Angeregt durch den thread über das "deutsche Übel" möchte ich hier eine Frage zur Diskussion stellen, die mich immer schon interessiert hat: War das Kaiserreich auf dem Weg in eine parlamentarische Monarchie?
Unter Historikern hat vor allem der Nipperdey-Schüler Manfred Rauh die These vertreten, dass das Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg auf dem Weg in eine parlamentarische Monarchie war. Diese Ansicht stieß natürlich bei der Bielefelder Schule um Hans-Ulrich Wehler auf Ablehnung.
Beide Seiten können Argumente ins Feld führen. In der Debatte über den Zwischenfall in Zabern 1913 beispielsweise missbilligte der Reichstag die Politik der Reichsregierung - eine Möglichkeit, die die Geschäftsordnung des Parlaments seit 1912 eröffnete. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Einflussmöglichkeiten der Volksvertretung begrenzt waren: Die Reichsregierung trat nicht zurück, denn der Reichskanzler hing nur vom Vertrauen des Kaisers ab.
Natürlich sind Fragen nach dem Motto: "Was wäre wenn?" nicht ungefährlich. Die Diskussion über mögliche Alternativen darf nur Optionen berücksichtigen, die schon damals eine Rolle spielten.
Wilhelm II. war nicht bereit, sich in die Rolle eines parlamentarischen Monarchen zu fügen. Erst angesichts der militärischen Niederlage zwang ihn die OHL im Herbst 1918 zu einer Verfassungsänderung - der Verlust des Krieges sollte den Politikern in die Schuhe geschoben werden.
Fraglich ist auch, ob das Parteiensystem des Kaiserreiches schon so weit gewesen wäre. In der konstitutionellen Monarchie müssen Parteien keine direkte Regierungsverantwortung tragen. Der Zwang zu Kompromissen und Zugeständnissen ist nicht so groß wie in einem parlamentarischen Regierungssystem. Ansätze zu einer regierungstragenden Mehrheit gab es beim so genannten "Bülow-Block", einer losen Koalition aus Linksliberalen, Nationalliberalen und Konservativen zwischen 1907 und 1908.
Eine andere Reichstagsmehrheit wäre wohl nur zwischen Sozialdemokraten und Liberalen möglich gewesen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Sozialdemokraten und Nationalliberalen waren sehr groß. Zwischen der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei und der SPD hatte es bei den Reichstagswahlen 1912 ein Stichwahlabkommen gegeben, aber Teile der freisinnigen Wähler folgten nicht der Empfehlung der linksliberalen Parteiführung.
Innerhalb der SPD hatte zumindest der linke Flügel um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Vorbehalte; lediglich die Revisionisten begrüßten eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien, die in einigen süddeutschen Landtagen wohl schon praktiziert wurde.
Ob das Zentrum vor 1914 zu einem Bündnis mit der SPD und den beiden liberalen Parteien bereit gewesen wäre, ist für mich ebenfalls fraglich.
Wie sieht man hier im Forum die Situation? Kann der wachsende Einfluss des Reichstages als Parlamentarisierungsprozess bezeichnet werden? Und hätten die deutschen Eliten einer Entmachtung freiwillig zugestimmt wie 1910 das englische Oberhaus?
Unter Historikern hat vor allem der Nipperdey-Schüler Manfred Rauh die These vertreten, dass das Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg auf dem Weg in eine parlamentarische Monarchie war. Diese Ansicht stieß natürlich bei der Bielefelder Schule um Hans-Ulrich Wehler auf Ablehnung.
Beide Seiten können Argumente ins Feld führen. In der Debatte über den Zwischenfall in Zabern 1913 beispielsweise missbilligte der Reichstag die Politik der Reichsregierung - eine Möglichkeit, die die Geschäftsordnung des Parlaments seit 1912 eröffnete. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Einflussmöglichkeiten der Volksvertretung begrenzt waren: Die Reichsregierung trat nicht zurück, denn der Reichskanzler hing nur vom Vertrauen des Kaisers ab.
Natürlich sind Fragen nach dem Motto: "Was wäre wenn?" nicht ungefährlich. Die Diskussion über mögliche Alternativen darf nur Optionen berücksichtigen, die schon damals eine Rolle spielten.
Wilhelm II. war nicht bereit, sich in die Rolle eines parlamentarischen Monarchen zu fügen. Erst angesichts der militärischen Niederlage zwang ihn die OHL im Herbst 1918 zu einer Verfassungsänderung - der Verlust des Krieges sollte den Politikern in die Schuhe geschoben werden.
Fraglich ist auch, ob das Parteiensystem des Kaiserreiches schon so weit gewesen wäre. In der konstitutionellen Monarchie müssen Parteien keine direkte Regierungsverantwortung tragen. Der Zwang zu Kompromissen und Zugeständnissen ist nicht so groß wie in einem parlamentarischen Regierungssystem. Ansätze zu einer regierungstragenden Mehrheit gab es beim so genannten "Bülow-Block", einer losen Koalition aus Linksliberalen, Nationalliberalen und Konservativen zwischen 1907 und 1908.
Eine andere Reichstagsmehrheit wäre wohl nur zwischen Sozialdemokraten und Liberalen möglich gewesen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Sozialdemokraten und Nationalliberalen waren sehr groß. Zwischen der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei und der SPD hatte es bei den Reichstagswahlen 1912 ein Stichwahlabkommen gegeben, aber Teile der freisinnigen Wähler folgten nicht der Empfehlung der linksliberalen Parteiführung.
Innerhalb der SPD hatte zumindest der linke Flügel um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Vorbehalte; lediglich die Revisionisten begrüßten eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien, die in einigen süddeutschen Landtagen wohl schon praktiziert wurde.
Ob das Zentrum vor 1914 zu einem Bündnis mit der SPD und den beiden liberalen Parteien bereit gewesen wäre, ist für mich ebenfalls fraglich.
Wie sieht man hier im Forum die Situation? Kann der wachsende Einfluss des Reichstages als Parlamentarisierungsprozess bezeichnet werden? Und hätten die deutschen Eliten einer Entmachtung freiwillig zugestimmt wie 1910 das englische Oberhaus?