Die Situationen sind ja nicht einmal ansatzweise zu vergleichen. Der Deutsche Krieg dauerte nur wenige Woche und forderte vergleichsweise wenige Opfer. Bei einem Krieg gegen Russland hätte man sich aufgrund der Größe des Landes auf einen jahrelangen Krieg mit hunderttausenden Toten einstellen müssen und die Gefahr, dass es zu einem großen Europäischen Krieg unter Einbeziehung Frankreich und eventuell Großbritanniens gekommen wäre, wäre extrem hoch gewesen.
Das hängt davon ab, wie das gelaufen wäre. Präventivkrieg war schon deswegen eine blöde Idee, weil dann die Bündnisverträge nicht griffen. Hätte man Tatsächlich aber Russland den 1. Schritt machen lassen, hätte der Zweibundvertrag gegriffen und man hätte in jedem Fall einen Krieg des Zweibundes gegen Russland gehabt.
Wäre Frankreich auf Seiten Russlands als zweite Großmacht in den Krieg eingestiegen hätte der Dreibundvertrag gegrifen und Italien zur Waffenhilfe für Deutschland und Österreich-Ungarn verpflichtet.
Da Russland ohnehin Großbritanniens Erzfeind war, wäre bei russischer Agression zu erwarten gewesen, dass es den Zweibundmächten in diesem Fall wohlwollend gegenübergetreten wäre, gegebenenfalls einen Eintritt in die Koalition gegen den Erzfeind Russland erwogen und in jedem Fall redliche Bemühungen gezeigt hätte Frankreich von einem Kriegseintritt abzuhalten.
Wenn Frankreich vor der Perspektive gestanden hätte, es mindestens mit dem Zweibund zu tun zu haben, wahrscheinlicher aber mit dem Dreibund und im schlimmsten Fall, wenn es ganz dick käme mit dem Dreibund + Großbritannien, dann wäre ich mir da schon nicht mehr soooo sicher, ob man mit französischem Kriegseintritt unbedingt rechnen hätte müssen.
Wenn die Drohkulisse aus dem Dreibund + Potentiell Großbritannien Frankreich erfolgreich abgeschreckt hätte, wäre das für Russland ein sehr kurzer Krieg mit einer Niederlage binnen weniger Wochen bis Monate gewesen, weil gegen die Übermacht dieser Koalition nichts zu machen gewesen wäre.
Genau aus dem Grund, dass ein russischer Angriff die Aktivierung des Zweibundes bedeutet und wahrscheinlich London auf die Seite des Zweibundes gebracht hätte, wird man das in St. Petersburg auch kaum ernstlich erwogen haben, dass wäre nämlich zumal ohne eigenen Bündnispartner ziemlich dumm gewesen.
Im Übrigen ist es ja auch nicht ganz korrekt, dass die territorialen Änderungen am Ende des Deutschen Krieges nicht auf Österreichs Kosten gingen. Österreich musste seine Ansprüche in Schleswig und Holstein an Preußen abtreten und verlor Lombardo-Venetien an Italien.
Die Lombardei hatte Österreich-Ungarn schon 1860 verloren und Ansprüche, dass war an anderer Stelle schonmal besprochen worden hatte es auf Schleswig und Holstein ohnehin nicht, jedenfalls nicht territorialer Art.
Wiener Frieden und Gasteiner Konvention sahen die wahrnehmung der Verwaltung dieser Territorien durch Österreich in Kooperation mit Preußen vor, aber weder Schleswig noch Holstein wurde dadurch zum Teil des Österreichischen Staatsgebiets. Österreich verzichtete im Frieden nach dem Krieg von 1866/1867 auf seine Rechte an der Verwaltung aber nicht auf das Territorium an und für sich zu Gunsten Preußens.
Und was Venezien angeht, hatte Österreich-Ungarn dieses selbst in den dem Krieg vorrausgehenden Verhandlungen mit Frankreich als Verhandlungsmasse eingesetzt, war also von dem her grundsätzlich bereit unter bestimmten Bedingungen darauf zu verzichten.
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Da war also kein großer Revanchismus zu erwarten, wenn Wien das Gebiet selbst im Vorfeld bereits als ggf. verzichtbar definierte, was es mit diesem Vertrag de facto tat.
Außerdem ging es nicht an Preußen, sondern über den Umweg Frankreichs an Italien. Nun unterhielt aber Preußen über den Krieg hinaus kein Bündnis mit Italien und schon gar keins mit Frankreich, so dass sich gegebenenfalls Österreichisch-Ungarischer Revanchismus nicht gegen Preußen sondern gegen ein von Preußen isoliertes Italien gerichtet hätte, was Berlin im Grunde herzlich egal sein konnte.
Das hätte aber bei einem Potentiellen Krieg zwischen Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn anders ausgehsen, wenn man hier Territorien von Russland abgetrennt hätte.
Die hätte man entweder selbst genommen, und wäre dann selbstdirekt Zielscheibe russischen Revanchismusses geworden, oder man Österreich-Ungarn Territorien nehmen lassen und wäre dann wegen des Zweibundvertrags selbst indirekt Zielscheibe des russischen Revanchismus geworden.
