Richtig. Das Lager Anreppen zum Beispiel befand sich im inneren Germaniens und bot den Hintergrund für römische Repräsentation. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß Varus nur wenige Kilometer weiter östlich an der Weser eine Art Zeltlager aufschlug.
Darauf hat Salvus ja schon geantwortet:
Anreppen war das östlichste der bekannten Lippelager. Daher könnte eine solche Vermutung durchaus plausibel sein. Allerdings geht die moderne Forschung (u.a. Kühlborn) davon aus, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß dieses Lager kurz nach den Tiberius-Feldzügen aufgegeben wurde und somit während der Statthalterschaft des Varus garnicht mehr existierte.
Weiter unten dazu mehr.
Ebenfalls richtig. Es ist allerdings von Asprenas die Rede, nicht von Varus. Asprenas führte nach Bekanntwerden der Niederlage des Varus in Eilmärschen seine beiden Legionen in ein Lager am Rhein, um die diesseits lebenden Stämme vom Aufstand abzuhalten. Es handelt sich also um eine vollkommen andere Situation als bei Varus selbst.
Man muss den Absatz auch mit der gebührenden Ironie lesen. Es handelt sich eben nicht um eine
Laudatio, sondern um eine
"Laudatio".
"Hier soll nun auch L. Asprenas mit Fug und Recht Asprenas Erwähnung finden. Er war Legat unter seinem Onkel Varus gewesen und hatte durch
sein tapferes und mannhaftes Verhalten das aus zwei Legionen bestehende Heer, das er befehligte,
unversehrt aus der großen Katastrophe gerettet. Und indem er in Eilmärschen in die Winterquartiere Germaniens zog, bestärkte er die diesseits des Rheins wohnenden Völker, die schon schwankend geworden waren, in ihrer Treue.*
Dennoch gibt es Leute, die glauben, er habe zwar die Lebenden gerettet, aber auch
die Hinterlassenschaft der mit Varus umgekommenen
an sich gebracht und nach Belieben die Erbschaft der getöteten Soldaten
angetreten."
*Das ist die Übersetzung von Marion Giebel. Allerdings würde ich
animos confirmavit anders übersetzen: Er bestärkte sie nicht in ihrer Treue (
fides,
fidelitas) sondern in ihrer Zuversicht oder ihrem Mut (
animus).
Vom „Rückmarsch an den Rhein“ ist in den Quellen nirgends die Rede. Diese Vorstellung hat sich leider in den Köpfen festgesetzt.
Eben das steht dort nicht. Diese Vorstellung hat sich jedoch in 500 Jahren Varusschlachtforschung derart in den Köpfen zementiert, daß sie mittlerweile als Tatsache angenommen wird. Überlebende flohen ins Lager Aliso und saßen dort erst einmal fest.
Natürlich steht dort nicht, dass sie "ad Rhenum" marschierten. Cassius schreibt schließlich auf Griechisch und nicht auf Latein.

Nein, ernsthaft:
Wenn man mit Cassius ein mehrtägige Marschschlacht annimmt, dann kann man
nicht davon ausgehen, dass die Römer - von ihren Verbündeten verraten - weiter marschieren um die angebliche Rebellion niederzuschlagen. Stattdessen müssen sie versucht haben, sicheres Gebiet zu erreichen. Und das wäre der Rhein gewesen. Wir hören explizit bei Velleius, dass Asprenas seine Truppen über den Rhein führte, um sie in Sicherheit zu bringen. Bei Cassius steht explizit, dass die Cherusker die varianischen Truppen
"weit vom Rhein weg" führten, auch hier wieder der Rhein als sicheres Gebiet.
Aliso ist auch kein überzeugendes Argument gegen den Marsch zum Rhein, da Aliso offensichtlich nicht allzuweit vom Rhein entfernt lag. Immerhin gelang es den in Aliso Festsitzenden dort auszubrechen und zum Rhein zu gelangen und Asprenas soll diesen entgegen geeilt sein.
Mag sein, dass man aus den Schriftquellen noch die mögliche Existenz von Winter- und Sommerlagern herauslesen kann.
Man kann es nicht nur herauslesen, es steht dort explizit:
hiberna. An
hiberna lässt sich nicht herumdeuteln.
