Paulus hat Jesus nie kennengelernt – was er über ihn schrieb, war alles nur vom Hörensagen. Und dieses Hörensagen war damals nicht anders als heute, d.h. mit Vorsicht zu genießen.
Dementsprechend konnte Paulus nicht von Jesus zum Apostel ernannt werden, sondern hat sich selbst dazu ernannt. Trotzdem war und ist sein Einfluss auf das Christentum so enorm, dass man sagen kann, ohne Paulus hätten wir heute keines oder ein anderes Christentum, auf jeden Fall weniger frauenfeindliches.
Auch mir ist das 1. viel zu hypothetisch und 2. viel zu ideologisch gefärbt. Paulus war Jude, stammte aus einer sehr stark patriarchalisch geprägten Kultur.
Was Paulus angebliche Sexualfeindlichkeit angeht, so hat El Quichote schon darauf hingewiesen, dass sexuelle Enthaltsamkeit bei Paulus lediglich ein Ideal, keineswegs aber eine normative Verpflichtung war.
Zur Frauenfeindlichkeit im Christentum ist zu sagen, dass es eine Reihe von Quellen und Indizien gibt, die darauf hindeuten, dass Ende des 1. und Anfang des 2. Jahrhunderts durchaus noch Frauen wichtige Gemeindeposten einnehmen konnten.
Plinius der Jüngere berichtet Kaiser Trajan von seinen Maßnahmen gegen bithynische Christen, und er schreibt davon, dass er zwei Diakonissen (ministrae) habe foltern lassen, dabei aber nichts als einen verschrobenen Aberglauben vorgefunden habe.
Plinius minor Epistula II, 96:
"Quo magis necessarium credidi, duas ancillis quae ministrae dicebantur quid esset veri et per tormenta quarere nihil aliud inveni, quam superstionem pravam et immodicem."
"Daher erachtete ich es für dringende Notwendigkeit, aus zwei Mägden, die Diakonissen (Dienerinnen) genannt werden, die Wahrheit auch noch auf der Folter herauszufinden. Ich habe aber nichts herausgefunden, als einen verschrobenen grenzenlosen Aberglauben."
Paulus selbst erwähnt eine Apostelin namens Junia, die später im 12.-13. Jahrhundert zum Junias mutierte.
Dazu Gerd Theißen, die Jesusbewegung-Sozialgeschichte einer Revolution 2004 S. 56:
"Die Wandermission war nicht auf den Zwölferkreis beschränkt. Paulus unterscheidet in 1.Korinther 15, 3-8 die Zwölf deutlich von den Aposteln. Apostel sind für ihn alle, die eine österliche Erscheinung hatten und missionierten (1. Kor 9, 1). Paulus nennt das Paar Junia und Andronikos Apostel und betont, dass sie schon vor ihm Jesusanhänger wurden. Im Römerbrief nennt Paulus sie namentlich und schreibt "Sie sind berühmt unter den Aposteln." (Röm 16, 7).
Karl Suso Frank, Lehrbuch der alten Kirche Gütersloh 2002 S. 105 schreibt:
"Paulus nennt eine ansehnliche Zahl von Frauen, die gleich ihm oder mit ihm missionierten und beim Aufbau von Gemeinden mitwirkten. (vgl: Röm 16, 1-15, Phil 4, 2-3) Phoebe in Korinth wird als Diakonin bezeichnet, Junia galt wie Andronikus als hochberühmt unter den Aposteln (Röm 16, 7). "
Der gleiche Autor zu Führungspositionen im Christentum (Karl Suso Frank Lehrbuch der alten Kirche S. 54 und 100:
"Der Geist teile, so Paulus, jedem bestimmte Gnadengaben (charismata) zu, damit alle Gemeindemitglieder (vgl Röm 16) Männer und Frauen zum Nutzen aller und zum Wohle des einen Leibes beitragen (1. Kor 12, 4-30), sei es in gemeindlicher, sei es in missionarischer Arbeit. Paulus zählt Weisheitsrede, Lehre, Heilungsaufgaben, Wunderkräfte, Prophetie, Zungenrede und ihre Auslegung, Fürsorge, Leitungs- und Verwaltungsaufgaben auf. An ihrer Spitze standen Paulus zufolge Propheten, Apostel und Lehrer ( 1. Kor 12, 28). Andernorts nennt er fürsorgende Vorsteher ( 1. Thess 5, 12, 12, 8), Lenker (1.Kor 12, 28) episkopoi und diakonoi (Phil 1, 1) Die Abgrenzung und Zuordnung der Ämter war nicht ganz klar. Feste Ämter hatten sich bis dahin anscheinend noch nicht eingebürgert."
In Anlehnung an die jüdische Institution des Ältestenrats nahmen in einigen Gemeinden Älteste (Presbyter) Vorsteherposten in den Gemeinden ein. (Jak 5, 14, 1. Petr 5, 1-4) In den paulinischen Gemeinden gab es dagegen keine Presbyter.
Im 1. und 2. Jahrhundert konnten Frauen in verschiedenen christlichen Gemeinden wichtige Gemeindeposten einnehmen, und Paulus äußert sich mehrfach lobend über Frauen wie Phoebe und Junia, die er ausdrücklich eine berühmte Apostelin nennt. ( Röm 16) Die Rolle von Frauen in der Kirche des 1. und 2. Jahrhunderts unterschied sich recht stark von der im 4. und 5. Jahrhundert.
Paulus wird gerne als Frauenfeind bezeichnet, meist kommt dann ein Verweis auf eine Stelle in der Vulgata (mulier taceat in ecclesiam-Die Frau möge in der Kirche schweigen). Aus den oben zitierten Passagen aus Paulus Schriften, lässt sich aber Paulus kaum als Kronzeuge für eine besonders frauenfeindliche Haltung anführen-im Gegenteil! Paulus selbst scheint mit der Zusammenarbeit mit Frauen kein Problem gehabt zu haben, Phoebe und Junias nennt er namentlich, bei letzterer betont er sogar, dass sie vor ihm Jesusanhängerin war und berühmt sei unter den Aposteln.
Worin ich dir zustimmen würde, ist die These, dass Paulus großen Einfluss auf das frühe Christentum hatte, dass er großen Anteil daran hatte, dass sich das Christentum früh auf die Heidenmission konzentrierte. Das Christentum ist aus dem Judentum und aus dem Hellenismus entstanden. Paulus war in beiden Welten völlig heimisch, er beherrschte Griechisch sehr gut, und er war römischer Bürger. Paulus Missionserfolg in Athen hielt sich anscheinend in Grenzen, immerhin aber war er so rhetorisch versiert, dass er genug Interesse weckte, um auf dem Areopag sprechen zu dürfen und mit Epikureern und Stoikern zu diskutieren. .