Oder man hätte halt versuchen können aus dem Westen des russischen Reiches neue Staaten zu kreieren. Aber wie hätten die sich allein gegen Russland halten sollen? Wenn man nicht bereit gewesen wäre diesen Staaten ein Bündnis anzubieten oder eine einseitige Garantie hätte Russland sie eben binnen einer Dekade wieder eingesammelt, oder man hätte sich mit ihnen verbündet, dann wäre man wegen des Bündnisses wieder indirekt Zielscheibe des russischen Revanchismus geworden.
Dieses Argument, dass es für Deutschland besser sei, wenn Russisch-Polen bei Russland bliebe anstatt ein selbstständiger Staat zu werden, hast Du ja schon öfter gebracht und es hat mich ehrlich gesagt noch nie überzeugt. Neben Polen hätten eventuell auch die baltischen Staaten unter deutscher Protektion unabhängig werden können und eventuell sogar Finnland. Dann hätte man, was den Frieden betrifft, eine ähnliche Situation wie nach dem Deutschen Krieg: Russland wäre deutlich geschwächt, ohne das Deutschland größere Gebiete direkt von Russland annektiert hätte.
Ja gut, wenn es dich nicht überzeugt, tut es das eben nicht.
Ich frage mich nur, wie du dir ein "unter deutscher Protektion" unabhängiges Polen z.B. vorstellst?
À la Brest-Litowsk als Satelitenstaat Deutschlands mit ggf. noch mehr Satelitenstaaten drumm herum, am Besten noch in Personalunion mit dem deutschen Kaiserreich, oder unter einem Sprössling eines der deutschen Fürstenhäußer, oder der Sigmaringer Linie der Hohenzollern oder so etwas?
Wenn man mit so dreisten Eroberungs- Machtexpansionsabsichten gen Osten gezogen wäre, hätte man totsicher beide Westmächte gegen sich aufgebracht, weil dass dann garantiert auch London zu viel gewesen wäre, anstatt bei mäßigeren Zielen und idealer Weise nicht in der Rolle des Agressors Großbritannien ggf. auf der eigenen Seite zu haben und Frankreich durch den Dreibund und die Haltung Londons abschrecken zu können.
Die alternative wäre ein tatsächlich unabhängiges Polen auf Kosten Russlands gewesen. Wenn man aber ein tatsächlich unabhängiges Polen, dessen Außenpolitik man nicht von Berlin aus hätte lenken können, zugelassen hätte, warum hätte dann ein, wahrscheinlich von der polnischen Nationalbewegung dominiertes Polen auf die polnischsprachigen Teile Deutschlands und Österreich-Ungarns oder auf Deutschland überhaupt nicht in den Kram passende Bündnisse mit Russland oder Frankreich verzichten sollen?
Bleiben wir doch hinsichtlich der übersteigerten Anspruchshaltungen der Nationalbewegungen mal realistisch. Deutschlands eigene Nationalbewegung war radikal genug wegen zwei mittelgroßen Ortschaften (Schleswig und Flensburg) und ein paar deutschsprachiger besserer Dörfer im Herzogtum Schleswig 2 bewaffnete Auseinandersetzungen mit Dänemark und unter Verwicklung anderer Mächte (im 1. Krieg gegen Dänemark) anzuzetteln.
Dabei ging es slaopp gesagt, um ein paar Quadratmeter Nord- und Ostseestrand.
In den plonischsprachigen Teilen Deutschlands und Österreichs wäre für die ponlische Nationalbewegung, bei einem unabhängigen polnischen Staat auf Basis von Kongresspolen + Eventuell Appendix östlich des Bug, viel mehr zu holen gewesen:
- Zugang zur Ostsee, idealer Weise über die Weichsel und die polnisch/kaschubischsprachigen Teile Westpreußens.
- Bodenschätze und Industrie in Oberschlesien.
- Polens historische Kernregion Wielkopolska, wo die historischen Wurzeln des polnischen Staates im Mittelalter lagen (großtenteils Provinz Posen)
- Krakau als nunmehr zum österreichischen Galizien gehördende alte Polnische de-facto-Hauptstadt.
Warum hätte die polnische Nationalbewegung darauf verzichten sollen? Um der deutschen und österreichischen Teilungsmacht einen Gefallen zu tiun?
Nachdem in Preußen die Folgen der antikatholischen Kulturkampfpolitik noch sichtbar waren, die im Osten vor allem die Polen betroffen hatte und sich der preußische Staat mit der Verbannung der polnischen Sprache aus dem Schulunterricht auf den Standpunkt gestellt hatte die polnische Kultur in den preußischen Ostgbieten zurück zu drängen und auch gerade die "Ansiedlungskommission" erfunden hatte um durch Aufkaufen polnischen Landbesitzes und Verkauf Interessenten, durch genzielte Ansiedlung in Posen und Westpreußen zu "germanisieren" und die Polen dort zu marginalisieren?
Super Werbung, wenn man sich mit einer nach einem jahrhundert lang dauernden Unterdrückung wahrscheinlich massiv nationalistisch eingestellten polnischen Regierung hätte gutstellen wollen.
Die Alvenslebensche Konvention von 1863 dürfte bei der polnischen Nationalbewegung ebenfalls noch nicht aus dem Kurzzeitgedächtnis verschwunden gewsen sein:
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Stichwort: Pfadabhängigkeit.