Die archäologischen Befunde stützen das aber nicht. Schon in der Okkupationsphase hatten die Lager im Inneren Germaniens (das Prominenteste dürfte Oberaden sein; belegungsdauer von 11 bis ca. 8 v. Chr.) eine feste Innenbebauung, die Rheinlager hingegen nicht. Das kann nur bedeuten, dass die Legionen schon zu dem frühen Zeitpunkt nicht am Rhein sondern in Germanien überwintert haben. Dass Varus zu irgendwelchen Winterlagern am Rhein ziehen wollte, ist also auszuschließen, weil es dort keine Winterlager gab.
Stattdessen ist anzunehmen, dass die römischen Truppen in einer Reihe von ganzjährige benutzten Lagern in Germanien stationiert waren. Z. B. Haltern (meiner Ansicht nach identisch mit Aliso).
Vetera, Novaeisium, oder Ulpia Noviomagus waren auch in augusteisch-tiberischer Zeit befestigte Lager. Natürlich blieben auch Legionen in den Lagern an der Lippe und sicher auch an der Lahn, schon um Waldgirmes zu sichern. Aber im Winter wurde kein Krieg geführt und daher wurden sicher auch die Lippelager im Winter nicht voll besetzt gehalten, schon wegen des Versorgungsaufwandes.
Asprenas hat die ihm unterstellten beiden Legionen dann über den Rhein geführt, weil die Germanen nach der Niederlage des Varus auch alle Lager östlich des Rheins gestürmt haben und die römischen Truppen dorthin folglich nicht zurückkehren konnten. Die Funde von Waldgirmes deuten darauf hin, dass die Römer auch selbst Standorte kampflos geräumt haben, weil sie sie nicht mehr hätten halten können.
Vielleicht muss man Florus so lesen, dass er die Eroberung der Lager nach der Varusniederlage mit der Schlacht selbst bloß in einen Topf geworfen hat.
Möglicherweise. Florus gilt insgesamt als unpräzise.
Der römische Statthalter wird nicht die befreundeten cheruskischen Führer in einem Zeltlager empfangen haben, sondern ließ sie im nächstgelegenen größeren Standlager vorladen, um ihnen römische Macht und Kultur zu repräsentieren.
Das konnte man auch mit mobilen Dingen tun. Siehe etwa den Hildesheimer Silberschatz. Dazu brauchte man kein luxuriöses Standlager, zumal es beeindruckend genug für die Germanen gewesen sein wird, wie die Römer in Nullkommanix ihre Lager aufbauten.
Das hängt alles letztlich von der Frage ab, warum Varus mit den drei Legionen unterwegs war und was er bei den Cheruskern wollte. Beeindrucken musste er die bestimmt nicht, denn sie galten den Römern als "Vorzeige-Germanen" und waren ihre wichtigsten und treuesten Verbündeten in der Gegend.
Dass er die Truppen auf die Nachricht von dem Aufstand dort versammelt hat, scheint unzutreffend zu sein. Den Quellen zufolge befand sich Varus bereits bei den Cheruskern und war mit Rechtsprechung beschäftigt, als ihm die Meldung über den angeblichen Aufstand überbracht wurde. Das liest sich eher so, als hätte er sich bereits auf den Abmarsch vorbereitet und wäre dann von den "Verrätern" überredet worden, einen kleinen Umweg zu machen, um den widersetzlichen weit entfernten Stamm quasi im Vorbeimarsch zu züchtigen.
Ich halte Cassius Dio nach wie vor für eine unglaubwürdige Quelle und würde ihm nicht allzuviel Glauben schenken wollen. Bezeichnend ist doch, dass immer wieder mit dem Eigentteil Cassius' argumentiert wird.
Schon Dieter Timpe wies in den Arminius-Studien 1970 darauf hin, dass ein römischer Statthalter im Jahre 9 n.Chr. keine drei Legionen benötigte, um im rechtsrheinischen Germanien unterwegs zu sein. Varus befand sich vielmehr auf einer Inspektionsreise zur Entwicklung der zivilen Infrastruktur des Landes, in erster Linie zur Rechtsprechung. In welchem Lager er dieses Tat ist nicht bekannt.
