Schlieffen-Plan und Marneschlacht

Er ist ja auch in dem Schlieffen-Band des MGFA mit seinen Thesen zu Wort gekommen, und hat es auch geschafft, dass Leute wie Gross oder Herwig auf ihn und den Streit eingehen.


Den Band habe ich auch und bei der Lektüre von Zubers Beitrag nur noch den Kopf geschüttelt über seine abenteuerliche These.

thanepower schrieb:
In dem bereits von Silesia (vgl. Moskau 1941) zitierten Buch (Creveld) über die Bedeutung der Logistik in Kriegen finden sich sehr interessante Fakten zu dieser Dikussion (u.a. die Entfernung der Eisenbahnendköpfen zur Front während der einzelnen Phasen)

Supplying war: logistics from ... - Martin L. Van Creveld - Google Bücher (vgl. S. 113 ff)

Insgesamt ist seine Sicht sehr erhellend zu diesem Thema.


Danke für den Hinweis.
 
Findet man eigentlich Literatur zu dem Plan von Joffres Stab, die Umfassung der deutschen Armee erst an der Seine vorzunehmen, statt die Schlacht an der Marne zu schlagen?

Joffre hatte dafür nicht genug Zuversicht bzw. Mut, und lehnte die Pläne ab. Für Klucks und Bülows Armeen wäre das wegen der Unterlegenheit wohl eine Katastrophe gewesen.
 
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Ein Problem war sicher auch, das Moltke eben nicht zu jeder Zeit ein wirklich zutreffendes Bild von der jeweiligen Lage und deren Entwicklung hatte. Das war der Ferne des Hauptquartiers von der Front geschuldet. Es wurde qusi versucht von grünen Tisch aus zu führen. Dabei hatte Moltke bei der letzten Generalstabsreise selbst ausgeführt:

Im Epilog versucht Herwig eine zusammenfassende Beurteilung und er führt Aspekte an, die, soweit ich es sehen kann, so bisher nicht thematisiert wurden.

1. Die Führungsschwäche der deutschen Führung der einzelnen Armeen. Die Komplexität des Planes und seiner Umsetzung zeigte die Schwächen in der Führung und der daran beteiligten Personen. Und hier sieht Herwig durchaus gravierende Defizite. Die allerdings erst 1915 und später zur Versetzung in die Reserve bzw. in den Ruhestand führten.

2. Die nicht optimale Nutzung der Eisenbahn durch die Deutschen, im Gegensatz zu der sehr effektiven Nutzung der Eisenbahn im Rahmen der inneren Linie durch die Franzosen. Das Verlegen von Eoinheiten vom französichen rechten Flügel und der Mitte an den linken Flügel.

3. Die Führungsstärke von Joffre, der a. die Reorganisation der Dislozierung nach dem Scheitern des Planes XVII sehr effektiv in Szene setzte und ab Ende August die notwendige Verstärkung des linken Flügel vor Paris (an der Marne) leistete und b. das Führungspersonal schnell austauschte, sofern es sich den Anforderungen nicht gewachsen zeigte. Im Gegensatz zur deutschen Seite, die weder flexibel die Schwerpunktbildung per Eisenbahn (allerdings wissen wir ja, dass dieses eher eine theortewische Option war angesichts der Überlastung der Eisenbahnverbindungen) leisten wollte bzw. konnte und auch das Führungspersonal nicht reorganisierte.

4. Die deutliche Unterschätzung des "Elan" der französichen Soldaten (poilu), die eine Moral zeigten, die die deutsche Aufklärung ihnen nicht zugetraut hatte. Ich will gar nicht Sun Tzui und die Gefahr einer Unterschätzung des Gegners zitieren. etc.

In diesem Sinne war nicht nur die Frage relevant, ob Schlieffens Plan erfolgreich aus sich heraus sein konnte, sondern auch, ob er bestehen könnte im Angesicht eines entschlossenen Gegners.

Und diesen Faktor hat der in der Theorie geniale Plan offensichtlich in der Praxis nicht angemessen berücksichtigt, wie die Ereignisse gezeigt haben.
 
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Vielen Dank für die aufschlußreichen Hinweise.

Hat Herwig auch ein paar Worte über das Alter der Oberbefehlshaber der wichtigen 3 Armeen verloren?

