenz an der Bevölkerung des Gebietes gewesen sein? 5% vielleicht 10, je nachdem, wen man dazu rechnet?
Was interessiert den italienischen Kleinbauern im Terentino, ob die nächste italienischsprachige Universität, deren Besuch er seinen Kindern nicht finanzieren kann, sich nun in Innsbruck oder Verona befindet?
Das ist mir, argumentativ doch etwas dünn, um unter Auslassung eines Plebiszits, einen Wunsch der Bevölkerungsmehrheit des Trentinos von Habsburg weg zu kommen, ohne weiteres anzunehmen. In dem Sinne wäre es sicherlich seitens der Wiener Regierung angemessen gewesen mit Italien über eine Besserung dieser Verhältnisse im italienischen Sinne zu verhandeln, aber nicht über eine Abtretung über die Köpfe der Bevölkerung hinweg, jedenfalls nicht, wenn man diese als politisch voll partizipationsfähig charakterisieren will.
Natürlich waren die Kompetenzen des Landtags von Bosnien und Herzegowina beschränkt (er hatte aber schon echte Kompetenzen z. B. im Budgetrecht, bei der Strafjustiz, im Zivilrecht, im Gewerberecht, beim Kultus, in der Land- und Forstwirtschaft und im Sanitätswesen), und er war natürlich auch kein Ersatz für eine Vertretung im Reichsrat. Aber mit den üblichen Parlamenten (so es sie überhaupt gab) in Kolonien kann man ihn dennoch nicht vergleichen: In diesen Kolonialvertretungen waren die Einheimischen, wie Du selbst schreibst, meist zumindest massiv unterrepräsentiert. Das traf auf den Landtag nicht zu, er setzte sich tatsächlich aus 72 gewählten Vertretern der heimischen Bevölkerung zusammen. Daneben gab es zwar noch Abgeordnete, die ex officio im Landtag vertreten waren, insbesondere religiöse Oberhäupter aus den Konfessionen (serbisch-orthodox, moslemisch, katholisch, jüdisch), aber sie waren zahlenmäßig in der Minderheit (20), außerdem stammten sie auch aus dem Land. Das - demokratiepolitisch - größere Problem war eher, dass nach einem Kurienwahlrecht gewählt wurde, aber das war keine Besonderheit in Bosnien und Herzegowina, sondern auch die anderen Landtage wurden so gewählt.
Ob er damit vergleichbar ist, wird davon abhängen, mit welcher Art von Kolonien man sich genau befasst. Es ist vielleicht nicht mit der krassen Ausprägung des europäischen Impterialismus in Asien vergleichbar, aber denken wir z.B. mal an die USA, als diese noch unter der Bezeichnung "13-Kolonien" firmierten.
hinzu kommt, dass die Beschlüsse des Bosnisch-Herzegowinischen Landtags ja der Absegnung aus Wien und Budapest bedurften, so dass Cisleithanien und Transleithanien theoretisch mehr oder minder nach Belieben dort hineinregieren konnten, der zustimmung des Kaisers bedurfte es auch, nur dass ohne die Möglichkeit der Mitgestaltung auf Basis der Reichshälften und gemeinsamen Ministerien, der Bosnisch-Herzegowinische Landtag im Gegensatz zu den Abgeordnetenversammlungen in Wien und Budapest, effektiv auf die Budgetfragen der gesammten Monarchie Einfluss zu nehmen , da gar keine effektive Verhandlungsbasis hatte.
Insofern, würde ich dann auch den besagten Landtag eher für einen Fall von Scheinkonstitutionalismus halten, als für eine effektive Interessenvertretung, weil sie so ohne weiteres nicht mal auf lokaler Ebene handlungsfähig war, wenn es Wien nicht gefiel.
Das diskriminierendes Wahlrecht an und für sich jetzt kein Argument ist, von einer Kolonie zu sprechen, ist sicherlich richtig. Einem gesamtstaatlichen Konstrukt in verwaltungstechnischer Hinsicht angegliedert zu sein, ohne die höchste Entscheidungsebene, sprich die Vertretungen der beiden Reichshälften und die gemeinsamen K.u.K.-Ministerien mit Interessenvertretern beschicken, gegebenenfalls aber schon.