Ebenfalls nicht bekannt ist, welche Standorte die drei Legionen 17,18 und 19 zu dieser Zeit hatten. Tiberius hatte 5 n.Chr. das Land zwischen Rhein und Elbe befriedet, so dass es als militärisch gesichert bezeichnet werden konnte.
Nun, Timpe scheint sich mit dieser Ansicht nicht voll durchgesetzt zu haben. Und wie zu sehen ist, reichte es eben nicht einen germanischen Stamm zu besiegen oder in die Flucht zu schlagen. Da konnte man hundert Mal bis an die Elbe ziehen und das Land war doch nicht erobert.
Nun gehen allerdings einige Leute mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit davon aus, die Legionen 17,18 und 19 hätten am Rhein gelegen. Es ist m.E. viel wahrscheinlicher, dass sie Standorte im Landesinneren (auch in den Wintermonaten) besetzt hielten (z.B. Haltern und Anreppen).
Es gibt Zeugnisse für diese Legionen in Haltern, aber auch in Vetera. Die 19. wird direkt bei Varus gewesen sein, zu ihr dürfte er seit 15 ein gutes Verhältnis gehabt haben. Von ihr ist ein Bleibarren in Haltern belegt.
Marcus Caelius' Kenotaph stand in Vetera, das spricht dafür, das er hier stationiert war, also 18. Legion dort.
Varus war Statthalter in Germanien- daß zu der Zeit als befriedet galt. Statthalter heißt, an Kaisers statt in einer Provinz- was macht es für einen Sinn, wenn das nur saisonal ist?
Pro vincia heißt ja zunächst einmal nichts anderes als 'Auftrag' und stammt von pro vincere, 'zu besiegen'.
Galt Germanien als befriedet? Die Brukterer, Ubier, Sugambrer Cherusker und Marser sicher, aber weitere Völker?
Wie sprechen die römischen Autoren Varus an? Manilus und Velleius schreiben dux ("cum fera ductorem rapuit Germania Varum"; "segnitia ducis", "marcore ducis", "Duci plus ad moriendam quam ad pugnandum animi fuit"). Das bezieht sich auf den militärischen Bereich. Strabon nennt ihn einen Strategen ("στρατηγοῦ Ὀυάρου Κουιντιλλίου"), Velleius bezeichnet ihn als Vorsteher des Heeres in Germanien ("is cum exercitu, qui erat in Germania, praeesset"), Florus spricht Varus mit seinem höchsten erreichten politischen Amt an: "consulis corpus", dies allerdings in einem Kontext militärischer Treue: Die römischen Soldaten hätten den Leichnam des Varus vergraben, den die Germanen aber wieder ausgruben.
Cassius Dio nennt Varus den Hegemon: ἡγεμών, was dem lateinischen
dux entspricht.
Eine Provinz braucht eine Hauptstadt- vielleicht war so etwas schon in der Überlegung, wenn man sich mit der Weser als Grenze begnügte- vielleicht aber auch zwischen Weser und Elbe in Planung.
Das ist richtig. Und diese Hauptstadt war die
ara Ubiorum, also Köln, wo man man den Kaiserkult für die Provinz Germania eingerichtet hatte. So zumindest sieht das Werner Eck, der Köln mit Lugdunum/Lyon als Zentrum des Kaiserkults in Gallien vergleicht, mit dem Hinwies auf Segimuntos, der als Cherusker Dienst an der
ara Ubiorum tat. Von hier muss auch Varus "ins Innere Germaniens" gezogen sein.
Ergo: Es ist kein Widerspruch, dass es Standlager an der Lippe gab, sie waren Sicherungslinie eines Aufmarschgebietes der noch im Aufbau befindlichen Provinz, sie werden zwar ganzjährig besetzt gewesen sein, aber sicher nicht - gerade während der Wintermonate - voll besetzt. Immerhin musste die ganze Gerste, der Hafer, das Öl, Wein, etc. auch transportiert werden. Die Existenz dieser Standlager steht auch nicht im Widerspruch dazu, dass sich ein Feldherr ins Innere Germaniens begeben konnte und doch noch "haud procul [...] Amisiam et Lupiam amnes inter"
vernichtend geschlagen werden konnte.