Immerhin waren die Herrn ja nicht mehr die Jüngsten und ich stell mir die Frage, ob sie den erheblichen Anforderungen gewachsen waren.

Befehlshaber der 1.Armee Alexander von Kluck war 68 Jahre.
Befehlshaber der 2.Armee Karl von Bülow war ebenfalls 68 Jahre.
Befehlshaber der 3.Armee Max von Hausen war 67 Jahre.
 
Im Epilog versucht Herwig eine zusammenfassende Beurteilung und er führt Aspekte an, die, soweit ich es sehen kann, so bisher nicht thematisiert wurden.

Das betrifft wieder die Realebene, nicht die Diskussion des Planes:

Die schlussendlich betonten Einflussfaktoren haben mich etwas überrascht, da die Frage der Quantitäten/Kampfkraft an der Marne mE alles andere an Bedeutung überragt, wie man leicht an der Überflügelungsdrohung für Kluck und die nicht eliminierbare "Armeen-Lücke" sehen kann.

Bzgl. der Eisenbahnen sind die Zerstörungen in Belgien zu berücksichtigen, mit den vorhandenen Pionier-Ressourcen war die deutsche Seite kaum in der Lage, dem Vormarsch "schienenseitig" zu folgen. Die Abstände zu den Ausladeräumen vergrößerten sich daher stetig. Das war aber mE kein Problem suboptimaler Nutzung.

Völlig im Gegensatz zum frz. Elan stand übrigens die deutsche Lagebeurteilung. Sowohl 2. wie 3. Armee meldeten Ende August den Gegner vor ihrer Front in völliger Auflösung.
 
silesia schrieb:
Völlig im Gegensatz zum frz. Elan stand übrigens die deutsche Lagebeurteilung. Sowohl 2. wie 3. Armee meldeten Ende August den Gegner vor ihrer Front in völliger Auflösung.

Und die Engländer sind auch nur mit Mühe der Umfassung der 1.Armee entgangen. Von Kluck konnte sich aber angesichts der Erfolge der 1.Armee endlich gegen von Bülow durchsetzten und erreichte bei der OHL, das die Unterstellung der 1.Armee unter der 2. endete und das die 1.Armee ihre Truppen von Maubeuge wieder zur eigenen Verfügung erhielt. Bülow dürfte sauer gewesen sein.

Bei der OHL war man sogar aufgrund der Vorgänge bei der 2. und 3.Armee sehr kurzzeitig der Meinung, das der Feldzug schon gewonnen sei.
 
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Als man sich "vorn" so grenzenlos optimistisch über die Lage äußerte, fragte sich Moltke, wo denn bei den großen Siegen die korrespondierenden riesigen Gefangenenzahlen bleiben. Da fehlte etwas.

Auch in Richtung auf das BEF ging man leer aus.
 
Als man sich "vorn" so grenzenlos optimistisch über die Lage äußerte, fragte sich Moltke, wo denn bei den großen Siegen die korrespondierenden riesigen Gefangenenzahlen bleiben. Da fehlte etwas.

Auch in Richtung auf das BEF ging man leer aus.

Ja, und er fragte sicher wohl auch, wo denn die erheblichen Mengen an Beutegeschützen waren. Des Weiteren fragte er sich wohl auch, ob es eine gute Idee war die beiden Korps aus dem Westen und darüber hinaus die zwei Brigaden aus Schleswig an die Ostfront zu verlegen.
 
thanepower schrieb:
Die Führungsstärke von Joffre, der a. die Reorganisation der Dislozierung nach dem Scheitern des Planes XVII sehr effektiv in Szene setzte und ab Ende August die notwendige Verstärkung des linken Flügel vor Paris (an der Marne) leistete und b. das Führungspersonal schnell austauschte, sofern es sich den Anforderungen nicht gewachsen zeigte.

Ich frage mich, ob das Führungsproblem auf deutscher Seite nicht mehr bei der OHL als bei den einzelnen Armeeführern lag? Es fehlt dort möglicherweise, wie ich schon in #25 zum Ausdruck brachte, an der Einheitlichkeit des Vorgehens.
So erreichte beispielsweise am 04.September die 3.Armee die Marne und stellte fest, „dass die Truppe an die Grenze sowohl ihrer geistigen Spannkraft wie auch körperlichen Leistungsfähigkeit angekommen war“. Am 05.September sollte nicht weiter vorgerückt werden. Dies wurde auch so gegenüber der OHL kommuniziert, die auch nichts dagegen einzuwenden hatte. Und das obwohl ihr bekannt war, das sowohl die 2. und 4. Armee ihren Vormarsch am 05.September fortsetzten würden. Beide Armeen erkannten die Gefahren, die damit verbunden waren. Bülow forderte deshalb auch die 3.Armee zu einen entsprechenden Vorgehen auf, doch erhielt er keine Antwort. Hier wäre wohl ganz klar die OHL gefordert gewesen.

