Ein interessantes Thema; ich vermute, die Realität sah sehr gemischt (und sehr blutig) aus und umfasste ein paar Facetten von all dem, was bisher angesprochen wurde.
Dabei ist die eigentliche Frage, wie ja auch von anderen gesagt: Wie fest geschlossen und standhaft ist ein Truppenkörper noch, wenn so eine Kavalkade sich nähert bzw ankommt?
In der Antike* sah das für die Fußtruppen idR sehr gut aus (mehr dazu s.u.); ein Problem war da eher, dass die Reiter halt schneller sind, und wenn die dann Bögen haben...
* alles sehr grob betrachtet, und total eurozentristisch...
Für dass Mittelalter muss man davon ausgehen, dass Panzerreiter idR in der Lage waren, Formationen zu Fuß zu sprengen und niederzumachen. Wie oft sie diese wirklich niederritten bleibt dahingestellt, der mittelalterliche „Sturmangriff“ wurde eh in einem eher behaglichen Tempo ausgeführt. Was nicht heißt, dass es behaglich blieb, wenn der zum Ziel kam. Aber gerade mit der schweren Panzerung von Mann und (zunehmend auch) Ross war ein „hineingaloppieren“ gar nicht nötig. Wenn Erfahrungen mit Polizeipferden auf Demonstrationen irgendwas zeigen, dann dass ein „hineindrängen“ durchaus möglich ist.
Den filmmäßigen Kavallerieangriff im Galopp „Steigbügel an Steigbügel“ kann es erst in neuzeitlichen stehenden Heeren geben; erst diese hatten die Disziplin, Professionalität und Übung, um solch ein Manöver zu ermöglichen. Hier wurde er allerdings zur effektivsten Form des Kavallerieeinsatzes auf dem Schlachtfeld. Gut, eine Vorbedingung dafür war das Verschwinden der Piken, und in vielen Fällen brach die Formation bestimmt vor dem Zusammenprall auseinander. Dennoch frage ich mich, inwieweit das Ganze Sinn macht, wenn ein Einbruch in eine standhafte Formation unmöglich ist; v.a. wie eine solche Masse überhaupt noch anhalten soll, wenn sie erst mal nah genug am Gegner ist und dieser wider erwarten nicht weicht.
Zugegeben: Napoleon hat sich nach Waterloo vermutlich ähnliches gefragt; wie konnte das nur
nicht klappen?
Um meine Vorstellung eines neuzeitlichen Kavallerieangriffs kurz zusammen zu fassen: Wenn die Infanterie steht und schießt wie eine eins sind die Kavalleristen klump, bevor sie ankommen, und das Ganze bricht zusammen. Weicht die Infanterie, oder ein bedeutender Teil davon, ist auch der Rest nicht geschlossenes mehr, und das Ganze endet in einer panischen Flucht, verfolgt von wild geschwungenen Säbeln. Je näher das Ganze an einer "Pattsituation" ist, bzw an einigen Stellen die Infanteristen weichen, an anderer nicht, desto brutaler (und blutiger) wirds...
Neddy zitiert Junkelmann schrieb:
Das sah freilich ganz anders aus, wenn die Kavallerie auf ein intaktes, gut eingeübtes und auf den Angriff gefaßtes Fußvolk stieß. Die zusammengeballte, durch eine Schildmauer gedeckte, eine Hecke von Spitzen vor sich haltende Masse konnte auch von der wuchtigsten Attacke nicht zersprengt werden. Selbst wenn die Reiter entschlossen waren, in den Menschenblock einzubrechen, verweigerten die Pferde, von seltenen Ausnahmen abgesehen, instinktiv vor einer festgefügten Front.
