Diese Einschätzungen würde ich eher für die verbrecherische Annexion der Krim, die Entrechtung der Tartaren im Rahmen der Festlandsexpansion der russischen Zaren verwenden. Oder die Expansion des russischen Reiches bis an die Grenze des ja so nah verwandten Korea. Oder die Eroberung Usbekistans. Eine repräsentative Teilnahme der Krimtartaren und Usbeken an der Willensbildung in der Duma und sonstigen Wahlen im zaristischen Russland oder der frühen Sowjetunion ist mir nicht bekannt.
Was hat das eine mit dem Anderen zu tun?
Im Hinblick auf Russland würde ich das nicht an der Duma oder nichtvorhandenen Wahlen im russischen Zarenreich oder der Sowjetunion festmachen, denn da hatte die Mehrzahl der Russen ja auch nicht die Möglichkeit ihren politischen Willen zu artikulieren, insofern wurden die Einwohner der betreffenden Gebiete sicherlich schlecht behandelt, aber nicht in dieser Hinsicht schlechter als die Mehrheit der russischen Bevölkerung.
Der Aufstieg auch in höhere Ämter war demgegenüber nichtrussischen Eliten ja durchaus nicht vollständig verwehrt, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllten, schaut man sich etwa die Stellung diverser deutsch-baltischer Barone aus den Ostseeprovinzen an, während demgegenüber die lettischen und estnischen Bauern relativ wenig zu lachen hatten.
Bei Russland kann man es aber wenigstens bei einigen Gebilden definitiv auch an der administrativen Trennung vom Zarenreich als solchem festmachen. Etwa beim "Großfürstentum Finnland" oder beim bis zum Ende des ersten Weltkriegs offiziell bestehendem "Emirat Buchara" unter russischer Protektion.
Der Unterschied zu Österreich-Ungarn ist, dass (Die Duma war ja, sofern sie über rein beratende Funktion hinausging ohnehin eine eher episodische Erscheinung) es, jedenfalls in Österreich einen eingespielten parlamentarischen Betrieb gab, mit einem Wahlrecht dass vielleicht auch nicht das Modernste war, aber jedenfalls die nichtdeutschen Nationalitäten innerhalb der österreichischen Reichshälfte nicht von der Partizipation ausschloss, während man die Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina dadurch, dass man das Territorium keiner der beiden Reichshälften zuschlug, auf dieser Ebene durchaus schlechter behandelte.
Durch die Unterstellung der beiden Provinzen unter die Verwaltung des gemeinsamen Finanzministeriums hatten der Kaiser und die ihm verantwortliche Regierung auch andere Möglichkeiten dort hinein zu regieren, als in jeden anderen Teil der Monarchie.
Das schaut im Zarenreich dann mitunter etwas anders aus, weil derartige parlamenatrische Traditionen und eine so weit reichende Verfassung schlicht nicht vorhanden sind.
Desgleichen hatte Südtiroler im von Italien im 20. Jahrhundert annektierten Südtirol von den Freiheiten italienischsprachiger Einwohner der k.u.k. Monarchie im 19. Jahrhundert nur träumen dürfen.
Es ist doch nicht die Frage, wer wen besser oder schlechter behandelt hat, sondern ob nationale Minderheiten oder die Einwohnerschaft bestimmter Territorien massiv anders behandelt wurde, als die Mehrheit der Bevölkerung des Staatsgebildes und seiner Anhängsel.
Und ich für meinen Teil würde meinen, dass man das Für Bosnien und die Herzegowina durchaus bejahen kann.
Erst okkupierte man das Gebiet, ohne die Absicht zu haben es jemals wieder herauszugeben und hielt die Bevölkerung 30 Jahre unter Militärverwaltung, um die Territorien dann zu annektieren ohne sie jedoch zu inkorporieren und sie einer der Reichshälften anzugliedern und die Bevölkerung in diesem Rahmen partizipieren zu lassen.
Stattdessen stellte man das Gebiet letztendlich unter die Kuratell eines der gemeinsamen Ministerien womit man den Einfluss parlamentarischer Vertretungen auf diese Gebiete verglichen mit den anderen Territorien herabsetzte und den Einfluss der kaiserlichen Regierung und der gemeinsamen Ministerien deutlich ehrhöhte.
Von dem her würde ich meinen, ist der Begriff Kolonie oder kolonialähnliches Konstrukt hier angemessen.
Nicht weil die Bevölkerung besonders zu leiden gehabt hätte, sondern weil das Gebiet administrativ vom restlichen Staatsgefüge abgetrennt blieb, das Gebiet in anderer Weise regiert wurde, als die übrigen Teile des Staatsgebildes und die Bevölkerung unterm Strich auch weniger Partizipationsmöglichkeiten hatte, als das jedenfalls in der österreichischen Reichshälfte der Fall war.
Das auch völlig unabhängig davon, ob man andere Fälle als Kolonie oder kolonailähnlich betrachten könnte.
Im Übrigen, nachdem ich im Hinblick auf Russland ja schon, wenn auch aus anderen Gründen, zugestimmt habe, würde ich durchaus auch der These, dass Südtirol oder auch Elsass-Lothringen mindestens episodisch kolonieähnlich behandelt wurden, durchaus zustimmen.