Aber Moltke wurde ja auch bald abgelöst und ich weiß nicht ob Joffre wirklich nur „unfähige“ Armeeführer feuerte oder ob er einfach sie nur entließ, weil sie nicht die von ihm gewünschten Ergebnisse lieferten. Joffre stand ja schließlich auch unterbeträchtlichen Druck und hat deshalb bis 06.September sage und schreibe 58 Generäle entlassen. Ob die alle unfähig waren? Joffre hat ja wohl auch den Umfang des deutschen Aufmarsches falsch eingeschätzt und deshalb wohl auch nicht entsprechende Reserven einberufen lassen.
 
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Ich frage mich, ob das Führungsproblem auf deutscher Seite nicht mehr bei der OHL als bei den einzelnen Armeeführern lag? Es fehlt dort möglicherweise, wie ich schon in #25 zum Ausdruck brachte, an der Einheitlichkeit des Vorgehens.
So erreichte beispielsweise am 04.September die 3.Armee die Marne und stellte fest, „dass die Truppe an die Grenze sowohl ihrer geistigen Spannkraft wie auch körperlichen Leistungsfähigkeit angekommen war“. Am 05.September sollte nicht weiter vorgerückt werden


Wenn das ein Führungsproblem ist, dann eines der obersten Heeresleitung.

Das Eingeständnis, dass ein Stopp notwendig ist, markiert im besten Clausewitzschen Sinn den Kulminationspunkt der Schlacht [und nicht erst das Festrennen] und den Offenbarungseid, dass der Plan - der schnellstes Vorrücken erforderte - gescheitert war. Mit Clausewitz ist der anschließende Rückschlag des Angreifers nach dem Kulminationspunkt gewaltiger als die Wirkung der Offensive selbst. Insofern war der Rückzug von der Marne eine operative Führungsleistung, da das Zerbrechen des deutschen Heeres verhindert wurde.
 
Ich frage mich, ob das Führungsproblem auf deutscher Seite nicht mehr bei der OHL als bei den einzelnen Armeeführern lag? Es fehlt dort möglicherweise, wie ich schon in #25 zum Ausdruck brachte, an der Einheitlichkeit des Vorgehens.

In diese Richtung habe ich Herwig verstanden. Er äußert eine gewisse Verwunderung hinsichtlich der Kommunikationsdefizite zwischen Moltke und den jeweiligen Armee-OB`s, da er auf die entsprechenden, gemeinsamen Kriegsspiele hinweist, die eigentlich die Grundlage für eine konsensuale Interpretation hätten sein sollen.

Aber er verweist auch fairerweise darauf, dass in Anlehnung an Clausewitz, Planungen an Bedeutung verlieren nach dem ersten Gefecht.
 
I...da er auf die entsprechenden, gemeinsamen Kriegsspiele hinweist, die eigentlich die Grundlage für eine konsensuale Interpretation hätten sein sollen.

Tatsächlich entsprach die Situation an der Marne 1914 den Kriegsspielen 1905. Ich hatte oben auf die beiden Szenarien "Steuben-Fall" und "Freytag-Fall" hingewiesen.

Dabei führte letztmalig Schlieffen die deutsche Seite. Die französische Seite wurde von Kuhl geführt, 1914 Stabschef von Kluck in der 1. Armee. Alle Beteiligten waren sehr gut mit dem planerischen Hintergrund vertraut.

Der Sand im Getriebe war mE ausschließlich der Lage und den gegnerischen Reaktionen geschuldet, die Niederlage definitiv kein Kommunikationsproblem. Hier überzieht Herwig in den letztlich unwichtigen Details.
 
Tatsächlich entsprach die Situation an der Marne 1914 den Kriegsspielen 1905. Ich hatte oben auf die beiden Szenarien "Steuben-Fall" und "Freytag-Fall" hingewiesen.

