Bis dahin behalte ich mir vor, den ursprünglichen Quellen Glauben zu schenken.
Das sei Dir unbenommen; dennoch verweise ich darauf, daß die
Wissenschaft sie schon einige Zeit nicht mehr als objektive Berichterstattung betrachtet, sondern unter folgenden Aspekten der Glaubwürdigkeit:
- Wer hat was in wessen Auftrag geschrieben? -> Parteilichkeit
- Zahlen dürfen nur in bedingt Glauben geschenkt werden (Ausnahme: Listen zu Heeresaushebung, Zählung zum Heerbann u.ä.)! -> Ungenauigkeit/Verzerrung/Übertreibung
Ich habe ja auch lediglich darauf hingewiesen, daß diese Annahmen eindeutige Quellen umdeuten wollen.
Genau das ist der Punkt: es sind eben nicht
so eindeutige Quellen (vgl. o.g. Aspekte der Quellenkritik), und es geht auch nicht um Umdeutung o.ä., sondern um Quelleninterpretation.
Karl Hengst mißtraut der karolingischen Geschichtsschreibung. Nach der Auffassung von Karl Hengst wurden 4500 Sachsen lediglich deportiert. Es solle das "Verdener Blutbad als Phantasieprodukt fränkischer Annalistik oder, vorsichtiger gesagt, als Abschreibefehler gedeutet werden ...". Hier kann man sich also sogar etwas aussuchen; nur der Quelle an sich soll man nicht trauen.
Abgesehen davon, daß es mir bei dem Linkverweis nicht um das "Verdener Blutbad" ging, sondern eben um die Quellenkritik bzgl. karolingischer Geschichtsschreibung allgemein, hast Du auch diesen Abschnitt einigermaßen mißverstanden.
Karl Hengst geht es nicht darum, sich eine von zwei Interpretationen "auszusuchen", sondern er äußert zwei Qualitäten der selben Lesart: "Phantasieprodukt" als quasi "scharfe" Interpretation, "Abschreibefehler" als "sanftere" Interpretation.
Ich mache mir jetzt nicht die Mühe, hier wiederzugeben, was Gustav Faber zu der Zahl 4500 tatsächlich sagt. Soll die Annahme von Gustav Faber auf die Einhard-Annalen beschränkt bleiben, so halte ich dieser Annahme die Reichsannalen entgegen.
Aber ich mache mir gern die Mühe, meine Aussage zu Fabers These ein drittes Mal zu wiederholen:
es geht nicht um die Zahl 4500, sondern um die Formulierung decollati (sunt) bzw. decollabat.
Zwar mag Faber auch eine These zur Zahl 4500 formuliert haben, aber diese habe ich mitnichten hier wiedergegeben; denn ich kenne von ihm nur die zu
decollati (sunt) bzw.
decollabat, wonach die Möglichkeit nicht ausgeschlossen wird, es habe ursprünglich
delocati (unt) bzw.
delocabat geheißen...
Ich bin ja auch auf sie eingegangen; woraus sich die Eindeutigkeit der Zahlenangabe weiter erschließen läßt. Die Zahl 4500 kann nun einmal auch beispielsweise als die Zahl 450 zuzüglich eines Buchstaben O gedeutet werden, aber wer würde diesen Einfall wirklich ernsthaft vertreten, wenn klar ist, hierbei handelt es sich um eine Zahl.
Seltsam; andere - und da spreche ich nicht nur von mir - sehen die Zahlenangabe aus verschiedenen Gründen als alles andere als
eindeutig an.
Als Grundsatz folge ich dem auch, aber im besonderen Fall müßte man dann eben doch wieder wenigstens glaubhaft machen, hier sei übertrieben worden.
Das bedarf auch keiner Würdigung, da bei einer unterstellten Truppenstärke von 10.000 Mann die Franken sich wohl darum geschlagen haben dürften, wer der erste ist, der einem Sachsen den Kopf abschlägt.
Da stellt sich wieder die Frage, wo von einem 10000 Mann starken Heer die Rede ist: das wäre nämlich für das Mittelalter - insbesondere das Frühmittelalter - eine sehr große Zahl.
Hätte man diese Spuren gefunden, so wären die Quellen bestätigt worden. Da man keine solche Spuren gefunden hat, sind die Quellen aber nicht widerlegt, was übrigens auch nicht das Anliegen der Untersuchungen war. Meines Wissens liegen solche Spuren auch nicht für die Ereignisse von Cannstatt vor.
Wurde etwas behauptet von "die Quellen widerlegt" oder gar davon, daß dies "Ziel der Untersuchungen" gewesen sei?
Es wurde nichts anderes geschrieben als das, was Du selbst einräumst: beim Finden solcher Spuren hätte man die Quellenaussagen belegen können. Konnte man eben aber nicht...
Dazu kann ich eigentlich nur sagen, glaube nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast (wenigstens so lange, wie keine Erhebung vorliegt).
Ich denke, das wolltest Du so nicht geschrieben haben.
Ernsthaft: wenn ich nicht der wissenschaftlichen Arbeit - noch dazu interdisziplinärer wissenschaftlicher Arbeit - trauen soll, soll ich selbst als Laie zu Erkenntnissen gelangen, die man als sicher annehmen kann?
Sorry, aber das ist mir zu anmaßend...
Sie setzt voraus, die Geiseln wären von den Franken nach Verden geschafft worden. Karl ließ sich aber von den Sachsen bis zu 4500 Menschen ausgehändigt.
...
Karl ließ sich nach den Einhard-Annalen, erst nachdem klar war, das Karl den Anstifter nicht bestrafen konnte, von den übrigen, die Widukinds Rat folgend die schwere Tat vollbracht hatten, bis zu 4500 Menschen aushändigen. Widukinds Zuflucht zu den Nordmannen ist also nicht unwichtig in diesem Zusammenhang, da die Sachsen ihn eben nicht an Karl aushändigen konnten.
Moment: wieso hätten sich Geiseln zwangsläufig außerhalb der sächsischen Lande befinden müssen?
Erstens aber gab es seit dem Beginn der Sachsenkriege, nämlich seit der Eroberung der Eresburg, zumindest fränkische Besatzungen; zweitens stand bspw. nicht der gesamte sächsische Adel zu
Widukind, sondern hatte sich christianisiert und zudem mit
Karl zumindest arrangiert.
Und bzgl. Widukind: auch das stellt dennoch nicht zwangsläufig einen Widerspruch zur These bzgl. sächsischer Geiseln dar - wiewohl ich jetzt verstanden habe, worauf Du hinauswolltest; und da gebe ich Dir auch durchaus Recht, daß Widukinds Flucht nicht ganz irrelevant gewesen sein könnte. Daß aber diese Praxis - Geiseln verfallen im Falle des Eidbruches dem Spruch bzw. der Gewalt der Franken - schlicht realisiert wurde, ist Gegenstand der These - und Widukinds Verhalten lediglich ein Einflußfaktor.
Ob sich andererseits Karl ihn als Aufrührer lieber höchstselbst vorgenommen hätte, steht auf einem ganz anderen Blatt und widerspricht eben dieser These keineswegs.
Die These - wie auch die anderen - befaßt sich nun einmal damit, wie es gewesen sein kann (und etwas anderes beansprucht auch niemand), und nicht damit, wie es sonst hätte gewesen sein können (z.B. Was wäre geschehen, wenn Karls Mannen den Widukind geschnappt hätten? o. dgl.).
PS (EDIT): Ein viertes Mal wiederhole ich die verschiedenen Sichtweisen der Historiker nicht...