Nun forscht und schreibt Junkelmann aber über Rom, wie je auch der Titel des zitierten Werkes verrät; und dir Römer verfügten zwar über eine Infanterie, die es im Punkt der Disziplin und effizienten Methodik durchaus mit neuzeitlichen Armeen aufnehmen konnte, aber über keine entsprechende schwere Kavallerie; dafür mangelte es an den Voraussetzungen, v.a. am geeigneten Pferdematerial. Die römische Kavallerie hatte andere Aufgaben, und damit auch eine andere Ausbildung (und eben andere Pferde). ME gibt es aus der Antike noch weniger Beispiele für direkte Angriffe auf große, geschlossene Formationen zu Fuß, als in Mittelalter oder Neuzeit.
Vielleicht erhellen zwei weitere (allerdings recht frühe) Beispiele, was ich meine: Die „Kampfgefährten“ Alexanders waren zweifellos eine „Schlachtfeld-Kavallerie“, aber sie war dazu gedacht, in entscheidenden Augenblicken
in Lücken der gegnerischen Aufstellung vorzustoßen, oder diesen zu überflügeln. Ein direkter Angriff auf eine geschlossene Formation (damals eine Phalanx), traute sich auch diese Elitetruppe nicht zu, zumindest nicht von vorne.
Die schwere Kavallerie Hannibals diente v.a. dazu, die gegnerischen
Reiter zu schlagen, um dann die Infanterie des Gegners, an der Front gebunden, in Flanke oder Rücken zu fallen; perfekt umgesetzt bei Cannae. Auch hier war eine frontale Attacke auf eine römische Legion wenig erfolgversprechend.
Der Grund ist dass die Pferde so trainiert werden, dass die Mauer aus Speeren jedes mal vor ihnen zurück weicht und das Pferd durch lässt. Bevor die Pferde in einer echten Kampfsituation merken, dass dem nicht so ist, ist es bereits zu spät.
Das finde ich eine interessante These; worauf beruht Deine Vorstellung?
Nehmen ich auch das weitgehend unmilitärisches Beispiel (dass sich aber wohl auch aus dem militärischen Reitunterricht entwickelt hat), welches neddy schon anführte: Das moderne Springreiten. Auch über ein Hindernis (von einiger Höhe) zu springen ist etwas, was Pferde in der Natur weitgehend unterlassen; sie haben eine natürlich Hemmung vor so was, wenn ich das richtig sehe, und es bedarf einer umfangreichen Ausbildung und viel Vertrauen zwischen Reiter und Pferd, das das funzt. Wenn ich das richtig übersehe hat hierbei auch im wahrsten Sinne des Wortes der Reiter "die Zügel in der Hand": Er entscheidet, wann gesprungen wird. Ohne Reiter, oder wenn der Reiter das Kommando "Sprung" falsch ansetzt, scheitert das Ganze. BTW, Pferde, die ohne Reiter über Hindernisse springen, sind noch besser ausgebildet; die sieht man dann im Fernsehen als "Fury"...
Wenn es das Ziel des Sringreiters wäre, den Gaul voll vor eine Mauer brettern zu lassen, wären die Voraussetzungen gegeben... auch wenn ich mir vorstellen, macht man das zwei-, dreimal ist das Pferd (selbst wenn es sich nichts bricht) fürs Springreiten verloren, weil das nötige Vertrauen abhanden kommt.
P.S.: Ist irgendwie ziemlich unstrukturiert geworden, und ich hab glaub ich die Hälfte von dem, was ich schreiben wollte, vergessen; aber ist lang genug...
P.P.S.:
Wulf schrieb:
Sachbücher hab ich dazu noch nicht gelesen, aber in Bernard Cornwells Romanen zur Arthussage erwähnt der Erzähler mehrmals, dass sich die besten Pferde nicht trauen würden, in eine Masse aus Speeren zu reiten.
Zumindest für die Zeit, in die Cornwell seine Geschichte verlegt hat, stimmt das Gesagte durchaus; eine Reiterei, die entschlossene, spießbewehrte Formationen im direkten Angriff überwinden konnte, gab es im 6. Jh. in Britannien nicht.