Dabei führte letztmalig Schlieffen die deutsche Seite. Die französische Seite wurde von Kuhl geführt, 1914 Stabschef von Kluck in der 1. Armee. Alle Beteiligten waren sehr gut mit dem planerischen Hintergrund vertraut.

Der Sand im Getriebe war mE ausschließlich der Lage und den gegnerischen Reaktionen geschuldet, die Niederlage definitiv kein Kommunikationsproblem. Hier überzieht Herwig in den letztlich unwichtigen Details.

Und von Steuben war im August 1914 Kommandierender General des XVIII.Reservekorps. Im Jahre 1904 war er Chef der Manöverabteilung des Großen Generalstabes gewesen. Auch er kannte dieses Kriesgsspiel bestens, nur dass das XVIII. Reservekorps eben zur 4.Armee gehörte.
 
Als man sich "vorn" so grenzenlos optimistisch über die Lage äußerte, fragte sich Moltke, wo denn bei den großen Siegen die korrespondierenden riesigen Gefangenenzahlen bleiben. Da fehlte etwas.

Auch in Richtung auf das BEF ging man leer aus.


Richtig. Aber den Ratschlag seines Stabsoffiziers Oberstleutnant Dommes mochte er auch nicht aufnehmen, da er wohl besorgt war, den Herren vor dem Kopf zu stoßen.

Am Abend des 26.August war eigentlich klar, das keine vorzeitige Entscheidung über den Ausgang des Feldzuges im Westen gefallen war. Auf dem rechten Flügel war die angestrebte Umfassung nicht geglückt. In der Mitte war der Widerstand der Franzosen sehr heftig und die Verfolgung machte keine nennenswerte Fortschritte. In Lothringen hatte die deutsche 6.Armee alle Mühe sich der heftigen Angriffe der Franzosen zu erwehren.
 
Die Mission des Oberstleutnant Hentsch Teil 1

In diesem Thread fehlt m.E. nach noch die nicht ganz unwichtige Mission von Oberstleutnant Hentsch, die schließlich ja zum Abbruch der Marneschlacht und damit auch zum Ende Bewegungskrieges geführt hat.

Das Sorgenkind war in jenen Septembertagen der rechte Flügel des kaiserlichen Heeres. Zwischen der 1. und 2.Armee klaffte eine ganz beachtliche Lücke; nicht zuletzt aufgrund gewisser Eigenmächtigkeiten des Armeechefs der 1.Armee Generaloberst von Kluck bei der Ausführung bzw. Auslegung von Befehlen der Obersten Heeresleitung. In dieser Lücke befand sich nur Kavallerie in geringem Umfange.

Am Abend des 07.Speptembers 1914 fand zwischen Moltke, den Obersten Dommes und Tappen und Oberstleutnant Hentsch eine Besprechung statt. Merkwürdiger war der Generalquartiermeister Generalleutnant von Stein bei dieser Besprechung nicht anwesend. Gesprächsgegenstand war die Lage am rechten Flügel des Heeres. Die 1.Armee hatte für den 08.09. positive Nachrichten angekündigt. Die 2.Armee hatte nur noch eine Kampfkraft von 3 Armeekorps gemeldet.

Die Herren war sich darüber einige, dass dringend eine präzise Aufklärung über die Lage vor allem bei der 1.Armee, da sie die rechte Flanke des Heeres bildete, vonnöten tat. Moltke wollte aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, er meinte, er müsse für den Kaiser erreichbar sein, nicht selbst fahren. Die Wahl fiel auf den Nachrichtenoffizier Oberstleutnant Hentsch. Er galt als fähiger Offizier und hatte die Armeen schon kurz zuvor besucht.
Der Auftrag für Hentsch ist, nach allem was bekannt ist, nie schriftlich fixiert worden.

Moltke schrieb dazu 1915, „Oberstleutnant Hentsch hatte nur den Auftrag, der 1.Armee zu sagen, daß – wenn ihr Rückzug nötig werden sollte, sie in die Linie Soissons – Fismes zurückgehen solle, um so den Anschluss an die 2.Armee wieder zu gewinnen. Er hatte keineswegs den Auftrag zu sagen, daß der Rückzug unvermeidlich sei. Ein Befehl zum Rückzug der 1.Armee ist nicht von mir gegeben worden. Ebensowenig ein Befehl zum Zurückgehen der 2.Armee.“

Nach Auskunft von Oberst Dommes und Oberst Tappen war der Auftrag noch begrenzter. Falls auf dem rechten Flügel bereits rückgängige Bewegungen eingeleitet seien, solle er (Hentsch) versuchen, dies so zu leiten, daß durch ein Zurückgehen der inneren Flügel der 1. und 2.Armee in Richtung Fismes die Lücke zwischen beiden Armeen wieder geschlossen würde.

Hentsch selbst meinte, das er eine viel weitergehende Vollmacht erhalten habe. Er solle im Notfalle eine Rückwärtsbewegung der 1. – 5.Armee bis hinter die Besle in Höhe des Nordrandes der Argonnen anzuordnen. Nach der Besprechung hat es möglicherweise noch ein Vieraugengespräch zwischen Moltke und Hentsch gegeben. Es liegt nahe, das dort nochmals über die Aufgabe von Hentsch gesprochen wurde.

Zu konstatieren ist an dieser Stelle, das Moltke nur unter einer bestimmten Prämisse eine Weisung erteilt haben will und die beiden Obersten von überhaupt gar keiner Weisung sprechen.

Oberstleutnant Hentsch hat seine Fahrt dann 08.September angetreten. Er hatte schon eine pessimistische Grundeinstellung und war eigentlich davon überzeugt, dass die Armeen zurückgenommen werden müßten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber wieso hat ein Generaloberst die Anweisungen eines Oberstleutnants ohne schriftlichen Befehl und ohne Rückfrage befolgt?
 
Aber wieso hat ein Generaloberst die Anweisungen eines Oberstleutnants ohne schriftlichen Befehl und ohne Rückfrage befolgt?

Eine vollkommen berechtigte und gute Frage. Antwort: Keiner weiß es so genau. Hentsch hatte sowohl Bülow als auch später Kuhl über seine "angebliche" Vollmacht mündlich informiert. Niemand kam auf die Idee bei der Obersten Heeresleitung nachzufragen. Kaum zu glauben, aber so war es.
 
Die Mission des Oberstleutnant Hentsch Teil 2

Am 08.September wurden von Oberstleutnant Hentsch und seiner Begleitung, die Hauptleute König und Koeppen, dann in schneller Abfolge die Armeehauptquartiere der 5., 4. und 3.Armee besucht.

Ihnen wurde die Lage vorgestellt und Hentsch war insgesamt positiv gestimmt. Von Rückzug kein Wort und auch nicht von der „angeblichen“ besonderen Vollmacht von Moltke.

Die Herren fuhren weiter nach Montmort, wo sich das Hauptquartier der 2.Armee befand.

Generaloberst von Bülow machte seinen Ärger über das Oberkommando der 1.Armee Luft, weil dieses seine (der 1.Armee) beiden Armeekorps in bedrängter Lage zurückgerufen habe. Dadurch sei für die 2.Armee, genauer dem rechten Flügel eine ernste Lage entstanden.

Hentsch hatte schon vor dem offiziellen Gespräch gegenüber dem Generalstabschef der 2.Armee fallen lassen, das ein Rückzug in Betracht käme, weil die OHL die Lage der 1.Armee für sehr ernst halte.

Über Bülows Aussagen gegenüber Hentsch gibt es verschiedene Versionen. Einmal hieß es, die 2.Armee hätte dermaßen an Kampfkraft eingebüßt, dass ein durchgreifender Erfolg nicht mehr möglich sei. Das führen die Hauptleute König und Koeppen aus. Hauptmann Thilo, Generalstabsoffizier der 2.Armee, behauptet, das Generaloberst von Bülow ausgeführt hätte, die Angriffskraft der Truppe sei ungebrochen. Einigkeit herrscht bei der Beurteilung der angeblich sehr ernsten Lage der 1.Armee vor. Hier waren sich Bülow und Hentsch einig.

Hentsch informierte hier auch über seine „angebliche“ Vollmacht und das die OHL der Meinung, dass die 1.Armee nicht mehr imstande sei, sich bei einem Durchbruch des Feindes über die Marne zu behaupten. Nun ja, Hentsch hatte die 1.Armee ja noch gar nicht besucht gehabt! Über das weitere Vorgehen gingen die Meinungen zwischen Bülow und Hentsch nicht wesentlich auseinander. Bülow vertrat die Auffassung, das ein konzentrische Zurückgehen der 1. und 2.Armee die Lage retten könne. Nur so könne wieder eine geschlossen Front und die volle Bewegungsfreiheit der Armeen zurückgewonnen werden. Hier haben sich zwei Pessimisten getroffen.

Hentsch hatte aber wohl jedenfalls den Eindruck gewonnen, das die 2.Armee zu abgekämpft gewesen war, um den erwarteten französischen Gegenangriff standhalten zu können.

Schon hier wäre sicher ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, um Moltke einzuschalten. Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass es keine Fernsprechverbindung zur OHL gab. Das gleiche galt auch für die 1.Armee! Erst am Nachmittag des 09.September gab es bei der 1.Armee eine Telefonverbindung zur OHL!

Hentsch argumentierte überzeugend und man einigte sich schließlich darauf, dass die 2.Armee nur dann zurückgehen sollte, wenn tatsächlich der Feind die Marne in beträchtlicher Stärke überschreiten sollte und im Rücken der 1. Armee auftreten würde. Für diesen Fall gab Oberstleutnant Hentsch schon jetzt Weisungen über Ausdehnung und Richtung eines etwas nötig werdenden Rückzuges.

Fehleinschätzungen und fehlende Kommunikation sind hier die Stichworte. Denn die 2.Armee hatte die 9.französische Armee zum Stehen gebracht. Die 1.Armee behaupte sich nicht nur gegen eine Übermacht, nein sie holte gerade zum Schlag aus, und das trotz Munitionsmangels. Das AOK 1 jedenfalls konnte eine Überflügelung durch kühnes Handeln verhindern.

Ach ja, ehe ich es vergesse: Meine Ausführungen stützen sich u.a. auf das Reihenwerk des Reichsarchivs Der Weltkrieg Band 4,
Enzyklopädie Erster Weltkrieg,
Stevenson, Erster Weltkrieg
Salewski, Erster Weltkrieg
Keegan, Erster Weltkrieg
 
Die Mission des Oberstleutnant Hentsch Teil 3

Am 09.September brach Hentsch dann mit seiner Begleitung zum Hauptquartier der 1.Armee in Mareuil auf.

Dort traf er gleich auf Generalmajor von Kuhl, den Generalstabschef der 1.Armee. Kuhl informierte Hentsch darüber, dass derzeit gerade den linken Flügel zurücknehme. Grund war das Ausweichen des rechten Flügels der 2.Armee auf Margny. Hentsch war hierüber aber schon am Abend zuvor von Bülow über diesen Schritt informiert worden.

Hentsch erfuhr auch, dass die Briten die Marne überschritten hätten. Ab diesem Zeitpunkt stand der Entschluss von Hentsch fest und das, obwohl das AOK 1 auf seine bisherigen günstigen Erfahrungen mit den Engländern vortrug und man deshalb das Überschreiten der Marne nicht soo kritisch sah. Wohl zu Recht.

Hentsch jedenfalls drängte auf Rückzug, weil die 2.Armee angeblich nur noch Schlacke sei. Wie Hentsch zu dieser Aussage gekommen ist, kann nur vermutet werden. Gemäß den Aussagen von Hauptmann König, soll Generaloberst von Bülow dies über seine Armee während des Besuchs von Hentsch geäußert haben.

Des Weiteren behauptete Hentsch, der rechte Flügel der 2.Armee sei nicht ausgewichen, sondern geworfen worden. Die 2. Armee würde sich zu diesem Zeitpunkt bereits hinter die Marne zurückziehen. Der 1.Armee blieb angesichts dieser Ausführungen von Hentsch und dessen Rückzugsbefehl unter Berufung auf die Vollmacht von Moltke nichts anderes übrig, als den Rückzu anzutreten.

Am 09.September haben aber sowohl die 2. als auch die 1. Armee durchaus erfolgreich gefochten gehabt. Die Lage der 1.Armee war in Wirklichkeit viel günstiger als angenommen; auf dem rechten Flügel begann sich ein entscheidender Erfolg abzuzeichnen. Viele Kommandeure waren über den Rückzugsbefehl schlicht entsetzt.

Konsequenterweise mussten sich dann auch die 3., 4. und 5.Armee zurückziehen.
 
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